Protokoll der Sitzung vom 13.07.2005

kennbar. So ist die derzeit und für die nächsten Jahre zu erwartende Bevölkerungszahl Hessens mit leichten Zuwächsen mit einem positiven Einwanderungssaldo unter den Bundesländern zu sehen,

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

während der Wegzug vieler Menschen aus Nordhessen zu einem erheblichen Teil Südhessen und der Rhein-MainRegion zugute kommt.

Zweitens. Die Veränderungen machen sich in den Regionen Hessens bezüglich Intensität und eintretendem Zeitpunkt unterschiedlich bemerkbar. Dabei gilt für Nordhessen, dass die dort seit jeher bestehende Strukturarmut als Brandbeschleuniger einzelner Phänomene der demographischen Entwicklung zu sehen ist.

Drittens. Die Auswirkungen der Entwicklung sind vielschichtig. Sie umfassen von der Verstärkung des Negativtrends bei der Geburtenzahl über veränderte Planungsvoraussetzungen bis zum Steueraufkommen, zur Wirtschaftskraft und zur Aufstellung der sozialen Sicherungssysteme alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.

Nordhessen ist hiervon früher und heftiger betroffen. Gleichzeitig bieten sich aber gerade in Nordhessen neue Chancen. Damit meine ich weniger die gestiegene Nachfrage der Region als ruhiger und beschaulicher Alterswohnsitz als vielmehr die Verbesserung der Standortqualität: nicht mehr Zonenrandlage, sondern Zentrallage in Deutschland und in einer erweiterten EU.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Walter Lübcke (CDU): Mitten in Deutschland!)

In diesem Zusammenhang wird von einer Brückenfunktion zwischen den Wirtschaftsräumen in Ost und West gesprochen. Nach dem wirtschaftlichen Strohfeuer infolge der Wiedervereinigung und dem Konsumnachholbedarf der ostdeutschen Bevölkerung eröffnet die geographische Lage nunmehr erhebliches und dieses Mal langfristiges Potenzial im Bereich der Logistik. Allerdings muss das Potenzial gehoben werden.

Die Hessische Landesregierung hat nicht nur das Potenzial, sondern auch die Notwendigkeit von Hilfestellungen erkannt. Eine davon ist der forcierte Ausbau der Verkehrsinfrastruktur. Die Lebensadern Nordhessens finden sich umfangreich im regulären Landesstraßenbauprogramm sowie im Sonderbauprogramm wieder. Darüber hinaus arbeitet die Hessische Landesregierung intensiv daran, den dringend notwendigen Bau der A 44 zwischen Kassel und Herleshausen und den Lückenschluss der A 49 zu realisieren.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wieder nur Beton! – Gegenruf von der CDU:Asphalt!)

Herr Dr. Jürgens, ich wäre äußerst gespannt auf die Diskussion, die Sie vor Ort entlang der möglichen Autobahntrasse mit den Leuten zu führen hätten. Sie werden Ihnen ganz andere Dinge als das erzählen, was Sie hier von sich gegeben haben.

Ich möchte ein ganz konkretes Beispiel anführen. Am letzten Sonnabend war der Hessische Ministerpräsident in Hessisch-Lichtenau bei einer Firma, die einen Investitionszuschuss vom Land Hessen erhalten hatte. Sie hat ihn deshalb bekommen, weil sie Arbeitsplätze von Polen nach Deutschland – nach Hessisch-Lichtenau in Nordhessen – zurückgeholt hat. Das hat sie ganz bewusst zum ei

nen wegen der geographischen Lage getan, die ich angesprochen habe, und zum anderen deshalb, weil sie erkannt hat:Der Standort an einer werdenden Autobahn mitten in Deutschland – auch unter dem Gesichtspunkt der Mautkosten, wenn man Waren von Polen nach Westeuropa überführen muss – ist ideal. Deshalb hat sie dort investiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Insofern sage ich ganz klar und deutlich, auch wenn das eine sehr vereinfachte Sichtweise ist: Autobahnbau bedeutet Gewerbeansiedlungen, Arbeitsplätze und Zukunftschancen.

(Beifall bei der CDU)

Was die Zukunftschancen angeht, die wir noch viel mehr als von dieser einen Firma erleben wollen: Besser kann man einer demographischen Entwicklung nicht entgegenwirken.

Auch das Engagement für den Ausbau des Regionalflughafens Kassel-Calden ist unter diesem Gesichtspunkt zu sehen, stellt seine Funktion doch einen wichtigen Beitrag zur weiteren Attraktivitätssteigerung des Standorts dar.

Meine Damen und Herren,lassen Sie mich auch hier noch einen konkreten Punkt anführen. Die Deutsche Lufthansa hat eine neue Dienstleistung, Serviceleistung im Angebot. Sie nennt sich Private Jet. Damit werden Führungskräfte usw. von Regionalflughäfen zu ihren internationalen Flügen geflogen. Diese Flugzeuge können derzeit in Kassel-Calden nicht landen.Dieses Angebot gibt es seitens der Lufthansa bei dem derzeitigen Ausbauzustand von Kassel-Calden nicht. Auch an so kleinen Beispielen sehen Sie also, wie notwendig Kassel-Calden ist, wenn wir internationale Firmenansiedlungen in Nordhessen haben wollen.

Die Strukturpolitik seitens der Hessischen Landesregierung ist nicht auf Logistik und Verkehrsinfrastruktur reduziert. Weitere Schwerpunkte sind zum einen die Landwirtschaft und zum anderen der Tourismus. In Sachen Landwirtschaft ist die Entscheidung für Witzenhausen als Standort des Kompetenzzentrums HeRo hierunter zu sehen. Zusammen mit der Außenstelle der Universität Kassel – hier Agrarwissenschaften – und vielen ansässigen Ingenieurbüros – dort Umwelttechniken – werden ideale Voraussetzungen für eine Modellregion für Anbau und Verwertung nachwachsender Rohstoffe geschaffen. Hieraus ergeben sich ganz klar entsprechende Zukunftsperspektiven.

Zudem fanden Maßnahmen des hessischen Entwicklungsplanes wie beispielsweise Investitionshilfen in landwirtschaftliche Betriebe, Junglandwirteförderung, Agrarumweltmaßnahmen, Unterstützung der Vermarktung landwirtschaftlicher Qualitätsprodukte und die Dorferneuerung in hohem Maße in Nordhessen statt. Ein Beispiel: In dem zuletzt genannten Punkt sind insgesamt 65 % der Mittel nach Nordhessen geflossen.

Meine Damen und Herren, von schönen Landschaften alleine kann niemand leben. Mit einer entsprechenden Vermarktung und dem Aufbau einer touristischen Infrastruktur eröffnen sich jedoch Chancen, die zwar nicht die Größenordnung eines Logistikparks Nordhessen erreichen werden, die aber geeignet sind, ein Standbein der Zukunftsfähigkeit der Region darzustellen. Im Wissen hierum wurden und werden von der Hessischen Landesregierung Förderschwerpunkte bei den GA- und EU-Mitteln in Nordhessen eingesetzt. Marketingmaßnahmen er

folgen direkt über die Hessen-Agentur und indirekt durch die finanzielle Unterstützung von clusterorientierten Aktivitäten im Rahmen des Regionalmanagements.

Ich möchte als Einwohner einer der beiden Orte, die bei der Umstrukturierung ihrer Kureinrichtungen Hilfe des Landes erhalten haben, Bad Karlshafen und Bad SoodenAllendorf, nicht ganz unerwähnt lassen: In beiden Fällen wurde mit der Förderung des Baus von Thermen der Weg von einem kommunal betriebenen Kurort hin zu einem privatwirtschaftlich organisierten Dienstleistungsstandort im Bereich Wellness ermöglicht, und auch das eröffnet Zukunftschancen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Auch der Nationalpark Kellerwald dürfte an dieser Stelle durchaus erwähnt werden. Ich sage es etwas flapsig:Alter Baumbestand und brachliegende Flächen wurden mit Hilfe aus Wiesbaden zu einem Tourismus-Highlight umstrukturiert.

(Frank-Peter Kaufmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dazu hätte man etwas mehr sagen müssen!)

In all den Fällen, die ich eben geschildert habe, besteht für viele Menschen Aussicht auf eine gesicherte Existenzgrundlage als Gastronom, Betreiber einer Freizeiteinrichtung, Angestellter im Hotelbereich usw. Auch damit erreicht man, dass die Menschen bleiben können und nicht Arbeitsplätzen hinterher ziehen müssen, und vielleicht auch, dass sie in dem Umfeld einer gesicherten Existenz vor Ort eher über Familiengründung und -planung nachdenken.

An dieser Stelle spreche ich meine Zuversicht aus, dass die Hessische Landesregierung alles daransetzen wird – das ist ja schon angesprochen worden –, die Interessen Nordhessens unter den sich ändernden Förderkulissen seitens der EU und der Neuabgrenzung der GA-Gebiete weiterhin hinreichend zu berücksichtigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Dr. Walter Lübcke (CDU): Großer Applaus!)

Ein weiteres Betätigungsfeld betrifft den Technologieund Forschungsstandort. Hier sind maßgeblich anzuführen das Voranbringen des Universitätsstandortes Kassel – aus einer Gesamthochschule im Schattendasein ist eine Universität mit exzellenten Fachrichtungen entstanden – und die Unterstützung des Institutes für solare Energieversorgung. Beide Einrichtungen arbeiten zusammen und sind in das hessische Netzwerk für Technologietransfer eingebunden.

Das vom Land geförderte Kooperations- und Projektmanagement Wissens- und Technologietransfer hat in Kassel im Umfeld der Universität zu über 300 Firmengründungen geführt. Somit wurden auch hier Chancen angestoßen.

Unter dem Stichwort Firmengründung komme ich zur Wirtschaftsförderung. Sie ist von außerordentlicher Bedeutung für den nordhessischen Raum. Neben der Neuordnung dieses Bereiches erfolgt die Arbeit im Bereich der Beratung und Bewerbung durch die Hessen-Agentur und im Bereich der Vorhaltung finanzieller Förderangebote durch die IBH. Diese Arbeitsteilung ist sinnvoll und wird Nordhessen zugute kommen.

Herr Kollege, es hat geklingelt. Bitte kommen Sie zum Schluss.

Beide Einrichtungen haben übrigens einen Sitz in Kassel und damit in Nordhessen. Das soll der Schlusssatz gewesen sein.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Kollege. – Angesichts der Tatsache, dass eine Fraktion mit dem Schiff in Richtung England fahren möchte, möchten wir Sie bitten, Herr Staatsminister, zum Schluss kurz und bündig zu sprechen.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kenne den Terminplan und die zeitliche Enge der Mitglieder dieses Parlaments.

(Dr. Walter Lübcke (CDU): Abgeordnete haben keinen Feierabend!)

Auf der anderen Seite wäre es notwendig, über das, was hier gesagt worden ist, ausführlich zu diskutieren, weil das Thema in der Tat sehr ernst ist und eine Herausforderung darstellt.Aber ich will mich auf Weniges beschränken, damit ich den ernsten Blicken des Vorsitzenden der CDUFraktion standhalten kann.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,lassen Sie mich zwei Sätze sagen. Insbesondere im Anschluss an das, was Herr Frankenberger hier gesagt hat, möchte ich sagen: Nordhessen braucht mehr Fürsprecher als Schlechtredner. Was wir hier heute gehört haben, ist wenig angebracht, die Stimmung in Nordhessen zu verbessern – ganz im Gegensatz zu dem, was Herr Dr. Jürgens gesagt hat, der zu Recht formuliert hat: Nordhessen ist besser als sein Ruf. – Wenn Sie Ihren Teil wenigstens in dem Sinne beitragen, dass Sie über Nordhessen besser reden, würden Sie schon viel zur Verbesserung der Situation tun.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,wir lassen Zahlen sprechen. Erlauben Sie mir, dass ich wenigstens einige Zahlen nenne, die Beleg dafür sind, dass die Strukturpolitik der Hessischen Landesregierung in Nordhessen inzwischen sichtbar Früchte trägt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Gerade in diesen strukturpolitisch schwierigen Zeiten erkennen wir, dass Nordhessen und seine Wirtschaft in der Tat robust geworden sind. Der Aufholprozess in Nordhessen ist unübersehbar. Die Arbeitslosigkeit in dieser Region ist von 1999 bis heute um 4 % zurückgegangen. Die Zahl der Arbeitsplätze ist gewachsen, die Beschäftigung nimmt, anders als in vielen anderen Regionen in der Bundesrepublik Deutschland, zu.

Das bestätigen uns auch die strukturpolitischen Prognosen der Forschungsinstitute, ob das nun die Prognos AG ist, ob es die Stiftung Bertelsmann ist oder ob es Ernst & Young ist. Sie alle sagen: Die Regionen in Nordhessen

sind hervorragend aufgestellt. Sie haben einen ausgeglichenen Chancen-Risiko-Mix oder liegen in der Bundesrepublik Deutschland an der Spitze.

Insbesondere wird der Innovationsprozess hervorgehoben und das, was wir Infrastruktur und Wissenstransfer nennen. Wir haben exzellente Bereiche in Nordhessen. Die Weiterentwicklung wird durch nichts Besseres deutlich gemacht als durch die Institution von Regionalmanagement Nordhessen in der Clusterbildung, die genau das bewirkt und hervorbringt, worauf Herr Dr. Jürgens fairerweise hingewiesen hat, beispielsweise dezentrale Energietechnologie. Hier wurden insgesamt 10.000 Stellen geschaffen. Es sollen bis zum Jahre 2012 30.000 Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Das Gleiche gilt für den Bereich der Logistik, das Gleiche auch für das Cluster Tourismus und Gesundheitswesen.

Meine Damen und Herren, bitte auf der linken Seite nicht so laut. Wir sind dann auch schneller fertig. Herr Kahl, bitte.

(Dr.Walter Lübcke (CDU): Es ist kein Interesse an Nordhessen vorhanden!)

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Diese Landesregierung wird unbeirrt an ihren strukturpolitischen Maßnahmen festhalten. Das gilt für den Straßenbau. Noch in dieser Woche werden wir das Planfeststellungsverfahren für den nächsten Abschnitt der A 49 beginnen.

(Beifall bei der CDU)