Protokoll der Sitzung vom 24.11.2005

Was aber finden wir in der Antwort? Kein Wort. Keine Daten. Kein Thema. Kein Interesse. Keine Antwort.

Meine Damen und Herren, gerade die sozialen Unterschiede in ihren Auswirkungen auf die Gesundheit, die im Kindesalter gelegt werden, dürften eine der wichtigsten Aufgaben im Umgang mit Kindergesundheit sein.

Erlauben Sie mir an dieser Stelle noch eine Bemerkung, was die zukünftigen Entwicklungen angeht. Inzwischen gibt es wohl beleumundete Wissenschaftler, die sagen:All unsere Prognosen in der Demographie, Herr Müller, über die zukünftige Lebenserwartung sind Schall und Rauch – wenn wir uns den Gesundheitszustand der Kinder anschauen. Denn wir sehen uns einer Generation von Kindern gegenüber, die im Alter von sechs Jahren keine drei Schritte rückwärts laufen können, die im Alter von zehn Jahren zu 20 % Übergewicht haben und die im Alter von 30 Jahren Rückenschäden, mit 40 Jahren Diabetes Typ II haben werden – die also keinesfalls diese prognostizierte Lebenserwartung erreichen werden.

Meine Damen und Herren, wenn wir uns anschauen, welche Kinder das sind, dann finden wir genau diese soziale Differenzierung. Und dabei geht es um die Frage der allgemeinen Lebenserwartung.

Gerade für eine Landesregierung, die an so vielen Stellen auf den Gesichtspunkt der Eigenverantwortung setzen möchte und meint, Menschen in besonderer Weise Selbstverantwortlichkeit für ihren Gesundheitszustand zumuten zu können, wäre es doch eine elementare Voraussetzung, bei den Kindern die Chance für richtiges, gesundheitsbewusstes Verhalten zu schaffen – wenn man denn will. Wenn man die Menschen mit zunehmendem Alter für ihr Gesundheitsverhalten verantwortlich machen will, dann muss man zu dem Zeitpunkt, an dem die Prägungen gesetzt werden – und das ist, bevor man zehn Jahre alt ist –, dafür sorgen, dass sie dazu überhaupt in der Lage sind, also dass das Bewegungs- und das Ernährungsverhalten angemessen gebahnt sind.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Jetzt loben Sie aber einmal den Sport!)

Meine Damen und Herren, wenn man sich anschaut, welches der richtige Ort dafür ist, dann ist das die Schule. – Herr Müller, den Sport möchte ich gerne loben. Die Sportvereine, der Landessportbund, die allerdings engagieren sich. Und man fragt sich, wo denn das Engagement

der Landesregierung über ein bisschen Unterstützung hinaus bleibt. Wo bleibt es denn, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD)

Das könnten Sie an einem ganz einfachen Beispiel festmachen, nämlich an den Bearbeitungskosten, die das Land von den IZPP-Mitteln übrig behält.

(Ministerin Karin Wolff:Wie war das?)

Statt Schulen bewegungsgerecht auszubauen, meint es, allein die Überprüfung der Genehmigung führe dazu, dass dem Land ein Bearbeitungsanteil zusteht. Wenn wir die Ganztagsschulen anschauen – Frau Oppermann, Sie haben darauf verwiesen –, stellen wir fest, es gibt Schulen, in denen gesunde Ernährung geboten wird. Jetzt sage ich Folgendes.Wenn wir Schulen haben, in denen Kinder den ganzen Tag bleiben müssen, dann wäre eigentlich die Erwartung an die Landesregierung, dass sie dafür Sorge trägt, dass alle diese Kinder nach modernen Regeln der gesunden Ernährung ernährt werden und es keineswegs der Initiative vor Ort, sondern der Initiative des Landes bedarf, das durchzusetzen.

Ein letzter Punkt zum Thema Gesundheitserziehung. Davon ist wirklich weit und breit nichts zu spüren. Schon im Jahre 2002 stellte eine Expertentagung in Weimar klar, dass wir,wollten wir 12 Millionen Schulkinder in Deutschland einer angemessenen Gesundheitsausbildung zuführen, die dem Standard des 21. Jahrhunderts genügt, 60.000 Amtsärzte bräuchten – 1.200 gibt es in Deutschland. Da wäre ziemlich viel Arbeit zu leisten, um diese Aufgabe zu schultern.

Herr Kollege Dr. Spies.

(Dr. Thomas Spies (SPD): Ich komme zum Schluss!)

Danke sehr.

Wir sehen in der Antwort das Bemühen, die vielfältigen Aufgaben, die in der Förderung der Gesundheit unserer Kinder liegen,zu erkennen – das ist schon einmal viel wert – und sie zu beschreiben, was auch schon viel wert ist.Wir würden uns wünschen, dass wir zukünftig von der Landesregierung auch mitgeteilt bekommen, dass sie die Aufgabe auf eine Art und Weise angeht, die erfolgversprechend ist, und sich nicht mit kleinen trocken Feigenblättern in einer schönen großen Vase begnügt. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD)

Vielen Dank, Herr Doktor. – Das Wort hat der Kollege Rentsch, FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich muss sagen, nach so einem langen Arbeitstag hier

im Hessischen Landtag hätte ich Verständnis dafür, wenn sich der ehemalige Landrat des Hochtaunuskreises wieder in den Hochtaunuskreis zurücksehnt, was so einige Reden angeht.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Ja, ja, ja! – Zurufe von der CDU)

Aber Sie sollten nicht die Flucht ergreifen.

(Zurufe)

Ich wollte eigentlich nicht zu einem Dialog einladen, aber das fällt unter die Vorbemerkung.

Meine Damen und Herren, nach der langen Reise von Herrn Dr.Spies am Anfang kann ich sagen,ich teile einige Punkte, die Sie zum Thema Prävention gesagt haben, was man daraus entwickeln kann. Bei der Frage, wie man mit Kindern im Rahmen der Gesundheitsbildung umgeht, hatte man schon das Gefühl, dass Ihre lange Reise zum Präventionsgesetz – ich hatte schon fast damit gerechnet, dass das kommt – eigentlich nur den Sinn hat,noch einmal zu erwähnen, dass die CDU das Präventionsgesetz gemeinsam mit den Stimmen der FDP im Bundestag abgelehnt hat. Herr Kollege Dr. Spies, das hatte einen Grund, weil das Präventionsgesetz, das damals vorgelegt worden ist, nicht den Anforderungen entsprochen hat, die wir politisch wollten. Das war der Grund.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Anne Opper- mann (CDU))

Man kann unterschiedlicher Meinung sein. Aber das sollte man auch einmal darstellen. Ich glaube, dass es einen großen Konsens zwischen den Fraktionen in diesem Haus und auch im Deutschen Bundestag gibt, wenn es um die Frage geht, dass wir in der Prävention deutlich mehr machen müssen, als wir zurzeit tun. Ich glaube, das ist unbestritten. Insofern das vielleicht als Vorbemerkung.

Meine Damen und Herren, ich darf mich bei der Landesregierung für die Beantwortung der Anfrage sehr herzlich bedanken, auch wenn sie möglicherweise eine ganze Abteilung lahm gelegt haben sollte, was bei dem Umfang möglich erscheint. So ist es eine Anfrage, die sicher ein wichtiges Thema behandelt. Frau Kollegin Schulz-Asche hat das dargestellt. Nichtsdestotrotz müssen wir überlegen, was wir mit diesen Daten anfangen, denn es hat alles nur einen Sinn, wenn wir auch Konsequenzen aus diesen Daten ziehen.

(Beifall der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP) und Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dass wir einmal darüber gesprochen haben, ist sicherlich nicht der richtige Weg. Ich will auf drei, vier Themen eingehen, die die Vorredner gebracht haben, und dann versuchen, einen Weg aufzuzeigen, was wir machen könnten. Frau Kollegin Schulz-Asche, Sie haben über das ADSSyndrom gesprochen. Das ADS-Syndrom ist eine Thematik, die auch mich beschäftigt. Ich habe im eigenen Bekanntenkreis so einen Fall. Ich glaube, dass es sehr en vogue ist, dieses Krankheitsbild auf Kinder zu übertragen, mit denen man nicht klarkommt. Das ist immer schnell nach dem Motto gemacht: Das ist ein ADS-Syndrom; das sind Kinder, die sich nicht konzentrieren können; die sind sehr verhaltensauffällig. – Ich glaube aber, dass das schon in einem Zusammenhang mit der Ernährung und dem Verhalten in der Freizeit steht. Das kann man alles nicht von vornherein trennen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Und den Eltern!)

Wer sich mit ADS beschäftigt, weiß, dass es einen Hintergrund hat, nämlich dass bei diesen Kindern häufiger Bewegungsmangel stattfindet – ein sehr häufiger Grund für das ADS-Syndrom, wenn man schaut, was für eine Vorgeschichte besteht.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Frau Fuhrmann, Herr Dr. Spies redet gar nicht mehr.

Das zweite Thema ist natürlich der Tagesablauf an sich, wenn man den neuen Studien – Frau Kollegin Oppermann sprach es an – folgt und sieht, dass Kinder heutzutage quasi einen dreigeteilten Tagesablauf haben: zehn Stunden schlafen und nicht bewegen, zehn Stunden in der Schule und vor dem Computer sitzen, noch maximal vier Stunden Bewegung, worin der Gang von der Schule nach Hause eingerechnet ist. Das zeigt, dass es mittlerweile nicht mehr in einem richtigen Verhältnis steht. Deshalb kann man sozusagen diese Krankheitsbilder erklären. Es sind Krankheitsbilder dieser Gesellschaft. Ich denke auch, sie sind nicht nur mit Medikamenten behandelbar. Da bin ich voll Ihrer Meinung, Frau Kollegin SchulzAsche.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Kordula Schulz- Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Es ist nicht ausreichend, zu sagen:Wir haben eine Problematik, und da gebe ich dem Kind eine Medizin, um dieses Thema in den Griff zu bekommen. – Das ist sicher nicht die richtige Antwort.

Das zweite Thema wurde von Frau Kollegin Oppermann angesprochen. Das ist die Frage Alcopops. Ich will das Thema Rauchen mit hineinnehmen, weil Sie die Landesregierung so gelobt haben. Es ging nicht so schnell, dass die Landesregierung im Bereich der Kontrollen aktiv geworden ist.Wir haben erst einmal über die Frage von Verboten gesprochen. Ich hörte gerade in der Debatte, mittlerweile nehmen die Jugendlichen andere Sachen. Ich denke auch, dass in dem Bereich eher eine Verdrängung stattfindet.

Frau Kollegin Oppermann, aber das ist die gleiche Frage wie beim Rauchen. Ich bin mittlerweile der Auffassung, dass das Rauchverbot an den Schulen richtig ist, weil man als öffentliche Hand ein Zeichen setzen muss. Natürlich hat es auch eine Verdrängung zur Folge. Wir haben in Wiesbaden ein aktuelles Problem, wo Schüler einfach woanders rauchen. Weiter ist es wichtig, dass die Politik und auch die Lehrer mit gutem Beispiel vorangehen.Wenn ich sehe, was hier draußen geraucht wird, besteht die Frage, ob wir immer so ein gutes Beispiel sind. – Jetzt habe ich alle Nichtraucher auf meiner Seite, Herr Kollege Denzin.

Das Dritte ist das Entscheidende. Es geht nicht nur um Verbote oder Gebote. Es geht darum, dass wir aufklären und wirklich präventiv handeln. Da bin ich bei dem, was Herr Kollege Dr. Spies gesagt hat. Es ist wichtig, dass wir den Leuten erklären, warum es sich nicht lohnt, zu rauchen. Es ist wichtig, dass wir das Bewusstsein schaffen, keinen Alkohol im Übermaß zu trinken. Das Bewusstsein allein ist der Schlüssel zu Erfolg. Verbote sind immer nur eine Möglichkeit, ein Fehlverhalten einzugrenzen, aber nie eine Lösung.

(Beifall bei der CDU)

Wir können lange darüber diskutieren, ob es richtig oder nicht richtig ist. Beim Rauchen bin ich mittlerweile der

Auffassung, dass es ein richtiger Weg war.Aber er ersetzt noch lange nicht die politische Arbeit, die davor passieren muss. Ich will deshalb ganz konkret auf die Frage eingehen. Bildung und Gesundheit – das ist eigentlich der Schlüssel, über den wir reden müssen. Ich glaube, da hat die Landesregierung viel getan. Das will ich nicht bestreiten, Frau Ministerin. Ich glaube auch, dass hier viele Projekte am Laufen sind, die vereinzelt Erfolg haben. Klar ist doch – deswegen ist auch die Kultusministerin an dieser Stelle angesprochen –, wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie wir die Gesundheitsbildung in den Schulunterricht implementieren. Das ist eigentlich die Kernfrage dieser Diskussion.Wie können wir es schaffen,mehr Gesundheitserziehung zu implementieren? Ich weiß, da passiert etwas. Ich sage Ihnen aber auch, dass ich das nicht ausreichend finde. Wie können wir es erstens schaffen, diesen Bereich zu implementieren – stärker, als das bis jetzt bei Ihnen vorgesehen ist?

Wie können wir zweitens gerade im Bereich der Ganztagsschulen das Programm so stricken, dass auch die Gesundheit nicht zu kurz kommt? – Klar ist, dass im Bereich der Ganztagsschule der Bewegungsanteil deutlich zunehmen wird. Das ist unbestritten.Aber was auch wichtig ist, ist natürlich die Frage:Wie kann ich Kinder und Jugendliche darüber informieren, was man sozusagen selbst für seine Gesundheit tun kann, wie man sein Leben so gestalten kann, dass man sich gesundheitsbewusst verhält, und möglicherweise auch an die Eltern weitergeben kann? Wie kann ich das erreichen – bis hin zu der Frage: Wie kann ich den Mittagstisch an den Ganztagsschulen organisieren, der möglicherweise einen Vollwerthintergrund hat? – Das will ich in diesem Zusammenhang auch diskutieren.

Wir haben das konkrete Beispiel zurzeit in Wiesbaden. Das ist alles sehr schwierig, wenn man das sieht. Wir haben auch, wenn wir die Frage konkret behandeln, eine Schule im Herzen Wiesbadens, die gegenüber einer großen Fastfoodkette liegt. Die Schüler sagen es zu Recht. Wir können nicht auf Vollwert umsteigen, weil das Risiko viel zu groß ist, dass die Kinder während der Pause oder in der Mittagszeit die Küche überhaupt nicht besuchen, weil da drüben für einen relativ günstigen Betrag ein Essen zusammengestellt werden kann, das viel mehr en vogue ist als das, was wir anbieten. Auch da stellt sich die Frage: Wie kann Schule, wie kann Bildung darauf hinwirken, dass dieser Schritt nicht mehr gemacht wird? Das ist die Frage, die meines Erachtens im Mittelpunkt stehen müsste.

Ich will an der Stelle anfügen, dass ich schon glaube, dass wir ein erhebliches Problem haben. Der Kollege Dr. Spies und ich waren vor einigen Wochen bei einer Veranstaltung in Frankfurt, die genau über diese Thematik informiert hat. Prof. Dr. Konrad, der den Vortrag über die Frage, wie die Gesundheitsentwicklung von Kindern zurzeit ist und wie sie sich fortentwickeln wird, gehalten hat, hat etwas ganz Interessantes und meines Erachtens Wichtiges zur demographischen Entwicklung gesagt. Das, was wir zurzeit bei der demographischen Entwicklung machen – wir haben es mit Ruth Wagner diskutiert –, ist, dass wir die Sterberate nehmen und daraus projizieren, wie sich die Lebenserwartung der Bevölkerung entwickeln wird. Das ist das, was wir machen. Wir stellen dabei fest, dass die Bevölkerung älter werden wird, was eigentlich impliziert, dass sie gesünder ist.

Fakt ist aber, dass die Kinder, die dort an den verschiedenen Projekten beteiligt sind, alles andere als gesund sind. Diese Kinder sind schon so krank, dass sie auch als Er

wachsene niemals mehr dieses Problem loswerden. Die haben teilweise Übergewicht. Es sind auch Kinder, die überwiegend schlank sind, aber unter erheblicher Bewegungsarmut leiden, was zu einer völligen Degeneration des Muskelsystems am Körper führt.Alle diese Probleme finden statt – bis hin zu der Frage, dass es eine ganze Anzahl von Kindern gibt, die unter Diabetes leiden. Das ist eine erschreckende Zahl.Da muss man sich wirklich überlegen: Wie stellt sich das im Rahmen der demographischen Entwicklung dar?