Das macht die Ministerin, aber dadurch wird es nicht richtiger. Das zeigt nämlich, dass die Realität in Hessen mit dem, was Sie wahrnehmen, nichts zu tun hat.Wir sind in Hessen nämlich nicht Bildungsland Nummer eins. Es wäre schön, wenn es so wäre, aber wir sind – das hat uns die PISA-Studie gezeigt –
mit Ihrer Bildungspolitik auf Platz sieben und Platz zwölf, aber nicht Bildungsland Nummer eins. Das müssen wir erst einmal festhalten.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Mark Weinmeis- ter (CDU): Wo waren wir denn vorher? – Weitere Zurufe von der CDU)
Ich kann es Ihnen sagen, Herr Kollege Weinmeister. Bei den Naturwissenschaften waren wir bei PISA 2000 besser als bei PISA 2003. Hier ist Hessen unter Ihrer Verantwortung von Platz acht auf Platz zwölf zurückgefallen. Das kann ich Ihnen sehr konkret sagen.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))
Aber Sie brauchen gar nicht so zu schreien, Herr Kollege Weinmeister. Wir liegen auf Platz sieben und Platz zwölf, und diese Landesregierung ist damit zufrieden. Das ist doch der eigentliche Skandal.
Diese Landesregierung gibt sich in ihrer Rhetorik damit zufrieden, dass wir Mittelmaß im Mittelmaß sind. Wir liegen im Mittelfeld der bundesdeutschen Länder, und die Bundesrepublik insgesamt liegt im internationalen Vergleich im Mittelfeld. Wer sich mit Mittelmaß im Mittelmaß zufrieden gibt, ist selbst Mittelmaß und führt unsere Schulen nicht in die Zukunft.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf der Abg. Brigitte Kölsch (CDU))
Der Gipfel der Wirklichkeitsverweigerung ist, wenn die Kultusministerin am 3. November zu den neuen PISA-Ergebnissen erklärt – ich zitiere aus einer Presseerklärung des Kultusministeriums –:
Die Entkoppelung zwischen sozialer Herkunft und dem Kompetenzniveau haben CDU-/CSU-regierte Länder ebenfalls am besten bewältigt.
Insbesondere Bayern, Sachsen und Thüringen erreichen hohe Leistungen in geringer Abhängigkeit von der sozialen Herkunft.
Meine Damen und Herren, wie ist denn die Wirklichkeit? Die Abhängigkeit des Bildungserfolges von der sozialen Herkunft ist in keinem anderen Bundesland so hoch wie in Bayern, und dieses Bundesland nehmen Sie sich zum Vorbild für Hessen.
Sie wollen unser Land in Richtung Bayern führen. Sie wollen eine Perfektionierung des dreigliedrigen Schulsystems und nehmen dabei billigend in Kauf, dass die Gerechtigkeit in unserem Bildungssystem auf der Strecke bleibt.
Das ist der grundsätzliche und der zentrale Vorwurf, den wir Ihrer Bildungspolitik machen. Hier liegt der Unterschied. Wir sind der Meinung, es darf in unserem Schulsystem keine Rolle spielen, aus welchem Elternhaus die Schülerinnen und Schüler kommen. Alle müssen gemäß ihren Begabungen gefördert werden, und alle müssen gleiche Chancen haben. Wer das nicht versteht und wer unser Bildungssystem in Richtung Bayern führt, der versündigt sich an unserer Gesellschaft in einer zentralen Gerechtigkeitsfrage.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Mark Weinmeis- ter (CDU):Was?)
Liebe Kollegen von der CDU, ich habe eine ganz einfache These: Die hessischen Schülerinnen und Schüler sind nicht klüger und nicht dümmer als die finnischen Schülerinnen und Schüler. Wenn es aber so ist, dass die finnischen Schülerinnen und Schüler sehr viel bessere Ergebnisse erzielen, dann muss es an unserem Schulsystem liegen, dass wir unsere Schülerinnen und Schüler nicht so fördern. Für dieses Schulsystem sind Sie verantwortlich, meine Damen und Herren.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Mark Weinmeis- ter (CDU): Dann schauen Sie doch einmal in Italien nach! Was haben die Italiener für ein Schulsystem?)
Sie müssen es nicht mir glauben. Ich lese aus der Resolution Nr. 3 vor, beschlossen durch die Vertreterversammlung 2005 des Hessischen Philologenverbandes. Daran sehen Sie sehr genau, wie die Realität an den hessischen Schulen ist und dass das mit dem, was die CDU als Wirklichkeit wahrnimmt, nicht viel zu tun hat. Ich zitiere wörtlich:
Die Verbesserung der Unterrichtsqualität wird sich darin zeigen, ob die eigentlichen Probleme der Schulen gelöst werden: immer noch unzureichende Versorgung der Schulen mit Lehrkräften, zu späte Lehrerzuweisung, zu große Klassen und Kurse, unzureichende Arbeitsbedingungen, nicht ausreichende Erteilung von Förderunterricht, „Unterstützungssysteme“, die ihren Namen nicht verdienen und ständig mit ihrer eigenen Aufgabenfindung beschäftigt sind,... Überlastung vieler Lehrkräfte, unter anderem durch zu lange Arbeitszeiten der Lehrkräfte, praxisferne Novellierung des hessi
schen Schulgesetzes (G 8, Lehrerbildung), eine zu kostenintensive neue Verwaltungsreform, bürokratische, kleinkarierte und zeitaufwendige Datenerhebungen, unzureichende Schulverwaltungssoftware.
Das ist die Realität an Hessens Schulen – sieben Jahre, nachdem Frau Kultusministerin Wolff ihr Amt angetreten hat.
Herr Irmer, wir brauchen in der Tat keine großen Debatten über äußere Schulorganisation. Die brauchen wir wirklich nicht. Aber Sie haben gezeigt, wer missionarischen Eifer in der Frage hat, welches Schulsystem wir brauchen. Sie haben einen missionarischen Eifer, was das dreigliedrige Schulsystem angeht, und Sie haben keine Antworten darauf,die Probleme,die im real existierenden dreigliedrigen Schulsystem entstehen, zu lösen. Darauf haben Sie keine Antworten, Herr Kollege Irmer.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Mark Weinmeister (CDU))
Jenseits der großen Schuldebatte aus den Sechziger- und Siebzigerjahren, die wir nicht wiederholen wollen, kann man sehr viel an Hessens Schulen tun, um für mehr Chancengleichheit zu sorgen.
Eine Maßnahme wäre, dass wir in unserem Land den Schulen, die sich aufgemacht haben und richtige, echte Ganztagsschulen mit pädagogischem Konzept werden wollen, dies auch ermöglichen.Wir dürfen die Reformbereitschaft, die es in Hunderten hessischer Schulen gibt, nicht ausbremsen, sondern wir müssen im Haushalt die Mittel zur Verfügung stellen, sodass diese Schulen echte Ganztagsschulen werden können. Genau das haben wir beantragt.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Mark Weinmeis- ter (CDU): Warum haben Sie es nicht selbst gemacht? – Dr. Norbert Herr (CDU):Wann fängt die Haushaltsrede an?)
Die Kultusministerin betreibt einen Etikettenschwindel. Für die Kultusministerin sind es Ganztagsschulen, wenn es einen Mittagstisch gibt. Das ist aber nicht das eigentliche Konzept von Ganztagsschulen. Wenn die Kultusministerin dieses Missverständnis,das sie hat,jetzt auch noch festschreibt und offensiv erklärt, es wird in den nächsten drei Jahren aufgrund ihrer ideologischen Schulpolitik in Hessen keine einzige neue, gebundene Ganztagsschule geben, dann geht es bei Ihnen absolut in die falsche Richtung. Das zeigt, wer hier ideologische Bildungspolitik betreibt und wer nicht.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Dr. Norbert Herr (CDU): Unglaublich! – Zuruf der Abg. Birgit Zeimetz-Lorz (CDU))
Herr Kollege Irmer, wir müssen nicht die Debatte um die äußere Schulorganisation führen. Aber wir müssen, egal wie wir das Schulsystem organisieren, darüber sprechen,
wie wir Durchlässigkeit schaffen.Wie schaffen wir es, dass Schülerinnen und Schüler, die sich später entwickeln, auch noch die Chance haben, einen höheren Bildungsabschluss zu erreichen?
Hier kann man auf jeden Fall sagen, dass das, was Sie hier mit dem Thema G 8 machen, auf jeden Fall falsch ist.
Meine Damen und Herren, Sie können mit uns darüber reden, dass wir die Schulzeit verkürzen, gar keine Frage. Aber so, wie Sie es machen, wird es dazu führen, dass Schülerinnen und Schüler, die nicht bereits im Alter von zehn Jahren im gymnasialen Zug sind, von diesem gymnasialen Zug nur noch die Schlusslichter sehen, selbst wenn sie dafür geeignet wären, das Abitur zu machen. Das ist eine falsche Politik.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Mark Weinmeis- ter (CDU): Das stimmt überhaupt nicht! Das wissen Sie doch!)
Herr Kollege Irmer, jenseits der großen Schuldebatte wäre es sehr sinnvoll, wenn wir den Übergang vom frühkindlichen Bereich, vom Kindergarten in die Schule flexibler und besser gestalten würden. Es wäre gut, wenn die CDU und die Kultusministerin nicht nur darüber reden würden, sondern wenn wir es so machten, wie wir es in unseren Haushaltsanträgen vorgeschlagen haben: dass wir nach und nach allen Schulen, die das wollen, die Möglichkeit einräumen, eine flexible Eingangsstufe einzuführen.
Herr Kollege Irmer, das alles sind konkrete Schritte, wie wir unser Bildungssystem verbessern und ein Mehr an individueller Förderung erreichen können. Das hat mit dem Schulkampf der Siebzigerjahre nichts zu tun. Aber es hat etwas zu tun mit der Abkehr von der ideologischen Schulpolitik, wie sie die CDU hier betreibt, die auf eine Perfektionierung des dreigliedrigen Schulsystems setzt und dabei die Schülerinnen und Schüler in Hessen auf der Strecke bleiben lässt. – Vielen Dank.
Lieber Herr Kollege Wagner, Sie haben den Philologenverband mit einem Beschluss der Vollversammlung zitiert. Darf ich Sie daran erinnern, dass der Philologenverband auf der Vollversammlung 1998 einstimmig beschlossen hat, den damaligen Hessischen Kultusminister Hartmut Holzapfel wegen völliger Unzulänglichkeit und völligen Versagens in der Schulpolitik nach Europa wegzuexpedieren? Meine Damen und Herren, das war ein einstimmiger Beschluss des Philologenverbandes Hessen im Jahre 1998,