Protokoll der Sitzung vom 08.07.2003

In dem Entwurf des Verfassungsvertrages wird ferner klargestellt, dass die Reichweite von Kompetenzen ausschließlich durch die Einzelermächtigungen in Teil 3 festgelegt werden wird. Man wird sehen, wie das ausgeht. Sie entnehmen gerade in diesen Tagen wieder der Presse,dass vor und hinter den Kulissen noch heftig gerungen wird.

Kombiniert mit der Bestimmung, dass Änderungen in Teil 3 des Verfassungsvertrages nur im Verfahren der offiziellen Vertragsänderung und damit nur mit Zustimmung des Bundesrates möglich sein werden, folgt daraus, dass die Länder die Möglichkeit haben, die aus ihrer Sicht unzutreffende Übertragung von Kompetenzen in Richtung Europäische Union zu verhindern.

Endlich, so darf man auch sagen, wurden die Prinzipien der Kompetenzausübung – Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und die begrenzte Einzelermächtigung – verbindlich festgeschrieben. Zur Sicherung der Subsidiarität wird es zudem ein Frühwarnsystem, ein Early-warning-System, geben, das die nationalen Parlamente, also auch den Bundesrat, einschließen wird.

Ich bitte um Verständnis, dass ich es mir erlaube, hier zu diesem Thema zu Protokoll zu geben, dass ich in der praktischen Durchführung dieser Beteiligung ein nicht unerhebliches Problem sehe, weil die angedachte Frist von sechs Wochen – über Bundesregierung, Bundesrat, in die Länder und wieder zurück – aus meiner Sicht außergewöhnlich kurz ist. Allerdings wird das Frühwarnsystem die Informationspflichten der Kommission gegenüber den nationalen Parlamenten erhöhen. Damit hat der Bundesrat in diesem Konzert auch eine Stimme. Es ist vorgesehen, dass die nationalen Parlamente – und damit ausdrücklich auch deren zweite Kammern – bei den Subsidiaritätsverletzungen direkt den Europäischen Gerichtshof werden anrufen können.

Bei entsprechender nationaler Ausgestaltung, die ausdrücklich auch den Ländern offen stehen könnte, ist hier sogar ein mittelbares Klagerecht der einzelnen Bundesländer möglich.Wichtig ist,weil es auch bei diesem Thema ein besonderes Anliegen der deutschen Länder gewesen ist, dass der Ausschuss der Regionen in seinen Rechten gestärkt wird und bei Verstößen gegen die Subsidiarität sowie bei der Verletzung eigener Rechte ein eigenes Klagerecht hat.

Meine Damen und Herren, ich will allerdings auch auf Anliegen eingehen, die im Konvent bisher nicht verwirklicht werden konnten.

Herr Staatsminister, ich mache darauf aufmerksam, dass die Fraktionsredezeit jetzt erreicht ist.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP):Jetzt ist Jochen Riebel einmal hier! Jetzt wollen wir ihn hören!)

Ich habe nichts dagegen; er kann den ganzen Tag reden.

Herr Kollege Hahn, danke schön. – Ich beginne mit einem Thema, das – das verschweige ich nicht – der Landesregierung, aber auch mir persönlich sehr wichtig ist. Europa, wie wir es heute erleben, ist aus meiner Sicht nahezu ausschließlich geprägt von den beiden großen Säulen abendländischer Kultur, dem jüdisch-christlichen Denken und dem Humanismus der griechisch-römischen Antike. Dem griechischen Denken ist es, wie ich meine, gelungen, eine Gesamtheit menschlichen Denkens so zu formulieren,wie wir es heute zur Kenntnis nehmen können,wobei aus meiner Sicht genial daran war, das Wesentliche, die Kernpunkte oder, anders ausgedrückt, die reine Idee formuliert zu haben. Unsere geistigen Reflexionen bis heute in Philosophie, in Wissenschaft, in Kunst und in Dichtung, aber insbesondere auch unser Denken zur Bedeutung des Rechtes – beispielsweise der fundamentale Gedanke, wir müssen um unserer Freiheit willen Sklaven der Gesetze sein –, die Bedeutung des Rechtsstaates, unsere Einstellung zu Gesetzen beruhen auf diesen Gedanken, die, wie ich meine, bis heute richtig sind.

Sehr grundsätzliche und damit grundlegende Ideen zu Form und Inhalt von Staat, die Regelungen zur Erziehung, zur Mathematik und zu den Naturwissenschaften, die abendländische Einschätzung vom Denken überhaupt und damit die Einschätzung zu theoretischen Denkgebäuden leiten sich von griechischen und von griechischrömischen Grundlagen ab.

Unsere Grundeinstellung und – dessen bin ich mir ganz sicher – unsere gemeinsame Überzeugung in diesem Parlament, aber auch weit darüber hinaus, zum Recht des Individuums, zur Würde des Menschen, zur Idee der und zur Idee von Gerechtigkeit und deren Um- und Durchsetzung in dieser Welt, das Verstehen des Kosmos im Sinne einer geistig erfüllten Ordnung, die Vertrautheit mit dem Denken, Richtiges zur richtigen Zeit richtig zu tun, beruhen darüber hinaus – entwickelt aus diesem Denken – auf der christlichen Lehre und dem Christentum und sollte Maxime unseres Handelns sein. Mit anderen Worten: Aus beiden Säulen und beiden Quellen ist sowohl die innere als auch die politische Bereitschaft, über den Tag hinaus zu denken und zu handeln, entstanden und damit nichts anderes als die Bereitschaft, Transzendenz anzuerkennen und den Nächsten als Kriterium in das Bedenken einzubeziehen.

Hieraus folgt aus meiner Sicht ebenfalls – wiederum über alle Grenzen hinweg – die gemeinsame Überzeugung, dass jeder Einzelne,jedes Individuum seine im Naturrecht begründeten Rechte gegenüber jedem, auch gegenüber seinem Staat und seinem Volk, hat.

Wir teilen die gemeinsame und nicht zur Disposition gestellte Überzeugung, dass die Würde, und hieraus folgend die persönliche Freiheit, des einzelnen Menschen ohne Einschränkung geachtet werden muss und von nieman

dem, weder von Einzelnen noch von der Gesellschaft insgesamt,verletzt oder auch nur eingeschränkt werden darf.

Deshalb ist die Formulierung in der Präambel des Entwurfs des Verfassungsvertrages „religiöse Überlieferung“ als fortbestehender Wert der europäischen Einigung aus meiner Sicht zu wenig aussagekräftig und wird damit der europäisch-abendländischen Entwicklung bis heute nicht gerecht.

(Beifall des Abg. Armin Klein (Wiesbaden) (CDU))

Der Hinweis – im Übrigen wie im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland – auf die Verantwortung vor Gott und den Menschen würde, wie ich meine, präziser und nachhaltiger deutlich machen, dass es für uns Menschen Normen gibt, die aus dem Wesen und aus dem Sein Gottes fließen und daher unverrückbar und unantastbar feststehen und durch nichts und niemanden verändert werden dürfen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Dies in einem europäischen Verfassungsvertrag festzuschreiben, halte ich ebenso für wichtig und, mit Blick auf die historischen Tatsachen Europas, für nahezu zwingend. Deswegen erläutere ich und betone dies heute noch einmal vor diesem Haus.

Die Argumente,die hiergegen vorgetragen werden,insbesondere das Argument der strengen Trennung von Kirche und Staat der Verfassung wegen und die Grundrechtsgarantie auf Religionsfreiheit, überzeugen in diesem Zusammenhang aus meiner Sicht deswegen nicht, weil der individuelle Glaube oder Nichtglaube an Gott und die individuelle Bindung an eine Religion oder das Losgelöstsein von einer Religion mit dem Überbau eines europäischen Verfassungsvertrages und der unmittelbaren Folgerung aus christlich-abendländischer Tradition aus meiner Sicht überhaupt nichts zu tun haben.

(Zuruf der Abg. Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP))

Darüber hinaus und zu guter Letzt sollten wir Deutsche uns in der Fortführung der Tradition derer begreifen, die unser Grundgesetz überlegt und bedacht geschaffen haben. – Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der CDU – Zuruf der Abg. Ruth Wag- ner (Darmstadt) (FDP))

Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich eröffne die Aussprache zu der Regierungserklärung. Das Wort für die SPD-Fraktion hat Frau Abg. Hoffmann. Die Redezeit pro Fraktion beträgt 15 Minuten.

(Jörg-Uwe Hahn (FDP): Plus...!)

Es sind den Oppositionsfraktionen weitere sechs Minuten zugewachsen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bevor ich zu der inhaltlichen Bewertung der Regierungserklärung komme, zu dem, Herr Minister, was Sie hier vorgetragen haben, aber auch zu dem, was Sie uns heute Morgen, immerhin schon um 11 Uhr, schriftlich überlassen haben, möchte ich zunächst einmal feststellen, dass die Landesregierung heute aus der europapolitischen Versenkung

aufgetaucht ist. Denn es gab bislang von der Landesregierung keine Stellungnahme zu den Ergebnissen des europäischen Konventes. Dies ist heute immerhin gelungen.

Herr Minister, Sie haben in Ihrer Rede, in dem philosophischen Teil, den griechischen Kairos erwähnt, nämlich am richtigen Ort zur richtigen Zeit das Richtige zu tun. Wenn Sie genau das verinnerlicht hätten, dann wären Sie im Juni-Plenum anwesend gewesen und hätten sich hier an der Europadebatte der Fraktionen beteiligt.

(Rüdiger Hermanns (CDU): Hör auf!)

Herr Minister, nun zu Ihrer Regierungserklärung. Europa, die europäische Vereinigung und auch die europäische Osterweiterung sind keine parteipolitischen Veranstaltungen.

Die parteipolitische Vereinnahmung, die Sie heute in Ihrer Regierungserklärung vorgenommen haben, ist schlicht und einfach dem europäischen Einigungsgedanken unangemessen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, Sie haben die Anlässe verwechselt. Sie sprechen hier im Hessischen Landtag und nicht auf einem CDU-Parteitag.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Da kann ich mir eine Würdigung Ihres philosophischen Teiles der Regierungserklärung nicht verkneifen, und ich beginne – weil Sie auf die griechisch-römischen Bezüge sehr stark hingewiesen haben – mit einem Zitat im klassischen Latein: Si tacuisses, philosophus mansisses – wenn Sie geschwiegen hätten, wären Sie klug und weise gewesen.

Meine Damen und Herren, es ist unzweifelhaft die Errungenschaft der europäischen Verfassungs- und Rechtsgeschichte, die Geschichte des Individuums anzuerkennen. Dazu gehört die Religionsfreiheit. Das ist in der Grundrechtecharta niedergelegt, und es ist auch in der Präambel herausgestellt.

In der Präambel sind ebenfalls die kulturellen und religiös-humanen Überlieferungen Europas herausgestellt. Ebenfalls wird auf die Werte dieser Überlieferung Bezug genommen. Damit ist ein Europa der kulturellen Vielfalt begründet.Herr Minister,dazu passt der Transzendenzbezug,auf den Sie so viel Wert legen,nun eben nicht.Europa ist mehr als das, was Sie darunter verstehen.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, die vier Fraktionen hier im Hause sind in der Bewertung des Ergebnisses des Konvents weiter als Sie. Das kommt in dem gemeinsamen Antrag zum Ausdruck. Wir begrüßen gemeinsam die europäische Grundrechtecharta als unstreitiges Wertefundament.

Wir begrüßen das gemeinsame Wirtschaften der EU mit ihren Mitteln und die bereits gefundenen Lösungen zur Überwindung der Reformkrise durch klare Kompetenzen, durch Subsidiarität, durch Transparenz, den doppelten Mehrheitsentscheid und nicht zuletzt die europäische Bürgerbeteiligung.

Den verbliebenen Bedarf begrüßen wir ebenfalls, nämlich den der besseren Repräsentation der Länderparlamente und der Regionen und die ausdrückliche Festlegung,Auf

gaben von der europäischen Ebene rückübertragen zu können, auch zur weiteren Klärung der Kompetenz.

Aber wenn die künftigen Mitwirkungsrechte des Landes dann genauso wenig engagiert und konzentriert wahrgenommen werden, dann werden auch Frühwarnsysteme und Partizipationsrechte nichts nützen. Herr Minister, es kommt darauf an, etwas mit Leben zu erfüllen und nicht etwas zu pflegen, was momentan eher unter einer Schlafkrankheit leidet, nämlich die hessische Europapolitik.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte ebenfalls hinzufügen: Der Europaausschuss erhält zu jeder Sitzung einen Bericht der Landesregierung über Europaangelegenheiten. Allerdings ist dieser Minister oft nicht in der Lage, weiter gehende Fragen zu beantworten. Ob das zum Grünbuch der Daseinsvorsorge ist, ob das zum Weißbuch der Europäischen Union zur Chemikalienpolitik ist – eingeräumtermaßen etwas kompliziertere und schwierigere Materien –, der Minister kann keine Fragen beantworten, obwohl zumindest eine der Vorlagen Thema im Ausschuss der Regionen gewesen ist.

Europapolitik findet in Hessen schlicht nicht statt, auch nicht in Brüssel – bei allem Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ich habe nichts gegen fröhliche Weinproben und schöne Veranstaltungen.Aber eine politische Vertretung hessischer Interessen stellen wir uns anders vor.

Zurück zur Regierungserklärung.Sie waren offensichtlich nicht richtig informiert, als Sie Ihren Text geschrieben haben, weil Sie kritisieren, dass die Daseinsvorsorge nicht auf der europäischen Ebene zu regeln ist. Ich darf an das angesprochene Grünbuch erinnern, das Sie ebenfalls demnächst im Ausschuss der Regionen beraten werden. Dazu wünschen wir Ihnen gute Beratung.

Nun komme ich zu dem Antrag, über den wir befinden sollen,betreffend Nachbesetzung der Vertretung des Landes Hessen im Kongress der Gemeinden und Regionen Europas, KGRE, und im Ausschuss der Regionen. Herr Präsident, wir bitten hier um getrennte Abstimmungen. Wir werden den Landtagspräsidenten mit wählen, uns bei der Wahl von Minister Riebel aber der Stimme enthalten.

Meine Damen und Herren, zum Abschluss habe ich noch ein schönes Zitat aus einem Antrag von CDU und FDP aus dem Jahre 1997: