Das Ja der FDP zu diesem Entwurf der Verfassung ist ein“Ja, aber“. Es ist manches, aber längst noch nicht alles erreicht worden. Bei der Mehrheit der Mitglieder der FDP-Fraktion überwiegt das Ja.Bei meiner Kollegin Ruth Wagner überwiegt aus wohlerwogenen Gründen das Aber. Lassen Sie sich deshalb nicht irritieren, wenn in der folgenden Abstimmung über den gemeinsamen Antrag nicht alle Arme der Abgeordneten der FDP bei Ja hochschnellen. In dem Willen und Wunsch, ein demokratisch einiges Europa zu schaffen, das bürgernah und ohne bürokratischen Firlefanz ist, gibt es keinen Unterschied bei den Mitgliedern der FDP-Fraktion.
Es gibt aber Unterschiede in dem Ausmaß an Geduld, das wir für den Weg zum gemeinsamen Ziel aufbringen. Das hat auch gute Gründe. – Vielen Dank.
Herr von Hunnius, vielen Dank. – Das Wort für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Frau HölldoblerHeumüller.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Ein gemeinsamer Antrag aller Fraktionen zum Thema Europa ist scheinbar unspektakulär: kein medienwirksames Gezeter, kein Aufeinander-Einhauen, keine Blockade.
Ich dachte, ich könnte meine Rede so einleiten. Dies dachte ich, bis Staatsminister Riebel seine Regierungserklärung gehalten hatte. Ich kann mir vorstellen, dass sich nicht nur so mancher auf der Seite der Opposition Befindliche gewünscht hat, der Minister wäre in Berlin geblieben.
(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)
Diese Rede zeichnet sich aus durch eine bodenlose Ignoranz, die man bei Provinzpolitikern vielleicht parteipolitischer Blindheit zuschreiben könnte, die jedoch eines Ministers unwürdig ist, noch dazu als Regierungserklärung.
Europa ist ein Gemeinschaftswerk. Wer das leugnet und dieses Werk einer Partei zuschustern will, der ist ein Kleingeist und hat einen Knick in der Optik.
Wer über den amtierenden Bundesaußenminister sagt, dieser habe nicht zum Ziel, Europa und damit auch
Deutschland voranzubringen, das diene allenfalls seinen persönlichen Interessen, der ist fachlich schlicht inkompetent. Diese Äußerung ist ignorant und diffamierend zugleich.
Aber nicht einmal ein Staatsminister Riebel kann die Bedeutung dieses Prozesses schmälern. Der Konvent als Vorbereiter der europäischen Verfassung bedeutete viele Diskussionen, ein zähes Ringen und Überzeugungsarbeit, aber auch Verzicht, was erst Kompromisse ermöglichte. Offenbar hat genau die Besetzung des Konvents, der in dieser Form erstmalig zustande kam, dazu geholfen, dass es zu einem Ergebnis und auch zu einem Ergebnis im Zeitplan kam. Da sind sich alle in diesem Saal einig: Es ist ein begrüßenswertes Ergebnis. – Es war ein Konvent unter breiter Beteiligung von Parlamentariern, unter Beteiligung der zukünftigen Mitglieder, er tagte öffentlich. Ein Prozess,der den Namen „historisch“ an dieser Stelle wirklich verdient.
Der gemeinsame Antrag dieses Hauses ist ein Beispiel positiver Zusammenarbeit der Parlamentarier über die Parteigrenzen hinweg, und das möchte ich ausdrücklich loben. Es ist nicht so, dass es keine strittigen Punkte gäbe. Diese wurden in der letzten Debatte ausführlich erläutert. – Tja, Herr Staatsminister Riebel, da waren Sie nicht hier. Von daher sind Sie mit Ihrer Rede den Debatten dieses Hauses zwei Plenarsitzungen hinterhergehinkt.Sie reflektierten Altbekanntes, bereits Diskutiertes, würzten es mit einer Brise dumpfer Polemik und langatmiger Philosophie. Ich frage mich:Wo bleibt die Politik an dieser Stelle?
In diesem Prozess des gemeinsamen Antrags gab es den Willen, sich zu einigen, und es gibt in diesem Haus ein Gefühl der Bedeutung dieser Verfassung – ein Gefühl dafür, dass es ein kostbares Bündel ist, das da geschnürt wurde – und die Hoffnung, dass es auch so durch die Konferenz der Regierungschefs geht. Natürlich wird der eine oder andere Zipfel noch bearbeitet.
Meine Damen und Herren, was bringt mir Europa? Genau das ist eine der ersten Fragen, die wir als Politikerinnen von Bürgerinnen und Bürgern gestellt bekommen und worauf wir eine Antwort haben müssen. Eine Antwort für mich ist ein Zitat von Johannes Rau: Es wäre ein Wunder, wenn wir weitere 50 Jahre in Frieden leben können, umzingelt von Freunden. – Dem ist nichts hinzuzufügen.
Eine weitere Antwort ist der Wunsch nach sozialer Sicherheit.Eine weitere Antwort ist der Wunsch nach Wohlstand. Es gibt noch genügend Menschen auf dieser Welt, nicht nur bei den GRÜNEN, die sich soziale Gerechtigkeit auf dieser Erde wünschen. All dies sind lohnende Ziele eines geeinten Europas.
Des Weiteren brauchen wir ein geeintes Europa, weil ein gesplittetes Europa machtlos ist. In dieser Welt besteht kein Gleichgewicht der Mächte mehr. Seit 15 Jahren ist das Gleichgewicht des Kalten Krieges beendet.Es hat sich noch kein neues eingestellt, und die Europäer haben an dieser Stelle eine Verpflichtung und eine Verantwortung.
Ein Präsident einer Großmacht, der durch fragwürdige Aktionen an die Macht gekommen ist, der klar den Interessen der Großindustrie dient, ob es jetzt Öl- oder Saatgutkonzerne sind, und der glaubt, er könnte Weltpolizist spielen, braucht ein Gegengewicht. Damit hat George W. Bush die Europäer in ihrem Tun nur bestärkt.
Was bringt eine gemeinsame europäische Politik? Die besten Beispiele waren in den letzten 14 Tagen die Einigung bezüglich der Agrarreform, die eine starke Position in den WTO-Verhandlungen sicherte, und die notwendige Einigung bezüglich der Kennzeichnungspflicht für gentechnisch veränderte Lebensmittel, auch wenn wir mit dem Grenzwert – das weiß sicher jeder – nicht glücklich sind. An diesen Punkten zeigt sich doch deutlich, dass man starke gemeinsame Positionen suchen muss, auf deren Grundlage man dem wirklich hanebüchenen amerikanischen – nein, nicht dem amerikanischen, sondern dem bushschen Schwachsinn begegnen kann.
Last, not least: Dass das Prinzip der halbjährlich rotierenden Präsidentschaft über Bord gehört, dazu hätte es nicht noch der Ausfälle eines Herrn Berlusconi bedurft.
Meine Damen und Herren, Europa als Wertegemeinschaft – ich glaube, dass man dort jetzt die richtige Formel eingesetzt hat. Ich persönlich hätte auch mit einem abstrakten Gottesbezug leben können. Aber wenn wir alle unter einem Dach vereinigen wollen, dann müssen wir in solch einem wichtigen Punkt auch allen Menschen und allen Religionen, auch den Menschen, die keiner Religion angehören, eine Identität unter dem Dach Europa anbieten.
Herr Staatsminister Riebel, seit Bad Arolsen haben Sie sich schon bewegt, über die Tradition des jüdisch-christlichen Abendlandes hinaus. Aber die Wiege von Europa stand an vielen Orten, in verschiedenen Zeitaltern einer letztlich jahrhundertealten Tradition verschiedener Strömungen. Es wäre engstirnig und willkürlich, einzelne, ohne Zweifel prägende und wichtige Epochen absolut setzen zu wollen.
Meine Damen und Herren, Europa braucht mehr Gewicht, auch im Hessischen Landtag.Auf eine Regierungserklärung zu dem Thema haben wir schon in der Europawoche gewartet. Es ist zu wünschen, dass die Landesregierung dem Prozess der europäischen Weiterentwicklung nach innen und außen mehr Gewicht gibt.
Die Dinge, die im ersten Teil unseres gemeinsamen Antrags stehen, sind schon breit erläutert worden. Lassen Sie mich auf den zweiten Teil eingehen. Unsere parlamentarische Arbeit besteht darin, uns als europäische Region Gewicht zu verschaffen. Dazu ist einiges im Entwurf des Konvents geregelt.Aber es bleiben die Fragen, die wir sozusagen innerstaatlich klären müssen, z. B. wie die Mitwirkungsbefugnis innerstaatlich festgeschrieben werden soll.Wir als Hessischer Landtag fordern, dass die Belange der Regionen berücksichtigt werden. Wir wollen, dass nicht nur die Regierung, sondern auch die Parlamentarier mitreden können.
Aber, meine Damen und Herren von der Kuschelopposition, wollen Sie dann einen Regierungsvertreter in den Ausschuss der Regionen entsenden, noch dazu einen, der heute, nachdem dieses Parlament schon geraume Zeit arbeitet, zum ersten Mal den Versuch unternommen hat, sich zu europäischen Themen zu äußern? Zu dem Thema
„Was bedeutet das für Hessen?“, das doch in der Überschrift stand, ergeht er sich in den üblichen nichts sagenden Antworten:
Der Verfassungsvertrag bietet uns als Land Hessen neue Mitwirkungsmöglichkeiten, die wir ausfüllen müssen und werden.
Ich lade Sie ein, die kommenden Herausforderungen, die uns die europäische Einigung bringen wird, auf der Basis des Verfassungsvertrags gemeinsam mit der Landesregierung anzunehmen.
Wozu laden Sie uns denn ein? Es wäre schön, wenn Sie etwas darüber gesagt hätten.Wo sind denn die Inhalte, wo sind denn die Aussagen zu diesem Thema?
Von daher werden wir an dieser Stelle dem Antrag der SPD folgen, die Abstimmung getrennt durchzuführen.
Wir müssen einen Weg finden, analog z. B. der Verfassung des Landes Baden-Württemberg, die Landesregierung zu verpflichten, die Stellungnahmen des Landtags in europapolitischen Angelegenheiten zu berücksichtigen – auch eine Aufgabe für die Verfassungsenquetekommission dieses Landtags.Auch wenn der Konvent in letzter Zeit einen großen Teil der Aufmerksamkeit absorbiert hat, so müssen wir doch in Hessen – und tun es auch – auf einem anderen Gleis parallel weiterfahren. Wir müssen uns jetzt schon auf die Veränderungen einstellen, die 2006 ins Haus stehen.
Strukturpolitik heißt das Stichwort, und wie so oft ist es nicht getan mit „Wir begrüßen zwar die Veränderungen, aber ansonsten sollte alles beim Alten bleiben“. Die Entwicklungsunterschiede in der Europäischen Union werden sich verschärfen. Wir als Land Hessen müssen uns rechtzeitig darauf einstellen, dass nicht die EU allein für Strukturpolitik zuständig ist.Wir als Land Hessen müssen mitentscheiden, in welchen Regionen man sich an der Kofinanzierung der Programme beteiligt, und wir müssen den benachteiligten Regionen entsprechende Signale geben.
Ich wünsche mir, dass diese Landesregierung dann längst aus dem Tiefschlaf erwacht ist, den sie momentan noch pflegt. Es gibt Arbeit. Das Land Hessen muss in seiner Ausrichtung der Strukturpolitik unter den neuen europäischen Vorzeichen der Osterweiterung frühzeitig – das ist in diesem Haus ein Fremdwort für die Regierung – Entscheidungen treffen.
Ich komme aus dem strukturschwachen Nordosten Hessens. Wir müssen planen, und wir müssen den Menschen reinen Wein einschenken; denn auch Hessen wird abgeben müssen. Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern deutlich machen, dass es um mehr als rein monetäre Fragen geht. Wir müssen deutlich machen, dass wir als Exportland von einer politischen und sozialen Stabilität in Europa abhängig sind. Wir müssen deutlich machen, dass Europa auch von den Strukturmitteln anderer Regionen profitiert; denn von den zehn wichtigsten Exportländern liegen neun im europäischen Wirtschaftsraum. Wir müssen deutlich machen, dass jeder vierte Euro aus Ziel-1Regionen außerhalb der Regionen ausgegeben wird.
Meine Damen und Herren, ein wichtiger Aspekt des gemeinsamen Antrags ist auch, dass die Regelungen der Verfassung helfen sollen, die europäische Verwaltung zu
entbürokratisieren, Prozesse zu beschleunigen, transparenter zu machen und den Bürgern neue Beteiligungsrechte einzuräumen. Das ist wichtig, um Europa wirklich bei den Menschen zu verankern.
So gibt es die Möglichkeit der Bürger, die Kommission zu Gesetzesinitiativen aufzufordern. Es gibt einen Dialog mit Vertretern der Verbände und der Zivilgesellschaft, und es gibt einen europäischen Bürgerbeauftragten als Beschwerdeinstanz. Die Volksabstimmung ist natürlich auch eine Möglichkeit der Bürgerbeteiligung.
Die FDP ist da offensiv nach vorne geprescht, ohne allerdings genau zu sagen – Sie haben es leider auch heute nicht getan, Herr von Hunnius –, wie sie sich das vorstellt. Es gibt keine konkreten Äußerungen Ihrerseits, was z. B. passiert, wenn in einem Land die Bevölkerung die Verfassung mehrheitlich ablehnt, wie man mit den unterschiedlichen nationalen Quoren für Volksabstimmungen umgehen will, welche nationalen Verfassungsänderungen dazu z. B. auch in Deutschland Ihrer Auffassung nach notwendig sind.
Wir GRÜNEN sind an diesem Punkt noch in der Diskussion.Von daher kann ich Ihnen an dieser Stelle nur meine persönliche Meinung kundtun, dass ich es grundsätzlich als sinnvoll erachte, die Bürger über die Verfassung abstimmen zu lassen, wenn die Rahmenbedingungen das zulassen.