Protokoll der Sitzung vom 08.07.2003

Wir GRÜNEN sind an diesem Punkt noch in der Diskussion.Von daher kann ich Ihnen an dieser Stelle nur meine persönliche Meinung kundtun, dass ich es grundsätzlich als sinnvoll erachte, die Bürger über die Verfassung abstimmen zu lassen, wenn die Rahmenbedingungen das zulassen.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Was soll das nun wieder heißen?)

Meine Damen und Herren, Europa als Thema, das müssen wir mit Leidenschaft nach außen tragen, damit es sowohl in die Herzen als auch in die Köpfe der Menschen kommt. Denn bisher wendet sich der Bürger beim Thema Europa eher mit Grausen oder mit Langeweile ab. Wir müssen den Bürgern die Chancen vermitteln,die in einem geeinten Europa liegen.Wir müssen werben und das auch mit praktischem Leben füllen, in Begegnungen auf allen Ebenen der Gesellschaft.

Dazu soll unser gemeinsamer Antrag eine Grundlage bieten. Er bietet auch deshalb eine Chance, weil er ein Hoffnungsschimmer ist, was Politik trotz widerstreitender nationaler Interessen und Traditionen vermag. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke sehr, Frau Hölldobler-Heumüller. – Herr Dr. Lennert hat für die CDU-Fraktion das Wort.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 16. April haben die Regierungschefs und die Außenminister der EU-Staaten am Fuße der Akropolis in Athen die Verträge über die große Erweiterung der Europäischen Union von 15 auf 25 Mitgliedstaaten unterzeichnet – ein historisches Ereignis nach langem Vorlauf und schwierigen Verhandlungen bei den Einigungsgesprächen.

Frau Hölldobler-Heumüller, es gehört nun einmal zur historischen Wahrheit, dass es auf dem Weg dahin Menschen gab, die den Karren geschoben haben, und dass es Men

schen gab – das ist auch ganz natürlich, oft vom Alter her oder von der Funktion –, die aufgesprungen sind. Deswegen verstehe ich Ihre Aufregung nicht, wenn man Namen von Personen nennt, die sich um diesen Einigungsprozess verdient gemacht haben.

(Evelin Schönhut-Keil (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Das verstehen Sie sehr wohl!)

Der Beitritt der osteuropäischen Staaten sowie Maltas und Zyperns war ein wesentlicher Grund für die Einberufung des Verfassungskonvents, der an die guten Erfahrungen mit dem Konvent zur Erarbeitung der Charta der Grundrechte anknüpfen sollte.Die neue große Union von 25 Mitgliedstaaten wird etwas anderes sein als unsere bisherige Gemeinschaft.Der Konvent sollte Strukturen erarbeiten, die diese Union mit 450 Millionen Bürgern handlungsfähig erhält. Europa darf nicht das Schicksal der Dinosaurier erleiden, die an ihrer schieren Größe zugrunde gegangen sind.

Das Ergebnis des Konvents wurde am 20. Juni der Öffentlichkeit, sozusagen vertreten durch die Regierungen, übergeben. Frau Hoffmann, ich meine, dass heute, die Plenarsitzung nach diesem Ereignis, auch der richtige Zeitpunkt ist, darüber eine Regierungserklärung abzugeben. Deswegen finde ich Ihre Auslassungen über den Zeitpunkt, dass endlich eine Regierungserklärung gegeben würde, wie Sie sagen, auch nicht in Ordnung.

Im Vordergrund steht bekanntlich das wichtige Mandat des Konvents, dem großen Europa eine Verfassung zu geben, die von den Bürgern verstanden und bejaht wird. Die 450 Millionen dürfen die Europäische Union nicht nur als eine Instanz im fernen Brüssel ansehen, die sich jeden Tag mit immer neuen Regulierungen in alle möglichen Angelegenheiten einmischt, die sie selbst genauso gut oder besser erledigen könnten. – Nein, mehr Europa heißt die ausgegebene Devise, und dabei wird es auch bleiben.

Die europäische Einigung ist die große Lehre, die unsere Völker aus den blutigen Kriegen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gezogen haben. Die Europäische Union ist die dauerhafte Friedensordnung geworden, die uns zugleich, trotz aller Probleme, wirtschaftlichen Wohlstand beschert. Jemand, der wie ich in diesem Jahr 54 wird und in keinen Krieg gezogen ist, nicht verpflichtet war, der sollte dankbar sein für diesen europäischen Einigungsprozess, der Grundlage dieses Friedens ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Deutschland und die anderen Mitgliedstaaten beziehen aus dem europäischen Binnenmarkt gleichermaßen Gewinn. Das gilt auch und besonders für unser Land Hessen. Wir sind geographisch und durch die vielfältigen Wirtschaftsverbindungen zu unseren Nachbarn ein Kernland der Union. Mit der großen Erweiterung auf 25 Staaten ist nunmehr in einem äußerlichen Sinne tatsächlich mehr Europa entstanden.

Die Europäische Union von Athen umfasst die wesentlichen Teile des gesamten Europas. Sie ist über das Wirtschaftliche hinaus eine Wertegemeinschaft.Wir begrüßen, dass die grundlegenden Werte am Anfang unserer Verfassung eingetragen sind. Nach meiner persönlichen Überzeugung gehört hierzu auch das jüdisch-christliche religiöse Erbe Europas. Es gehört dazu der transzendente Bezug, Verantwortung zu übernehmen nach den absoluten Kriterien der Schöpfung und ihres Schöpfers. Ich bin Herrn Staatsminister Riebel für seine Ausführungen

hierzu sehr dankbar. Meine Fraktion teilt sie uneingeschränkt.

(Beifall bei der CDU)

Mehr Europa bedeutet für uns zugleich, dass die Union sich nicht mit allen möglichen Aufgaben befasst, sondern dass sie sich auf die richtigen Aufgaben konzentriert. Das sind diejenigen Aufgaben, die nur und am besten auf der nationalen Ebene gelöst werden können. Der Konvent hat einen Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa verabschiedet, und zwar genau unter diesem Gesichtspunkt, dass die Union in bestimmten Feldern weiter gestärkt werden muss. Insbesondere soll die klassische Innen- und Justizpolitik, der so genannte dritte Pfeiler der Europäischen Union, in starkem Maße in die Gemeinschaftskonstruktion überführt werden, damit die grenzüberschreitende Kriminalität besser bekämpft und die Außengrenzen der Union sicherer geschützt werden können.

Meine Damen und Herren, wir wissen alle, wie viel noch zu tun ist, damit eine gemeinsame europäische Außenund Sicherheitspolitik gestaltet werden kann, die diesen Namen verdient.Andererseits können wir feststellen,dass der Konvent einen guten Weg beschritten hat und dabei auch weit vorangekommen ist, den Auftrag von Nizza zu erfüllen,nämlich die Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten einschließlich ihrer Regionen in einer Weise zu reformieren, die dem Subsidiaritätsprinzip entspricht. Das heißt, dass die öffentlichen Aufgaben so nahe wie möglich am Bürger erledigt werden.

Meine Damen und Herren, wer hätte noch vor einem Jahr geglaubt, dass so viele wesentliche Forderungen dieses Hauses und der Hessischen Landesregierung erfüllt würden, wie sie im Vertragsentwurf für eine deutliche Kompetenz- und Zuständigkeitsabgrenzung jetzt niedergeschrieben sind? Alle Vorredner sehen dies so. Trotzdem erhalten wir unsere weiteren Forderungen aufrecht und haben sie entsprechend im Antrag aufgelistet. Wenn sie auch jetzt möglicherweise nicht erfüllbar sind, so verdeutlichen sie doch unsere Position für die Zukunft. Die Arbeit an einer europäischen Zuständigkeitsordnung, die alle Seiten zufrieden stellt, ist nun einmal eine schwierige Aufgabe. Das hängt mit den unterschiedlichen Verfassungstraditionen in unseren Staaten zusammen.

Zwischen den Mitgliedsländern der Union und Deutschland gibt es viele Gemeinsamkeiten. Natürlich denke ich da insbesondere an die Staaten, in denen unsere Partnerregionen Emilia-Romagna, Aquitaine und Wielkopolska liegen.Aber es gibt auch einige wesentliche Unterschiede. So galt und gilt es freilich, Lösungen zu finden, die gleichermaßen den Regionen beispielsweise Italiens, Frankreichs und Polens wie auch unseren deutschen Ländern Rechnung tragen.

Obendrein soll die verfassungsmäßige Ordnung der Mitgliedstaaten deren innere Angelegenheit bleiben. Europa muss den französischen Regionen innerhalb eines Zentralstaates genauso gerecht werden wie der föderalen Ordnung unseres Grundgesetzes. Das ist die Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und gehört zu den Grundlagen, die in einem europäischen Verfassungsvertrag überzeugend verankert sein müssen.

Unsere Bürger werden sich umso mehr mit Europa identifizieren, wenn die verschiedenen nationalen Ebenen alle Angelegenheiten selbst erledigen können, für die sie keine Hilfe „von oben“ benötigen. Das ist das Europa der Bürger, von dem unsere Verfassung ausgehen sollte.

Zu dieser Bürgernähe gehört zugleich das Europa der Regionen. Für uns in Hessen sind die langjährige gute Zusammenarbeit mit der Emilia-Romagna, der Aquitaine und die seit jüngster Zeit enge Zusammenarbeit mit Wielkopolska zu einem wichtigen Stück Europa geworden. Die Zusammenarbeit – insbesondere auch in der gemeinsamen Vertretung in Brüssel – gilt in der Europäischen Union als beispielhaftes Modell und muss weiter gestärkt werden.

Ich möchte abschließend die Reform der Institutionen der Union erwähnen. Hier hat sich der Konvent durch ein besonders schwieriges Thema gearbeitet mit dem Ziel, dass Europa international handlungsfähiger werden kann. Dies steht in enger Verbindung mit der Stärkung der europäischen Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik. Die Krise und der Krieg um den Irak haben doch schonungslos offenbart, wie tief gespalten die Verantwortlichen in den Staaten der Europäischen Union in einer so elementaren Frage noch heute sind.

Die Menschen in Europa eint – sehr verständlich – die Sehnsucht nach Frieden.Aber über die Wege dorthin wird unterschiedlich gedacht. Für uns Deutsche ist von entscheidender Bedeutung, dass wir uns gleichzeitig und gleichgewichtig für eine gemeinsame Außenpolitik der Europäischen Union und für das Miteinander im Bündnis mit den Vereinigten Staaten von Amerika einsetzen. Meine Fraktion würdigt daher ausdrücklich, dass die Hessische Landesregierung – und in besonderem Maße Ministerpräsident Koch durch seinen Besuch im Weißen Haus – Zeichen in einer Zeit gesetzt hat, als dies in Deutschland nicht populär war.

(Beifall bei der CDU)

Hier mögen die Fraktionen dieses Hauses unterschiedlicher Meinung sein.

(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: So ist es!)

Umso mehr ist meines Erachtens zu unterstreichen – damit komme ich zu den gemeinsamen Gedanken –, dass es in den wesentlichen Fragen der Europapolitik, die unmittelbar unser Land Hessen betreffen, einen alle Fraktionen übergreifenden Konsens gibt. Dies manifestiert sich in dem vorliegenden gemeinsamen Antrag. Mein Dank gilt daher allen Mitgliedern des Europaausschusses für die konstruktive Zusammenarbeit.

Meine dringliche Bitte geht an Sie, Herr Präsident Kartmann, und an das Präsidium des Hessischen Landtags, an Sie, Herr Ministerpräsident Koch, und an Sie, Herr Staatsminister für Bundes- und Europaangelegenheiten:Verleihen Sie den Forderungen dieses Hauses Nachdruck. Helfen Sie mit, dass wir auf keinen Fall hinter die im Entwurf des Vertrages einer Verfassung für Europa erreichten wertebezogenen politischen und institutionellen Positionen zurückfallen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Es liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Ich stelle fest: Die Regierungserklärung wurde abgegeben. Die Aussprache darüber hat stattgefunden und ist beendet.

Wir hatten eine verbundene Debatte mit den Anträgen unter den Tagesordnungspunkten 45 und 53.Wir kommen

zuerst zum Antrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend Nachbesetzung der Vertretung des Landes Hessen im „Kongress der Gemeinden und Regionen Europas“ (KGRE) und im „Ausschuss der Regionen“ (AdR) , Drucks. 16/306. Von der SPD-Fraktion wurde beantragt, vor folgendem Hintergrund eine getrennte Abstimmung durchzuführen.

1998 ist das Verfahren gewählt worden, dass der Landtag ein Vorschlagsrecht ausübt, um den Vertreter/die Vertreterin und den Stellvertreter/die Stellvertreterin für den Ausschuss der Regionen zu benennen. Die Benennung selbst erfolgt durch die Landesregierung. In dem Antrag ist vorgesehen, dass die Landesregierung gebeten wird, Herr Staatsminister Riebel als Mitglied und Herrn Landtagspräsidenten Kartmann als stellvertretendes Mitglied in den AdR zu entsenden.Die SPD-Fraktion bittet an dieser Stelle um getrennte Abstimmung.

Wer unterstützt den Passus „Der Hessische Landtag... bittet die Landesregierung, Herrn Staatsminister Riebel als Mitglied... in den AdR zu entsenden“? – Das sind die Fraktionen der CDU und der FDP. Wer ist gegen diesen Passus? – Die Fraktion der GRÜNEN. Wer enthält sich? – Die Fraktion der SPD.

Wer ist dafür, dass die Landesregierung gebeten wird, Herrn Landtagspräsidenten Kartmann als stellvertretendes Mitglied in den AdR zu entsenden? – Das wird einstimmig angenommen. Ich stelle fest, dass der Antrag in der vorgelegten Fassung mit Mehrheit angenommen wurde. – Herr Gotthardt.

Herr Präsident,der Antrag besteht aus drei Teilen:der Benennung von Herrn Kartmann als Mitglied für den KGRE und der Bitte, Herrn Riebel und Herrn Kartmann in den AdR zu entsenden. Es fehlt die Abstimmung darüber, dass der Hessische Landtag die Benennung von Herrn Landtagspräsidenten Kartmann als Mitglied für den KGRE begrüßt.

Das war unstrittig, und es ging lediglich darum, dass der Hessische Landtag das begrüßt. Deshalb bin ich davon ausgegangen, dass hierüber im Hause Konsens herrscht. – Das wird bestätigt. Es besteht Konsens darüber, dass Herr Landtagspräsident Kartmann als Mitglied für den KGRE vorgesehen ist.

Ich darf mitteilen, dass Frau Landtagsvizepräsidentin Ruth Wagner gemäß § 88 Abs. 2 der Geschäftsordnung des Hessischen Landtags eine persönliche Erklärung zum Abstimmungsverhalten abgegeben hat. Dies wird im Protokoll vermerkt. Eine derartige persönliche Erklärung ist schriftlich abzugeben. Sie wird nicht mündlich gegeben.

(Ruth Wagner (Darmstadt) (FDP): Herr Kollege, das gehört zum Antrag unter Tagesordnungspunkt 53! Darüber haben Sie noch nicht abstimmen lassen!)

Vielen Dank für die Richtigstellung. Ich habe das vorweggenommen, was von Herrn von Hunnius bereits mitgeteilt worden ist.

Wir kommen zur Abstimmung über den gemeinsamen Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Europa nach

innen und außen weiterentwickeln, Mitwirkungsrechte für Länder und Regionen stärken, Drucks. 16/315.Wer ist für die Annahme dieses Antrags? – Wer ist dagegen? – Bei einer Gegenstimme ist der Antrag angenommen. Die persönliche Erklärung wird zu Protokoll gegeben.

(siehe Anlage 2)

Ich habe nunmehr mitzuteilen, dass weitere Dringliche Anträge eingegangen sind. Das ist zum einen der Dringliche Antrag der Fraktion der CDU betreffend Nachbesserungen Bundesverkehrswegeplan 2003, Drucks. 16/339. Wird die Dringlichkeit verneint? – Das ist nicht der Fall. Ich schlage vor, dass der Dringliche Antrag in verbundener Debatte mit Tagesordnungspunkt 47 aufgerufen wird. – Dem widerspricht niemand. Dann machen wir das so.

Es ist außerdem ein Dringlicher Antrag der Fraktion der CDU betreffend Steuer senken, Arbeitsrecht flexibilisieren, Sozialversicherungssysteme reformieren, Drucks. 16/ 340, eingegangen. Wird die Dringlichkeit verneint? – Das ist nicht der Fall. Der Dringliche Antrag wird in verbundener Debatte mit den Tagesordnungspunkten 42 und 40 morgen früh um 9 Uhr aufgerufen.

Ich komme zu dem Dringlichen Antrag der Fraktionen der CDU, der SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP betreffend Behandlung von Petitionen des Unterausschusses Justizvollzug, Drucks. 16/341. Dieser Punkt müsste extra aufgerufen werden.