Protokoll der Sitzung vom 23.02.2006

Sie gehen damit in eine Technologie, bei der Sie wissen, dass einer der Hauptstromlieferanten auf absehbare Zeit diesen Strom mindestens so politisch einsetzt, wie wir das an einer anderen Stelle mit dem Erdöl haben, weshalb wir mit Erdöl in der Grundlast extrem vorsichtig sind. Es gab immer einen strategischen Grund, warum man Heizöl als eine Grundlast für Kraftwerke in nennenswertem Unfang auch politisch nicht wollte:weil man die Abhängigkeit von Zulieferungen an dieser Stelle vermeiden wollte, im Verhältnis zu Grundlasten, die man über eine lange Zeit national kontrollieren kann. Bei Uran haben Sie immer einen Vorrat von ein paar Jahren, genauso wie Sie bei Steinkohle immer einen Vorrat von ein paar Jahren haben, genauso wie Sie bei der Braunkohle in Deutschland in den nächsten Jahrzehnten einen Vorrat von ein paar Jahren haben.

Sie müssen entscheiden, ob Sie bereit sind, zur Einhaltung Ihres Zieles dazu zu kommen, dass hier bei uns in der Stromproduktion am nächsten Tag das Licht ausgeht, dass wir uns von internationalen politischen Dingen abhängig machen, wie es der Fall ist, wenn die Ukraine kein Öl mehr bekommt und Weißrussland bekommt es weiterhin, weil der eine politisch genehm ist und der andere nicht. Sie müssen überlegen, ob wir das wollen.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb sage ich Ihnen: Sie können auf dem Hintergrund der 120.000 MW, auf dem Hintergrund der 60 % Produktion im Land als strategische Lücke,selbst wenn ich unterschreibe, dass wir die 20 % hinbekommen, aber Ihnen sage, mehr kriegen Sie in der gegebenen Zeit nicht hin, nicht schlüssig erklären,wo Sie überhaupt technisch,ohne große Risiken,den Strom herbekommen.Und Sie können es überhaupt nicht erklären, wenn Sie dann noch über die Frage CO2 nachdenken. Jede Lösung, die Sie dabei vorschlagen, wird einen erheblich höheren CO2-Ausstoß zur Folge haben, als wir eigentlich in unserem nationalen Interesse verkraften können.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Vor diesem Hintergrund nur eine zweite Bemerkung – dies ist ja eine kurze Debatte. Sie haben damals als GRÜNE gesagt: Das ist ein Weg, wir sind der Vorreiter, die Welt wird diesen Weg gehen. – Jetzt muss man sich doch einmal nüchtern anschauen,was in der Welt passiert. Unter den großen zehn Industrieländern der Welt – nur um diese zehn würde ich mich an dieser Stelle kümmern, weil die anderen für mich kein Vergleich sind – gibt es nur ein Land, das kein Kraftwerk in Planung oder Bau hat. Das ist die Bundesrepublik Deutschland. Das muss man einmal nüchtern sehen. Das heißt, alle anderen haben einen anderen Weg nach Nachdenken und Kenntnis ihrer Position eingeschlagen.

Sie finden wahrscheinlich kein besonders euphorisches Volk an dieser Stelle. Sie bauen nicht nur den modernsten Reaktor, sondern denken auch schon darüber nach, einen weiteren zu bauen. Die Kollegen in den Niederlanden, in dieser Frage ganz sicher nicht unsensibel, haben über alle Parteien hinweg einstimmig beschlossen, die Laufzeit für ihren Reaktor, den sie haben, von 40 Jahren auf 60 Jahre heraufzusetzen. Wir sehen auch die Diskussion in den Vereinigten Staaten.

Wir wissen – das sehen Sie in den Weltenergiereports –, wir müssen ein nachhaltiges Interesse daran haben, dass die Chinesen in die Kernkraft einsteigen. Denn wenn sie das mit den besten fossilen Techniken machen,werden die Chinesen in jedem Jahr zusätzlich mehr an CO2 ausstoßen, als der gesamte Rest der Welt nach dem derzeitigen Programm einsparen kann. Das ist die Relation, und dazu gibt es an dieser Stelle strategisch keine Alternative. Deshalb werden sie es auch tun, so wie die Vereinigten Staaten, so wie die Franzosen.Wir werden am Ende die Frage, was ist CO2-Ausstoß und was ist der Preis von Energie,haben. Sie haben den Blick einseitig auf den CO2-Ausstoß gerichtet, und schon damit werden Sie im Augenblick intellektuell nicht mehr fertig. Aber wenn Sie noch den Preis dazunehmen, dann wird diese Veranstaltung undenkbar.

(Beifall bei der CDU)

Deshalb ist der dritte Teil: Wir in der Hessischen Landesregierung werben für das, was wir vor uns stehen haben. Das wissen wir, und das akzeptieren wir auch, weil es mit den Notwendigkeiten der nächsten Jahre durchaus vereinbar ist. Wir werden uns für die Diskussion noch einige Jahre Zeit nehmen müssen:Gibt es einen Grund,auch mit neuen Kraftwerken hierher zu kommen? Ich werde Ihr Spiel nicht mitmachen. Behaupten Sie doch in Zukunft, ich hätte Eschborn gemeint. Dann haben Sie es einfacher. Ich werde aber Ihr Spiel nicht mitmachen, jetzt irgendwo einen neuen Ort zu haben und dort diese Emotionen zu haben. Ich weiß, dass es diese Emotionen überall gibt.Wir müssen uns als Volk gemeinsam überlegen, was wir dort organisieren wollen und was nicht. Ich glaube nur, dass wir uns dafür Zeit verschaffen sollten. Deshalb halte ich es für richtig, im Rahmen dessen, was dort verabredet worden ist, auch die Verabredung möglich zu machen, die Austäusche so zu haben, dass unsere beiden Kraftwerke nicht in einen Nachteil geraten und dass deshalb Biblis A und Biblis B so lange betrieben werden können, wie es im Rahmen von Vereinbarungen möglich ist.

(Norbert Schmitt (SPD): Hört, hört!)

Ich weiß, dass es im Augenblick nicht mehr gibt. Die CDU/CSU-Fraktion – das wissen Sie – wäre gern dazu gekommen, den Atomkonsens, wie er heißt – mit uns war das nie ein Konsens –, den Sie dort getroffen haben, zu verändern. Aber das ist mit den Sozialdemokraten nicht möglich. Es gibt viele andere Dinge in der großen Koalition,die gehen auch nicht so,wie wir sie wollen.Das ist der Fall, das ist in Ordnung.

Nur, Herr Kollege Schmitt, eines ist auch klar: In dem Atomkonsens steht, dass nicht von Mülheim-Kärlich auf Biblis A übertragen werden kann – kein Streit.Allerdings kann von anderen Kraftwerken übertragen werden, nämlich z. B. von Gundremmingen. Von Gundremmingen B und C kann übertragen werden, das ist nämlich in der Hand von RWE. Das muss dann von denen genehmigt werden, die dafür zuständig sind.

(Norbert Schmitt (SPD):Anlage 2!)

Ohne eine Genehmigung geht es nicht. Deshalb werden wir über die Frage sprechen, wie weit es geht. Ich sage klar: Wenn die RWE bereit ist, weiter Geld für Sicherheitsnachrüstungen zu investieren – wenn sie das Werk weiter betreiben wollen, müssen sie Geld da hineinstecken, das ist auch in Ordnung so –, wenn die übrigen Sicherheitsbedingungen von den internationalen Kommissionen ordentlich geprüft sind und dem deutschen Recht entsprechen, dann ist es im hessischen Interesse, dass nicht vorzeitig Strom abgeschaltet wird, bevor irgendjemand weiß, wie er auf vernünftige, ökologische und preiswerte Weise an anderer Stelle erzeugt werden kann.

(Lebhafter Beifall bei der CDU)

Zweitens. Ich erwarte von der Bundesregierung, dass sie als einziges Land der Welt nicht vollständig aus der Forschung für Kerntechnik ausscheidet.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir sind im Augenblick in einer Situation, in der an der so genannten vierten Generation kerntechnischer Anlagen international erforscht wird, und Deutschland ist das einzige der großen Industrieländer der Welt, das zum gegenwärtigen Zeitpunkt wegen der rot-grünen Vorgängerregierung mit allen Folgen für die Wissenschaft nichts dazu beiträgt. Praktisch kann im Augenblick kein Lehrstuhl für Kernphysik in Deutschland mit Deutschen besetzt werden, weil dieser Markt für irgendjemanden, der forscht, nicht mehr interessant ist. Das ist eine Bedingung, die wir nicht hinnehmen können. Deshalb erwarte ich von der Bundesregierung, dass sie wieder in die Forschung einsteigt, um zu beweisen, was im Rest der Welt geforscht wird, und uns Chancen um Wissen zu geben, anstatt kerntechnologisch den Anschluss zu verlieren, was uns an dieser Stelle immer betreffen wird.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich erwarte, dass wir darüber reden, was an modernen Forschungsansätzen in diesem Lande möglich ist, Stichwort: Transmutation. Das ist auch wieder ein Wort, das außerhalb des Landtages noch schwieriger zu erklären ist als hier.Aber wenn in der Kernforschungsanlage in Karlsruhe deutsche Wissenschaftler auf Wege kommen, wie die Strahlung von Atomabfall von bisher Zehntausenden von Jahren auf eine Größenordnung von 60 bis 100 Jahren reduziert werden kann, und das im kleinen Maßstab bereits funktioniert, ist das eine Verpflichtung. Ich sage: Da müssten auch die GRÜNEN mitgehen. Dies ist eine Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass wir möglichst schnell technologisch erforschen, ob es wirklich geht. Ich sehe dafür Chancen, um es für den Abfall zu machen, der bisher angefallen ist. Aber dann gibt es auch nicht mehr die Moraldiskussion um den Abfall, der in Zukunft entsteht.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, da geht es um Forschung und Entwicklung und die Chancen, die die deutsche Industrie hat.

Ich schließe. Mir macht Sorge, dass wir am Ende eine Diskussion bekommen, wie sie einmal in Österreich war, unter dem Motto: Solange gewährleistet ist, dass an unserer Landesgrenze Kernkraftwerke stehen, die uns mit sicherem Strom versorgen, ist es besser, dass wir behaupten können, wir hätten damit nichts zu tun.

Das ist eine gefährliche Diskussion. Wer im Augenblick sieht, wie die deutschen Energiekonzerne Kontrakte mit genau diesem Ziel machen – vernünftigerweise, weil das

die einzige Chance ist, wenigstens ihre Betriebswirtschaft in Ordnung zu halten –, der begeht einen doppelten Fehler. Der gibt das Wissen, das wir mit der Produktivität, die dahinter steht, haben könnten, außer Landes und aus der Hand.Er vernichtet an dieser Stelle Chancen für deutsche Arbeitnehmer.

(Beifall des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Zugleich gibt er unseren Nachbarländern eine Chance, an jedem einzelnen Cent unserer wirtschaftlichen Wertschöpfung zusätzlich zu verdienen und Wettbewerbsnachteile für die Bundesrepublik Deutschland zu erzielen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich werde die GRÜNEN dabei nicht überzeugen. Das weiß ich wohl. Aber ich glaube, dass wir in der Bevölkerung die Verpflichtung haben, eine Diskussion zu führen, in der die Regeln der Mathematik, die Regeln unseres Wissens und unser Interesse an wirtschaftlichem Wachstum nicht völlig außer Kraft gesetzt werden. Die GRÜNEN waren immer skeptisch ob dieses wirtschaftlichen Wachstums. Sie waren immer skeptisch ob der Mobilität. Sie waren immer skeptisch, ob wir Reststrom in jeder Menge brauchen und ob der preisgünstig sein soll. Das sind die prinzipiellen Fragen. Wer die bejaht, muss auch die Pflicht wahrnehmen, in andere Länder zu schauen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Dauerhaft auf der Autobahn zu fahren und sich zu wundern,dass alle,die einem entgegenkommen,Geisterfahrer sind, ist ein Verhalten, das auch etwas mit Wahrnehmungsverlusten zu tun hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Norbert Schmitt (SPD): Das stimmt!)

Sie haben sich geirrt. Sie haben geglaubt, die anderen Länder der Welt steigen aus. In Wahrheit nehmen alle unserer Mitwettbewerber diese Option auf höchstem wissenschaftlichen Stand für die Zukunft wahr.

(Norbert Schmitt (SPD): Es werden mehr stillgelegt, als ans Netz kommen!)

Die Frage ist, ob wir verantworten können, die Einzigen zu sein, die aussteigen, weil Sie glauben, Sie hätten die Weisheit mit Löffeln gefressen.

(Anhaltender Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank,Herr Ministerpräsident.– Wir haben uns auf eine zweite Runde geeinigt. Das Wort hat der Kollege Hahn,Vorsitzender der FDP-Fraktion.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Okay, der stellt wieder Windräder in Biblis auf!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte Sie davon in Kenntnis setzen, dass wir in der Debatte über den Atomstandort Biblis eine neue Sachlage haben. Vor wenigen Minuten hat der Betriebsleiter von Biblis, Herr Dr. Lauer, mich – aber jedenfalls auch den Kollegen Dr. Wagner – mit folgendem Fax informiert:

Sehr geehrter Herr Hahn, heute hat der Vorstandsvorsitzende der RWE AG, Herr Harry Roels, im Rahmen der Bilanzpressekonferenz die Öffentlichkeit darüber informiert, dass RWE die vorhandenen gesetzlich abgesicherten Möglichkeiten zur Übertragung von Strommengen in Anspruch nehmen wird. Den Antrag für eine Übertragung der Reststrommengen auf den Block A des Kernkraftwerks Biblis wird RWE im zweiten Quartal dieses Jahres stellen. Im Interesse unserer über 700 Mitarbeiter am Standort würden wir uns eine zügige Entscheidung aus dem Prüfungsprozess von Bundesumweltministerium, Bundeswirtschaftsministerium und Bundeskanzleramt wünschen, der gemäß Gesetz notwendig ist.

Die FDP-Fraktion in diesem Hause – Frau Kollegin Hammann, Sie haben etwas sehr despektierlich über eine Art von Pressekonferenz von uns geredet – fühlt sich darin bestätigt, dass unsere Forderung richtig war, nämlich RWE aufzufordern, diesen Antrag zu stellen.

(Beifall bei der FDP)

Wir sind sehr zufrieden, dass der Meinungsbildungsprozess innerhalb des RWE-Konzerns heute mit dieser Aussage des Vorstandsvorsitzenden zu Ende gebracht wurde. Jetzt ist es an der Politik, es ist an der Bundesregierung, der großen Koalition in Berlin,nach Recht und Gesetz dafür Sorge zu tragen, dass der Produktionsstandort Biblis mit seinen mehr als 700 Mitarbeitern in Hessen weiterhin gesichert ist.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir sollten es jetzt lassen, diese Scheindebatte zu führen, wie es Frau Kollegin Hammann hier versucht zu führen und andere schon wochenlang versucht haben zu führen. Ab jetzt ist jedem hier im Hause klar, dass man sich entscheiden muss: Ist man dafür, dass in einem sicheren Kernkraftwerk weiterhin 700 Hessinnen und Hessen einen sicheren Arbeitsplatz haben,

(Norbert Schmitt (SPD): Was sagt Ihr Kollege Hohn dazu?)

oder ist man aus ideologischen Gründen dafür,dass dieses abgebaut wird? – Herr Kollege Schmitt, wir haben in der sozialliberalen Koalition – Heinz Herbert Karry war damals der zuständige Mann in unserer Fraktion –

(Gerhard Bökel (SPD): Sie haben damals noch in die Hose geschissen und waren noch gar nicht dabei!)

mit Ihnen dafür gestritten und gearbeitet, dass der Standort Biblis durchgesetzt wurde. Wir werden jetzt mit allem dafür kämpfen, dass dieser Standort bestehen bleibt. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)