Wenn man über kleinere Parteien spricht, dann fühlen wir uns als Liberale und GRÜNE natürlich angesprochen. Aber es könnte sein, dass sich dieser Trend auch für andere Parteien fortsetzt.
Meine Damen und Herren, ich teile das, was der Kollege Walter anfangs sehr sachlich zur Frage ausgeführt hat, wie sich in Hessen die Wahlbeteiligung entwickelt. Das, was wir hier vorliegen haben – eine Wahlbeteiligung von 45,6 % –, muss uns zum Nachdenken anregen. Das ist keine Frage. Ein positives Ergebnis bei dieser Wahl ist sicherlich, dass fast 40 % der Menschen das Kumulieren und Panaschieren genutzt haben. Das muss man feststellen. Das ist ein gutes Ergebnis.
Aber ich bin da bei Ihnen. Es ist nicht zufrieden stellend, wenn eine große Zahl – fast die Hälfte der Menschen – sagt:Wir wollen an diesen Kommunalwahlen nicht teilhaben. – Wir müssen überlegen, woran das liegt. Eine geringe Wahlbeteiligung ist eine Gefährdung unserer Demokratie. Sie ist eine geringe Legitimation für unsere Arbeit, der Arbeit der Kommunalpolitiker vor Ort. Es ist so, dass bei einer geringen Wahlbeteiligung extreme Parteien von rechts bis links immer mehr Möglichkeiten haben, in den Parlamenten Politik zu machen. Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Menschen anregen können, ihre Möglichkeiten und ihre Rechte wahrzunehmen, wählen zu gehen.
Meine Damen und Herren, aber wenn man die Äußerungen des Generalsekretär Schmitt liest, hat man das Gefühl, die SPD will eigentlich ein Wahlsystem, bei dem sie besser abschneidet. Das Gefühl hatte ich zuerst.
Das war mithin nach dem Motto:Alles über Bord werfen. – Dann wollen wir doch einmal sagen, was an dem Wahlsystem gut ist. Kumulieren und Panaschieren sind deshalb in Hessen eingeführt worden, weil es den Menschen mehr Rechte gibt.
Es gibt den Menschen mehr Möglichkeiten. Es schafft nämlich genau das, was Menschen, was Bürger oft nach dem Motto kritisieren: Wir können bei Parteien keinen Einfluss nehmen; wir kriegen vorgegebene Listen vorgelegt und können nichts machen. – Genau das ändern wir mit Kumulieren und Panaschieren.
Die Menschen können mit Kumulieren und Panaschieren Einfluss nehmen. Diesen Einfluss haben sie bei diesen Wahlen auch genutzt.
Herr Kollege Walter, man muss auch sagen: Natürlich gibt es in anderen Ländern in diesem Bereich mehr Übung. Wenn man nach Bayern und Baden-Württemberg sieht: Das ist ein Wahlsystem, das über die letzten Jahrzehnte geübt worden ist. – Sicherlich müssen wir uns auch darüber Gedanken machen: Haben wir als Politiker, als Staat, als Medien genug getan, dieses Wahlsystem bei den Menschen bekannt zu machen? – Ich glaube, dass bei dieser Wahl von Politikseite und von öffentlicher Seite sehr viel geworben worden ist, wie dieses Wahlsystem funktioniert. Nehmen Sie die Landeszentrale für politische Bildung. Die hat dort meines Erachtens einen sehr guten Job gemacht.
Die Medienvertreter haben auf diesen Bereich sehr stark hingewiesen, warum dieses Wahlrecht eine Chance und keine Belastung für die Menschen ist.Aber klar ist auch
Herr Kollege Al-Wazir –, dass dieses Wahlsystem den Menschen mehr abverlangt. Das ist unbestritten wahr. Der Kollege Walter hat das gerade ausgeführt. Diese Wahlzettel sind sehr groß. Sie sind möglicherweise nicht
immer übersichtlich.Auf der anderen Seite muss man klar sagen: Wählen zu gehen heißt auch, sich vorher zu informieren. – Wenn ich von Menschen höre, dass sie sagen: „Ich kenne gar niemand, der auf dieser Liste steht“, dann muss man doch vorher ansetzen. Die Menschen müssen sich auch über die Kandidaten informieren.
Die politischen Parteien – das nehme ich für alle Parteien hier in Anspruch – wollten und haben die Menschen über ihre Kandidaten informiert. Wir haben darüber informiert, wer auf unseren Listen steht und für welche Position die Menschen stehen. Ich glaube, dass man sich, wenn man dieses Wahlsystem kritisiert, vorher fragen muss: Haben denn auch die Menschen genug getan, um sich über die Kandidaten, um sich über die einzelnen Möglichkeiten zu informieren?
Klar ist, es gibt immer die Argumentation: Die Politikverdrossenheit führt dazu, dass die Menschen nicht mehr wählen gehen.– Es ist sicher ein Teil der Begründung,dass es einen großen Teil in der Bevölkerung gibt, der sich von der Politik nicht mehr angesprochen fühlt.Wenn man auf die Bundesebene schaut, muss man sagen: Die kleinsten Kompromisse ermutigen Menschen nicht gerade dazu, an die Wahlurne zu gehen und zu sagen: „Wir wollen eine bestimmte Stimme für eine bestimmte Richtung abgeben“, wenn das, was herauskommt, fast immer gleich ist. Das ist doch völlig klar.
Auf der anderen Seite muss man sagen: Es gibt eine Zahl von Menschen, die politikverdrossen sind. Es gibt aber auch eine Vielzahl von Menschen, die sich von unserer Demokratie möglicherweise aus sehr tragischen Gründen entfernt haben. Das können wir als Politiker nicht akzeptieren. Politikverdrossenheit – da müssen wir uns angesprochen fühlen. Aber bei Bürgerverdrossenheit müssen sich alle Menschen in diesem Land fragen, was sie dagegen tun können. Die Demokratie in diesem Land lebt vom Mitmachen. Die Menschen haben nicht nur Rechte, sie haben auch Pflichten.
Deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir es schaffen können, die Menschen von der Zuschauertribüne sozusagen wieder auf das Spielfeld zu holen.Wir alle müssen in dieser Demokratie mitmachen.Bürger,die wollen, dass die Demokratie weiterlebt, dass wir in diesem Gemeinwesen nicht dazu kommen, dass es keinen mehr interessiert, was hier passiert, diese Menschen müssen nachdenken, wie sie sich wieder in unser demokratisches Leben einbringen können.
Es gibt sehr viele Vorschläge.Wir Liberale haben den Vorschlag gemacht, möglicherweise den Wahlzettel nach Hause zu schicken.Ich glaube,dass das ein sehr guter Vorschlag ist. Es gibt andere Vorschläge, wie z. B. die Nutzung neuer Medien, die diskutiert werden können, um möglicherweise den Schritt, wählen zu gehen, zu erleichtern. Meine Damen und Herren, aber klar ist auch, dass es immer wieder eine Anstrengung von Bürgern verlangt, den Schritt zu tun, wählen zu gehen. Das ist keine Frage.
Lassen Sie mich zum Schluss eines sagen. Ich habe ein Zitat des Kollegen Boddenberg gelesen. Man liest viel vom Kollegen Boddenberg, das muss man sagen, oft sehr interessante Zitate.
Er sagte: Für CDU-Mitglieder ist zu wählen Bürgerpflicht.– Damit sollten wir es für alle halten.Wählen sollte für alle in diesem Land Bürgerpflicht sein. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Auch wenn der Kollege Walter entgegen seinen Äußerungen in der Presse in den vergangenen Tagen kräftig zurückgerudert ist,
hat dies bei mir trotzdem nicht den Eindruck schwinden lassen, dass es der SPD mit dieser Aktuellen Stunde lediglich um ein Ablenkungsmanöver gegangen ist.
Herr Schmitt –, um vom Wahldebakel des vergangenen Sonntags abzulenken. Jetzt haben Sie, anstatt ein Stück weit Selbstreflexion zu betreiben, die niedrige Wahlbeteiligung als Schuldigen ausgemacht.An der niedrigen Wahlbeteiligung ist nach Ihrer Auffassung das angeblich so komplizierte Wahlverfahren schuld.
Dabei – das hat heute noch niemand vorgetragen – mag die niedrige Wahlbeteiligung unterschiedliche Gründe gehabt haben. Außerdem möchte ich darauf hinweisen – man mag das bedauern, aber es ist leider so –, dass die Wahlbeteiligung bei Kommunalwahlen traditionell niedriger liegt als z.B.bei Bundestags- oder Landtagswahlen.
Dabei übersehen Sie völlig,dass am vergangenen Sonntag drei Landtagswahlen stattgefunden haben, bei denen die Wahlbeteiligung ebenfalls zurückgegangen ist.
Hinzu kommt, dass, da wir jetzt in Berlin eine große Koalition haben, die zentralen, polarisierenden Themen gefehlt haben, die einer Wahlauseinandersetzung sonst immer etwas Würze geben.
Das sind weitere Gründe, auf die die niedrige Wahlbeteiligung zurückzuführen ist. Selbstverständlich muss man sich darüber Gedanken machen.Aber, Herr Walter, wenn es Ihnen wirklich ernst damit ist,sich über die Gründe Gedanken zu machen, frage ich mich, warum Sie ausgerechnet in einer Aktuellen Stunde mit fünf Minuten Redezeit darüber diskutieren wollen.
Jedenfalls finde ich es erstaunlich, dass Sie mit Ihrer Diskussion über das Wahlsystem den Wählerinnen und Wählern ein Stück weit die Schuld an der niedrigen Wahlbeteiligung geben. Sie halten sie für weniger intelligent als die Bayern oder die Baden-Württemberger, was sie zweifellos nicht sind.
Wir wissen aber, dass es auch in Baden-Württemberg einige Zeit gedauert hat, bis sich die Leute an das veränderte Wahlsystem gewöhnt haben. Deshalb wehre ich mich dagegen, dass man das gesamte Wahlsystem infrage stellt. Es bedeutet nämlich ein ganzes Stück mehr Demokratie für die Wählerinnen und Wähler.
Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass niemand gezwungen ist, zu panaschieren und zu kumulieren. Jeder kann sich nach wie vor damit begnügen, ein einziges Kreuz pro Liste zu machen. Die Bürger können also, wie bisher, ganz normal wählen.Vielleicht sind die Wahlzettel etwas größer, und vielleicht haben wir es versäumt, im Vorfeld etwas mehr darauf hinzuweisen. Über diesen Punkt können wir gern diskutieren. Dagegen spricht aber, dass immerhin über 50 % der Wählerinnen und Wähler vom Kumulieren und Panaschieren Gebrauch gemacht haben.