Protokoll der Sitzung vom 04.06.2008

Herr Banzer, wenn ich sehe, was Sie heute zum Thema G-8-Veränderungen vorgelegt haben, dann glaube ich, in Ihren Zeugnissen stand auch: „Das Abschreiben von Texten geht schon recht gut.“ Sie haben es bis heute nicht verlernt, Herr Minister Banzer.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Zur Vorfreude auf meine weitere Rede möchte ich nicht unerwähnt lassen, dass in diesem Zeugnis auch steht: „Mündlich kann er sehr interessant und abwechslungsreich erzählen.“

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Das war der Stand von 1980. Freuen Sie sich also auf die weiteren Ausführungen.

Aber die Gemeinsamkeit mit dem Minister – das Abschreiben von Texten geht schon recht gut – ist auch beim Thema G 8 vorhanden. Schauen wir uns doch einmal an, was wir GRÜNE seit vielen Monaten zum Thema G 8 und zur Korrektur G 8 fordern und was jetzt in den Vorschlägen von Minister Banzer steht.

Wir haben gefordert, die Lehrpläne sollen umgehend entschlackt werden. Im Elf-Punkte-Programm von Minister Banzer finden wir unter Punkt 1: Anpassung und Straffung der Lehrpläne. – Wir GRÜNE haben gefordert, der Unterrichtsstoff soll sinnvoll auf die komplette Schulzeit verteilt werden, statt ihn weiter in den Klassen 5 bis 9, also ausgerechnet während der Pubertät, extrem zu verdichten. Wir finden die Forderungen unter Punkt 2 und 4 von Minister Banzer, die da lauten: Gestaltungsmöglichkeiten durch Kontingentstundentafel, freie Organisation des Nachmittagsunterrichts. Und unter Punkt 4: mehr Differenzierung und mehr individuelle Förderung.

Frau Kollegin Henzler hat eine Zwischenfrage. Ich möchte dem Präsidenten nicht vorgreifen, aber ihm schon den Hinweis geben, dass ich sie sehr gerne zulasse.

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Dann machen wir das.

Herr Kollege Wagner, stimmen Sie mit mir überein, dass die GRÜNEN im Abschreiben auch ganz gut waren? Denn Sie haben gerade gesagt, dass Sie das die letzten Monate gefordert haben. Das Gleiche stand aber in unse

rem Antrag vom Mai 2003. Den haben Sie damals abgelehnt.

(Nicola Beer (FDP): Hört, hört! – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Och ne!)

Frau Kollegin Henzler, ich habe darauf hingewiesen, das Abschreiben von Texten geht schon recht gut, was bei mir schon im Schuljahr 1980 festgestellt wurde.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Insofern, glaube ich, habe ich die Antwort auf Ihre Frage schon gegeben.Wir sollten hier keinen alten Landtag machen. Ich habe das schon in der letzten Plenarwoche gesagt:Gemeinsamkeiten muss man manchmal auch aushalten können, Frau Henzler.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN)

Wir sehen auch manche Bewegung bei der FDP hin auf etwas, was in unserem Programm steht. Ich erspare mir manchmal, Sie darauf hinzuweisen. Aber es ist halt schon auch so.Wenn wir gemeinsam für unsere Schulen zu guten Lösungen kommen, ist das doch eine gute Sache.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Warum die FDP allerdings kategorisch ausschließt, gemeinsam mit BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und SPD schulpolitisch etwas voranzubringen,das ist etwas,was Sie beantworten müssen, Frau Kollegin Henzler.

(Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Ich war dabei:„Jürgen kann schon gut abschreiben.“ – Ich fahre fort.Wir GRÜNE haben gefordert, durch eine Ausweitung von Ganztagsangeboten an Schulen mehr Zeit zum Lernen und für individuelle Förderung zu schaffen. Auch das finden wir im 11-Punkte-Katalog von Herrn Banzer.

Wir sagen, wir wollen eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9. Auch das finden wir jetzt in den Vorschlägen von Herrn Banzer.

Eine Forderung von uns: Die Veränderungen dürfen nicht auf die lange Bank geschoben werden, sondern sollen bereits zum nächsten Schuljahr greifen. – Wie lautet die Überschrift der Pressemitteilung von Herrn Banzer zur Vorstellung seines Programms? „Elf-Punkte-Programm für G 8 eröffnet Schulgemeinden schon ab 1.August 2008 nachhaltig mehr Freiräume“, also zu Beginn des neuen Schuljahres.

Ich kann nur sagen: „Das Abschreiben von Texten geht schon recht gut.“ Herr Banzer, Sie haben sich wirklich ausgiebig unserer Programmatik bedient. Das wundert umso mehr, weil das, was wir GRÜNE seit Monaten gefordert haben, was teilweise die FDP auch schon gefordert hat – das war zum Zeitpunkt, als wir die Forderungen erhoben haben –, für die CDU und die damalige Kultusministerin der Niedergang des Abendlandes war.

Wir mussten uns für alle diese Forderungen, die ich vorgestellt habe, massiv beschimpfen lassen. Alles war Quatsch. Es hieß die ganze Zeit: Es gibt keine Probleme mit G 8. – Wir freuen uns, dass es diesen Meinungswechsel gegeben hat. Herr Minister Banzer, aber sehen Sie es

mir nach – die CDU redet neuerdings gern von Nachhaltigkeit –: Wer vor vier Monaten massiv beschimpft hat, was für ihn jetzt genauso massiv richtig ist, den fragen wir dann, wie nachhaltig der Erkenntnisprozess bei der hessischen CDU eigentlich ist.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Ich will gern auf die Vorschläge im Einzelnen eingehen. Lassen Sie mich noch eine Bemerkung machen. Auch wenn Sie jetzt von uns abgeschrieben haben, können Sie sich darauf verlassen: Wir machen uns nicht vom Acker, Herr Banzer. Es ist für uns gewöhnungsbedürftig, dass ein CDU-Minister macht, was GRÜNE sagen. Aber davon, dass Sie jetzt vertreten und umsetzen, was wir GRÜNE wollen, wird es trotzdem nicht falsch.

Wir bleiben bei unseren Forderungen. Gemeinsamkeiten muss man dann vielleicht manchmal aushalten. Für uns ist es gewöhnungsbedürftig.Herr Banzer,aber ich glaube,für Sie ist es genauso gewöhnungsbedürftig, dass Ihre Vorschläge zur Korrektur an G 8 bei den GRÜNEN mehr Unterstützung finden als in Ihrer eigenen Fraktion,

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

wenn ich höre, was es dort an Misstönen gibt.

(Mark Weinmeister (CDU): Ross und Reiter nennen!)

Ach, Herr Kollege Weinmeister, ich glaube, ich habe eine recht präzise Vorstellung,wie sich der ehemalige Kultusminister und heutige Fraktionsvorsitzende Christean Wagner zu dem Vorschlag des Kultusministers verhalten hat, dass auch Gymnasien eine Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 bekommen sollen. Die CDU-Fraktion ist ja die Fraktion mit der höchsten Dichte an Exkultusministern. Insofern gibt es also wahrscheinlich sehr interessante und lebhafte Diskussionen bei Ihnen.

Herr Minister Banzer, zu Ihren Vorschlägen im Einzelnen.Bei der Anpassung und Straffung der Lehrpläne werden wir Sie unterstützen. Das finden wir richtig. Da wird man im Detail vieles diskutieren und auch auf die Anregungen aus der Praxis reagieren müssen. Im Prinzip finden wir das richtig. Wir freuen uns ausdrücklich, dass Sie schreiben, Sie wollten, dass es um Kern- und Methodenkompetenz geht.

Dazu kann ich nur sagen: Schade, dass Hartmut Holzapfel diesem Landtag nicht mehr angehört.Was hat es die CDU beschimpft, wie Rot-Grün in den Neunzigerjahren schon genau das gesagt hat, nämlich die Lehrpläne mehr an Kern- und Methodenkompetenz auszurichten. Damals war das aus Sicht der CDU auch der Niedergang des Abendlandes. Mit der Verzögerung von zehn Jahren sind Sie auf diesem Weg. „Jürgen kann schon gut abschreiben“, kann ich nur sagen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir finden auch ausdrücklich richtig, dass Sie mehr Gestaltungsspielraum bei den Klassenarbeiten einräumen wollen. Auch das ist eine Diskussion aus den Neunzigerjahren,die Rot-Grün geführt hat.Damals war das eine Nivellierung von Leistungsstandards aus Sicht der CDU. Aber wenn Sie mit zehn Jahren Verzögerung auf diesen Kurs gehen, dann soll uns das natürlich recht sein.

Die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 für die kooperativen Gesamtschulen trifft natürlich unsere Unterstützung.

Herr Banzer, fair wäre es gewesen, wenn Sie erwähnt hätten, dass diese Wahlfreiheit nur dadurch möglich wurde, dass der Hessische Landtag gestern einem Gesetz meiner Fraktion zugestimmt hat. Ohne gesetzliche Änderung hätten Sie ansonsten das und Ihr Elf-Punkte-Programm nämlich überhaupt nicht aufnehmen können, Herr Minister Banzer.

Ich will auch einige Punkte nennen, wo unsere Kritik beginnt. Sie haben gesagt, Sie wollten den Gymnasien mehr Stellen für kleinere Gruppen geben.Wir kritisieren nicht, das für die Gymnasien zu tun – aber warum nur für die Gymnasien, Herr Minister? Diese Frage haben Sie heute hier nicht beantwortet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Kleinere Gruppen, kleinere Klassen wären genauso an den integrierten Gesamtschulen angezeigt, wären genauso an den Realschulen angezeigt, wären genauso an den Hauptschulen angezeigt. Herr Minister Banzer, Sie müssen wirklich aufpassen, dass Sie nicht zum Gymnasialminister werden, sondern Minister aller Schulen werden, weil die Schulen ein Anrecht darauf haben, dass für alle Schulen etwas getan wird und nicht nur für die Gymnasien.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Reinhard Kahl (SPD))

Genauso beim Ganztagsangebot. Wir GRÜNE – und die SPD – fordern seit Langem eine Ausweitung des Ganztagsschulprogramms. Wir sagen seit Langem: Wir wollen auch Schulen in offener und gebundener Form in das Ganztagsschulprogramm aufnehmen. – Bislang war das alles nicht möglich. Jetzt sagen Sie, für die Gymnasien gibt es so eine Art Sonderstatus, quasi eine vierte Form von Ganztagsschule. Sie bekommen nämlich 60.000 c überwiesen.

Das hat mit Ihrer eigenen Ganztagsschulrichtlinie überhaupt nichts mehr zu tun. Das ist von den formalen Kriterien noch einmal weniger als die pädagogische Mittagsbetreuung. Herr Minister Banzer, auch hier frage ich Sie: Wieso nur die Gymnasien? – Diese Antwort sind Sie schuldig geblieben.

Ich möchte Sie einmal auf eine Absurdität Ihrer Politik hinweisen. Der Landtag hat beschlossen, kooperative Gesamtschulen können zwischen G 8 und G 9 wählen.Wenn das jetzt eine Schule zum nächsten Schuljahr tut und in G 9 geht,dann bekommt diese kooperative Gesamtschule nach Ihrer Politik für ihre 5.Klassen keine kleineren Klassengrößen und wird nicht privilegiert ins Ganztagsschulprogramm aufgenommen. Wenn sie aber in G 8 geht, bekommt sie das. Welchen Sinn soll das denn haben? Die gleiche Schule wird abhängig davon, ob sie sich für G 8 oder G 9 entscheidet, unterschiedlich behandelt.

Das zeigt: Herr Minister Banzer, Sie sind hier auf einem ganz gefährlichen Weg zur Privilegierung der Gymnasien. Eine Privilegierung der Gymnasien aber darf es nicht geben. Auch die anderen Schulen leisten eine ganz hervorragende Arbeit zur Förderung der Schülerinnen und Schüler und müssen deshalb auch an diesen Maßnahmen partizipieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Auch bei den Schulbüchern agieren Sie wieder ausschließlich für die Gymnasien. Ich glaube, auch an den anderen Schulen gibt es riesige Probleme bei der Ausstat

tung mit Schulbüchern und bei dem Zustand dieser Bücher – warum nur die Gymnasien?