Protokoll der Sitzung vom 05.06.2008

Wir hatten über viele Jahre immer wieder Diskussion zwischen den Kommunen auf der einen Seite und dem Handwerk, dem Handel, der Wirtschaft auf der anderen Seite darüber, ob sich die Kommunen in einem bestimmten Bereich so breit machen, dass es dem Handwerk und der Wirtschaft schadet. Diese Debatte ist in Hessen in der Amtszeit von Gottfried Milde, Dr. Günther und Gerhard Bökel sowie in meiner Amtszeit geführt worden. Wir haben versucht, verschiedene Gremien zu finden, die diese Streitfälle schlichten können.All das hat zu nichts geführt.

Dann haben wir eine – wie ich finde – hochintelligente Abwägung vorgenommen. Das Wichtigste ist – wenn wir die Ideologie einmal außen vor lassen –: Seit wir 2005 das kommunale Wirtschaftsrecht so geregelt haben, hat es bei den Aufsichtsbehörden so gut wie keine Beschwerden mehr gegeben,weder von der einen noch von der anderen Seite.

(Zurufe von der SPD)

Das spricht doch dafür, dass man ein System, das sich bewährt hat, jetzt nicht ohne Not aufrütteln sollte, weil man sonst die gleichen Probleme wieder auf den Tisch bringt. Ihnen geht es aber um etwas ganz anderes. Ihnen geht es nicht um die Sache, sondern hier wird etwas abgearbeitet – was auch immer.

(Günter Rudolph (SPD): Machen Sie mal halblang!)

Herr Kollege Rudolph, wir haben gleich eine Vereidigung vorzunehmen, und zweitens werden wir über den Gesetzentwurf im Ausschuss vertieft diskutieren. Ich

biete Ihnen an, zu jedem dieser Punkte eine Menge Beispiele vorzutragen.

(Günter Rudolph (SPD): Nagellackstudios!)

Dann werden wir sehen, welchen Sinn es macht, eine Regelung, die in Hessen nach Jahrzehnten der Diskussion zu einer Befriedigung aller Betroffenen geführt hat, künstlich aufzurütteln.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Meine Damen und Herren, wir können ja gemeinsam singen, aber entweder behandeln wir das Thema ernst, oder wir lassen es bleiben. – Ihr Vorschlag ist jedenfalls nicht klug, und er würde wieder zu Streit führen, wo wir eigentlich keinen Streit haben.

(Günter Rudolph (SPD): Sie haben mit den Änderungen angefangen!)

Ich möchte gerne zu Protokoll festhalten, dass Sie gerufen haben, ich hätte mit den Änderungen angefangen.

(Günter Rudolph (SPD): Das stimmt aber!)

Es gibt also keinen Anlass, etwas zu ändern. Das führt in der Sache zu keinen vernünftigen Ergebnissen. Es führt zu Streit,es führt zu Rechtsstreit,es führt zu Kosten.Wenn man das machen will, mag man es machen.Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren.

Eine zweite Bemerkung zu Bürgerentscheiden und Ähnlichem. Auch da bin ich eher skeptisch. Das, was ich hier höre, wird in aller Regel nicht eintreten. Sie müssen sich über eines immer im Klaren sein. Je mehr Sie unmittelbare Demokratie einführen, desto mehr führt das zu einem Verlust an mittelbarer Demokratie. Das heißt, diejenigen, die für die kommunale Selbstverwaltung eigentlich zuständig sind, nämlich die in allgemeiner freier Wahl gewählten Gemeindevertreter, müssen ein Stück weit Kompetenzen abgeben, wenn Sie mehr direkte Demokratie einführen. Das kann man nicht bestreiten. Das ist auch nicht neu. Die Frage ist immer, wie man das in ein vernünftiges Verhältnis bringt.

Ich sage Ihnen in aller Offenheit: Wenn bei Ihnen 15 % reichen, bedeutet das, dass 85 % vielleicht nicht teilnehmen oder jedenfalls nicht gefragt werden.Das Quorum ist aus meiner Sicht bedenklich.

(Günter Rudolph (SPD): Wenn 30 % im Landtag wären, wäre das auch toll!)

Darauf will ich gleich zu sprechen kommen. – Man muss sich einmal fragen: Warum machen wir das überhaupt? Warum gibt es diese Diskussion?

Von Frau Kollegin Öztürk und anderen ist der Hinweis gekommen – man kann das auch in vielen Publikationen lesen –, das würde sozusagen die Bürgerbeteiligung stärken. Es gäbe mehr Möglichkeiten.

Meine Damen und Herren, nichts ist, von den Ergebnissen und den Erfahrungen her gesehen,falscher als das.Alles, was wir eingeführt haben, hatte zur Folge, dass die Beteiligung immer geringer geworden ist. Bei einer der einfachsten Entscheidungen, die aber für die Bürger wichtig ist, nämlich bei der Frage: „Sag einmal, willst du Herrn Müller oder Herrn Meier als Bürgermeister?“ – mithilfe von Verfassungsänderungen haben wir gemeinsam die direkte Demokratie eingeführt –, haben wir Wahlbeteiligungen von 30 bis 35 %. Bei der Wahl der Landräte liegt sie zum Teil sogar noch niedriger. Wir haben alles Mögli

che angestellt, um dafür zu sorgen, dass wir eine größere Wahlbeteiligung bekommen.

Meine Damen und Herren,das ist eine Schimäre.Wer sich mit der Kommunalpolitik schon ein bisschen länger beschäftigt, wird sich vielleicht an Folgendes erinnern: Wir haben einmal öffentliche Ausschusssitzungen eingeführt. Dann haben wir die Möglichkeit eingeführt, Beiräte zu bilden, immer mit der Begründung, dass das zu einer größeren Beteiligung führen werde. Das Ergebnis war immer dasselbe. Es gab keine größere Wahlbeteiligung. Deshalb glaube ich, dass das andere Gründe hat.

Herr Minister, ich gebe Ihnen nur den freundlichen Hinweis, dass die Redezeit der Fraktionen bereits abgelaufen ist.

Ich bitte um Nachsicht, Frau Präsidentin. Ich fasse mich jetzt wirklich sehr kurz.

Man muss sehr gründlich darüber nachdenken. Einen Hinweis will ich noch geben.Es wird gelegentlich auf Bayern und die dortigen Zahlen verwiesen. Sie müssen nur eines wissen: In Bayern beträgt die Bindungswirkung eines Bürgerentscheids ein Jahr. Nach einem Jahr kann eine Gemeindevertretung wieder etwas anderes machen. In Hessen beträgt die Bindungswirkung drei Jahre. Man muss also bedenken, dass es nicht geht, wenn man beides miteinander kombiniert.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Die letzte Bemerkung bezieht sich auf die Seniorenbeiräte. Ich finde es prima, wenn es Seniorenbeiräte gibt, die gut arbeiten – davon haben wir jetzt eine ganze Menge –, solange das freiwillig ist. Ich halte überhaupt nichts davon, die Gemeinden zur Schaffung von Seniorenbeiräten zu verpflichten. Das führt zu gar nichts. Das wäre aus meiner Sicht kontraproduktiv.

(Beifall bei der CDU)

Eines will ich zum Schluss noch einmal darlegen. Meine Damen und Herren, Sie wollen allen Ernstes, dass alle, die 60 Jahre und älter sind,diese Seniorenbeiräte wählen können. Das sind Leute, die, wie Sie selbst schreiben, in manchen Teilen unseres Landes bald die größte Gruppe in den Gemeinden darstellen. Diese größte Gruppe muss – so schreiben Sie in § 91a Abs. 2 Ihres Gesetzentwurfs – in allen Angelegenheiten gehört werden, die die Interessen der älteren Einwohner berühren. Damit schaffen Sie ein neues Gremium, das zwar nichts zu entscheiden hat, aber viel Bürokratie verursacht.

Beim besten Willen: Wollen Sie tatsächlich behaupten, dass 60-Jährige, 63-Jährige oder 65-Jährige einer besonderen gesetzgeberischen Fürsorge bedürfen, dass sie also nicht nur ihre Abgeordneten wählen dürfen,sondern auch noch ein besonderes Gremium brauchen, damit sie politisch mitwirken können? Ich glaube, das ist in der Sache falsch. Wir werden im Ausschuss darüber diskutieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU)

Vielen Dank, Herr Innenminister. – Mir liegen keine weiteren Wortmeldungen vor. Damit sind wir am Ende der Beratung über Tagesordnungspunkt 9 angelangt.

(Unruhe)

Ich darf um etwas mehr Aufmerksamkeit bitten, meine Damen und Herren. – Bevor ich den nächsten Tagesordnungspunkt aufrufe, möchte ich Sie darauf hinweisen, dass ich danach die Sitzung für die Mittagspause bis 14.15 Uhr unterbreche und dass demzufolge der Ältestenrat, zu dem eine Viertelstunde vor Wiederbeginn der Sitzung eingeladen wurde, um 14 Uhr tagt.

(Reinhard Kahl (SPD): Überweisung des Gesetzentwurfs!)

Entschuldigen Sie, ich habe es heute nicht so mit den Überweisungen. Ich nehme an, er soll an den Innenausschuss überwiesen werden. – Herr Wintermeyer, bitte.

Frau Präsidentin, wir wollen ihn an den Innenausschuss, federführend, und an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, mitberatend, überweisen.

Der Gesetzentwurf der Fraktion der SPD für ein Gesetz zur Stärkung der hessischen Kommunen und der Bürgerbeteiligung auf kommunaler Ebene, Drucks. 17/255, wird an den Innenausschuss, federführend, und an den Ausschuss für Wirtschaft und Verkehr, mitberatend, überwiesen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 3 d auf:

Vereidigung des stellvertretenden Landesanwalts durch den Präsidenten des Hessischen Landtags

(Die Anwesenden erheben sich von den Plätzen.)

Herr Dr. Alexander Herbert, ich darf Sie bitten, nach vorne zu treten. Nachdem heute Morgen durch den Wahlausschuss die Wahl der Landesanwaltschaft stattfand und Sie, Herr Dr. Alexander Herbert, zum stellvertretenden Landesanwalt gewählt wurden, komme ich zu Ihrer Vereidigung. Der Eid, dem Sie eine religiöse Beteuerung hinzufügen können, lautet:

Ich schwöre, dass ich mein Amt gerecht verwalten und die Verfassung getreulich wahren will.

Dr. Alexander Herbert, stellvertretender Landesanwalt:

Ich schwöre, dass ich mein Amt gerecht verwalten und die Verfassung getreulich wahren will.

Im Namen des gesamten Hauses wünsche ich Ihnen für Ihre Arbeit alles Gute.

(Beifall – Die Anwesenden nehmen ihre Plätze wie- der ein.)

Wir treten in die Mittagspause ein. Um 14.15 Uhr beginnt die Sitzung wieder.

(Unterbrechung von 13.07 bis 14.21 Uhr)

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich darf Sie begrüßen und darf um Entschuldigung für die Verspätung bitten. Der Ältestenrat hat etwas länger als erwartet getagt.