Protokoll der Sitzung vom 27.08.2008

Sie haben dazugelernt und stimmen heute zu.Das ist wunderbar. Vor einem Jahr war Ihnen das Thema, das Sie heute für das wichtigste dieser Plenardebatte halten, noch nicht einmal eine Zustimmung wert. Das gehört auch zur Wahrheit. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN – Zuruf des Abg. Jörg-Uwe Hahn (FDP))

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Nächster Redner ist Herr Kollege Irmer für die CDU-Fraktion.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Jetzt kommt die ganze Wahrheit!)

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal kann ich feststellen, dass wir uns mit unserem Antrag in der Kontinuität unserer Politik befinden. Verehrter Herr Kollege Wagner, deshalb haben wir auch keine Probleme, wenn wir im Ausschuss im Detail über Ihren Änderungsantrag, den wir im Kern ohne jeden Zweifel mittragen können, diskutieren. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn wir zu einem gemeinschaftlichen Gesamtergebnis kommen.

(Beifall bei der CDU)

Es gibt eine Reihe von Studien, die Studie des Geschichtslehrerverbands aus dem Jahr 2005, die Studie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aus dem Jahr 2004, die Studie des Forschungsverbundes SEDStaat der FU Berlin aus dem Jahr 2007. Sie alle kommen im Kern mehr oder weniger zu den gleichen Ergebnissen – Herr Kollege Greilich hat einige angesprochen –: Erich Honecker war der zweite deutsche Bundeskanzler, die Stasi ist ein ganz normaler Geheimdienst, die Schüler glauben, Einkommen und Vermögen wären in der DDR gleichmäßig verteilt gewesen – nicht alle sagen das, aber ein Teil –, Willy Brandt war ein DDR-Politiker, der Umweltschutz im Osten Deutschlands sei besser als im Westen,demokratische Wahlen gab es;über 50 % wussten nicht,wer die Mauer errichtet hat,30 % wussten,wer Ulbricht war, 60 % der westdeutschen Schüler sind der Auffassung, dass die DDR nicht unbedingt als Diktatur zu bezeichnen ist.

Das ist in Kurzform das aus unserer Sicht erschreckende Ergebnis.Deshalb ist Handlungsbedarf angesagt.Wir dürfen an dieser Stelle unseren Schülern keinen Vorwurf machen. Es handelt sich um eine Generation, die 20 Jahre Freiheit hinter sich hat. Für diese Generation ist all das Geschichte, was wir teilweise noch live erlebt haben. Deshalb müssen wir alles daransetzen, unsere Jugendlichen entsprechend zu informieren.

Aus meiner Sicht ist das Besorgniserregende daran, dass es an Trennschärfe zwischen Demokratie und Diktatur fehlt. Das ist das Kernproblem. Der Bundespräsident hat aus meiner Sicht recht, wenn er vor wenigen Wochen öffentlich erklärt hat, dass mehr DDR-Geschichte an den Schulen unterrichtet werden muss. Ich teile ausdrücklich auch das, was der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Wolfgang Tiefensee, erst vor wenigen Tagen in der „Welt“ erklärt hat. Er hat darauf hingewiesen, es gebe eine absurde Rückwärtsrolle hin zur DDR. Die Mauerbefürworter verharmlosten demagogisch DDR- und SED-Regime. Deswegen seien Aufarbeitung und Aufklärung sowie eine tiefere Befassung mit dem Thema nötig.

Er hat weiter darauf hingewiesen, dass wir im nächsten Jahr den 20. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Dies ist, so sagt Tiefensee, ein Grund zum Feiern, und er fügt hinzu: Haben wir nicht Großartiges geschaffen? – Ich denke, er hat recht.

(Beifall bei der CDU, der SPD und der FDP)

Der deutsche Philosoph Wilhelm von Humboldt hat einmal gesagt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Ich möchte es so formulieren: Wer die eigene Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht richtig einordnen,geschweige denn die Zukunft verantwortungsvoll gestalten.

Meine Damen und Herren, das, was wir heute in diesem Staat als Demokratie haben, ist mit viel Fleiß, mit Schweiß, mit Blut, mit Opfern von Generationen vorher erarbeitet worden.Deshalb dürfen wir nicht zulassen,dass braune Braune und rote Braune wie zu Zeiten der Weimarer Republik diese freiheitlich-demokratische Grundordnung von den Rändern aus in die Zange nehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es ist richtig, dass wir die Nazidiktatur aufgearbeitet haben, völlig unstreitig. Es war ein Terrorregime mit allem, was damit verbunden ist. Aber genauso richtig und wichtig ist es aus unserer Sicht, das Terrorregime der sozialistischen Republik DDR ebenfalls vorbehaltlos aufzuarbeiten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich zitiere den Direktor der Stasigedenkstätte in BerlinHohenschönhausen, Hubertus Knabe, der gesagt hat:

Erst wenn die kommunistische Diktatur den Deutschen auch so präsent ist wie das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts gelungen.

Ich ergänze dies durch ein Zitat durch Vera Lengsfeld, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und ehemalige GRÜNE, die erklärt hat: Es muss thematisiert werden, wie sich die Positionen der linken und rechten Sozialisten gleichen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert, wenn man sich die Parteiprogramme anschaut,was die roten Braunen und die braunen Braunen gemeinsam wollen. Beide wollen eine Vergesellschaftung von Grund und Boden. Beide wollen eine Verstaatlichung der Konzerne. Beide lehnen Privatisierungen ab. Beide wollen den Atomausstieg. Beide wollen einen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Beide wollen eine andere Gesellschaftsordnung. Beide wollen einen gesetzlich garantierten Mindestlohn, die LINKEN mit 8,44 c, die NPD mit 10 c. Beide wollen den Ausbau des Frankfurter Flughafens verhindern. Beide wollen die Abschaffung der EinEuro-Jobs. Die LINKE propagiert den demokratischen Sozialismus, die NPD propagiert den nationalen Sozialismus.

Bei beiden Systemen war eines immer gleich: Justiz ist instrumentalisiert worden. Sie war ein Mittel der Politik. Ich erinnere an den Volksgerichtshof zur Nazizeit, und ich erinnere an die Terrorurteile, die in letzter Konsequenz in der Ostzone gefällt worden sind. Ich kann Erich Honecker zitieren, der zum Thema Recht erklärt hat:

Die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft bestimmt die Funktion und den Ausbau des sozialistischen Rechtes. Dieses Recht ist Ausdruck der Macht der Arbeiterklasse. Es dient der Sicherung unserer sozialistischen Ordnung und setzt die juristischen Normen für das Zusammenleben der Menschen.

Justiz im Interesse der Parteipolitik – auch dies eine Gemeinsamkeit von Nazis und Kommunisten.

(Beifall bei der CDU)

Sie sind auch beide einig in der Ablehnung der Europäischen Union. Herr van Ooyen erklärt, die Europäische Union sei eine tödliche Festung, die Politik der EU sei auf Militärinterventionen ausgerichtet. In ihrem Innern herrsche Militarisierung. Das sagt Herr van Ooyen.

Dann schauen Sie bitte in das Programm der NPD. Dort steht:

Die Europäische Union ist keine Institution, die den Völkern Europas dient.Sie ist vielmehr eine Institution zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals...

Herr Kollege Lenz hat in einer anderen Debatte zu Recht darauf hingewiesen.

Es nimmt doch nicht wunder, wenn der Generalsekretär der NPD, Peter Marx, den Parteivorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine, gegen den Zentralrat der Juden in Schutz nimmt. – So weit dazu, was die Gemeinsamkeiten angeht, in der gebotenen Kürze.

Lassen Sie mich zu dem Thema DDR-Verbrechen etwas sagen.Wir haben darauf hingewiesen: In der Nazizeit sind im Namen Deutschlands bedauerlicherweise unendlich viele Verbrechen verübt worden.

(Marjana Schott (DIE LINKE): Bedauern Sie das wirklich? – Gegenruf des Abg. Axel Wintermeyer (CDU): Das ist eine Unverschämtheit! – Lebhafte Zurufe von der CDU)

Meine liebe Frau Schott, ich leiste seit 30 Jahren ehrenamtlich und hauptamtlich Arbeit für die Bevölkerung, für die Menschen. Meine gesamte Familie wohnte in der Ostzone, und ich kann gut verstehen, was Frau Metzger getrieben hat. Ich habe die Teilung der Familie live an meinem eigenen Leib, an meiner Familie erlebt, und ich möchte nie wieder in irgendeiner Form eine Diktatur in diesem Staat haben.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich lasse mir von Ihnen nicht sagen, was Demokratie und Freiheit ist – von Ihnen nicht.

(Anhaltender lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Mark Weinmeister (CDU),zur LINKEN gewandt: Das ist unglaublich! Nehmen Sie das zurück!)

Meine Damen und Herren, Herr Irmer hat das Wort.

Meine Damen und Herren, verehrte Frau Präsidentin, ich will auf die Verbrechen im anderen Teil Deutschlands eingehen. Ich erinnere an den Menschenhandel. 33.755 Menschen sind vom freien Westen aus der DDR für 40.000 bis 80.000 DM freigekauft worden. Ein guter Freund von mir, Mitglied meines Redaktionsteams im Gesundheitskompass, ein Arzt, hat seine eigene Frau aus den Fängen der Stasi herausgekauft. Sie war Ärztin. Fragen Sie einmal, was er für eine Lebensgeschichte hat. 60.000 DM hat er dafür hinblättern müssen, dass sie vom Osten in den

Westen gekommen ist. Frau Kollegin Wissler, das ist Ihr Sozialismus.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Ich hatte mit der DDR nicht viel zu tun!)

Meine Damen und Herren, ich erinnere an die Tausend Toten an der Mauer, an den Schießbefehl. Erich Honecker hat erklärt: Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, sind zu belobigen.

Stasi. Ich habe hier einen Brief unseres ehemaligen Landtagskollegen Dieter Fischer vorliegen. Es gab einen Fahndungsauftrag vom 25.11.1966 des Ministeriums für Staatssicherheit. „Fahndungsauftrag Fischer, Dieter“ steht darauf. Das ist unser Landtagskollege. „Die Fahndung wurde entsprechend Ihres Auftrages eingeleitet. Alle Einreisemeldungen, Benachrichtigungen sowie Rückfragen erfolgen unter der Fahndungsnummer 17160.“ Dann heißt es in einem Dossier unter anderem: „Das Haus der Fischers ist in ihrem Eigentum (Biskirchen, Lahn-Dill-Kreis). Andere Mieter wohnen dort nicht. Am 13.10.1967 stand auf dem Hof ein grauer Volkswagen mit dem Kennzeichen WA-C 533.“ Das war das Auto vom Kollegen Dieter Fischer.

Meine Damen und Herren, das war Stasi live bis hier in den Westen der Republik.

Ich erinnere an die gezielten Morde der Staatssicherheit. Ich erinnere an Einzelhaft, Folter,Trennung von Familien, Schlafentzug, physische und psychische Gewalt.

(Michael Boddenberg (CDU): Zwangsadoption!)

91.000 Hauptamtliche der Stasi gab es, 400.000 Nebenamtliche, allein 30.000 IMs im Westen. Ich glaube, dass Herr Gysi in der Lage wäre, über dieses Thema mitzureden.

(Beifall bei der FDP)

Freie Wahlen – Fehlanzeige. Meinungsfreiheit – Fehlanzeige.Pressefreiheit – Fehlanzeige.Reisefreiheit – Fehlanzeige. Wenn Sie studieren wollten, Frau Kollegin Wissler, dann mussten Sie mindestens in der FDJ sein,

(Janine Wissler (DIE LINKE): So wie Frau Merkel?)

oder Sie mussten in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sein. Wenn Sie das nicht waren, durften Sie nicht studieren. Das waren die Berufsverbote zu Ihrer Zeit. Frau Wissler, nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Zu- ruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))