Hans-Jürgen Irmer

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Verehrte Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist eben sinngemäß formuliert worden, wir müssten endlich einmal Geld in die Bildung stecken, es müsse mehr hinein. – Ich möchte mit einer Mär aufräumen, nach dem Motto, in der Vergangenheit sei nichts geschehen. Ich sage nur einige wenige Kernzahlen zu Ihrer Erinnerung.
Der Bildungsetat im Jahr 2008 liegt um exakt 700 Millionen c höher als im letzten – auch wenn Sie es nicht mehr hören können, Frau Kollegin Habermann, aber ich sage das gar nicht an Ihre Adresse, da Sie es hoffentlich verinnerlicht haben, aber Frau Cárdenas offensichtlich nicht – rot-grünen Jahr. Das sind Fakten.
Wir haben in der Zwischenzeit – und das wissen Sie auch – zusätzlich 3.500 Lehrerstellen.Wir haben heute so viele Lehrer im hessischen Schuldienst wie noch nie. Auch das gehört zur Wahrheit. Die Zahl der Referendarstellen ist um fast 4.000 erhöht worden, und anstelle des Unterrichtsausfalls, den wir vorgefunden haben – das hat auch etwas mit Recht auf Bildung zu tun –, geben wir heute pro Woche 112.000 Stunden Unterricht mehr, Woche für Woche 112.000 Stunden.
Auch die Lehrerzuweisung ist klar und präzise. Das, was den Schülern nach der Stundentafel zusteht,wird ihnen zu
100 % zugewiesen. Die Unterrichtsgarantie ist erfüllt. Es gibt überhaupt keine Diskussion in den Schulen.
Ich war am Montag in vier Schulen meines Wahlkreises. Ich habe ganz bewusst gefragt, wie es mit der Lehrerzuweisung aussieht, ob es Probleme gibt. Nein, wir sind so gut versorgt wie nie – das ist die klare Aussage von vier unterschiedlichen Schulleitern, von denen kein einziger in der CDU ist, um das am Rande zu sagen, sondern querbeet, ganz unterschiedlich.
Ich glaube, das ist insgesamt ein hervorragender Erfolg der gesamten Bildungspolitik der letzten neun Jahre. Das lasse ich auch nicht kleinreden.
Frau Cárdenas, was Sie hier machen, ist für mich einmal mehr gnadenloser Populismus.
Sie haben Forderungen aufgestellt, und der Kollege Wagner hat aus meiner Sicht völlig zu Recht darauf hingewiesen.
Sie haben keine Verantwortung. Sie wollen auch keine Verantwortung übernehmen. Wenn Sie sagen, Sie wollen eine Minderheitsregierung tolerieren, dann fordere ich Sie auf: Treten Sie in diese Regierung ein, damit Sie das, was Sie fordern, auch in die Tat umsetzen können.
Das wäre konsequent. Aber sich hierhin zu stellen und sich nicht zu interessieren, wer es bezahlt, das ist keine seriöse Politik.
Verehrte Frau Cárdenas, Sie müssen sich auch daran erinnern lassen: Was machen Sie dort, wo Sie in der Verantwortung sind? Ich erinnere an Ihren heutigen Parteivorsitzenden, den sozialdemokratischen Fahnenflüchtling, den Finanzminister-Fahnenflüchtling. Herr Lafontaine hat in seiner Verantwortung als Ministerpräsident des Saarlandes 11 % der Lehrerstellen abgebaut.
Er hat gleichzeitig 14 % der Polizeistellen abgebaut – so weit zum Thema Arbeitsplatzabbau, Herr Kollege van Ooyen, Frau Kollegin Wissler.
Frau Cárdenas, Sie regieren doch in Berlin mit. Ich habe mir die Mühe gemacht, nachzuschauen, wie die Berliner rot-rote Regierungspolitik aussieht. Sie könnten dort wunderbar beweisen, was alles möglich ist, wenn Kommunisten an der Regierung sind.Ich will Ihnen Überschriften aus Tageszeitungen in Berlin vorlesen, der „Berliner Morgenpost“ und anderen: „Junglehrer gehen aus Berlin weg; sie werden nur als Angestellte eingestellt“, „Der Senat plant eine Flexibilisierung“ – das klingt sehr schön – „der Lehrerarbeitszeit (zwei Stunden mehr)“, „Dritte Arbeitszeiterhöhung seit 2001“.
Die GEW, die ich selten zitiere, kritisiert in Berlin, dass keine Lehrer eingestellt werden. 700 Lehrer demonstrieren gegen schlechte Arbeitsbedingungen in Berliner
Schulen.Unterrichtsausfall:10 % fallen grundsätzlich aus. Kreuzberg hat 88 % Lehrerzuweisung, Zehlendorf 81 %. Um den Unterrichtsausfall zu reduzieren, hat der dortige Senator jetzt öffentlich erklärt, er holt die bereits pensionierten Lehrer wieder in den Schuldienst zurück. Das sagt Herr Zöllner.
Meine Damen und Herren, das ist Ihre Bildungspolitik. Es gibt einen Schulinspektionsbericht 2006/2007 für das Bundesland Berlin. Der Landeselternausschuss hat diesen Bericht kritisch überprüft und ist zum Ergebnis gekommen – das steht auch dort –, dass in 70 % der zu großen Lerngruppen mit 32 Schülern keine innere Differenzierung stattfindet. Ich zitiere: „An den Berliner Grundschulen fehlen 450 Erzieherinnen und Erzieher.“
Ich zitiere abschließend den Ex-Bildungssenator Böger, der öffentlich erklärt hat, Berliner Klassenzimmer „stinken zum Himmel“ – schlechte bauliche und hygienische Zustände.
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Kollegin, das ist die Berliner Politik.
Berliner Luft könnte man auch sagen. Es stinkt zum Himmel, wie Herr Böger sagt. – Sie sollten sich an dem messen lassen, was Sie woanders selbst verantworten. Aber hier von uns zu fordern, das alles zu machen, das ist nicht ganz seriös.
In Ihrem eigenen Antrag ist eigentlich schon ein Widerspruch. Sie sagen im ersten Satz, die Klassenobergrenzen werden um 20 % gesenkt, keine Klasse hat mehr als 25 Schüler. Wenn ich nur diese 25er-Regelung nehme, dann bedeutet allein dies einen rechnerischen Mehrbedarf von 4.000 Stellen. Sie wollen die Klassenobergrenzen um 20 % senken. In der Grundschule liegt sie bereits bei 25 Schülern. Heißt das in Ihrem Antrag – ich formuliere das als Frage –: Sollen die Grundschulen dann 20 Kinder pro Klasse haben? Dann käme zu den 4.000 Stellen, die ich eben genannt habe, noch eine Größenordnung von etwa 2.000 hinzu.
Dass das nicht finanzierbar ist – dass es schrittweise viele Wünsche gibt, wie Kollege Wagner sie genannt hat, ist unstreitig –, dass das in einer Summe nicht auf einen Schlag zu machen ist, das wissen Sie auch, zumal Sie keinen Finanzierungsvorschlag gemacht haben.
In einem Punkt haben Sie recht: Kleinere Klassen führen nicht automatisch zu einem besseren Unterricht. Das ist sicherlich so. Es gibt keine einzige belastbare Studie, die genau dies als Ergebnis hätte. Im Übrigen darf ich darauf hinweisen, dass die IGLU-Studie, die Grundschulstudie, zum Ergebnis gekommen ist, dass die Engländer im Vergleich der Länder in Europa am besten abgeschnitten haben. Die Engländer haben die größte durchschnittliche Kinderzahl pro Grundschulklasse, nämlich 29.
Damit ich nicht missverstanden werde: Dahin wollen wir natürlich alle nicht. Das ist völlig unstreitig. Aber das bestätigt im Kern schon das, was Sie in diesem Punkt ausnahmsweise zu Recht gesagt haben.Es erinnert mich auch an meine eigene Unterrichtszeit am Weilburger Gymnasium, als andere hier regiert haben. Damals waren Klassengrößen von 37 oder 38 Schülern an der Tagesordnung.
Meine Damen und Herren, ich möchte Ihnen sehr bewusst sagen, wie sich die Schülerzahlen in der Grundschule weiterentwickeln. 1998/99 hatten wir 262.000 Grundschüler, 11.800 Klassen und 8.640 Lehrer, also durchschnittlich 22,2 Kinder pro Grundschulklasse.
Heute haben wir 223.000 Schüler, 10.500 Klassen und 8.670 Lehrer.Im Klartext heißt das,dass wir in der Grundschule heute 39.000 Kinder weniger, aber rund 30 Lehrer mehr haben. Das zeigt, dass die Klassengrößen reduziert werden konnten. Wir haben heute landesweit einen Schnitt von 21,2 Kindern in der Grundschule.Auch das ist etwas, was sich sehen lassen kann.
Ich verkenne nicht – das hat Frau Kollegin Henzler zu Recht angesprochen –, dass es natürlich, weil es ein Durchschnittswert ist, auch Klassen gibt, die 27 oder 28 Kinder haben.Das ist aber kein Massenphänomen,es sind Einzelpunkte. Wir müssen gemeinsam überlegen, und da stimmen wir mit Sicherheit überein, was man dort tun kann, ob man z. B. die Möglichkeit hat – das wäre aus unserer Sicht eine Chance, ernsthaft darüber nachzudenken –, zusätzliche Differenzierungsstunden in diese großen Klassen hineinzugeben. Dann wäre diesen Klassen, diesen Schulen in letzter Konsequenz etwas geholfen.
Meine Damen und Herren, der Kollege Wagner hat aus meiner Sicht – es ist ungewöhnlich, dass ich ihn schon wieder loben muss –
zu Recht darauf hingewiesen: Es gibt viele Wünsche. Wir müssen das prioritär abarbeiten. – Das sehe ich genauso. Deswegen möchte ich mir erlauben, verehrte Frau Kollegin Habermann, auf die SPD einzugehen, was sie alles im Wahlkampf versprochen hat. Es sind nur fünf Zeilen.
Sie haben zum Thema Unterrichtsgarantie plus/verlässliche Schule erklärt: Es dürfen nur noch Lehrer in die Schule. Das, was wir heute beschlossen haben, ist im Übrigen ein Wortbruch verglichen mit dem, was Sie im Wahlkampf versprochen haben. Ich rechne einmal um, was das bedeutet.
Gut, sehr verehrte Frau Präsidentin. – 1.500 Lehrer dafür. Keine Klasse mehr als 25 Schüler. Das sind 4.000 Lehrer. Eine echte Ganztagsschule für Hessen flächendeckend ergibt 6.800 Lehrer. Gemeinschaftsschulen erhalten 20 bis 25 % mehr Lehrerzuteilung. Das sind 2.000 Stellen. Schulen mit vielen ausländischen Kindern müssen mehr Lehrer erhalten. Das hat Frau Ypsilanti gesagt. Das sind 1.000 Stellen. Der Kollege Schmidt erklärt am 12.12.2007, 2.500 zusätzliche Lehrer für die Grundschulen seien notwendig. Das macht zusammen in der Summe 18.300 Lehrerstellen, die Sie im Wahlkampf versprochen haben.
Ich komme zum letzten Satz. Wenn wir heute gemeinsam zu dem Ergebnis kommen, dass das überhaupt nicht finanzierbar ist, sondern dass wir uns wirklich darauf eini
gen müssen, Stück für Stück weitere Verbesserungen zu erzielen, dann wären wir einen Riesenschritt weiter.Aber dazu brauchen wir eine entsprechend solide Finanzierung und keinen Populismus.
Frau Kollegin Habermann, ich weiß nicht, warum Sie das als Unsinn bezeichnen, wenn ich Sie zitiere. Sie haben am 28.11.2007 in der „FAZ“ öffentlich erklärt,keine Klasse in Hessen dürfe mehr als 25 Kinder haben. Das sind umgerechnet 4.000 Stellen. Das haben Sie den Leuten vor der Wahl versprochen.
Der Kollege Schmitt hat am 12.12.2007 öffentlich erklärt: Wir wollen für die Grundschulen 2.500 zusätzliche Lehrer. – Von allem anderen ganz zu schweigen. Das haben Sie versprochen. Wenn Sie sich jetzt hier hinstellen und das hohe Lied auf die Grundschulen singen, möchte ich Sie gern noch einmal daran erinnern,was wir vorgefunden haben.
Die Jahreswochenstundentafel betrug im Jahr 1999 87 Jahreswochenstunden. Diese Jahreswochenstunden sind in der Klasse 1 bis 4 gegeben worden. Wir haben das auf 92 Stunden erhöht. Diese 87 Stunden standen theoretisch auf dem Stundenplan, aber tatsächlich haben Schüler 78 oder 79 Stunden bekommen. Heute bekommen sie 92, verteilt auf die vier Schuljahre. Das heißt im Klartext: Ein hessischer Grundschüler, der heute die Grundschule nach der Klasse 4 verlässt, hat effektiv über ein Dreivierteljahr mehr Unterricht als während Ihrer Regierungszeit gehabt.
Das hat etwas mit Recht auf Bildung und mit der Qualität von Bildung zu tun. Deshalb brauchen wir uns nicht von Ihnen vorhalten zu lassen, dass wir dort noch Defizite hätten. Sie würden es sich auf die Fahnen schreiben, wenn es Ihnen gelungen wäre, so viele Lehrer einzustellen, wie wir es getan haben. Es ist nicht wegzudiskutieren, dass insgesamt die Zahl pro Klasse im Schnitt gesunken ist, was nicht ausschließt – ich wiederhole mich –, dass es sehr
wohl Einzelfälle gibt, wo die Klassen zu groß sind. Daran müssen wir arbeiten.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal kann ich feststellen, dass wir uns mit unserem Antrag in der Kontinuität unserer Politik befinden. Verehrter Herr Kollege Wagner, deshalb haben wir auch keine Probleme, wenn wir im Ausschuss im Detail über Ihren Änderungsantrag, den wir im Kern ohne jeden Zweifel mittragen können, diskutieren. Es wäre sehr begrüßenswert, wenn wir zu einem gemeinschaftlichen Gesamtergebnis kommen.
Es gibt eine Reihe von Studien, die Studie des Geschichtslehrerverbands aus dem Jahr 2005, die Studie der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur aus dem Jahr 2004, die Studie des Forschungsverbundes SEDStaat der FU Berlin aus dem Jahr 2007. Sie alle kommen im Kern mehr oder weniger zu den gleichen Ergebnissen – Herr Kollege Greilich hat einige angesprochen –: Erich Honecker war der zweite deutsche Bundeskanzler, die Stasi ist ein ganz normaler Geheimdienst, die Schüler glauben, Einkommen und Vermögen wären in der DDR gleichmäßig verteilt gewesen – nicht alle sagen das, aber ein Teil –, Willy Brandt war ein DDR-Politiker, der Umweltschutz im Osten Deutschlands sei besser als im Westen,demokratische Wahlen gab es;über 50 % wussten nicht,wer die Mauer errichtet hat,30 % wussten,wer Ulbricht war, 60 % der westdeutschen Schüler sind der Auffassung, dass die DDR nicht unbedingt als Diktatur zu bezeichnen ist.
Das ist in Kurzform das aus unserer Sicht erschreckende Ergebnis.Deshalb ist Handlungsbedarf angesagt.Wir dürfen an dieser Stelle unseren Schülern keinen Vorwurf machen. Es handelt sich um eine Generation, die 20 Jahre Freiheit hinter sich hat. Für diese Generation ist all das Geschichte, was wir teilweise noch live erlebt haben. Deshalb müssen wir alles daransetzen, unsere Jugendlichen entsprechend zu informieren.
Aus meiner Sicht ist das Besorgniserregende daran, dass es an Trennschärfe zwischen Demokratie und Diktatur fehlt. Das ist das Kernproblem. Der Bundespräsident hat aus meiner Sicht recht, wenn er vor wenigen Wochen öffentlich erklärt hat, dass mehr DDR-Geschichte an den Schulen unterrichtet werden muss. Ich teile ausdrücklich auch das, was der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Beauftragter der Bundesregierung für die neuen Bundesländer, Wolfgang Tiefensee, erst vor wenigen Tagen in der „Welt“ erklärt hat. Er hat darauf hingewiesen, es gebe eine absurde Rückwärtsrolle hin zur DDR. Die Mauerbefürworter verharmlosten demagogisch DDR- und SED-Regime. Deswegen seien Aufarbeitung und Aufklärung sowie eine tiefere Befassung mit dem Thema nötig.
Er hat weiter darauf hingewiesen, dass wir im nächsten Jahr den 20. Jahrestag des Mauerfalls feiern. Dies ist, so sagt Tiefensee, ein Grund zum Feiern, und er fügt hinzu: Haben wir nicht Großartiges geschaffen? – Ich denke, er hat recht.
Der deutsche Philosoph Wilhelm von Humboldt hat einmal gesagt: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft.“ Ich möchte es so formulieren: Wer die eigene Geschichte nicht kennt, kann die Gegenwart nicht richtig einordnen,geschweige denn die Zukunft verantwortungsvoll gestalten.
Meine Damen und Herren, das, was wir heute in diesem Staat als Demokratie haben, ist mit viel Fleiß, mit Schweiß, mit Blut, mit Opfern von Generationen vorher erarbeitet worden.Deshalb dürfen wir nicht zulassen,dass braune Braune und rote Braune wie zu Zeiten der Weimarer Republik diese freiheitlich-demokratische Grundordnung von den Rändern aus in die Zange nehmen.
Es ist richtig, dass wir die Nazidiktatur aufgearbeitet haben, völlig unstreitig. Es war ein Terrorregime mit allem, was damit verbunden ist. Aber genauso richtig und wichtig ist es aus unserer Sicht, das Terrorregime der sozialistischen Republik DDR ebenfalls vorbehaltlos aufzuarbeiten.
Ich zitiere den Direktor der Stasigedenkstätte in BerlinHohenschönhausen, Hubertus Knabe, der gesagt hat:
Erst wenn die kommunistische Diktatur den Deutschen auch so präsent ist wie das verbrecherische Regime der Nationalsozialisten, ist die Aufarbeitung des SED-Unrechts gelungen.
Ich ergänze dies durch ein Zitat durch Vera Lengsfeld, ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin und ehemalige GRÜNE, die erklärt hat: Es muss thematisiert werden, wie sich die Positionen der linken und rechten Sozialisten gleichen.
Meine Damen und Herren, es ist schon bemerkenswert, wenn man sich die Parteiprogramme anschaut,was die roten Braunen und die braunen Braunen gemeinsam wollen. Beide wollen eine Vergesellschaftung von Grund und Boden. Beide wollen eine Verstaatlichung der Konzerne. Beide lehnen Privatisierungen ab. Beide wollen den Atomausstieg. Beide wollen einen Rückzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Beide wollen eine andere Gesellschaftsordnung. Beide wollen einen gesetzlich garantierten Mindestlohn, die LINKEN mit 8,44 c, die NPD mit 10 c. Beide wollen den Ausbau des Frankfurter Flughafens verhindern. Beide wollen die Abschaffung der EinEuro-Jobs. Die LINKE propagiert den demokratischen Sozialismus, die NPD propagiert den nationalen Sozialismus.
Bei beiden Systemen war eines immer gleich: Justiz ist instrumentalisiert worden. Sie war ein Mittel der Politik. Ich erinnere an den Volksgerichtshof zur Nazizeit, und ich erinnere an die Terrorurteile, die in letzter Konsequenz in der Ostzone gefällt worden sind. Ich kann Erich Honecker zitieren, der zum Thema Recht erklärt hat:
Die Entwicklung der sozialistischen Gesellschaft bestimmt die Funktion und den Ausbau des sozialistischen Rechtes. Dieses Recht ist Ausdruck der Macht der Arbeiterklasse. Es dient der Sicherung unserer sozialistischen Ordnung und setzt die juristischen Normen für das Zusammenleben der Menschen.
Justiz im Interesse der Parteipolitik – auch dies eine Gemeinsamkeit von Nazis und Kommunisten.
Sie sind auch beide einig in der Ablehnung der Europäischen Union. Herr van Ooyen erklärt, die Europäische Union sei eine tödliche Festung, die Politik der EU sei auf Militärinterventionen ausgerichtet. In ihrem Innern herrsche Militarisierung. Das sagt Herr van Ooyen.
Dann schauen Sie bitte in das Programm der NPD. Dort steht:
Die Europäische Union ist keine Institution, die den Völkern Europas dient.Sie ist vielmehr eine Institution zur Durchsetzung der Interessen des Kapitals...
Herr Kollege Lenz hat in einer anderen Debatte zu Recht darauf hingewiesen.
Es nimmt doch nicht wunder, wenn der Generalsekretär der NPD, Peter Marx, den Parteivorsitzenden der Linkspartei, Oskar Lafontaine, gegen den Zentralrat der Juden in Schutz nimmt. – So weit dazu, was die Gemeinsamkeiten angeht, in der gebotenen Kürze.
Lassen Sie mich zu dem Thema DDR-Verbrechen etwas sagen.Wir haben darauf hingewiesen: In der Nazizeit sind im Namen Deutschlands bedauerlicherweise unendlich viele Verbrechen verübt worden.
Meine liebe Frau Schott, ich leiste seit 30 Jahren ehrenamtlich und hauptamtlich Arbeit für die Bevölkerung, für die Menschen. Meine gesamte Familie wohnte in der Ostzone, und ich kann gut verstehen, was Frau Metzger getrieben hat. Ich habe die Teilung der Familie live an meinem eigenen Leib, an meiner Familie erlebt, und ich möchte nie wieder in irgendeiner Form eine Diktatur in diesem Staat haben.
Ich lasse mir von Ihnen nicht sagen, was Demokratie und Freiheit ist – von Ihnen nicht.
Meine Damen und Herren, verehrte Frau Präsidentin, ich will auf die Verbrechen im anderen Teil Deutschlands eingehen. Ich erinnere an den Menschenhandel. 33.755 Menschen sind vom freien Westen aus der DDR für 40.000 bis 80.000 DM freigekauft worden. Ein guter Freund von mir, Mitglied meines Redaktionsteams im Gesundheitskompass, ein Arzt, hat seine eigene Frau aus den Fängen der Stasi herausgekauft. Sie war Ärztin. Fragen Sie einmal, was er für eine Lebensgeschichte hat. 60.000 DM hat er dafür hinblättern müssen, dass sie vom Osten in den
Westen gekommen ist. Frau Kollegin Wissler, das ist Ihr Sozialismus.
Meine Damen und Herren, ich erinnere an die Tausend Toten an der Mauer, an den Schießbefehl. Erich Honecker hat erklärt: Genossen, die die Schusswaffe erfolgreich angewandt haben, sind zu belobigen.
Stasi. Ich habe hier einen Brief unseres ehemaligen Landtagskollegen Dieter Fischer vorliegen. Es gab einen Fahndungsauftrag vom 25.11.1966 des Ministeriums für Staatssicherheit. „Fahndungsauftrag Fischer, Dieter“ steht darauf. Das ist unser Landtagskollege. „Die Fahndung wurde entsprechend Ihres Auftrages eingeleitet. Alle Einreisemeldungen, Benachrichtigungen sowie Rückfragen erfolgen unter der Fahndungsnummer 17160.“ Dann heißt es in einem Dossier unter anderem: „Das Haus der Fischers ist in ihrem Eigentum (Biskirchen, Lahn-Dill-Kreis). Andere Mieter wohnen dort nicht. Am 13.10.1967 stand auf dem Hof ein grauer Volkswagen mit dem Kennzeichen WA-C 533.“ Das war das Auto vom Kollegen Dieter Fischer.
Meine Damen und Herren, das war Stasi live bis hier in den Westen der Republik.
Ich erinnere an die gezielten Morde der Staatssicherheit. Ich erinnere an Einzelhaft, Folter,Trennung von Familien, Schlafentzug, physische und psychische Gewalt.
91.000 Hauptamtliche der Stasi gab es, 400.000 Nebenamtliche, allein 30.000 IMs im Westen. Ich glaube, dass Herr Gysi in der Lage wäre, über dieses Thema mitzureden.
Freie Wahlen – Fehlanzeige. Meinungsfreiheit – Fehlanzeige.Pressefreiheit – Fehlanzeige.Reisefreiheit – Fehlanzeige. Wenn Sie studieren wollten, Frau Kollegin Wissler, dann mussten Sie mindestens in der FDJ sein,
oder Sie mussten in der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands sein. Wenn Sie das nicht waren, durften Sie nicht studieren. Das waren die Berufsverbote zu Ihrer Zeit. Frau Wissler, nehmen Sie das einfach einmal zur Kenntnis.
DDR-Planwirtschaft, Mangelwirtschaft. Während die Bonzen in Saus und Braus gelebt haben – Wandlitz lässt grüßen –, hat das Volk gedarbt. Wissen Sie noch, was die Dose Ananas gekostet hat? Meine gesamte Verwandtschaft kommt aus der Ostzone. Ich kann Ihnen das erzählen. Eine Dose Ananas hat 18 Ostmark gekostet. Ein Pfund Kaffee, wenn es denn da war, hat 60 Ostmark gekostet, ein Nylonhemd 120 Ostmark, und das bei einem Durchschnittseinkommen von 500 bis 600 Ostmark.
Meine Damen und Herren, ich erinnere an die HO, die Handelsorganisation, an die Intershop- Läden. Klassenlose Gesellschaft? Wer kam dort hinein? Dort sind Sie nur hineingekommen, wenn Sie Westgeld hatten. Da sind Sie mit Ihren Ostverwandten in die Intershop-Läden und ha
ben mit Westgeld bezahlt und den Verwandten das westliche Produkt gegeben, damit sie etwas Entsprechendes zu essen hatten – das war DDR live.
Bundesminister Tiefensee hat vor wenigen Tagen erklärt:
Ich finde es unerträglich, dass sich die LINKE nicht mit den Fragen der Verfolgung der Sozialdemokraten durch die SED nach 1945 auseinandersetzt.
Da hat er recht. Ich fordere Sie auf: Setzen Sie sich einmal damit auseinander.
Auf der anderen Seite kann er nicht erwarten, dass das funktioniert; denn 70 % der LINKEN kommen aus SED und DKP. Sie müssten sich ja von sich selbst distanzieren, und das funktioniert natürlich nicht.
Was erwarten Sie von einem Herrn Bisky, der am Schießbefehl zweifelt? Was erwarten Sie von einem Pit Metz,der 20 Jahre in der DKP war und sich wieder anschickt, an die Spitze dieser Chaotentruppe hier vorne zu gehen?
Was erwarten Sie von einem Bundestagsabgeordneten Gehrcke, der von der DKP kommt? Was erwarten Sie von einem Herrn Ettingshausen, der Sie berät und aus der SED Sachsen-Anhalt kommt? Es gibt auch eine Verbindung zur DKP. Ich habe einen schönen Brief vom September 1989, unterzeichnet von Herrn Mies, damals Vorsitzender der DKP. Herr van Ooyen, Sie kommen jetzt gleich dran.
An den Generalssekretär des ZK der SED – Lieber Genosse Erich! Wir sind dankbar für die bisherige solidarische Unterstützung.Wenn wir für das anstehende Jahr 1990 dennoch um eure Unterstützung in annähernder Höhe des Jahres 1989 bitten, dann vor allem deshalb, weil wir viel Geld ausgeben müssen, im nächsten Jahr Landtagswahlen haben...
Ich zitiere wörtlich:
Neben einer Reihe vorgesehener größerer Aktionen im Bereich Frieden und Abrüstung, Antifaschismus, soziale Anliegen entstehen uns zugleich Kosten (Sozialplan bei der Verringerung des haupt- amtlichen Apparates)...
Frau Wissler, da werden Arbeitsplätze abgeschafft.
Deshalb kommt Herr Mies zu dem Ergebnis:
Das alles in Betracht ziehend, möchten wir Dich, lieber Erich, bitten, uns doch auch für das kommende Jahr eine finanzielle Unterstützung in der Höhe von 64,5 Millionen DM zu gewähren...
Jetzt schauen wir einmal, wofür dieses Geld ausgegeben worden ist. Solidaritätsmittel werden unter anderem ausgegeben für die VVN,Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, 28 Mitarbeiter, 2,3 Millionen DM, und die DFU, 31 Mitarbeiter, 3,1 Millionen DM. Sie, Herr van Ooyen, waren der Geschäftsführer.
Sie wären ein Söldner Erich Honeckers. Einmal Kommunist, immer Kommunist.
Ich bedauere das, denn ich hätte hier noch ein bisschen mehr vorzutragen, Frau Präsidentin.
Ich möchte mit einem Zitat aus einem Brief hier schließen, den ein ehemaliger Landtagsabgeordneter und Kollege,Georg Prusko,der von 1969 bis 1983 im Landtag war, an unseren Fraktionsvorsitzenden, Herrn Dr.Wagner, geschrieben hat, in dem es um genau diese Thematik geht. Georg Prusko saß nämlich in Stasihaft. Er schreibt:
Ein weiteres Ereignis...,an das ich immer noch denken muss, ist die Begegnung mit zwei alten Sozialdemokraten in einer Zelle im Zuchthaus Waldheim. Diese Männer waren zu Zuchthausstrafen verurteilt worden, weil sie an den Idealen und Zielen der SPD festhalten wollten und sich geweigert haben,in die SED einzutreten.Es ist deshalb unerlässlich,die Öffentlichkeit darüber aufzuklären, was alles geschehen kann, wenn wir in Zukunft nicht wachsam sind. Diktatur bleibt Diktatur, egal ob von rechts oder von links. Unsere Parole muss lauten: Wehret den Anfängen!
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege van Ooyen hat eben das Stichwort „Berufsverbote“ genannt. Ich lege Wert auf die Feststellung, dass es in der freiheitlichen Demokratie Bundesrepublik Deutschland keine Form von Berufsverboten jemals gegeben hat.
Das, was Sie meinen, der sogenannte Radikalerlass von Willy Brandt, der aus dem Jahre 1972 stammt, nur zur Erinnerung, bedeutete sehr klar: Es ging um die Frage, ob jemand geeignet ist, aufgrund seiner Qualifikation im öffentlichen Dienst tätig zu werden. Es ist nicht eine Frage der politischen Einschätzung, sondern eine Frage der Qualifikation. Denn es heißt dort: Jeder Beamte muss jederzeit die Gewähr dafür bieten, für die freiheitlich-demokratische Grundordnung aktiv einzutreten.
Das ist der entscheidende Grundsatz, Eignungsgrundsatz, und nichts anderes.
Dass ausgerechnet Sie von Berufsverboten sprechen, das erstaunt mich schon. Das ist schon Chuzpe. Ich habe das eben ganz kurz angesprochen. Wenn im anderen Teil Deutschlands – ich spreche von meiner eigenen Familie – jemand Polizeibeamter werden wollte, weil er zu dem Beruf eine innere Affinität hatte, dann musste er Mitglied der SED oder der FDJ sein.Es ging vielleicht gerade noch die Mitgliedschaft in der LDPD oder in der Ost-CDU, oder in der Bauernpartei.Das waren Hilfskrücken.Es gab dort welche, die waren auch überzeugt.Aber viele, die damals in dieser Diktatur waren, sind dort hineingegangen, um einen persönlichen Lebensweg machen zu können.
Das ist ein großer Unterschied. Wenn Sie nicht Mitglied waren, durften Sie dieses oder jenes Studium beispielsweise gar nicht aufgreifen. – Das sind Berufsverbote.
Herr Kollege van Ooyen, Sie haben gesagt, Sie seien bekennender Marxist, und die Bezeichnung Kommunist sei für Sie kein Schimpfwort. Ich sage an dieser Stelle: Kommunismus und Marxismus sind unüberbrückbare Gegensätze zur Demokratie. Sie sind mit Demokratie nicht vereinbar.
Deshalb ist auch das, was Frau Kollegin Cárdenas gesagt hat, nicht sonderlich glaubwürdig, wenn der Genosse Wilken keine Probleme mit der DKP hat.Auch Sie selbst haben gesagt, Sie haben keine Probleme, wenn DKPler auf Ihrer Liste kandidieren. Oder: Die Genossin Cárdenas war selbst jahrelang Mitglied der DKP. Der Genosse Schaus zählt sich zur Sozialistischen Linken, und die Genossin Wissler ist Unterstützerin des marxistischen Netzwerks Marx 21. Sie fliegt, von Frankfurt aus, Frau Kollegin, vermute ich, nach Venezuela zu Hugo Chávez, um dort vom Sozialismus zu lernen. „Von Chávez lernen, heißt siegen lernen“,
war in der „Frankfurter Rundschau“ am 03.03.2008 zu lesen. Die Frage nach Ihrer Demokratieglaubwürdigkeit ist doch eine ganz spannende.Wie sieht denn die Politik dieses Herrn Chávez aus? Meine Damen und Herren, dieser Mensch hat beispielsweise die kolumbianische Terrororganisation FARC mit 300 Millionen c unterstützt.
Dieser Herr Chávez hat in Venezuela ein Sicherheitsgesetz verabschieden lassen, wonach Abhörmaßnahmen ohne richterliche Anordnung möglich sind,
wonach Bürger mit bis zu sechs Jahren bestraft werden können, wenn sie sich weigern, mit der Regierung zusammenzuarbeiten.
Herr Chávez war dafür verantwortlich, dass der regimekritische Fernsehsender Radio Caracas Televisión zwangsweise geschlossen wurde. Er hat dazu beigetragen, dass die Erdölindustrie, die Zementindustrie und die Stahlindustrie verstaatlicht wurden.
Jetzt sind die Banken an der Reihe, usw. usf. – Das ist Ihr Beispiel von lebendigem Sozialismus,
mit dem Ergebnis, dass die Erdölproduktion um 20 % gesunken ist, die Landwirtschaft um 25 %. Jetzt gibt es wieder Lebensmittelkarten und staatliche Läden – Mangelwirtschaft à la Ostzone, wie wir das kennen.
Werte Frau Kollegin, diese Form von Sozialismus wollen wir in diesem Lande nicht mehr haben. Einmal Sozialismus reicht.
Lassen Sie mich abschließend – deswegen hatte ich mich gemeldet – eine persönliche Erklärung abgeben, Herr
Präsident, wenn ich das an dieser Stelle darf. Es ist unterstellt, insinuiert worden: Na ja, ob er die Verbrechen der Nazizeit wirklich so schade findet, ob er das wirklich so sieht. – Wissen Sie, ich halte das schon für starken Tobak, ganz zurückhaltend gesagt. Ich bin seit 30 Jahren für diesen Staat tätig, in aller Regel – –
Ich glaube Ihnen. Die Anlage hat einen leichten Wackelkontakt.
Ich bin seit 30 Jahren ehrenamtlich, teilweise hauptberuflich für die Christlich Demokratische Union tätig, setze mich für die Menschen in diesem Staat und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung ein. Als jemand, der Diktatur in der Familie erlebt hat, muss ich mir von niemandem sagen lassen, dass ich klammheimliche Sympathie für irgendeine Form von Diktatur hätte.
Ich bin als einer von wenigen Kollegen während meiner beruflichen Tätigkeit im Fach Gesellschaftslehre in der Klasse 10, im Fach Gemeinschaftskunde in der Oberstufe, Klasse 12, mit meinen Schülern regelmäßig in Konzentrationslager gefahren. Ich habe das Thema Nationalsozialismus inhaltlich vorbereitet, aufbereitet. Der Abschluss dieser Unterrichtseinheit war immer, in Konzentrationslager zu fahren.
Wenn Sie mit jungen, fröhlichen Menschen auf Klassenfahrt unterwegs sind, morgens z. B. nach Dachau, nach Plötzensee, nach Struthof im Elsass fahren, hineingehen und nach zwei Stunden Führung herauskommen, dann haben diese jungen Menschen Tränen in den Augen. Das ist praktische Politik. Mir muss niemand sagen, was Nationalsozialismus heißt.
Sehr verehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren! Sehr verehrter Herr Kollege Wagner, Sie haben auf der einen Seite die Veränderungen beim G 8, die vom Minister vorgeschlagen wurden, begrüßt. Auf der anderen Seite hatte ich den Eindruck, dass Sie sich nicht so richtig über diese freuen konnten, da er Ihnen nun ein „politisches Spielzeug“ aus der Hand genommen hat. Ihre Freude war sehr verhalten.
Wenn wir schon gemeinsam Politik machen, was die Konstellation auch teilweise erfordert, dann meine ich, dass wir auch die Größe haben sollten, zu sagen: Das war ein guter Wurf. – Es steht Ihnen natürlich zu, zu sagen, dass wir von Ihnen einen Teil übernommen hätten. Das ist in Ordnung. Ich bin aber der Meinung, dass wir im Kern einen großen Schritt weitergekommen sind. Ich möchte daher an dieser Stelle dem Kultusminister herzlich zu dieser Leistung, die er hier vollbracht hat, gratulieren.
Ich glaube, es ist Ihnen gelungen, in einem schwierigen Fahrwasser dazu beizutragen, berechtigterweise etwas mehr Ruhe an die „schulische Front“ zu bekommen.
Lieber Herr Kollege Kaufmann, es bestreitet niemand, dass auch wir nicht fehlerfrei sind. Es mag sein, dass Sie ohne Fehler durchs Leben marschiert sind. Ich bin aber der Meinung,dass es zur Wahrheitsfindung dazugehört,zu sagen: Wir sind alle nur Menschen. Wir machen alle Fehler, und manchmal machen wir auch Fehleinschätzungen.
Passt Ihnen das etwa auch nicht? Es passt Ihnen nicht, wenn wir sagen, wir machen alles richtig.Wenn wir Ihnen aber sagen,dass wir auch Fehler machen,dann passt es Ihnen wieder nicht. Sie müssen sich langsam entscheiden und sagen, was Sie wollen. Ich weiß nicht, ob es überhaupt noch eine Chance gibt, dass Sie einmal sagen werden: Sie da vorne haben recht, aber Schwamm darüber.
Der Minister hat es aus unserer Sicht wirklich geschafft,in einer sehr schwierigen Phase dazu beizutragen, zu einer Entspannung und Beruhigung der Materie zu gelangen. Ich finde es ebenfalls gut, dass Regionalversammlungen stattgefunden haben und dass er mit den Lehrerverbänden und dem Landeselternbeirat gesprochen hat. Er hat außerdem mit den schulpolitischen Sprechern der Fraktionen gesprochen.Wenn man überlegt, dass es in Verbindung mit der Lehrplanstraffung von über 100 Schulen insgesamt über 500 Rückmeldungen inhaltlicher Art gegeben hat, ist festzustellen, dass dies nicht nur positiv ist, sondern, Herr Kollege Wagner, man könnte sogar, da sich so viele beteiligt haben, von einer Basisdemokratie sprechen. Es handelt sich also rundum um ein positives Verfahren.
Das Thema bleibt uns gleichwohl erhalten, da wir über Bildungsstandards und Kerncurricula noch zu sprechen haben werden. Wir müssen – das ist aufgrund der Rede des Ministers deutlich geworden – insgesamt Folgendes zum Ziel haben: mehr Entscheidungsfreiheit sowie Verantwortung für die einzelnen Schulen durch eine Flexibilisierung der Stundentafeln; Ganztagsangebote, was die pädagogische Mittagsbetreuung anbelangt, zunächst einmal in Bezug auf die G-8-Schulen, um die es nun geht; und, Herr Kollege Wagner, wir wollen ausdrücklich den Einstieg in die Dreißigerregelung.
Herr Kollege Wagner, Sie und die Kollegen von der Sozialdemokratie haben schulpolitische Forderungen gestellt; und alles kostet unterm Strich und in letzter Konsequenz viel Geld.Wir wissen – ich glaube, diese Auffassung teilen wir –, dass dies nicht alles gleichzeitig umsetzbar ist. Frau Kollegin Habermann hat während einer Diskussion mit dem Landeselternbeirat ebenfalls gesagt, dass man das Ganze prioritär sehen müsse. Ich teile ausdrücklich die Auffassung, dass man Prioritäten setzen muss. In diesem Zusammenhang kann man darüber streiten, wo man anfängt. Damit bin ich einverstanden.
Es hat nun aber eine Festlegung stattgefunden, indem gesagt wurde, dass wir bei den G-8-Klassen, und zwar ab der Klasse 5, mit der Dreißigerregelung starten.Wir brauchen nicht darüber zu streiten, dass dies perspektivisch auf alle übertragen werden muss. Dennoch ist es richtig, dass der Einstieg an dieser Stelle stattgefunden hat.
Meine Damen und Herren, bei allen Bemühungen um Konsens und Gemeinsamkeiten möchte ich gleichwohl deutlich machen, dass wir nicht all das akzeptieren können, was politisch vorgeworfen wurde. Herr Kollege Wagner und Frau Kollegin Habermann, es ist, politisch gesehen, zu verstehen, dass Sie erklärt haben, es sei ein ganz schreckliches Chaos gewesen, das Sie in den vergangenen neun Jahren vorgefunden hätten, und alles sei ganz schlimm gewesen. Ich glaube aber, dass man gelegentlich der Wahrheit die Ehre geben und darauf hinweisen muss, was wir in den vergangenen Jahren Gutes getan haben. Aber das reklamieren Sie heute wie selbstverständlich für sich. Wenn wir heute über 3.500 Lehrer netto mehr im Schuldienst haben, dann ist dies für dieses Land sowie die Bildung unserer Kinder durchaus positiv.
Dass wir heute 2.100 Referendare mehr in der Ausbildung haben, ist auch für den Lehrernachwuchs sowie für die Zukunftsfähigkeit des hessischen Bildungswesens gut.
Meine Damen und Herren, Sie hatten während Ihrer Regierungsverantwortung versprochen, mehr Referendarstellen zu schaffen. Ich will aber nur darauf hinweisen, dass Sie das nicht gemacht haben. Zu Ihrer Zeit waren es noch 2.600. Aktuell haben wir 4.700 Stellen. Ich begrüße ausdrücklich,dass wir uns darauf verständigen konnten,in einem gemeinsamen Antrag zu sagen:Wir wollen die Anzahl der Referendarstellen,die nun schon vorhanden sind, noch einmal erhöhen, sodass wir für die beiden Ausbildungsjahrgänge statt der 4.700 Referendarstellen künftig 5.600 haben werden.
Das finde ich hervorragend. Es zeigt aber auch, dass wir gemeinsam daran interessiert sind, die möglicherweise
vorhandene Problematik der fehlenden Lehrer zu lösen – gerade in den Fächern, die wir im Allgemeinen als Mangelfächer kennen.
Ich darf darauf verweisen,dass wir die Mittel – egal,ob Sie dies U+, verlässliche Schule oder Vertretungsmittel nennen;es interessiert mich offen gestanden im Moment auch nicht – erhöht haben. Zu Ihrer Regierungszeit betrugen diese 5,7 Millionen c. Wir haben heute für den gleichen Zweck 52 Millionen c zur Verfügung gestellt. Das ist das Zehnfache. Auch das hat dazu geführt, dass Bildung in Hessen verlässlicher und besser geworden ist.
Sie haben den Ausbau der Ganztagsangebote angesprochen. Sie haben kritisiert, dies sei alles zu wenig und zu langsam gegangen. Hierüber kann man in der Tat streiten. Aber auch in diesem Zusammenhang gilt – auch das ist die Wahrheit, und das wissen Sie –, dass Sie während Ihrer eigenen Regierungsverantwortung nicht ein einziges zusätzliches Ganztagsangebot genehmigt haben.
In den Jahren von 1995 bis 1999 war die Anzahl gleich geblieben, und zwar in der Größenordnung von rund 130 bzw. 140 Angeboten. Heute haben wir 530 Angebote. Das heißt, wir haben in dieser Zeit gemeinsam eine Vervierfachung erreicht.Das ist ein Fortschritt;und wir haben mehr als 130 Angebote geschaffen.
Wir wollen dies ganz konsequent weiterhin ausbauen.Das beinhaltet logischerweise nicht nur die Ganztagsangebote in offener, sondern auch Ganztagsschulen in gebundener Form.
Wir müssen dies sukzessive und in aller Ruhe fortführen.
Meine Damen und Herren, nun komme ich zum Schulbuchetat. Es ist bereits angesprochen worden, dass wir ein Defizit vorgefunden haben, da der Schulbuchetat chronisch unterfinanziert war. Wir haben im Jahre 2006 im Rahmen der Haushaltsplanungen beschlossen, die Schulbuchmittel zu erhöhen. Es gab hierfür ein Sonderprogramm in Höhe von fünf mal 5 Millionen c, sodass noch einmal 25 Millionen c obendrauf kamen.
Wir haben bei den Kindergärten und den Haupt- und Realschulen eine Reihe von Veränderungen getätigt.Wir haben den Bildungs- und Erziehungsplan sowie Sprachvorlaufkurse beim Übergang vom Kindergarten zur Grundschule eingeführt. Wir haben das Ziel der Grundschule erst einmal inhaltlich definiert. Wir haben Orientierungsarbeiten sowie schulformbezogene Lehrpläne und Stundenpläne eingeführt, und wir haben die Querversetzung eingeführt, die Sie de facto belassen wollen.
Sie argumentieren jetzt, das sei nur noch ausnahmsweise der Fall. Sie müssen Ihren Wortbruch in pädagogischer Hinsicht in irgendeiner Weise rechtfertigen. Meine Damen und Herren, Frau Kollegin Habermann, die Querversetzung war immer nur ein Ausnahmetatbestand für pädagogisch begründete Einzelfälle. Bei den Gymnasien gibt es eine Querversetzungsquote von 1,8 %. Allein das macht deutlich, dass es pädagogisch begründete Einzelfälle sind. Nichts anderes war jemals gemeint.
Das, was Sie jetzt hier formulieren, ist im Grunde genommen ein Rückschritt, weil Sie anerkennen müssen, dass Sie die Abschaffung der Querversetzung nicht hinbekom
men. Wenn jetzt zumindest die Klassen 5 und 6 drin sind, ist das sicherlich besser als das, was Sie ursprünglich gefordert haben.
Abschlussprüfungen in der Hauptschule, Abschlussprüfungen in der Realschule, SchuB-Klassen. Der Minister hat zu Recht darauf hingewiesen: In Ihrer Regierungsverantwortung sind 22,9 % der Hauptschüler ohne Abschluss abgegangen – 22,9 %.Die aktuelle Quote liegt bei 10,5 %.
Meine Damen und Herren, das sind immer noch 10 % zu viel. Darüber sind wir uns einig.
Aber was haben Sie denn, bitte schön, selbst dazu beigetragen, diese horrenden Zahlen zu reduzieren?
Das ist ein Ergebnis unserer Bildungspolitik der Vergangenheit.
Oberstufenreform, Lehrerbildungsgesetz, das ist praxisnäher. Außerdem haben wir – Frau Kollegin Henzler hat zu Recht darauf hingewiesen – die Schulwahlfreiheit in diesem Land teilweise erst wieder ermöglicht, wo sie gar nicht vorhanden war.Wir möchten,dass die Menschen auf Dauer in der Lage sind, auf der Basis der Eignung ihrer Kinder frei zu entscheiden, in welche Schulform sie ihre Kinder schicken. Das möchte ich nicht als Staat vorschreiben, sondern wir wollen, dass die Eltern das entscheiden. Wir brauchen ein begabungsgerechtes, vielfältiges und vielgliedriges Schulsystem, weil die Kinder unterschiedliche Begabungen haben. Sie brauchen unterschiedliche Lernangebote.
Deshalb sage ich in aller Deutlichkeit: Bei allen Fehlern, die wir gemacht haben, können wir in der Summe gleichwohl stolz auf das sein, was in den vergangenen neun Jahren in diesem Land in der Bildungspolitik geleistet worden ist.
Dass wir Anlass haben, darauf stolz zu sein, will ich mit einem aktuellen Gutachten belegen, das erst wenige Tage alt ist, einem Länderprofil des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln. Ich will das nicht überhöhen. Wir haben in der Vergangenheit häufig Gutachten unterschiedlichster Art gehabt. Wir haben sie häufig auch relativiert, weil jedes Gutachten kleine Fehlerquellen haben mag.Ich will aber einige wenige Sätze aus diesem Gutachten des Instituts der deutschen Wirtschaft zitieren.
Hessen ist einer der Motoren, der die Reform- und Innovationstätigkeit im Schulsystem mit am stärksten antreibt. Das Land gehört zur Spitzengruppe der Bundesländer. Dem Land ist eine hohe Innovationsbereitschaft zu bescheinigen.
Das gilt fast uneingeschränkt für sämtliche Qualitätsbereiche. Hessen hat beste Voraussetzungen für die Qualitätssicherung und die Autonomie von Schulen geschaffen. Auch beim Umgang mit Zeitressourcen punktet das Land. Hessen sorgt für frühe und flexible Einschulung und hat auch die
gymnasiale Schulzeit (wie alle anderen Bundeslän- der auch) auf acht Jahre verkürzt.
Meine Damen und Herren, Note 2+. Deshalb sage ich: Darauf können wir stolz sein.
Das ist Ergebnis dessen, was wir bildungspolitisch in der Vergangenheit gemacht haben.
Lassen Sie mich auf das eingehen, was der Minister, aus meiner Sicht ebenfalls völlig zu Recht, gesagt hat, was aber nicht nur von ihm gesagt worden ist, sondern auch von der Vereinigung der Schulaufsichtsbeamten,von Lehrerverbänden und vom Landeselternbeirat: „Freunde, wenn ihr Bildungspolitik macht: Wir haben Verständnis dafür, wenn es andere parlamentarische Mehrheiten gibt, dass man dann versucht, das, was man selbst für richtig erkannt hat, umzusetzen. Das ist völlig normal.“ Aber alle, unisono, haben gesagt: „Tun Sie uns einen Gefallen. Bitte keine Atomisierung, keine Kleinteiligkeit.“ – Frau Kollegin Habermann, Sie haben vorgestern auf der anderen Veranstaltung, an der wir gemeinsam teilgenommen haben, selbst von kleinteiligen Anträgen gesprochen, die Sie hier gestellt haben.
Deshalb möchte ich in der Tat an Sie alle, an uns alle, appellieren, diese Kleinteiligkeit einen kleinen Moment wegzudenken und zu überlegen, ob wir nicht gemeinsam ein Schulgesetz zimmern können, in dem wir gemeinschaftlich sagen: Wir haben ein paar Grundsätze, die wir versuchen, in die Tat umzusetzen. Das wird nicht bedeuten, dass wir uns in Grundsatzfragen, was die Schulstruktur angeht, einig sein müssen. Da wird es auf Dauer unterschiedliche Auffassungen geben. Die sind nicht kompatibel. Das gehört zur Wahrheit dazu.
Ich möchte Ihnen abschließend einige wenige Punkte im Sinne eines Ausblicks nennen. Ich könnte mir vorstellen, dass diese Punkte in der Sache gar nicht so streitig sind. Wenn wir diese Punkte gemeinsam in ein Schulgesetz kleiden und bestimmte ideologische Streitpunkte ausklammern, dann könnte es sogar gelingen, dass wir etwas Gemeinsames machen. Denn bis Ende nächsten Jahres gilt das Schulgesetz. Vielleicht kommt man nach der gemeinsam beschlossenen Anhörung im Ergebnis dazu, zu sagen: Das ist in der Tat so übergreifend, dass wir versuchen, das in das Schulgesetz einzubringen.
Ich möchte stichwortartig die enge Verzahnung von Kindergärten und Grundschulen nennen. Stichwortartig sei der Bildungs- und Erziehungsplan mit verbessertem Personalschlüssel ebenso genannt wie die Fortbildungsbereitschaft der Erzieherinnen, die im Übrigen extrem groß ist. Häufig können die Erzieherinnen gar nicht alle Fortbildungen wahrnehmen, weil es nicht genug Fortbildungsangebote gibt. Da ist eine Riesenbewegung in der Sache. In Teilbereichen müssen wir sicherlich auch über eine Veränderung der Ausbildung zur Erzieherin diskutieren.
Ich glaube, auch die flexible Eingangsstufe gehört zu der Thematik der parteiübergreifend geltenden Punkte. Der Erhalt der kleinen Grundschulen ist für uns aus pädagogischen Gründen eine ganz zentrale Frage. Ob ich eine Hauptschule verbundene Haupt- und Realschule nenne oder eine Stadtteilschule Regionalschule oder wie auch immer nenne, ist relativ unerheblich und sollte außen vor gelassen werden. Entscheidend ist:Wir haben Hauptschüler. Sie sind da, egal wie ich sie nenne. Um diese Kinder muss ich mich kümmern.
Deshalb ist die Frage, ob wir aus Hauptschulen eine Art Berufsfindungsschule machen – als Arbeitstitel –, mit einer veränderten Hauptschuldidaktik und -pädagogik, mit weniger Kindern in der Klasse, gerade in den Hauptschulen,mit weniger Unterrichtsverpflichtung für Hauptschullehrer, die im Grunde genommen mehr sozialtherapeutische Arbeit übernehmen müssen, die in das soziale Umfeld ihrer Kinder eintauchen müssen, von denen sie – das ist kein Vorwurf – häufig gar nicht viel wissen. Da stoßen teilweise Welten aufeinander. Da müssen wir aus meiner Sicht ansetzen.
Wir brauchen eine Realschule mit einem eigenen Profil. Ich glaube, es ist völlig unstreitig, dass die Berufsschulen im Sinne von SV+ weiterentwickelt werden müssen.Auch so etwas kann in einem gemeinsamen Schulgesetz implementiert werden.
Stärkung der Förderschulen. Die Kollegen leisten dort hervorragende Facharbeit. Das ist auch etwas, was mich unter pädagogischen Aspekten umtreibt, wenn wir über das Thema gemeinsamer Unterricht diskutieren. Ich weiß nicht, ob viele von Ihnen schon an einer Förderschule unterrichtet haben oder häufig dort waren. Meine Damen und Herren, das, was dort von Förderschullehrern geleistet wird, kann nicht jeder Pädagoge leisten.
Ich kann ganz persönlich als Gymnasiallehrer sagen: Ich glaube nicht, dass ich in der Lage wäre, diese Aufgabe in der Form durchzuführen, wie es die gelernten Förderschullehrer können. Deshalb brauchen wir die unterschiedlichen, differenzierten und begabungsgerechten Ausbildungsgänge.
Ich glaube auch, dass es unstreitig ist, in einem gemeinsamen Schulgesetz Ganztagsangebote, in welcher Form auch immer, zu fixieren.
Eigenverantwortung der Schulen. Frau Kollegin Henzler hat wie andere darauf hingewiesen, dass wir die Eigenverantwortung der Schulen brauchen. Dazu gehört Personaleinstellungskompetenz. Dazu gehört die Budgethoheit ebenso wie die Rechtsstellung einer Schule, die Aufgaben der Schulaufsicht, Backoffice, Unterstützungssysteme, Zusatzpersonal für die Schulen, in welcher Form auch immer. Ob das Schulsozialarbeiter oder Verwaltungskräfte für große Schulen oder Assistent-Teacher sind, sei dahingestellt.Wir sind uns in dieser Zielsetzung vom Grundsatz her durchaus einig. Was hindert uns also daran, zu versuchen, das in ein gemeinsames Schulgesetz einzubringen?
Ich glaube, dass wir uns einig darüber sind, dass wir auch Entlastungsmomente für Pädagogen brauchen. Wir brauchen eine veränderte Lehrerausbildung, nicht nur in der zweiten Ausbildungsphase – dazu liegt jetzt ein Antrag der FDP vor –, sondern auch in der ersten Ausbildungsphase im Sinne von noch mehr Praxisbezug, als wir dies derzeit haben.
Die Entlastungsmomente für Pädagogen halte ich persönlich für richtig und wichtig.Wir haben beispielsweise – das ist nicht mehr Diskussionsgegenstand, weil es schon selbstverständlich ist – die Altersteilzeit für Lehrer eingeführt. Wir haben den Lehrern die Altersentlastung, die Rot-Grün – auch das gehört zur Wahrheit – zurückge
nommen hatte, wiedergegeben. Auch das ist ein Beitrag zur Entlastung dieses Berufsstandes.
Außerdem haben wir den Lehrern die Vorgriffsstunde,die Sie nicht vorhatten zurückzugeben, zurückgegeben – jetzt, aktuell, mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben.
Meine Damen und Herren, kurzum: Wir müssen gemeinsam daran arbeiten – das halte ich auch für selbstverständlich –, dass die Klassen insgesamt kleiner werden. Ich glaube, dass wir die Chance haben.Wenn die Schülerzahl insgesamt zurückgeht, muss es unser Bestreben sein, die Zahl der Planstellen, die wir haben, zu erhalten. Alle Parteien haben in ihren Programmen gesagt: On top wollen wir in Schulen eine unterschiedlich große Zahl von Stellen zusätzlich schaffen. Wir können, glaube ich, auch diese Entlastungsmaßnahmen für Kolleginnen und Kollegen in letzter Konsequenz erreichen.
Ziel muss es sein, dass sich der Lehrer auf seine pädagogische Profession konzentrieren kann: auf die Wissensvermittlung und die Erziehung der Kinder. Wenn ich von Wissensvermittlung und Erziehung spreche, möchte ich damit deutlich machen, dass dies ein gemeinsamer Prozess ist. Es kann nicht sein, dass die einen für die Wissensvermittlung und die anderen nur für die Erziehung zuständig sind. Die Bildung, Ausbildung und Erziehung unserer Kinder sind ein Gemeinschaftswerk von Elternhaus und Schule.Wir müssen dafür sorgen,dass beide Seiten ihren Teil zum Gelingen des Ganzen beitragen.
Deshalb sage ich sehr deutlich – das hat der Minister ebenfalls sehr klar gesagt,und wie man das formuliert und ob das im Rahmenplan der SPD oder woanders steht, ist, offen gestanden, völlig egal –: Das Kind steht im Mittelpunkt aller unserer Bemühungen. Alles, was wir machen müssen, ist, Kindern eine gute Bildung zu geben und sie gleichzeitig gut zu erziehen, damit sie in ihrem Leben vorankommen, auf eigenen Füßen stehen können und zum Gelingen dieser Gesellschaft einen wertvollen Teil beitragen.
Meine Damen und Herren, ich glaube – es ist unstreitig, wenn ich das in dieser Form sage; das stelle ich mir zumindest so vor –,wenn es gelingt,diese wenigen – Pars pro Toto – Grundsätze gemeinsam zu diskutieren, könnten wir vielleicht etwas schaffen, was dieser Landtag noch nie geschafft hat, nämlich ein Schulgesetz auf den Weg zu bringen, das von einer großen, breiten Mehrheit getragen wird. Ich glaube, das würde dem System Schule, den Pädagogen,aber auch den Eltern guttun.Deshalb sollten wir uns gemeinsam die Zeit nehmen,bis zum Herbst nächsten Jahres zu versuchen, so etwas in die Tat umzusetzen. Des Schweißes der Edlen wäre es sicherlich wert. – Herzlichen Dank.
In welcher Form wird beispielsweise, da soeben von Gewalt und Extremismus die Rede war, die Stasi-Vergangenheit bzw. die Geschichte der DDR mit Mauer, Stacheldraht, Schießbefehlen sowie Spitzeldiensten à la Gysi und Konsorten in den Lehrplänen aufgearbeitet?
Hochverehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zu den drei Gesetzentwürfen in der gebotenen Kürze Stellung beziehen.
Ich fange mit dem Gesetzentwurf der Kommunisten an, die sich als Einzige in diesem Hause dafür ausgesprochen haben, dass die Gymnasialschulzeit wieder neun Jahre betragen soll, also G 9 flächendeckend für alle. Das ist nach unserem Verständnis nicht zeitgemäß, weil wir glauben, dass die geltende Regelung – Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 – richtig ist. Ich muss ganz offen sagen:Wir wären sonst das einzige Bundesland, das noch G 9 hätte.
Im Übrigen – diese persönliche Bemerkung werden Sie mir gestatten – halte ich es für eine Unverschämtheit, wenn ausgerechnet die Kommunisten von „Selektion“ sprechen. Eine Selektion gab es zu der Zeit, als ein anderes politisches System im östlichen Teil Deutschlands herrschte. Wer damals nicht in der Freien Deutschen Jugend war, wer die Jugendweihe nicht mitgemacht hatte oder Westkontakte hatte, der durfte überhaupt nicht studieren. Das war Selektion.
Zum Gesetzentwurf der GRÜNEN. Wir werden hierzu getrennte Abstimmung beantragen. Das ist kein Staatsgeheimnis. Das haben wir im Kulturpolitischen Ausschuss auch so gemacht. Wir werden natürlich, wie angedeutet, dem Vorschlag zustimmen, den kooperativen Gesamtschulen Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 zu geben. Der Formulierung betreffend die Durchlässigkeit werden wir hingegen nicht zustimmen.Wir tun das nicht etwa deshalb, weil wir etwas gegen Durchlässigkeit hätten. Ganz im Gegenteil, wir haben den Versuch unternommen, Durchlässigkeit und Anschlussfähigkeit in begriffliche und inhaltliche Nähe zu bringen. Das ist von den GRÜNEN nicht akzeptiert worden. Das müssen wir unsererseits akzeptieren, aber nur den formalen Begriff Durchlässigkeit aufrechtzuerhalten halten wir für falsch. Der Begriff Anschlussfähigkeit, den wir geprägt haben, ist im Grunde genommen weitreichender als die formale Durchlässigkeit, denn er bedeutet, dass die Schüler einen Rechtsanspruch darauf haben, so vorbereitet zu werden, dass sie dem Unterricht auf einer weiterführenden Schule inhaltlich folgen können.
Dem Änderungsantrag von den GRÜNEN betreffend das Ins-Benehmen-Setzen mit dem Schulträger stimmen wir zu, weil wir das für eine Selbstverständlichkeit halten.
Ich komme zuletzt zu dem Gesetzentwurf der SPD. Frau Kollegin Habermann, Sie haben hier den dritten Wortbruch gegenüber Ihren Wählerinnen und Wählern begangen. Sie haben im Wahlkampf landauf, landab erklärt, das „Turbo-Abitur“, G 8, werde ersatzlos gestrichen. Heute sind wir einen Schritt weiter, indem Sie G 8 nicht mehr generell infrage stellen. Sie sind zwar einen Schritt weiter, aber Sie haben den Wählern gegenüber etwas vorgetäuscht, um es einmal so zu formulieren.
Sie haben im Wahlprogramm erklärt, Unterrichtsgarantie plus und das Konzept verlässliche Schule würden abgeschafft. Jetzt haben Sie eine Formulierung gefunden, die inhaltlich mit dem deckungsgleich ist, was wir verlässliche Schule und Unterrichtsgarantie plus genannt haben. Das ist exakt das Gleiche, qualitativ gibt es hier keinen Unterschied.
Sie reklamieren hier 30 Millionen c. Richtig, diese 30 Millionen c haben die Landesregierung und der Landtag mit der Mehrheit seiner Stimmen zur Verfügung gestellt. Das ist ein bundesweit einmaliges Projekt. In keinem anderen Land in Deutschland gibt es ein solches Projekt, für das wir den Schulen 30 Millionen c zur Verfügung gestellt haben. Ich denke, darauf können wir ein wenig stolz sein.
Der dritte Wortbruch, Frau Kollegin Habermann: In Ihrem Programm steht, die Querversetzung werde gestrichen. Sie haben es im Original des Programms selbst so formuliert und gefordert. Jetzt kommt plötzlich ein neuer Antrag, ein gemeinsamer Antrag mit den GRÜNEN. Das ist ein Erfolg der GRÜNEN – das muss man nüchtern so sehen –, die eine differenziertere Auffassung zum Thema Querversetzung hatten und haben als Sie. Da Sie nicht
wollen, dass Ihr Antrag abgelehnt wird, sind Sie auf die Position der GRÜNEN übergeschwenkt. Sie haben Ihre eigene Position verraten und verkauft. Sie haben sich gesagt: Damit wir eine Mehrheit bekommen, sind wir bereit, die Querversetzung zu akzeptieren. – Im Wahlkampf haben Sie aber klipp und klar gesagt: Die Querversetzung wollen wir nicht, die wird abgeschafft. – Zumindest stand das so in Ihrem Wahlprogramm.
Wir halten es für richtig, dass die Querversetzung nicht abgeschafft wird. Wir brauchen sie aus pädagogischen Gründen. Sie schreiben in Ihrem Antrag, eine Querversetzung dürfe erst nach Anhörung der Eltern, nach Gesprächen erfolgen.Was meinen Sie, was in der Vergangenheit in den Schulen stattgefunden hat, bevor die Entscheidung für eine Querversetzung getroffen wurde? Die Klassenkonferenz hat sich zusammengesetzt, die Schulkonferenz hat getagt, Elterngespräche haben stattgefunden usw. Es hat eine intensive Beratung stattgefunden. Deshalb ist das, was Sie fordern, nichts Neues, sondern alltägliche Praxis in der Schule.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Herr Irmer, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ein letzter Satz. – Herr Kollege, Sie haben gesagt, Kräfte, die nicht dem Schulkollegium angehören, können im Rahmen der dafür zugewiesenen Haushaltsmittel als Externe beschäftigt werden. Über deren Eignung entscheide der Schulleiter. Richtig, meine Damen und Herren. Was haben Sie nicht alles gesagt, als wir die verlässliche Schule eingeführt und gesagt haben, der Schulleiter muss die Entscheidung treffen können,ob jemand geeignet ist oder nicht. Sie wollten ein polizeiliches Führungszeugnis haben. Von all dem ist nicht mehr die Rede. Das heißt im Klartext, Sie haben in diesen drei entscheidenden Punkten eine Kehrtwendung gemacht, wenn man es freundlich formulieren will. Man kann es politisch auch so formulieren:Sie haben vor der Wahl etwas völlig anderes gesagt als das, was Sie jetzt nach der Wahl machen.
Erster Vizepräsident Lothar Quanz:
Danke schön, Herr Irmer. – Für BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat Herr Wagner das Wort.
Verehrtes Präsidium, meine Damen und Herren! Liebe Kollegin Habermann, Sie haben zu Recht darauf hinge
wiesen, dass Kinder Zeit zum Lernen brauchen. Dem schließe ich mich ausdrücklich an. Aber wenn das richtig ist,dann stellt sich doch die Frage,was Sie in Ihrer eigenen Regierungszeit gemacht haben, um dieses Ziel zu erreichen.
Wenn Sie das heute ansprechen, müssen Sie einen winzigen Exkurs von einer Minute aushalten. – Lieber Kollege Wagner, es gibt hier auch neue Kolleginnen und Kollegen, die die bildungspolitische Historie nicht so gut kennen. Von daher betrachten Sie es als kleine kostenlose Nachhilfestunde.
Liebe Frau Kollegin Habermann, Sie haben während Ihrer Regierungsverantwortung – nicht Sie ad personam – die Stundentafel in den Klassen 1 bis 10 durchgängig um 10 % gekürzt. Sie haben damit den hessischen Schülern 50.000 Stunden Unterricht weniger zukommen lassen. Das war zum 01.08.1993.
Sie wissen – das haben wir zigmal diskutiert –, dass Sie durch fehlende Lehrerzuweisung dafür Sorge getragen haben, dass rund 100.000 Stunden Unterricht pro Woche zusätzlich ausgefallen sind.Wenn also damals ein Schüler in Hessen nach 13 Jahren das Abitur bestanden hat, dann hat er aufgrund der von Ihnen zu verantwortenden Unterrichtskürzungen maximal 11,5 Jahre effektiven Unterricht gehabt, d. h. weniger als heute.
Damit haben Schüler heute, ganz nüchtern betrachtet, mehr Zeit als während Ihrer Regierungsverantwortung. – So weit dazu.
Frau Kollegin Habermann, zweitens finde ich es nicht ganz fair, wenn Sie jetzt Frau Kollegin Henzler Hektik in Zusammenhang mit dem Thema G 8 und G 9 bei den kooperativen Gesamtschulen vorwerfen. Ich erinnere an die letzte Plenardebatte. Da habe ich hier gestanden und darauf hingewiesen, dass das aus unserer Sicht umsetzungstechnisch sehr schwierig ist. Sie alle haben im Kulturpolitischen Ausschuss gesagt:Wir wollen es aber, wir setzen es durch. – Wir haben uns angeschlossen und gesagt: Wenn wir es machen, dann gemeinschaftlich, und dann tragen wir gemeinsam die Verantwortung dafür, wenn es möglicherweise Schwierigkeiten gibt.
Sie haben zugestimmt, und es ist nicht ganz fair, wenn Sie jetzt der FDP vorwerfen, sie würde Hektik produzieren.
Ein dritter und letzter Punkt. Liebe Frau Kollegin Habermann, wenn ich bösartig wäre, was ich nicht bin – –
Ich sage das ganz liebevoll: Man könnte sagen, das ist schon wieder ein Wahlbetrug oder ein Wortbruch, den Sie heute begehen.
Ich will es nicht vertiefen. Das müssen Sie mit sich selber ausmachen. Der erste Punkt war die Frage: Mache ich et
was mit den LINKEN, oder mache ich es nicht? Das Zweite war, dass Sie im bildungspolitischen Bereich zum Thema U+/verlässliche Schule mehrfach öffentlich gesagt haben: Nur noch ausgebildete Lehrer dürfen an die Schule, nur noch Profis, keine Amateure.
Dann haben Sie hier einen Vorschlag eingereicht, der inhaltlich exakt identisch mit dem ist, was wir die ganze Zeit mit verlässlicher Schule gemacht haben.
Also, Kehrtschwenk, marsch. Sie haben den Leuten gesagt, mit Ihnen gibt es das nicht, aber jetzt machen Sie es. – Gut, Lernfortschritt ist in Ordnung. Als Pädagoge darf ich das sagen.
Dritter Punkt: Sitzenbleiben abschaffen, Querversetzung.
Ich komme noch darauf. Ich habe noch Zeit, Herr Kollege Wagner. Ich habe ein ganz kurzes Konzept. Ich genieße das im Moment. – Querversetzung abschaffen; das haben Sie in Ihrem Antrag eingehalten. Aber wenn Sie konsequent wären, müssten Sie sagen, dass Sie im Wahlkampf die Abschaffung des Sitzenbleibens gefordert haben.Da stelle ich mir schon die Frage,warum Sie das in logischer Konsequenz Ihrer Versprechen jetzt nicht gesetzesmäßig in die Tat umsetzen wollen.
Der letzte Punkt betrifft G 8/G 9. Frau Ypsilanti hat in mehreren Interviews, z. B. in der „Wetzlarer Neuen Zeitung“ im Mai letzten Jahres,erklärt,das frühe Abitur nach zwölf Jahren werde abgeschafft. – Das ist eine klare Aussage.