Protokoll der Sitzung vom 24.09.2008

der gemeinsam mit Tagesordnungspunkt 37 aufgerufen wird:

Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU und der FDP betreffend keine staatliche Bevormundung im Energiebereich – Drucks. 17/528 –

Die vereinbarte Redezeit beträgt 15 Minuten.Erster Redner ist der Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN, Herr AlWazir.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN macht auch nach diesem Vormittag einen weiteren Versuch, Sachpolitik in diesem Hause zu betreiben. Ich hoffe, das Haus wird diesem Ansinnen folgen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben am 27. Januar eine Landtagswahl gehabt, die das Ende der absoluten CDU-Mehrheit bedeutete. Ich denke, so viel dürfte unstrittig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD – Clemens Reif (CDU): Sie haben auch verloren!)

Ich weiß, es gab unterschiedliche Wahlergebnisse unterschiedlicher Parteien. Manche haben verloren, manche haben gewonnen.

(Clemens Reif (CDU): Sie haben verloren! Nur damit wir das wissen!)

Aber, Herr Kollege Reif, am Ende des 27. Januar war klar: Es gibt keine absolute Mehrheit der CDU mehr. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das hat die Türen für eine neue Energie- und Klimaschutzpolitik im Lande Hessen aufgemacht. Es hat die Türen für ein Ende der Blockade der erneuerbaren Energien aufgemacht. Das ist ausdrücklich gut so. Wir als GRÜNE können nur sagen: Endlich ist es passiert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei einem Blick zurück müssen wir konstatieren, wo wir als Bundesland Hessen stehen. Hessen hat beim Klimaschutz und bei den erneuerbaren Energien einen der letzten Plätze in Deutschland. Um es ganz deutlich zu sagen: Der Länderarbeitskreis Energie hat errechnet, dass Hessen beim CO2-Ausstoß pro Kopf das einzige aller 16 Bundesländer ist, das seit 1990 einen Anstieg der CO2Emissionen pro Kopf zu verzeichnen hat. Im Vergleich dazu:Thüringen hat minus 53 % – dann kommen noch et

liche andere ostdeutsche Bundesländer; das hat etwas mit dem Zusammenbruch einer völlig ineffizienten DDR-Industrie zu tun –, aber auch beispielsweise Rheinland-Pfalz minus 11 %, Bayern minus 8 %, Baden-Württemberg minus 8 %, Nordrhein-Westfalen minus 7 %, das Saarland minus 2,5 %,Bremen minus 0,3 % – und Hessen hat einen Anstieg der CO2-Emissionen pro Kopf im Vergleich zu 1990 von 3,4 % zu verzeichnen. Das ist der letzte Platz für Hessen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist ein beschämender letzter Platz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das korrespondiert mit dem Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung, also dem Anteil des Ökostroms in den verschiedenen Bundesländern.Das sind die Zahlen von 2005.Seitdem hat sich nicht viel getan, jedenfalls nicht im Bundesland Hessen, in anderen Ländern schon. MecklenburgVorpommern hat inzwischen 35 % des Stromanteils aus erneuerbaren Energien, Schleswig-Holstein 28 %, aber auch Sachsen-Anhalt 25 % – das sind die Zahlen von 2005; die sind inzwischen noch einmal sehr viel besser geworden – und Hessen 3,64 %. Schlechter als wir sind nur noch die Stadtstaaten – das kann man gut begründen, weil die flächenmäßig ein Problem haben, was Windenergie, Biomasse und Ähnliches angeht – und das Saarland.Auch dies ist ein beschämender Platz für Hessen. Wir müssen eine Aufholjagd beginnen, was die Senkung des CO2-Ausstoßes angeht und was die Förderung der erneuerbaren Energien in Hessen angeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist der Grund, warum wir im Umweltausschuss über alle Fraktionen hinweg – ich habe gesagt, der 27. Januar hat vieles möglich gemacht – beschlossen haben, dass der Umweltausschuss eine Anhörung zum Thema Energie durchführt. Meine sehr verehrten Damen und Herren, diese Anhörung hat stattgefunden. Sie lief über drei Tage. Es sind insgesamt 1.000 Seiten Papier an Stellungnahmen eingegangen. Es gab viele, viele Sachverständige und Anzuhörende. Bei der Vielzahl der Stellungnahmen und der Vielzahl der Anzuhörenden gab es unterschiedliche Meinungen zu den unterschiedlichsten Dingen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, eines kann man feststellen:Alle Experten – ich wiederhole:alle Experten – waren der Meinung, dass die erneuerbaren Energien ausgebaut werden müssen.Der einzige Streit ist gewesen,wie schnell und zu welchen Kosten. Unter dem Strich kann man sagen: Kein Experte hat die bisherige Energiepolitik der Regierung Koch für gut befunden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Wir haben eine große Aufgabe. Wir müssen bis zum Jahr 2020 – das hört sich weit weg an, das ist aber nicht mehr lange hin, das sind noch elf Jahre – als Bundesrepublik Deutschland unseren CO2-Ausstoß um 40 % gegenüber 1990 senken. Eine zweite Wiedervereinigung wird es nicht geben, die einen Zusammenbruch einer ineffizienten Struktur beinhaltet.

Als Land Hessen müssen wir von diesen 40 % ganz besonders viel erbringen, weil – ich hatte es schon gesagt – wir das einzige Land sind, das einen Anstieg hat. Lieber Herr Wirtschaftsminister, insofern gilt das für uns. Wenn

wir das für uns ernst meinen, müssen wir minus 43 % im Vergleich zu 1990 schaffen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Minister Dr.Alois Rhiel: Das ist lächerlich!)

Sagen Sie nicht „lächerlich“,das ist das Ziel der Bundesregierung, verkündet von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel. Nur damit das einmal klar ist.

Wir müssen das nicht nur als Selbstzweck sehen, sondern weil wir unseren Beitrag dazu leisten müssen, dass die Erderwärmung auf höchstens 2 °C begrenzt wird.Wenn uns dies nicht gelingt, werden wir Probleme bekommen, von denen sich heute noch niemand eine Vorstellung machen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch eine Feststellung aus der Anhörung: Herr Rhiel, Sie sind auch Wirtschaftsminister; der Erdölpreis hat sich im Schnitt pro Fass von 30 $ im Jahr 2003 auf 120 $ im Jahr 2008 vervierfacht. Der Kohlepreis hat sich seit 1996 verdreifacht, mit ansteigender Tendenz.

(Zuruf der Abg. Elisabeth Apel (CDU))

Anfang 2008 hat eine Tonne Kohle 63 c gekostet, sie liegt jetzt bei ungefähr 95 c.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, auch wenn die Brennstoffkosten bei der Atomkraft nur einen geringen Teil ausmachen, die Kosten für Uran haben sich in den vergangenen sechs Jahren versiebzehnfacht. Dabei handelt es sich übrigens auch um einen endlichen Rohstoff – das nur nebenbei, jenseits aller Sicherheitsrisiken und Endlagerprobleme.

Es ist deshalb nicht nur ein ökologisches,sondern auch ein ökonomisches Gebot der Stunde, dass wir jetzt auf die erneuerbaren Energien umsteigen, auch im Bundesland Hessen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir stellen als Ergebnis der Anhörung fest: Die erheblichen Potenziale in den Bereichen Energieeinsparung, Energieeffizienz und Ausbau erneuerbarer Energien sind in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt worden. Das Land Hessen ist in den letzten Jahren von einer Vorreiterrolle in der Umweltpolitik zu einem Bremser, zu einem Land geworden, das letzte Plätze innehat.

Wir stellen fest, dass wir eine Wende in der Energiepolitik des Landes hin zu einer zukünftigen umwelt- und sozial verträglichen Energieversorgung brauchen. Wir haben uns schon in kleinen Punkten auf den Weg gemacht. Das Land Hessen wird in Zukunft seinen eigenen Strombedarf aus zertifiziertem Ökostrom decken.

(Elisabeth Apel (CDU): Wo kommt der her? – Minister Dr.Alois Rhiel:Was ändert sich CO2-mäßig?)

Lieber Herr Wirtschaftsminister, wenn Sie wissen, was ein zusätzlicher Umweltnutzen ist – das haben wir dem Staatssekretär Dr. Walter Arnold auch noch einmal ganz besonders dargelegt –, nämlich wie viel Prozent aus wie vielen Anlagen kommen müssen, die höchstens wie alt sein dürfen, dann wissen Sie, dass das CO2-mäßig etwas ändert.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wir müssen das Stromeinspar- und Wärmeschutzpotenzial, das wir haben, nutzen, und zwar durch kraftvolle Schritte auch einer Landesregierung, als Ergänzung zu den Programmen der Bundesregierung,die es bereits gibt.

Aus unserer Sicht brauchen wir im Land Hessen ein Gesetz zur erneuerbaren Wärme, damit wir endlich auch an den Altbestand herankommen.Wenn Sie einmal nach Baden-Württemberg schauen, stellen Sie fest,dass es Länder gibt, die uns dabei weit voraus sind. Das ist übrigens keine parteipolitische Frage.Sie wissen,wer in Baden-Württemberg regiert.

Liebe Kollegin Apel, wenn ich Sie da so lächeln sehe: Uns ist aufgefallen, dass unser Gesetzentwurf aus der letzten Wahlperiode zur Gebäudedämmung im Nachbarschaftsrecht, also zur Erleichterung der Dämmung bei Grundstücken mit Grenzbebauung, den wir Satz für Satz aus der baden-württembergischen Bauordnung abgeschrieben haben, der für Sie damals noch der Untergang des Abendlandes war, heute als Gesetzentwurf der Hessischen Landesregierung vorliegt. Da merken wir, es scheint ein gewisser Umdenkungsprozess in Gang gekommen zu sein. Wir würden ihn allerdings gerne beschleunigen, und zwar massiv beschleunigen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Aus unserer Sicht brauchen wir einen Vorrang für erneuerbare Energien auch im Landesentwicklungsplan. Wir wollen eine Energie- und Klimaschutzagentur des Landes, die wirklich kraftvoll vorangeht, anstatt nur auf andere Länder zu schauen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Was wir nicht brauchen, ist eine Zementierung der bisherigen ineffizienten Struktur der Energieversorgung mit ineffizienten Großkraftwerken auf die nächsten 50 Jahre hinaus. Da bin ich beim Kraftwerk Staudinger.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Nicola Beer (FDP))

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben sehr ineffiziente Kohlekraftwerke, teilweise sehr alte, ineffiziente Kohlekraftwerke. Liebe Kollegin Beer, was E.ON bei Staudinger plant, ist ein weiteres ineffizientes Kohlekraftwerk, weil es nämlich faktisch heißt, wenn Sie Wirkungsgrade von 46 bis 48 % sehen, dass weiterhin über die Hälfte der eingesetzten Energie dazu benutzt würde, den Main zu heizen und Wolken über Hanau zu produzieren. Das kann nicht richtig sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Aus Sicht von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN wird es in Zukunft auch in Hessen Mindestwirkungsgrade geben müssen, die die Kraftwerke erreichen müssen; ansonsten sind sie in Zukunft nicht mehr genehmigungsfähig. Das gilt in Zukunft, wenn E.ON nicht von selbst dazu kommt, zu merken, dass es sich auf einem Holzweg befindet.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Es handelt sich um einen Entschließungsantrag.Wir stimmen heute auch über Punkt 4 ab, nämlich über die Frage, wie der Landtag zum Thema Staudinger steht. Ich möchte noch einmal ausdrücklich Herrn Bernotat,den Vorstandsvorsitzenden von E.ON, zitieren, der auf der Hauptversammlung von E.ON am 30.April 2008 sagte:

Wenn die hessische Landespolitik, in welcher Konstellation oder in welcher zukünftigen Regierung auch immer, das Kraftwerk ablehnt, dann können wir gegen diese politische Position eben das Kraftwerk nicht bauen. Das ist meine Aussage, und die steht auch.