(Beifall bei der LINKEN – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist unverschämt, was Sie sich erlauben! Eine Frechheit ist das, was Sie hier machen! – Fortgesetzte Zurufe von der CDU – Hans-Jürgen Irmer (CDU): Von Erich Honecker sind Sie, sonst gar nichts!)
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn wir alle jetzt die beiden Fraktionsvertreter der Fraktion DIE LINKE gehört haben, geht jedenfalls mir durch den Kopf, wie viele Abgeordnete der 38 Abgeordneten der sozialdemokratischen Fraktion und der Fraktion der GRÜNEN in den letzten Minuten vielleicht doch ganz insgeheim den vier Abgeordneten dankbar waren, dass sie ihnen das als Regierungspartner erspart haben.
Ich habe diese Bemerkung ausschließlich deshalb gemacht, weil ich glaube, dass Regierung, Parlament und Abgeordnete – ich gehöre diesem Hause auch schon sehr lange an – an einer Stelle miteinander bis zum letzten Punkt ringen und streiten müssen, nämlich in der Frage des Umgangs miteinander.
Ich sage Ihnen: Wenn ich Sie, Ihre Partei und Ihre Geschichte sehe, bin ich jede Sekunde stolz, einen freien Abgeordneten, der von niemandem zu etwas gezwungen werden kann, als Kernprinzip unserer demokratischen
Das trifft durchaus alle Parteien. Das trifft im Augenblick die SPD. Das hat an anderer Stelle auch schon meine Partei getroffen. Das hat an manchen Stellen in den Kommunen noch viel größere Bedeutung als in Landtagen oder im Bundestag, bis zu konstruktiven Misstrauensvoten auf nationaler Ebene: Nicht immer ist es so gegangen, wie es die Parteiführungen geplant hatten. Das ist aber im Zweifel der Fehler der Parteiführung, nicht der Fehler der Verfassung mit dem Institut des freien Abgeordneten. Diese Relation gehört am Ende dazu.
Mit dieser Entscheidung sind wir heute beim Abschluss der Arbeit einer kurzen Legislaturperiode, einer Legislaturperiode, die uns allen in ihrem emotionalen Auf und Ab – ganz unabhängig davon, wo wir stehen, in den Fraktionen, in der Regierung, in den Führungen der Fraktionen oder in der Mitgliedschaft – manches abverlangt hat. In dieser Wahlperiode kann sich niemand als Sieger empfinden. Meine Partei und ich selbst hatten eine Wahlniederlage als Eingangserlebnis. Sozialdemokratische Kollegen haben möglicherweise den Sieg, den sie errungen haben, schlicht überschätzt.
Es war eine Periode, in der wir uns, jedenfalls im Großen und Ganzen, bemüht haben, das zu machen, was man in einer Übergangszeit machen kann. Das wird niemals ganz befriedigend sein, denn es bedeutet, dass das Parlament nicht die Regierung ersetzen kann und die Regierung nicht das Parlament hat, das sie selbst durch Legitimation ins Amt gebracht hat.
Das war immer so.Deshalb will ich uns zur Erinnerung etwas zitieren, was Holger Börner anlässlich der Auflösung des Landtags am 4. August 1983 gesagt hat und was man wortgleich heute übernehmen kann:
Eine Regierung ohne die ständige Unterstützung einer Mehrheit des Landtags ist für beide Seiten, Landtag und Regierung, unbefriedigend; denn der Landtag kann gegenüber einer solchen Regierung seinen politischen Willen nur ungenügend zur Geltung bringen, und die Regierung kann ihre politischen Ziele und Vorstellungen nur begrenzt verwirklichen.
Die Richtigkeit dieser Worte ist durch die Monate unserer gemeinsamen Arbeit erneut bewiesen. Aber auch der zweite Teil gilt: Die Väter und Mütter unserer Verfassung haben eine Ordnung geschaffen, in der Sie mit den Verhältnissen in den Parteien nicht in der Lage waren, jedenfalls nicht auf Zeit, die Ziele umzusetzen, die mit Mehrheitsbildung verbunden sind – und trotzdem bleibt dies ein stabil regiertes Land.
Das ist auch eine Leistung von allen, wie letzten Endes heute die Entscheidung zu Opel gezeigt hat.Auch in einer Zeit des Übergangs wären wir in der Lage, eine solche Frage zu beantworten, wenn sie konkret gestellt würde. Wir hätten das in der Zeit einer geschäftsführenden Regierung gekonnt. Wir können das sogar in der Interimszeit, die zwischen zwei gewählten Landtagen liegt.
Bei allem Streit, den wir haben, sollten wir nicht unterschlagen, dass es auch diese Erfahrung gibt: dass wir in vielfältigen Fragen mit kompliziertesten Fragestellungen
wie etwa der Finanzkrise, der Mitwirkung der Bundesländer und manch anderem – die Handlungsfähigkeit des Bundeslandes Hessen in ihrer Substanz nicht verlieren, wenn Parteien für eine gewisse Zeit nicht in der Lage sind, neue Mehrheitskonstellationen zu schaffen.
Dieses Vertrauen kann bestehen, unabhängig davon, dass keiner im Parlament über die Tatsache glücklich sein kann,dass wir den Hessischen Landtag nach wenigen Monaten auflösen müssen und die Wählerinnen und Wähler erneut mit der Entscheidung über eine Mehrheit betrauen müssen. Dies ist ein Ergebnis der Ereignisse der letzten Monate.
In dem, was vor uns steht, werden wir sicher eine Diskussion und eine Auseinandersetzung auch über die Frage haben, was sich verändert hat, wie ernsthaft es sich verändert hat und wie stark das die Zukunft prägt.
Herr Kollege Al-Wazir, ich kann mit Ihnen z. B. die Frage, ob es eine Nachhaltigkeitskonferenz gegeben hätte oder nicht, nicht in der Weise beenden, dass einer von uns beiden recht hat. Ich sage Ja; Sie sagen, Sie glauben es nicht, und es wird Geschichte bleiben. Ich kann Ihnen aber sagen: Wenn ich Verantwortung trage, wird sie bestehen bleiben. Ich will nicht nur auf den Rat von Herrn Baake nicht verzichten,sondern auch auf den von vielen anderen nicht. Ich glaube, in der Tat hat diese Zeit erbracht, dass wir an einigen Stellen offener miteinander umgehen. Jetzt meine ich nicht die Parteien, sondern ich meine die Diskussionen in der Sache.
Ich rate uns allen, das nicht näher in Zweifel zu ziehen. Denn bei allen Schwierigkeiten, die wir gehabt haben, bei allem Unbefriedigenden,das in dieser Zeit der Instabilität dabei war, ist das auch ein Vorteil.
Ich verhehle Ihnen nicht: Natürlich sind wir jetzt in einer Debatte über das, was richtig und was falsch war, was wer gelernt hat.Das war ein Teil der emotionalen Achterbahn, wahrscheinlich auch für unterschiedliche Beteiligte an unterschiedlichen Stellen. Als Regierungschef werde ich persönlich das,was wir mit meiner Fraktion damals in Bad Wildungen gemacht haben, nicht vergessen – einen ganzen Tag lang mit endlosen Wortmeldungen zu diskutieren, Wortmeldungen, die wahrlich von Selbstzweifeln,Gott sei Dank aber eben auch von Stolz auf Vergangenes geprägt waren,wo man sich manchmal nicht richtig verstanden gefühlt hat. Das ist damals miteinander kollidiert.
Wir haben daraus Konsequenzen gezogen. Einen Teil dessen, was wir vorher für richtig gehalten haben, haben wir angesichts der Wählerinnen und Wähler ein Stück verändert.
Herr Schäfer-Gümbel, als Sie vorhin gesprochen haben, habe ich mir gedacht, es gibt schon einen ziemlichen Unterschied. Es stimmt, da ich immer noch der Gleiche bin: Die personelle Konstellation und das Angebot gegenüber den Wählerinnen und Wählern haben sich nicht geändert. Aber wir haben inhaltlich durch die Veränderung einiger uns wichtiger Positionen etwas gelernt. Sie haben die Person ausgetauscht – aber was haben Sie inhaltlich gelernt?
Diese Frage wird bleiben. Sie wird Bestand der Erfahrungen sein, die wir in dieser Zeit gemacht haben.
Ich bin froh, dass es uns gelungen ist, von der Frage der gymnasialen Struktur – also dessen, was man mit G 8 bezeichnet – bis hin zu der Frage der Häuser des Jugendrechts neue Impulse an Stellen zu setzen,die genau zu den Streitpunkten der Auseinandersetzungen mit den Bürgerinnen und Bürgern gehören.
Politik darf nicht erklären, dass sie sich von den Problemen wegbewegt.Wir sind jetzt in einer Zeit,in der wir den Wählerinnen und Wählern nur gegenübertreten können, wenn wir die jetzigen Herausforderungen mit Ernsthaftigkeit annehmen.
Wir müssen aufpassen, dass wir unser Bundesland nicht über Gebühr schlechtreden.Denn es ist eines,das selbst in der Krise im Vergleich zu anderen potenziell die besten Ausgangspositionen hat. Wir müssen aufpassen, dass wir mit dem Stolz der Bürgerinnen und Bürger arbeiten und nicht nur mit ihren Ängsten. Denn davon haben sie im Augenblick genug und wahrlich manchen Grund dafür.
Meine Damen und Herren,sie haben einen Anspruch darauf, dass wir die Fragen stellen – mit uns in streitiger Diskussion, denn das gehört zu dem Unterschied der politischen Parteien – und die Voraussetzungen dafür schaffen, dass eine nächste Regierung in diesem Parlament mit klaren Mehrheiten ausgestattet ist.
Denn das ist auch klar: Ein Bundesland, das mitten in Deutschland liegt und das sich, was die Qualifikation seiner Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angeht, vor niemandem scheuen muss, das mehr denn je seinen Platz im internationalen Wettbewerb hat, muss sich täglich positionieren. Das kann nicht in Deckung gehen. Das kann keine Entscheidungen verschieben, sondern das braucht eine starke, stabile politische Führung. Dies müssen wir Bürgerinnen und Bürgern auch mitteilen – dass wir das nicht können, sondern dass sie über die Stabilität entscheiden müssen.
Ich glaube, in diesem Landtag kann es eine Koalition geben. CDU und FDP jedenfalls sagen, sie könnten miteinander arbeiten. Sie werden sich entscheiden müssen, was Sie sagen. Sagen Sie, Sie drei wollen das, was das Regierungsprogramm war, das Sie vorgelegt haben, wieder machen?
Das ist für Wählerinnen und Wähler eine ziemlich ideale Konstellation: Zum ersten Mal müssen sie nicht darüber fabulieren, wer denn wen in einer Koalition über den Tisch zieht. Man kann es jetzt schon schriftlich sehen. Meine Damen und Herren, man weiß, wer was erreicht hat und wer was aufgeben musste. Das ist eine tolle Konstellation.
Herr Schäfer-Gümbel, eine Frage aber müssen Sie beantworten: Ist dieses Papier der drei – das zwei miteinander verhandelt und der Dritte toleriert hat – die Geschäftsgrundlage für Ihren Regierungswillen der Zukunft?
Das wäre eine wirklich spannende Debatte. Und das ist wichtig. Herr Kollege Schäfer-Gümbel, wenn man das am Beispiel der Brille erklären will:
Bei der Brille kommt es nicht darauf an, ob das Design stimmt, sondern ob die Sehschärfe richtig ist.
Wenn es Sie beruhigt, sage ich Ihnen: Wenn Sie glauben, Sie seien schöner als ich, akzeptiere ich das, und wir stellen den Streit über diese Frage auch ein. Es gibt genug andere Fragen, über die wir reden können.
Nur eines ist klar: Wenn ich die Wahlergebnisse sehe und wenn ich sehe, was die Umfragen aussagen, dann will ich mich mit Ihnen auseinandersetzen, da ich wissen will, mit wem Sie zusammenarbeiten wollen.