Herr Bouffier, die Frage, wie wir zu einer Großen Koalition stehen, ist in einer bestimmten Situation gestellt worden. Es wäre für uns der doppelte Wortbruch gewesen, Herrn Koch weiter im Amt zu lassen. Denn Sie haben vor uns eine Beugungserklärung ausgebreitet, die Bad-Wildunger Beschlüsse, nach dem Motto: „Herr Koch soll weiter im Amt bleiben. Am Inhalt machen wir ein bisschen was anders.Ansonsten bleibt es, wie es ist.“ Zum Zweiten hätte ein Politikwechsel auch nicht stattgefunden.
Das ist der Punkt, mit dem Sie versucht haben, hessische Verhältnisse zu gestalten. Der Ministerpräsident hat dann eine sehr staatstragende Rede gehalten, nach dem Motto: „Wir machen die Politik der offenen Tür.“ Wir haben sehr oft festgestellt, dass es eher eine Drehtür ist und manchmal die Tür auch vor dem Kopf gelandet ist.
Aber von einer offenen Tür, von einer anderen Form der politischen Kultur haben wir im Hessischen Landtag leider nicht sehr viel erlebt. Da gab es eine harte Rollenverteilung zwischen uns und der Regierung.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Peter Beuth (CDU) – Norbert Schmitt (SPD): Schwarzgeld! – Gegenruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Was anderes fällt Ihnen nicht mehr ein!)
In dieser Situation haben wir einen sehr schwierigen Meinungsbildungsprozess eingeleitet, der zu einem bestimmten Ergebnis geführt hat, nämlich dem Scheitern und heute zur Selbstauflösung des Hessischen Landtags.
Herr Wagner, damit will ich zu einem entscheidenden Punkt kommen, nämlich zu einer vergleichbaren Debatte des Hessischen Landtags am 25. Januar 2001. Dieser Debatte ist ein Beschluss der FDP auf einem Landesparteitag vorangegangen, der mit 184 zu 110 Stimmen gefasst wurde, und zwar nach dem größten Schwarzgeldskandal, den je eine Partei zu verantworten hatte – eine Partei, für die Herr Koch in besonderer Weise steht.
(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Ziemlich billig! – Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))
Damals stand die Frage im Raum, ob Sie den Mut haben – so viel zum Thema Moral und politische Kultur –, sich vor die Wählerinnen und Wähler zu stellen und zu sagen: Bewertet das, was angerichtet ist.
Sie haben im Hessischen Landtag mit der Mehrheit von CDU und FDP entschieden. Ich sage das, weil ich auch schon damals FDPler kannte: Das war kein Thema, das in der FDP sehr einfach diskutiert wurde.
Da gab es Leute, die erhebliche Bedenken gegen den einen wie gegen den anderen Weg hatten. Am Ende gab es eine Mehrheitsentscheidung von 184 zu 110, die die Fraktion der FDP geschlossen umgesetzt hat.
Deswegen sage ich Ihnen: Mit dem Thema politische Kultur und Moral in der Politik sollten gerade Sie ein bisschen vorsichtiger umgehen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das gilt erst recht für das sehr schwierige Verhältnis zwischen dem freien Mandat und dem Mehrheitsprinzip nach unserer Verfassung. Beides sind nämlich Verfassungsprinzipien. Das wollen wir nicht ganz vergessen. Dass das ein Spagat ist, dazu hat Herr Wagner wenige richtige Sätze gesagt.
Natürlich sind hier Grenzen überschritten worden. Ich sage das ausdrücklich. Hier sind auch viele Verletzungen entstanden. Das gilt für 42 sozialdemokratische Abgeordnete. Das gilt für neun grüne Abgeordnete. Das gilt für elf Liberale. Denn ich weiß, dass auch da das eine oder andere Thema diskutiert worden ist. Das gilt für sechs LINKE und für 42 Christdemokraten. Denn Gott sei Dank ist es so, dass bei den Volksparteien teilweise unter
schiedliche Wahrnehmungen über das eine oder andere existieren, auch wenn die veröffentlichte Meinung immer sehr klar und deutlich ist.
Ich will Ihnen aber sagen: Gerade wenn wir über politische Kultur in Hessen reden, geht es auch um die Frage, wer bereit ist, sich in welcher Form zu öffnen. Wir haben die Erfahrung aus neun Jahren, in denen Sie konsequent Ihren Apparat eingesetzt haben, um alles, was auch nur nach sozial-ökologischem Fortschritt aussah, niederzumachen. Das haben wir dauerhaft erlebt. Damit müssen Sie selbstkritisch umgehen.
Ich könnte jetzt viel zu den Teilmeldungen sagen: zum Landessportbund, den Feuerwehren, der Polizei, nach dem Motto, wie schwer das da alles ist und dass das alles, wenn Rot-Grün unter Linkstolerierung ist, abgeräumt wird.
Herr Wagner hat Gott sei Dank den Koalitionsvertrag hochgehalten. Ich sage Ihnen: Das hat alles nichts mit der realen Basis des Koalitionsvertrages zu tun.
Ich will Ihnen das ausdrücklich erläutern, auch mit der Charakterisierung meiner Person. Herr Wagner, ich nehme diesen Punkt gleich sehr offensiv auf, und zwar auf zwei Ebenen. Im Moment wird sehr viel über mich gesprochen, von der Brille bis zu weiß Gott was. Ich sage Ihnen, wir machen hier keinen Wettbewerb nach dem Motto: „Wer wird Germany’s next Topmodel?“ Im Übrigen, diesen Wettbewerb mit Herrn Koch würde ich bestehen.
Meine Damen und Herren, das ist ein rein optischer Vorgang und kein verbaler Vorgang. Bitte gucken Sie sich die Kollegen an. – Das Wort hat Herr Kollege Schäfer-Gümbel.
Was heißt „billig“? Ich könnte Ihnen ganz viele E-Mails zeigen, in denen sich die Menschen gerade über die Brillenmodelle von Herrn Koch und mir auseinandersetzen. Das ist weder für ihn noch für mich sehr freundlich. Das ist so.
Ich sage Ihnen: Politik – das ist der eigentliche Punkt – ist deutlich mehr als Inszenierung und Unterhaltung. Politik ist, das habe ich in den letzten Tagen mehrfach gesagt, die Kunst des handlungsorientierten Kompromisses. Wir müssen heute allesamt eingestehen, dass wir genau das nicht geschafft haben.
Worum geht es am 18. Januar? Die zentralen Themen dieses Landes sind nach wie vor unbeantwortet. Das gilt für das Thema Bildungsgerechtigkeit.Gerade nach gestern ist
deutlich geworden, dass die zentrale Frage, nämlich wie wir soziale Herkunft auf der einen Seite und Bildungserfolg auf der anderen Seite organisieren,nach wie vor nicht gelöst ist.
Nicht gelöst ist auch die Frage, wie wir Beschäftigung sichern. Es ist schon verwunderlich, wenn gerade die, die permanent danach geschrien und gerufen haben: „Wenig Staat und wenig Kontrolle“, sich jetzt aufführen wie der letzte Arbeiterführer. Das ist bei Herrn Rüttgers schon schiefgegangen. Herr Koch, das geht auch bei Ihnen schief. Das nimmt Ihnen niemand ab.
Das gilt auch für das Thema Energiewende. Es ist eine Frage der Generationengerechtigkeit, es ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts, wie wir Mobilität und Energieversorgung organisieren. Ganz sicher ist das eines der ganz großen Themen.
Letztlich ist natürlich die Frage, wie wir mit der Wirtschaftskrise umgehen, das vierte große Thema, über das wir zu reden haben.Wir haben heute einen gemeinsamen Punkt behandelt. Da sind auch Differenzen klar geworden. Diese Differenzen werden sicherlich auch in den nächsten Wochen klar werden. Herr Wagner, wir haben aus den hessischen Verhältnissen gelernt.
(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Indem Sie sich alle Optionen offenlassen! – Axel Wintermeyer (CDU): Keine Versprechungen! – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Mit den Kommunisten zusammenzugehen!)
Wir werden mit diesem Neuanfang, den wir gemacht haben,vor die Wählerinnen und Wähler gehen und ihnen sagen, wo wir Fehler gemacht haben, nämlich taktische und personelle Fehler und nicht inhaltliche Fehler.
Das werden wir sehr offen sagen. Der entscheidende Punkt ist, wenn ich mir die beiden Volksparteien anschaue, dass wir dabei offensichtlich die Einzigen sind. In Bayern ist nach einer krachenden Wahlniederlage kein Stein auf dem anderen geblieben. Dort ist über die Frage diskutiert worden, was falsch gemacht wurde.
Auf diese Auseinandersetzung freue ich mich, denn es geht in der Tat um Alt gegen Neu, es geht um alte Ideen gegen neue Ideen. Ich glaube, dass wir dabei sehr gut aufgestellt sind.
(Beifall bei der SPD – Dr.Christean Wagner (Lahn- tal) (CDU): Versuchskandidat! – Weitere Zurufe von der CDU)