Protokoll der Sitzung vom 14.05.2008

Wenn nämlich Herr Irmer – gerade lacht er so schön – der SPD eine Kehrtwende bei G 8 vorwirft, so meint er eigentlich Herrn Banzer.

(Beifall bei der SPD – Michael Boddenberg (CDU): Der ist aber nicht bei der SPD!)

Die Forderung der SPD nach einer sechsjährigen Mittelstufe ist bereits im Haus der Bildung nachzulesen.Herr Irmer, vor der Wahl haben Sie so oft und so falsch aus unserem Programm zitiert, dass Ihnen wohl einige entscheidende Absätze davon entgangen sind.

(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg.Michael Bod- denberg (CDU))

Herr Irmer, ich kann nachvollziehen, wie Sie sich im Moment fühlen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU):Ausgesprochen gut!)

Ich gebe gerne zu, auch für uns ist es überraschend, wie der geschäftsführende Kultusminister als großer Houdini ständig neue weiße Kaninchen aus seinem Hut zaubert, um G 8 erträglicher zu machen.Aber wir wissen, dass sich einige dieser Kaninchen nachher wieder in Luft auflösen werden, wie das bei einem guten Zaubertrick üblich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Welche Kaninchen sind denn das?

Als Erstes haben wir den Erlass über die Begrenzung des Nachmittagsunterrichts. Noch im Januar hatte ihn Frau Wolff als Lösung aller Probleme verkaufen wollen. Herr Banzer will ihn schleunigst dorthin befördern, wo er auch unserer Meinung nach hingehört, nämlich in den Papierkorb. Das ist sicherlich ein Kaninchen, das auch weiterhin sein Lebensrecht behalten wird.

Zweiter Vorschlag: Die Lehrpläne sollen schleunigst entschlackt werden. – Meine Damen und Herren, hier halte ich es mit dem Vorsitzenden des Hessischen Philologenverbandes Knud Dittmann, der diese Entschlackung als „flotte Redensart“ bezeichnet hat.Auf jeden Fall wird sie nicht zum gewünschten Erfolg führen, weil der Ansatz Stückwerk bleibt.

Nächstes Kaninchen: Gymnasien sollen Ganztagsschulen werden – aber nicht mit dem erforderlichen Lehrerzuschlag von 15 bis 20 %, wie das in Hessen für offene oder gebundene Ganztagsschulen vorgesehen ist. Nein, sie sollen dafür 1 bis 1,5 Lehrerstellen und das Modell der pädagogischen Mittagsbetreuung erhalten. Herr Banzer, was das mit einer Entlastung von G 8 zu tun hat, das werden Sie uns noch erklären müssen. Es ist auch weiterhin ungeklärt, wie dieser Trippelschritt zum neuen Schuljahr umgesetzt werden kann. Herr Banzer, mit Verlaub: Das erinnert schon wieder sehr an die wolffschen Mogelpackungen.

Der Clou ist jetzt die Wahlfreiheit aller Gymnasien zwischen G 8 und G 9. Meine Damen und Herren, so kann sich das Land nicht aus seiner Verantwortung für die Bildungspolitik herausstehlen.

(Lebhafter Beifall bei der SPD)

Ziele müssen klar definiert sein und dürfen nicht der Beliebigkeit anheimfallen. Die Wahlmöglichkeit für einzelne Schulen ist keine echte Wahl, sondern eine weitere Zersplitterung des Schulsystems in Hessen, in dem es zukünftig dann auch noch ein Zwei-Klassen-Abitur geben wird.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Herr Banzer, wenn Sie zu Recht befürchten, dass eine Folge von G 8 der Rückgang der Abiturientenzahl sein kann, dann müssen Sie auch die richtigen Konsequenzen ziehen und dürfen nicht den Schulen die Trümmer vor die Tür kehren.

Die SPD-Fraktion will nicht nur ein neues Zukunftskonzept, sie will auch Verbesserungen für die Schüler und Schülerinnen, die sich zurzeit und aktuell in G 8 befinden – und zwar nicht nur für die Schüler und Schülerinnen der kooperativen Gesamtschulen, sondern auch für diejenigen der Gymnasien. Mit unserem Vorschlag, eine Kontingentstundentafel für Mittel- und Oberstufe zu ermöglichen,geben wir den Schulen die Chance,ab diesem Sommer Unterrichtsstunden aus der Mittelstufe beispielsweise in die Orientierungsstufe zu verlagern. Eine bessere Stundenverteilung ist ad hoc möglich. Dies will ich an einem Beispiel deutlich machen.

Baden-Württemberg hat eine Kontingentstundentafel bis zur Klasse 9. Bis zur Klasse 9 können die Schulen dort 162 Unterrichtsstunden verteilen.Im Moment können in Hessen bis zur Klasse 9 166 Unterrichtsstunden verteilt werden. Das heißt:Wenn die Oberstufe als Möglichkeit eröffnet wird und die Orientierungsstufe einbezogen wird, dann ist es ad hoc möglich,für die Schülerinnen und Schüler eine Entlastung herbeizuführen, die sich bereits jetzt mit diesem unmöglichen Modell abquälen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Aber dies kann in Anbetracht der aktuellen Situation nur eine Möglichkeit sein. Sie sollten gleichzeitig mit uns den Weg für eine Reform gehen, die diesen Namen auch verdient.

Zusammen mit der Einführung von Bildungsstandards ist eine Ablösung der völlig überfrachteten Lehrpläne zum Schuljahr 2009 möglich. Es ist zum gleichen Zeitpunkt möglich, die Mittelstufe wieder sechsjährig zu organisieren. Es ist außerdem möglich, die Zeit zu nutzen, um das Kurssystem der Oberstufe so zu strukturieren, dass ein Schüler aufgrund seiner Kurswahl auch die Zeit bis zum Abitur selbst bestimmt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Solange die Oberstufe auch dreijährig sein kann, steht dem die Vereinbarung der KMK nicht entgegen. Daher können wir dieses Argument absolut nicht teilen.

Herr Banzer, wenn Sie Ihre Angst vor sinkenden Abiturientenquoten ernst nehmen,wenn die FDP endlich ihr eigenes Wahlprogramm ernst nimmt, in dem eine sechsjährige Mittelstufe gefordert wird, und wenn BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN den Begriff der Durchlässigkeit im Schulgesetz nicht nur wieder lesen will, sondern diese auch in der Praxis ermöglichen will, dann können wir uns heute auf den Weg machen, meine lieben Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Den Begriff haben Sie doch vergessen!)

Lieber Herr Kollege Wagner, dazu laden wir Sie alle herzlich ein. – Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz:

Frau Habermann, vielen Dank. – Ich darf Frau Cárdenas zur Einbringung des Gesetzentwurfs das Wort erteilen. Bitte sehr.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir haben einen Gesetzentwurf zur Änderung des Hessischen Schulgesetzes vorgelegt. Der Kern dieses Gesetzentwurfs ist die Wiederherstellung der sechsjährigen Sekundarstufe I – auch für den gymnasialen Bildungsgang. Die Stundentafeln werden damit in den einzelnen Jahrgängen reduziert. Sie sollen in ihren Grundzügen parallelisiert, und die Durchlässigkeit zwischen den Schulformen soll damit wiederhergestellt werden. Dies ist auch Inhalt des Gesetzentwurfs von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewesen. Die Stundentafeln sollen sukzessive auf der Basis der Gesamtstundentafel des Gymnasiums

umgestellt werden. Die Planungen hierfür sollten bis zum Schuljahresbeginn 2009/2010 abgeschlossen sein.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um das Problem des Turboabiturs etwas grundsätzlicher darzustellen. Frau Kollegin Habermann hat bereits vieles gesagt. Ich kann mich dem nur anschließen.DIE LINKE will,dass die Kinder so lange wie möglich gemeinsam lernen. So erfahren Kinder, dass es normal ist, verschieden zu sein. So ist es möglich, dass sie sich mit ihren unterschiedlichen Schwächen und Stärken ergänzen lernen. Das bedeutet, dass bereits im Kindergarten Mädchen und Jungen, Kinder mit und ohne Behinderungen, Kinder aus Hartz-IV-Familien und aus begüterten Schichten, Kinder unterschiedlicher Herkunft und unterschiedlicher Erstsprachen sowie unterschiedlicher religiöser Zugehörigkeit so lange wie möglich miteinander lernen und sich gemeinsam entwickeln können.

(Beifall bei der LINKEN)

Dies ist in skandinavischen Ländern bis zum Schulabschluss bzw. mindestens bis zum 15. Lebensjahr der Fall. Bei uns ist bereits in einem Alter von zehn Jahren Schluss. Bei behinderten Kindern wird diese gemeinsame Schulkarriere oft gar nicht begonnen. Spätestens mit zehn Jahren werden die Kinder in drei oder vier unterschiedliche Schulformen aufgeteilt, und zwar nach dem Motto: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wollen Sie die polytechnische Oberschule wieder haben?)

Die Eltern wissen ganz genau, mit welchen Abschlüssen bzw. Schulformen ihre Kinder die besten Chancen für ihr Fortkommen haben.

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

Es geht nicht um die Oberschule. – Die Abstimmung läuft mit den Füßen. Es gibt einen Run auf die Gymnasien, und zwar trotz des G 8. Den Hauptschulen droht jedoch das Aussterben. Jede Werbung für die Hauptschulen greift nicht, und das trotz der SchuB-Klassen.Auf der anderen Seite ist der Versuch, das Gymnasium mithilfe von G 8 den Begabten und Begüterten vorzubehalten, gescheitert.Hierfür bin ich sehr dankbar,denn schließlich ist hiermit der Versuch,Bildung vor allem der ökonomischen Verwertbarkeitslogik zu unterwerfen, gescheitert.

Wir alle wissen, dass das G-8-Fiasko im Wahlkampf das bildungspolitische Thema, vielleicht sogar wahlentscheidend gewesen ist. Die finanziellen Belastungen, die die Eltern schultern mussten, um ihrem Kind – es gibt noch immer Familien mit mehreren Kindern – mit Nachhilfe usw. die nötige Unterstützung zu geben, waren zu hoch. Wir wissen, dass im Bundesdurchschnitt jährlich pro Kind ca. 1.500 c Nachhilfekosten bezahlt werden. Ein großer Teil wird sicherlich von Eltern, deren Kinder auf das Gymnasium gehen, erbracht.

Die Opfer, die in einer so wichtigen Zeit wie der Pubertät erbracht werden mussten, waren zu groß geworden, denn die Schüler konnten nicht einmal ein wenig „abhängen“, sich mit Freunden treffen oder sich erholen. Sie mussten auf einen sportlichen Ausgleich sowie auf musische Hobbys verzichten. Die Klagen über die Belastungen der Schülerinnen und Schüler riefen sogar die Kinderärzte sowie Kinderpsychotherapeuten auf den Plan, die dringend vor weiteren Belastungen durch das G 8 warnten.

Nun warten die Schülerinnen und Schüler sowie die Eltern darauf, dass tatsächlich etwas passiert und dass der Landtag das Steuer herumreißt, damit der Stress für die Eltern,Kinder sowie für die Lehrerinnen und Lehrer endlich aufhört, und zwar so schnell wie möglich, also zum kommenden Schuljahr 2008/2009.

(Beifall bei der LINKEN)

Das hat auch die GEW in ihrer gestrigen Presseinfo unterstrichen; und sie fordert die Zustimmung des Hessischen Landtags zu unserem Gesetzentwurf. Sie wissen, dass DIE LINKE gegen jede Schulzeitverkürzung ist und dass sie das G 8 nicht nachbessern will, sondern zum G 9 zurückkehren möchte.

(Zuruf des Abg. Michael Boddenberg (CDU))

Dennoch haben wir einen Gesetzentwurf vorgelegt, der nur die Mittelstufe umfasst und Optionen für die Oberstufe offen lässt.Wir denken, dass die sechsjährige Mittelstufe das Kernstück jeder Schulzeitverkürzung sein muss. Denn in diesem Alter dürfen die Schülerinnen und Schüler nicht so verdichtet lernen müssen,dass kein Platz mehr für die Entwicklung von Freundschaften sowie die erste Liebe bleibt.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir hoffen sehr, dass dieses Kernstück bei SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mehrheitsfähig ist und dass der Landtag diese letzte Chance vor der Sommerpause dazu nutzt, eine Rückkehr zur bewährten sechsjährigen Mittelstufe zu erreichen – auch wenn man damit einem Gesetzentwurf zustimmen würde, den DIE LINKE eingebracht hat.

Wir haben – wie gesagt – bis zum letzten Moment darauf gewartet, ob es noch eine Einigung zwischen den Parteien gibt. Nun muss aber das Schlimmste verhütet werden, denn es darf kein weiteres Jahr der G-8-Quälerei geben. Das schulden wir unseres Erachtens den Wählerinnen und Wählern.Alles Weitere sollten wir aber im Ausschuss beraten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Erster Vizepräsident Lothar Quanz: