Protokoll der Sitzung vom 12.05.2009

Dazu kann man nur feststellen: Sie reden zwar nett über Europa, aber ansonsten, wenn man einmal Ihre Europapolitik, gerade die der Vorgänger- oder der schwarz-gelben Regierung rückwirkend betrachtet, haben Sie doch immer mehr auf dem Bremshebel gesessen, statt auf dem Gaspedal gestanden. Und das setzt sich hier fort.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Hahn als Kämpfer gegen die Bürokratie – dann schaut man in den Haushalt

(Horst Klee (CDU): Nur Sprüche!)

und sieht als Erstes, es werden 13 neue Stellen geschaffen. 13 neue Stellen im Kampf gegen die Bürokratie – da kann doch irgendetwas nicht zusammenpassen.

Herr Hahn, wenn Sie vielleicht einmal das Telefonieren einstellen und zuhören würden.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist genauso glaubwürdig wie Herr Stoiber als Oberbürokrat in Brüssel zur Bekämpfung der Bürokratie. Das schließt sich nahtlos daran an. So viel ist davon zu halten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe der Abg. Volker Hoff und Horst Klee (CDU))

Herr Hahn, was die Europafähigkeit des Landes Hessen betrifft – wenn Sie ein Defizit sehen, dass es an der Umsetzung hapert, dass Europamittel nicht gut oder nicht vollständig in die Regionen abfließen, dann wollen wir Ihnen gerne dabei helfen.Aber dafür – für eine neue Administration – jetzt neue Stellen zu schaffen, ist wahrscheinlich der falsche Weg.Sie müssen es überall verankern – Sie haben das angedeutet –: in den Ministerien, in den Behörden vor Ort. Dafür brauchen wir keine neue Antragskommission.

Schauen wir einmal auf die schwarz-gelben Jahre der Europapolitik zurück und erinnern uns daran, was uns im Gedächtnis geblieben ist. Es gab einen Europaminister Riebel. Der hat seine ganze Energie dafür eingesetzt, REACH zu verhindern, weil er gesagt hat: REACH, die Ordnung der europäischen Chemikalienpolitik, gefährdet den Standort der chemischen Industrie in Hessen.

Bei ihm war nie nur ein Wort zu hören,dass es mehr in Europa gibt, dass es auch einen Verbraucherschutz in Europa gibt und dass diese ganzen Sachen nicht gegen irgendjemanden gemacht werden, sondern dass wir Umwelt- und Verbraucherschutz kombinieren müssen. Das hat die Amtszeit von Herrn Riebel geprägt.

Dann kam Herr Hoff mit seiner kurzen Amtszeit. Was bleibt uns davon in Erinnerung?

(Gottfried Milde (Griesheim) (CDU): Vieles – der Apfelwein!)

Sie sagen es.Der heldenhafte Kampf der Hessen um den hessischen Apfelwein. Es wurden Szenarien nationaler Bedrohung beschworen durch das, was von Brüssel gekommen ist. Es wurden Konferenzen einberufen. Es wurde der Eindruck vermittelt,

(Volker Hoff (CDU): Sie sind ein simpler Schwätzer, wissen Sie das? – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na, na, na!)

dass Hessen kurz davorsteht, national in den Untergrund zu gehen. Ich finde, das ist gerade der Punkt. Beschäftigen wir uns doch einmal damit, was von hessischer Europapolitik bei den Bürgern hängen geblieben ist.

(Volker Hoff (CDU): Wenn Sie so in Brüssel auftreten! Das ist eine Schande! – Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Na, na, na!)

Wenn Sie es als Ihr größtes Verdienst empfinden, dass Sie den Apfelwein gerettet haben,sei es Ihnen gerne gegönnt. Aber dafür – das wissen Sie auch – hätte vielleicht ein Anruf in Brüssel bei der zuständigen Kommissarin gereicht. Dann hätten Sie das Problem auch lösen können.

Sie stellen immer den Kampf gegen Bürokratie, gegen die Bösen aus Brüssel in den Mittelpunkt Ihrer Politik, ohne einmal die Chancen Europas wahrzunehmen und ohne einmal davon zu reden, dass Europa für Hessen wesentlich mehr bedeutet. Und das wünsche ich mir von Ihnen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Aber Herr Hahn knüpft nahtlos daran an. Ich sage einmal: Wie haben Sie eigentlich darauf reagiert, dass Ihre Landwirtschaftsministerin vorige Woche die Veröffentlichung der Agrarzahlungen gestoppt hat – ein eindeutiger Verstoß gegen gemeinsames europäisches Recht?

(Kurt Wiegel (CDU): Das ist Datenschutz!)

Da auch die weiteren Gerichtsurteile negativ sind,besteht für Deutschland die Gefahr eines Anlastungsverfahrens durch ein Strafverfahren.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)

Jawohl, Herr Minister Hahn. Wenn Sie es nicht wissen, dann können Sie mir jetzt zuhören.

(Zuruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP))

Deutschland – Hessen an der Spitze – setzt sich gegen Europarecht.Warum machen Sie das? Nur weil Sie dem Bauernverband an diesem Punkt gefallen wollen? Nur weil Sie hier ein bisschen Zustimmung erheischen wollen? Aber Sie riskieren den ganz klaren Bruch mit europäischem Recht, wenn Sie gegen die Transparenz verstoßen. Wenn Sie das noch nicht wahrgenommen haben, dann sollten Sie mit Ihrer Kollegin einmal darüber reden, dass das so nicht geht und dass man damit wiederum kein positives Bild hessischer Politik setzen kann.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Judith Lannert (CDU): Lassen Sie einmal Ihre Belehrung, und kommen Sie zum Thema!)

Diese Transparenzrichtlinie ist doch eine Grundlage zukünftiger europäischer Politik. Wir wollen, dass Zahlungen offengelegt werden.Wir wollen, dass nachvollziehbar wird, wofür die Europäische Union Geld ausgibt. Wenn sich Hessen dagegen wehrt,dann wehren Sie sich auch gegen die Offenheit, gegen die Transparenz finanzieller Mittel, die in die Regionen kommen. Das kann nicht im Sinne der Steuerzahler sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren von der CDU, beim Thema Europa haben Sie sich kürzlich nicht gerade mit Lorbeer geschmückt: Bei der Aufstellung Ihrer Europaliste wollten Sie den Vorsitzenden der Europa-Union in die Wüste schicken und durch einen bekannten Europapolitiker aus dem Landtag ersetzen. Dazu kann man nur sagen: Liebe CDU-Basis, herzlichen Glückwunsch dafür, dass Sie so europafreundlich waren und doch noch anders gewählt haben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei, das kann man von Ihnen nicht behaupten. Gerade in Sachen Europa ist Ihre Politik von einer – man muss fast sagen – Europafeindlichkeit, von einer Europaskepsis geprägt. Wenn man die Reden Ihres Vorsitzenden hört, hat man den Eindruck, zurück zur nationalen Politik ist das, was wir in Zukunft brauchen.

Das ist der falsche Weg. Sie haben Ihre europafreundlichen Abgeordneten aus dem Europaparlament abgewatscht und aus dem Verkehr gezogen. Sie sind in Deutschland die einzige Partei, die sich gegen den Lissabon-Vertrag stellt und somit genau das verhindert, was Europa braucht, nämlich den Konsens über die LissabonStrategie, mehr Rechte für das Europäische Parlament, aber auch mehr demokratische Rechte.

(Judith Lannert (CDU): Und Sie versenken gerade Ihre Rede!)

Ich wünsche mir, dass Sie zu diesem Konsens zurückkehren, damit wir uns in Deutschland gemeinsam – ich glaube, wir haben hier eine große Mehrheit – auf dem Bo

den des Lissabon-Vertrags einigen und Europa voranbringen können.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In Europa brauchen wir neben dem wirtschaftlichen Ansatz aber auch den sozialen Ansatz. Den müssen wir in den Vordergrund stellen. Wir brauchen nicht ein Europa nur der Wirtschaft, sondern wir brauchen dringend ein Europa,das auch sozial zusammenkommt,das sich soziale Normen setzt. Nur so können wir die Mehrheit in dieser Gesellschaft mitnehmen.

Wir brauchen eine europäische Politik, die sich ganz klar auf den Weg begibt, um eine europäische Wissensgesellschaft zu begründen. Im Jahr 2009 befinden wir uns im Jahr der europäischen Kreativität und Innovation. Ich hoffe, das wird in vielen Schulen als Projekt umgesetzt. Das sollte auch für uns ein Ansporn sein. Herr Minister, Sie haben nicht erwähnt, dass wir das in vielen Schulen als Projekt voranbringen.

Ich möchte noch auf ein weiteres Thema eingehen, das Frau Osterburg hier eben nur am Rande gestreift hat.Wie wird das Projekt Europa weitergehen? Haben wir eine Perspektive? Haben wir Visionen von Europa?

Ich verstehe Europa in Zukunft nicht als eine Festung, die dichtmachen muss, die sich gegenüber dem Rest der Welt abschotten muss. Ich glaube, wir können es nicht hinnehmen,dass jeden Tag,jede Woche Menschen im Mittelmeer ertrinken und sich diese Europäische Union in Zukunft nicht darauf verständigen kann, eine einheitlich geregelte europäische Zuwanderungspolitik in Angriff zu nehmen.

Da ist auch Deutschland sehr stark in der Verantwortung. Das können wir nicht an Italien oder Spanien abschieben.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Frau Osterburg, Sie haben es angesprochen, und der Herr Minister hat einen Schlenker dazu gemacht: Sie wollen eine Partnerschaft mit einer Region in der Türkei. Ich habe gedacht, Sie sagen hier etwas zum Türkeibeitritt – eine der Fragen, die in den nächsten Jahren sehr wohl auf der Agenda steht.

(Judith Lannert und Peter Beuth (CDU): Sagen Sie doch etwas dazu! – Gegenruf des Abg. Tarek AlWazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Er ist doch gerade dabei! – Minister Jörg-Uwe Hahn: Der Tarek muss helfen!)

Ich sage Ihnen: Es ist ein verhängnisvoller Fehler, wenn wir die türkischen Reformbemühungen dadurch torpedieren,dass wir ihnen jede Aussicht auf einen Beitritt nehmen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Hahn, das habe nicht ich gesagt, sondern das hat Ihr außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion, Herr Hoyer,gesagt – und wenn wir mit der FDP in vielen Punkten nicht einig sind,so sind wir uns in diesem Punkt durchaus einig. Ich hoffe, Sie auch.

(Zuruf des Ministers Jörg-Uwe Hahn)