Protokoll der Sitzung vom 08.03.2012

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Es ist eine Abhängigkeit, die fast schon Suchtcharakter erlangt hat.

(Zurufe)

Herr Kollege Dr. Wagner, regen Sie sich doch nicht auf. – Letzten August waren es die Mitglieder der CDU, die die LINKEN als kalte Krieger benennen mussten. Dieses Mal sind es die Mitglieder der LINKEN, die die CDU mit Geschichtsklitterung aufs Korn nehmen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie wollen doch mit denen zusammengehen!)

Natürlich sind beide Anlässe unterschiedliche. Aber das Gemeinsame dieser wie etlicher anderer Aktionen ist der erkennbare Wunsch nach Selbstvergewisserung durch einen Spontanangriff auf den jeweils liebevoll ausgesuchten politischen Feind, nämlich den Reaktionär oder den Kommunisten, abhängig von der Richtung, aus der man schaut.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das sind doch Ihre potenziellen Partner!)

Deshalb will ich als Erstes darauf hinweisen, dass man sein eigenes politisches Lager allemal besser durch eigene Qualität, vor allem durch intellektuelle Qualitäten, also durch Innovationen und eigene politische Ideen, denn durch Beschimpfung anderer motiviert und beglückt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Um, wie in dem konkreten Fall, auf den sich der Dringliche Entschließungsantrag, Drucks. 18/5249, bezieht, zu erfahren, dass die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach in der Öffentlichkeit häufig mit merkwürdigen, gern auch am rechten Rand angesiedelten Äußerungen auffällt und ebenso gern damit auch provoziert, bedarf es eigentlich keiner Initiative im Hessischen Landtag.

(Beifall des Abg. Peter Seyffardt (CDU))

Das wissen wir ohnehin. Der angesprochene Tweet ist auch nicht der erste oder der einzige, der Kopfschütteln und/oder massiven Widerspruch hervorrufen muss.

Diesmal war es aber deutlich anders als die gewöhnlichen schlechten Zwischenrufe der Erika Steinbach. Das macht dann doch den Unterschied. Sie formulierte nämlich einen besonders widerwärtigen und infamen Angriff. Dieser dummdreiste Satz ist zwar ebenso wenig neu wie richtig. Aber er ist nicht nur in seiner Aussage, sondern obendrein auch noch deswegen vollständig unzulässig, weil er den Adressaten der Aussage im Unbestimmten lässt.

Ob dieser Tweet Frau Steinbach zwischenzeitlich dann doch leidtut, weiß ich nicht. Ich habe sie auch nicht danach gefragt. Dass sie damit einen geradezu unverzeihlichen Fehler gemacht hat, sollte ihr allerdings längst klar sein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN so- wie der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Günter Rudolph (SPD))

Auch in Abgrenzung zu dem, was Herr Kollege Lenz gerade ausgeführt hat, möchte ich in der gebotenen Klarheit wie auch Kürze hier feststellen: Das Verbrechersystem

der Nazis, der Nationalsozialismus, ist in der Menschheitsgeschichte beispiellos. Es verbietet sich deshalb jeder wie auch immer geartete Vergleich mit politischen Systemen oder Theorien auf der Welt.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU: Sie haben über- haupt nicht zugehört!)

Die von den Nazis industriell ins Werk gesetzte Vernichtung ganzer Völker aus nacktem Rassenhass heraus manifestiert das Böse schlechthin. Ihre Täter auch nur in den Kontext zivilisierter Politik zu bringen, verbietet sich damit ebenfalls schon im Ansatz.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es bleibt also dabei: Die Äußerung von Frau Steinbach war unsäglich. Sie vernehmlich öffentlich zurückzunehmen und auch hörbar zu bedauern, bleibt ihr weiterhin anzuraten. In diesem Sinne verstehen wir den Antrag der LINKEN. Deshalb stimmen wir ihm auch zu.

Die infolge des steinbachschen Tweets entstandene Diskussion unter Intellektuellen und die Frage, die z. B. der Kollege Lenz ein Stück weit angesprochen hat: „Wie links war die NSDAP?“, sollte und darf uns in der Politik keinen Anlass geben, sich ernsthaft mit den inhaltlichen Thesen des steinbachschen Tweets zu befassen. Wer das tut, der geht nämlich nachträglich noch einmal der Nazipropaganda, dem geschichtslosen Diebstahl von Begriffen, auf den Leim.

(Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Deshalb sollte für Erika Steinbach das Zitat gelten: „Si tacuisses...“ Sie mögen es selbst fortsetzen. Oder schauen wir in die Bibel, Hiob 13, 5: „Wollte Gott, ihr schwieget, so wäret ihr weise.“ – Ich bedanke mich.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU))

Die nächste Wortmeldung ist von Herrn Abg. Rudolph, SPD-Fraktion.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Noch ein Linksverteidiger!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Auf dem Weg hierher wurde ich von Herrn Dr. Wagner mit den Worten begleitet: „Noch ein Linksverteidiger.“

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Richtig!)

Ja, das können Sie wegen mir den ganzen Tag wiederholen. Ich glaube, Sie haben den Sinn dieser Diskussion nicht verstanden.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Aber Sie!)

Denn es ist nicht das erste Mal, dass Frau Steinbach, Bundestagsabgeordnete der CDU, möglicherweise rechtsextremistische Thesen vertritt.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das erfüllt den Tatbestand der Beleidigung, was Sie jetzt gesagt haben! – Weitere Zurufe von der CDU)

Ja, ja. – Ich will jetzt nicht auf die Diskussion eingehen, ob die NSDAP eine linke Partei war. Das lasse ich weg. Wenn die Piratenpartei in einem Atemzug mit diktatorischen Systemen genannt wird und – dagegen verwahren wir uns als Sozialdemokraten – Sozialdemokraten Gleichschaltung vorgeworfen wird, dann ist das kein Ausrutscher, sondern eine bewusste Provokation, nicht die erste von Frau Steinbach. Wir verwahren uns als Sozialdemokraten gegen diese Beleidigung von Menschen, die für ihre politischen Ideen und Ideale gerade auch von Nazis verfolgt wurden.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Wir brauchen keine Belehrungen, insbesondere nicht von Frau Steinbach.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sie waren gar nicht gemeint! Es war die Linkspartei gemeint!)

Ob diese Aussage von Ihnen das Ganze besser macht, da habe ich Zweifel.

Herr Kollege Lenz, auch bei Ihnen habe ich mich gewundert. Sie machen das, was Sie gerne bei einem Thema machen, das Ihnen möglicherweise unangenehm ist.

(Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Sie hätten auch sagen können, Sie teilen nicht die Auffassung von Frau Steinbach, es ist nicht die Position der CDU.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Auch das wäre eine Möglichkeit gewesen, klarzustellen: Sie distanzieren sich von den falschen, beleidigenden Äußerungen von Frau Steinbach. – Das wäre möglich gewesen. Es ist zulässig. Es ist nicht verboten.

(Aloys Lenz (CDU): Das war nicht das volle Zitat! – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Auch wenn man mit Halbzitaten arbeitet: Wir fragen uns, warum Frau Steinbach das macht.

(Holger Bellino (CDU): Lesen Sie sich die Rede durch! – Weitere Zurufe von der CDU – Glockenzeichen des Präsidenten)

Das, was sie Anfang Februar getwittert hat, wollten wir zu diesem Zeitpunkt diskutieren, weil es aktuell war. Es wäre auch richtig gewesen, es gleich zu diskutieren und auszuräumen. Das haben Sie verhindert. Frau Steinbach hat dann selbst gesagt, sie sei keineswegs zerknirscht über die Diskussion und den Streit. Am Donnerstag, den 2. Februar, twitterte sie: „Interessant, alle Linken“ – damit meint sie auch die SPD – „sind aus ihren Löchern gekommen. Provokation hat sich gelohnt. Danke, es war spannend.“

Sprache ist verräterisch. Wenn es Ihnen wirklich darum geht, dass wir die Demokratie gemeinsam stärken – wir haben in den letzten Wochen spüren müssen, dass es Men

schen gibt, die verfolgt, die ermordet werden, weil sie eine andere politische Auffassung haben –, dann sollten Sie auch klar sagen: Nein, Frau Steinbach, Sie haben die rote Linie überschritten. Das, was Sie gesagt haben, ist nicht akzeptabel. – Den Mumm sollten Sie haben. Sie sollten nicht versuchen, mit irgendwelchen kruden Geschichtsvergleichen

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

ein einzigartiges Unrechtssystem wie das des Nationalsozialismus mit anderen gleichzusetzen.