Protokoll der Sitzung vom 29.03.2012

An dieser Stelle will ich auch sagen: Natürlich sind auch die freien Tankstellen nicht frei. Sie verfügen über keine eigenen Raffineriekapazitäten. Sie erhalten ihr Benzin auch von den großen Konzernen. Es gibt immer wieder darüber Beschwerden, dass die freien Tankstellen mehr für das Benzin zahlen müssen als die eigenen Tankstellen der großen Konzerne.

Laut ADAC bezahlen Autofahrer im Vergleich zu 1996 heute doppelt so viel für den Liter Benzin. Und es wurde schon angesprochen: Die Bundestagsfraktion der GRÜNEN hat eine Studie vorgelegt, nach der die Autofahrer in Deutschland rund 100 Millionen € im Monat mehr für Benzin ausgeben, als nötig wäre.

Der größte Teil des Preisanstiegs des letzten halben Jahres lässt sich eben nicht durch höhere Rohölpreise erklären, sondern es sind reine Gewinnmitnahmen, mit denen sich die Konzerne auf Kosten der Tankkunden bereichern.

Zu diesem Befund kommt auch das Bundeskartellamt in seinen Analysen. Mittlerweile gibt es sogar Berichte darüber, dass Aral seinen Tankstellenpächtern besonders hohe Provisionen zahlt, wenn sie besonders viel für den Liter Benzin verlangen.

Ich will hier nur anmerken, dass auch die Rohölpreise keine reinen Produktionspreise sind. Auch die Rohölpreise sind natürlich Folge einer Spekulationsblase, weil viele Investoren in den letzten Jahren auf die Rohstoffmärkte ausgewichen sind, gerade in der Folge der Krise auf den Finanzmärkten. Diese Spekulationsblase erklärt, warum der Rohölpreis trotz sinkender Nachfrage infolge der Wirtschaftskrise weiter gestiegen ist.

Es gibt zwar Preissenkungen, aber die durchschnittliche Höhe einer Preiserhöhung ist ungefähr das Dreifache einer Preissenkung. Es gibt keine andere Branche, in der Preiserhöhungen so direkt – teilweise noch am gleichen Tag – an den Kunden weitergegeben werden wie dort.

In der Tat stellt sich also die Frage, was getan werden kann, um dieser Abzocke Einhalt zu gebieten. Ich finde es bemerkenswert, dass auch die FDP sieht, dass man das nicht einfach dem Markt überlassen kann, sondern dass hier staatliches Eingreifen nötig ist.

(Zuruf)

Ja, Herr Saebisch, es ist erst einmal begrüßenswert, dass die FDP von ihrer Gläubigkeit an den Markt an der Stelle wenigstens ein bisschen Abstand nimmt.

(Beifall bei der LINKEN)

Aktuell werden im Bundesrat verschiedene Modelle diskutiert, unter anderem das österreichische Modell, wo

nach Tankstellenbetreiber nur einmal täglich zu einer festgelegten Uhrzeit die Preise erhöhen dürfen.

(Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Der hessische Wirtschaftsminister schlägt jetzt vor, das australische – genauer gesagt: das westaustralische – Modell für Deutschland zu übernehmen. Das sieht vor, dass die Tankstellenbetreiber verpflichtet sind, dem Handelsministerium am Vortag den Benzinpreis zu nennen, den sie am gesamten Folgetag dann nicht mehr verändern dürfen. Die Idee ist eben, dass die Mineralölunternehmen nicht mehr unmittelbar auf Preisveränderungen eines anderen reagieren können, weil sie eben nicht wissen, welche Preise die anderen angeben, und dann tendenziell vielleicht sogar einen niedrigeren Preis angeben, damit sie nicht einen ganzen Tag lang auf ihrem überbeteuerten Benzin sitzen bleiben. Denn anders als beim österreichischen Modell sind bei dem westaustralischen Modell Preissenkungen an diesem Tag überhaupt nicht mehr möglich.

So weit die Theorie. Aber die Praxis sieht anders aus. Darauf ist bereits verwiesen worden. Man muss sich schon fragen, warum das westaustralische Modell nicht einmal in Australien landesweit eingeführt wurde, geschweige denn von anderen Ländern übernommen wurde – wenn es denn so gut funktioniert.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Tatsächlich ist der Benzinpreis in Westaustralien höher als anderswo. Dort verbuchen die Ölgesellschaften die größten Gewinnspannen. Auch das Bundeskartellamt – das das Modell selbst ins Spiel gebracht hat – räumt ein, dass es keinerlei eindeutige wissenschaftliche Untersuchungen zu einem Rückgang des Preisniveaus gibt. Auch für Österreich ist das nicht nachweisbar.

Die Befürchtung ist, dass sich die Preiszyklen allenfalls verlangsamen, nicht aber abschwächen lassen.

(Zuruf des Abg. Stefan Müller (Heidenrod) (FDP))

Andere warnen sogar vor Preiserhöhungen durch dieses Modell wegen des Sterbens der freien Tankstellen.

Auch wir sind sehr skeptisch, ob dieses Modell wirklich hilfreich ist. Ich finde die Kritik von Herrn Frankenberger absolut nachvollziehbar. Ich muss ganz ehrlich sagen: Mir ging es genauso. Als Herr Reif seine Argumentation vortrug, fand ich, dass das alles eher gegen die Übertragung des westaustralischen Modells auf Deutschland spricht.

(Jan Schneider (CDU): Was schlagen Sie vor?)

Herr Caspar, wenn Sie sagen, es sei das Problem, dass es sich um eine Modellregion handele – die Tankstellenbetreiber hätten sich abgesprochen, die Preise besonders hoch anzusetzen, damit die Modellregion scheitert und das Modell nicht auf das gesamte Land übertragen werden kann –, dann zeigt das doch gerade, dass es nicht funktioniert. Sie können sich offenbar trotzdem noch absprechen, und sie haben auch weiterhin ein Interesse an hohen Preisen.

Jetzt will ich Ihnen einmal sagen, dass es neben Österreich und Australien noch ein drittes Modell gibt, nämlich Luxemburg. Anders als in Österreich und Australien gibt es dort eine Preiskontrolle. Dort ist eine begrenzte Gewinnmarge festgeschrieben, aus der die Tankstellen ihre Kosten und den Gewinn bestreiten müssen. Dort sind die Kosten weitgehend einheitlich und stabil.

Staatliche Regulierung ist nötig. Sie darf aber nicht erst bei den Tankstellen, also beim Verkauf des Benzins, ansetzen, sondern müsste schon viel früher ansetzen. Denn die großen Konzerne kontrollieren jeden Bereich der Wertschöpfungskette von der Förderung über den Transport und die Verarbeitung. Bis das Benzin überhaupt an der Tankstelle ankommt, haben die Ölmultis bereits hohe Gewinne eingestrichen. Deshalb stellt sich hier, ähnlich wie in der Energiewirtschaft, die Frage nach den Markt- und Eigentumsstrukturen.

Herr Frankenberger, ich will nur sagen, dass ich bei der Frage der Entflechtung ein bisschen skeptisch bin, aus dem einfachen Grund: Wir haben bei den Energiekonzernen auch eine Entflechtung erlebt, das hat aber leider nichts an ihrer Marktstellung geändert. Deswegen müsste man darüber diskutieren, ob man die Gewinnmargen einschränken und Preiserhöhungen genehmigungspflichtig machen kann. Dann ließe sich sehr viel weniger Geld mit Benzin verdienen, und das wäre gut. Denn die Ölvorräte sind endlich, und auch aus Klimaschutzgründen können wir uns einen derartigen Benzinverbrauch nicht mehr lange leisten.

Dafür dürfen aber nicht die Pendler zahlen, sondern die Konzerne müssen durch die Endlichkeit ihrer Gewinne die Endlichkeit des Öls zu spüren bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen weg vom Öl. Für die Verbraucher ist entscheidend, dass es eine attraktive Alternative zum Auto gibt, nämlich einen gut ausgebauten, eng getakteten und vor allem bezahlbaren öffentlichen Nah- und Fernverkehr. Viele Familien mit Kindern, die jetzt in die Osterferien fahren, wären froh, wenn sie keine langen Autofahrten mit quengeligen Kindern machen müssten, sondern Bahn fahren könnten. Sie schrecken aber vor den viel zu hohen Bahnpreisen zurück.

Ich will an der Stelle auch noch einmal sagen, dass ich es für einen sehr großen Fehler halte, dass Rot-Grün die Ökosteuer in die Senkung der Lohnnebenkosten gesteckt und damit die Arbeitgeber entlastet hat. Durch diese Einnahmen aus der Ökosteuer hätte man den ÖPNV weiter ausbauen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Kommen Sie bitte zum Schluss, Frau Wissler.

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Die Abzocke an den Tankstellen muss eingedämmt werden. Da sind wir uns einig. Wir brauchen eine Verkehrswende. Wir müssen weg vom Öl und heraus aus der Abhängigkeit von den Ölkonzernen. Dafür brauchen wir mutige Schritte. Was Sie planen, ist etwas, was den Ölkonzernen kein bisschen wehtun wird. Ich befürchte, es wird an der derzeitigen Situation wenig verändern. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Zu einer Kurzintervention hat Herr Caspar jetzt die Möglichkeit.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Wissler, ich habe mich zu einer Kurzintervention gemeldet, weil Sie offensichtlich meine Ausführungen zu dem Thema der Modellregion nicht richtig verstanden haben. Ich habe nicht davon gesprochen, dass sich in einer kleinen Region die Tankstellenbetreiber absprechen. Es geht darum, dass dieses Modell, das man einführen will, Transparenz schafft. Es soll am Vortag mitgeteilt werden, wie am nächsten Tag die Preise sind. Das stärkt den Verbraucher.

Daran hat natürlich die Mineralölwirtschaft kein Interesse. Deswegen wird sie das Modell unterlaufen, indem sie in der Region, in der das Modell stattfindet, die Preise möglichst hoch hält, damit anschließend die einfachen Gemüter zu der Konsequenz kommen und sagen: Das funktioniert nicht. – Entscheidend ist, dass es damit unterlaufen werden kann, indem dort die Preise künstlich hoch gehalten werden. Die Preise werden ja nicht von den Tankstellenbetreibern bestimmt, sie werden von den Lieferanten bestimmt.

Momentan ist es in Deutschland so, dass die Tankstellen melden müssen, wie die Preise der umliegenden Tankstellen sind. Sie geben das an die Zentralen der Konzerne. Dort wird die Vorgabe gemacht, wie der Preis zu bestimmen ist. Genau das ist der Punkt, um den es geht. Ein solches Vorhaben darf nicht unterlaufen werden, indem man dafür nur eine Modellregion vorsieht. Das kann nur funktionieren, indem man es landesweit einführt. Das ist hierbei das Wesentliche.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Caspar. – Ich darf um etwas mehr Ruhe im Plenarsaal bitten. – Frau Wissler, Sie haben Gelegenheit zur Antwort. Zwei Minuten.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Caspar, wenn Sie sagen, dass die Modellregion Westaustralien unterlaufen worden sei, dann haben Sie doch die Frage nicht beantwortet, warum es nicht möglich sein sollte, eine solche Regelung in Deutschland zu unterlaufen. Wenn es den Konzernen in Westaustralien möglich ist, dann ist es doch auch in Deutschland möglich, wie Sie sagen, die Preise extra hochzutreiben.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Deutschland ist doch keine Insel, auf der ganz andere wirtschaftliche Grundlagen gelten. Von daher ist mir das nicht klar. Natürlich besteht das Problem, dass die Preise künstlich hoch gehalten werden. Das Problem haben wir ja jetzt auch, dass die Preiserhöhungen, die wir erleben, überhaupt nicht gerechtfertigt sind, weder durch die Produktionskosten noch durch Wechselkursschwankungen oder Ähnliches. Die Möglichkeit, Preise künstlich in die Höhe zu treiben, besteht doch weiterhin.

Der einzige Vorteil, den es bringen soll, ist doch, dass die Konzerne den Preis, der am gesamten nächsten Tag gelten soll, nicht zu hoch festlegen, aus Angst, den ganzen Tag auf dem Benzin sitzen zu bleiben, weil die Konkurrenz günstiger ist. Wenn es in Westaustralien möglich ist, das zu unterlaufen, dann frage ich mich, warum es in Deutschland nicht möglich sein soll, das zu unterlaufen. Ich traue

den Mineralölkonzernen zu, dass sie um einiges schlauer und gewiefter sind als diese Landesregierung. Sie werden es im Zweifelsfall auch schaffen, ein solches Modell zu unterlaufen und weiterhin mit erhöhten Preisen vorzugehen.

Das Kartellamt hat immer wieder versucht, den Konzernen etwas nachzuweisen. Es ist nicht gelungen. Von daher glaube ich, dass dieses Modell nichts an den Strukturen verändern wird. Solange die Markt- und Machtstrukturen so sind, wie sie heute sind, befürchte ich, wird dies die Konzerne nicht besonders jucken.

Im Moment kommt die größte Kritik von den freien Tankstellen. Auch das sollte Ihnen zu denken geben.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Wissler. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatssekretär Saebisch.

Sehr geehrter Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Landesregierung bedankt sich ausdrücklich bei den Fraktionen von CDU und FDP, dass sie mit diesem Entschließungsantrag die Problematik der sehr hohen Kraftstoffpreise angegriffen haben. Wir werden morgen im Bundesrat einen Antrag Hessens abstimmen, der sich klar zu einem Preisdämpfungssystem bekennt und versucht, zu einem transparenten Preisbildungssystem in der Bundesrepublik Deutschland beizutragen. Es handelt sich um ein System, das im Übrigen darauf setzt, dass es durch klare staatliche Rahmenbedingungen mehr Wettbewerb gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)