Protokoll der Sitzung vom 29.05.2012

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Herr Posch, Sie haben die Anzahl der Flüge in den sogenannten Nachtrandstunden im Jahressaldo auf durchschnittlich 133 durchgesetzt. Die Krux liegt hier im Durchschnitt. Im Klartext heißt das nämlich, dass Sie, Herr Posch, und künftig Herr Rentsch, dem Flughafenbetreiber eine hohe Flexibilität in den sogenannten Nachtrandstunden ermöglichen. Den Menschen in der Region muten Sie damit aber in den lauen Sommernächten auch 150 oder mehr Flugbewegungen in den zwei Stunden zwischen 22 und 23 Uhr und 5 und 6 Uhr zu. Statt Entlastung in der Nacht bewilligen Sie so viele Flüge wie noch nie.

Um es noch einmal ganz deutlich zu sagen: Es lag im Ermessensspielraum Ihres Ministeriums, deutlich unter der Zahl von 133 Flügen in den sogenannten Nachtrandstunden zu bleiben. Aber das wollten Sie nicht;

(Zuruf des Abg. Fritz-Wilhelm Krüger (FDP))

denn, wie Sie richtig sagten, würde dies ein Planänderungsverfahren nach sich ziehen, und das wollten und wollen Sie unter allen Umständen vermeiden. Damit setzen Sie in Hessen nicht in puncto Lärmschutz Maßstäbe, sondern bei der Verlärmung der ganzen Region.

Für uns als LINKE gibt es in der Frage der sogenannten Nachtrandstunden nur eine Antwort: Die sogenannten Nachtrandstunden gehören zur Nacht, und die Zahl der Flüge in diesen Stunden muss gegen null gehen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir gehen davon aus, dass die Ära nach Posch eine kurze sein wird, dass sich die Politik von Florian Rentsch im Ministerium nur graduell von der seines Vorgängers unterscheiden wird.

Weiterhin wird uns aber beschäftigen, das Mediationsverfahren als Dreh- und Angelpunkt des Flughafenausbaus in der Diskussion zu betrachten. Auch die SPD verleugnet, dass das Mediationsverfahren von Anfang an nicht ausschließlich zur Akzeptanzbeschaffung für den Flughafenausbau diente. Ich möchte daran erinnern, dass es nach der Startbahn 18 West von den damaligen SPD-Regierungen die Zusage gab, dass es keinen weiteren Ausbau außerhalb des damaligen Flughafengeländes mehr geben wird. Darauf haben sich die Menschen verlassen. Kommunen haben die öffentliche Infrastruktur, Kindergärten, Krankenhäuser und Altersheime sowie Neubaugebiete nach dieser Zusage geplant.

Ich möchte auch daran erinnern, dass die Bürgerinitiativen, die heute einen Großteil des Protestes tragen und auf die sich die geschätzten Kolleginnen und Kollegen der SPD und auch der GRÜNEN immer positiv beziehen, das Mediationsverfahren abgelehnt und sich nicht daran beteiligt haben.

Für uns LINKE ist das Mediationsverfahren kein Bezugsrahmen, weil damit von Anfang an lediglich das Ziel verfolgt wurde, die Kritikerinnen und Kritiker des Flughafenausbaus scheindemokratisch zu beschäftigen und somit ruhigzustellen. Für uns LINKE ist das Mediationsverfahren kein Bezugsrahmen, weil die aktuelle Lärmwirkungsforschung deutlich zeigt, dass die Belastung für die Menschen bereits vor dem Ausbau in einem hohen Maße zu Gesundheitsschäden führte.

Für uns LINKE ist das Mediationsverfahren auch kein Bezugsrahmen, weil die angeblich wissenschaftlich berechneten Annahmen zu den Arbeitsplatzeffekten durch den Flughafenausbau reine Fantasiezahlen sind, die durch nichts, aber auch gar nichts belegt werden können.

Zuallerletzt ist für uns LINKE das Mediationsverfahren auch deshalb kein Bezugsrahmen, weil die Menschen unter den Flugschneisen auch bei Beachtung aller Mediationsergebnisse dort nicht weiterleben können und wollen.

Aber SPD und leider auch GRÜNE beziehen sich auf das Mediationsergebnis als eine Art demokratisch ausgehandelten Prozess, der es aber nie war, sondern es war ein Kompromiss, der ohne hinreichende Beteiligung der Menschen unter den Einflugschneisen getroffen wurde, ein Kompromiss mit falschen Grundannahmen und ein Kompromiss, der nicht mehr auf der Höhe der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist.

Selbst wenn alle Forderungen aus dem Mediationsverfahren umgesetzt würden, wäre der Schutz der Menschen vor Fluglärm ungenügend. Die Deckelung des Fluglärms auf ein Niveau noch unter der Belastung vor dem Ausbau der Nordwestlandebahn ist der einzig richtige Weg, der einen ausreichenden Gesundheitsschutz garantiert. Bei gegebener Flugzeugtechnik kommen wir an einer Reduzierung der Anzahl der Flüge nicht vorbei. Deshalb werden wir ebenso wie die Bürgerinitiativen nicht müde, für eine Begrenzung der Zahl der Flugbewegungen auf 380.000 weiter zu streiten.

(Beifall bei der LINKEN)

Dass eine Reduzierung der Flugbewegungszahlen möglich ist, hat eine Anfrage unserer Bundestagsfraktion deutlich gemacht. Über die Hälfte der Passagierflüge am Frankfurter Flughafen ist kürzer als 1.000 km. Im Jahre 2011 waren dies exakt 254.464 Flugbewegungen. Sie sind

damit potenziell auf die Schiene verlegbar. Das ist sozusagen regierungsamtlich bestätigt.

Um sich die damit verbundenen realen Belastungen vorzustellen, muss man sich die absoluten Zahlen vergegenwärtigen. Knapp 40.000 Flüge im Jahr 2011 lagen im Entfernungsbereich von weniger als 300 km. Das sind 110 Flüge pro Tag. 110 Starts und Landungen am Tag weniger – eine größere Entlastung ist mit keiner der vorgeschlagenen Maßnahmen bisher zu erreichen.

Bereits in dem bestehenden Bahnfahrplan könnten knapp 16 % aller Flüge – 2011 waren das immerhin 72.800 Flüge – durch Bahnfahrten ab Frankfurt Hauptbahnhof mit weniger als vier Stunden Reisezeit ersetzt werden. Diese Lärmminderung wäre ohne weitere teure Infrastrukturprojekte in Beton und Asphalt bereits zum Winterfahrplanwechsel möglich.

Das Verlagerungspotenzial von Kurzstreckenflügen auf die Schiene ist der Schlüssel, um die Belastung der Menschen durch den Flugverkehr in einer Größenordnung zu reduzieren, die mit allen bis dato diskutierten Maßnahmen zusammen nicht erreicht werden kann. Aber man muss es wollen. Wir haben dazu bereits einen Antrag eingebracht, in dem wir die nächsten konkreten Schritte zur Verminderung der Zahl der Flüge aufzeigen. Das ist unser richtungweisendes und zukunftsfähiges Konzept, das wir in den Landtag eingebracht haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich das zum Schluss sagen: Das Beharren auf der Mediation ist es nicht. Die SPD steht hier genauso in der Verantwortung wie die Minister der aktuellen Landesregierung. Die Landebahn wurde mit brutalstmöglichem Vorgehen, mit allen politischen Mitteln und Tricks, auch juristischer Art, bis heute durchgesetzt.

Herr Schaus, kommen Sie bitte zum Schluss.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Schade, das hätte ich jetzt gern gehört!)

Letzter Satz, Herr Präsident. – Politische Entscheidungen sind aber auch rückholbar und müssen korrigiert werden, wenn sie so dramatisch falsch sind wie der Ausbau des Flughafens. Das sollten alle, auch die SPD, zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Herr Schaus. – Ich darf das Wort zu einer Kurzintervention Herrn Kollegen Reif von der CDU-Fraktion erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Schaus, ich habe selten eine Aneinanderreihung von so viel Unsinn gehört wie das von Ihnen eben Gesagte.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich nur zu einem Thema etwas sagen, nämlich der sogenannten Arbeitsplatzlüge, die Sie hier propagieren. Wenn Fraport dieses Jahr verkündet, dass wir 75.000 Arbeitsplätze am Flughafen haben, dann sollten wir alle froh darüber sein, dass so viele Menschen am Flughafen beschäftigt sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir von der Koalition aus CDU und FDP sind über jeden einzelnen Beschäftigten, der dort Arbeit finden kann, zusätzliche Arbeit finden kann, froh und glücklich.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Zusätzlich!)

Es kann doch nicht sein, dass diese Arbeitsplätze pauschal in den Schmutz gezogen werden. Wir beschäftigen am Flughafen Menschen, die ansonsten sehr schwer Arbeitsplätze finden würden. Das müssen wir doch zur Kenntnis nehmen: Arbeitsplätze, die ansonsten nicht in Hülle und Fülle in unserem Land zur Verfügung stehen.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lassen Sie mich sagen: Wir hatten vor etwa 30 Jahren in Hessen zwei Unternehmen, die über 30.000 Menschen beschäftigten; das waren Opel und die Farbwerke Hoechst. Bei Opel haben wir weniger als die Hälfte noch in Brot und Arbeit, und die Farbwerke Hoechst bestehen nicht mehr. Hier haben wir eine wachsende und boomende Industrie, nämlich die Logistikindustrie, über die wir froh sein sollten, nicht nur am Frankfurter Flughafen, sondern auch in Nordhessen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Deshalb kann ich Ihnen nur empfehlen: Lassen Sie in Zukunft diesen Unsinn sein, und beziehen Sie sich auf Zahlen, die seriös sind, die ordentlich sind, die keine Fantasiezahlen sind und die auf jeden Fall keine Propaganda darstellen. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Die suchen wir gerade! – Janine Wissler (DIE LINKE): Die Antwort auf eine Kleine Anfrage ist auch Propaganda?)

Danke, Herr Reif. – Herr Schaus, Sie haben Gelegenheit zur Antwort, ebenfalls zwei Minuten.

Herr Reif, auch zu Ihren noch so starken Worten kann ich nur sagen – –

(Peter Stephan (CDU): Das waren die besten Argumente heute!)

Das waren überhaupt keine Argumente, das waren nur starke Worte.

Nochmals: Ich habe die Antwort auf eine Kleine Anfrage des Kollegen Kaufmann zum Thema Arbeitsplatzphänomen Flughafen Frankfurt vorgetragen. In dieser Antwort beziehen Sie sich ausschließlich auf Zahlen von Fraport. Die Landesregierung hat keine einzige Zahl und damit keinen einzigen Beweis, wie die Arbeitsplatzentwicklung ist.

(Zuruf von der CDU: Unsinn! – Wolfgang Greilich (FDP): Das sind alles Zombies, die da herumlaufen!)

Jetzt schreien Sie doch nicht dazwischen, hören Sie doch wenigstens einmal zu. Ich weiß, es tut Ihnen weh, das zu hören.

Meine Damen und Herren, wenn am Frankfurter Flughafen tatsächlich die Zahl der Arbeitsplätze gestiegen ist – da streiten wir uns noch über die Qualität der Arbeitsplätze; da weiß ich auch ein bisschen Bescheid, das können Sie mir glauben –, dann ist allerdings genau zu betrachten: Wo kommen diese Arbeitsplätze her? Sind sie neu geschaffen worden, oder sind sie verlagert worden? Sind sie aus der Region verlagert worden oder von weiter weg?

Das alles sind Themen, die im Zusammenhang mit einer Arbeitsplatzbetrachtung nicht so scheuklappenartig auf den Flughafen und das Gelände bezogen werden müssen, sondern zumindest auf die gesamte Rhein-Main-Region. Diese Art und Weise der Betrachtung haben Sie nie in Betracht gezogen. Sie wissen selbst, dass bei der Verlagerung von Cargo City Süd ein Großteil der Arbeitsplätze, die dort entstanden sind, im Norden des Flughafens, in Kelsterbach und Umgebung, verloren gegangen ist und real so gut wie keine zusätzlichen Arbeitsplätze dort entstanden sind. Das ist die Wirklichkeit des Frankfurter Flughafens: als Staubsauger für Arbeitsplätze aus der Region zu dienen, die dort entstehen und an anderer Stelle abgebaut werden – dieselben Arbeitsplätze.

(Beifall bei der LINKEN – Horst Klee (CDU): Wovon träumen Sie nachts? – Weitere Zurufe von der CDU)

Danke sehr, Herr Schaus.

(Clemens Reif (CDU): So einen Stuss ständig zu erzählen! – Gegenruf des Abg. Dr. Ulrich Wilken (DIE LINKE): „Stuss“ ist aber auch kein parlamentarisches Wort!)