Protokoll der Sitzung vom 13.05.2009

Nein, das sagen wir nicht. Ich sagte, Sie würden dann 100 Jahre brauchen. Aber weil die Bürgerinnen und Bürger wissen, Herr Kollege Irmer, dass wir uns ein solches Schneckentempo von Ihnen und von der FDP nicht leis

ten können, wird es auch bald andere Mehrheiten in diesem Land geben. So einfach ist das.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Wolfgang Greilich (FDP): Die Hoffnung!)

Von der Ministerin wird viel über die eigenverantwortliche Schule geredet. Frau Ministerin, wenn Sie mit Eigenverantwortung meinen, dass Schulen tatsächlich etwas selbst entscheiden können, dass Schulen tatsächlich die Mittel haben, um etwas selbst entscheiden zu können, auch dann werden wir Sie dabei unterstützen. Wenn aber Eigenverantwortlichkeit weiter die Verwaltung des Mangels ist, des Abschiebens von Verantwortung vom Kultusministerium auf die Schulen, dann werden wir das kritisieren. In diesem Haushalt ist nichts, ist kein einziger Ansatz, um mit diesem Prinzip des Abschiebens der Verantwortung auf die Schulen zu brechen. Da ist überhaupt nichts enthalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dann erinnern wir uns an ein Versprechen des Kurzzeitkultusministers Jürgen Banzer. Er hatte in Aussicht gestellt, er wolle eine Drittelfinanzierung bei der Schulsozialarbeit. Das ist ein durchaus gutes Ziel. Auch hierzu finden wir in diesem Haushalt nichts. Auch hier sind die berechtigten Erwartungen der Schulträger völlig enttäuscht worden. Bildungs- und Erziehungsplan: das gleiche Bild. Auch hier gibt es sogar eine fraktionsübergreifende Unterstützung.Aber es findet sich in dem Haushalt nichts.

Angesichts dieses enttäuschenden Haushalts werden wir Ihnen sehr konkret zur dritten Lesung unsere Alternativen vorlegen.Wir werden Ihnen zeigen, wie man von den Mitteln her in diesem Haushaltsjahr schon die 105-prozentige Lehrerversorgung realisieren könnte. Dazu werden wir Ihnen Anträge vorlegen. Wir werden auch beantragen, dass mehr als zehn Schulen neu in das Ganztagsschulangebot des Landes aufgenommen werden können, weil wir diese zusätzliche Förderung brauchen. Dieses Mehr an Zeit zum Lernen brauchen wir dringlich. Meine Damen und Herren, da können wir uns dieses Tempo nicht leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Während Sie die Rahmenbedingungen für längeres gemeinsames Lernen verschlechtern, während Sie die Rahmenbedingungen für die integrierten Gesamtschulen mit einer Gesetzesänderung verschlechtern wollen, wollen wir längeres gemeinsames Lernen dort ermöglichen, wo es die Schulgemeinden wollen. Das ist ein ganz wesentlicher Unterschied. Wir stellen die Schulgemeinden, den Elternwillen in den Mittelpunkt unserer Politik. Wir brechen mit der ideologischen Politik, mit der Bevorzugung des dreigliedrigen Schulsystems und mit dem alleinigen Setzen auf das dreigliedrige Schulsystem, wie wir es seit zehn Jahren in Hessen haben.

Wir hätten gehofft, dass wir Sie an unserer Seite haben, Frau Ministerin. Bislang müssen wir leider feststellen: auch hier völlige Fehlanzeige.

(Wolfgang Greilich (FDP): Das ist, weil Sie so langsam sind! Wir gehen voran!)

Herr Greilich,Sie gehen allenfalls voran,indem Sie über Sachen reden, von denen Sie keine Ahnung haben. Das zeigt sich in dieser Debatte sehr gut.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vertiefte Sachkenntnis ist manchmal doch hilfreich. Sie verhindert manchmal die muntere Debatte und den munteren Zwischenruf, aber es wäre im Interesse der Schulen ganz gut, wenn wir es hinbekommen könnten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Mario Döweling (FDP))

Meine Damen und Herren, ich komme zum Ende meiner Rede. Herr Staatsminister Grüttner hat mich am Anfang meiner Rede so freundlich begleitet. Deshalb will ich ihn zum Ende meiner Rede freundlich begleiten.Ich hatte ihn gefragt, welche inhaltliche Neuausrichtung es denn notwendig gemacht hat, das Kultusministerium einer neuen Leitung zu übertragen. Darauf antwortet Staatsminister Grüttner in der Antwort auf meine Kleine Anfrage:

Die Übertragung an eine neue Leitung steht nicht im Zusammenhang mit einer inhaltlichen Neuausrichtung.

Meine Damen und Herren, das spricht für sich. – Vielen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Lothar Quanz (SPD))

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Für die Fraktion DIE LINKE hat jetzt Frau Cárdenas das Wort. Die vorgesehene Redezeit beträgt 13 Minuten.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! In Zeiten des auch für Hessen geltenden Bildungs- und Erziehungsplans für Kinder von 0 bis 10 Jahren werde ich über den Einzelplan 04 hinaus zu den Anforderungen im Bereich frühkindliche Bildung sprechen. Herr van Ooyen hat Ihre Bildungspolitik schon generell kritisiert. Ich werde das ergänzen und vor allem unsere konkreten Alternativen benennen. Das wünscht sich Herr Irmer, das hat er eben gesagt. Aber wahrscheinlich wird er nur wieder meckern, das sei nicht bezahlbar.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben sich das doch vom DGB ausrechnen lassen!)

Das stimmt zum Teil, da haben Sie recht. – Welches sind die aktuellen bildungspolitischen Herausforderungen? Ich war letzte Woche in Berlin auf der ersten nationalen Konferenz des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zu Art. 24 des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen. Die von uns eingegangen Verpflichtungen zum Abbau von Benachteiligungen und für Inklusion werden Verbesserungen für alle Kinder nach sich ziehen.Auf der Konferenz wurde unmissverständlich festgehalten, dass die Konvention nach der erfolgten Ratifizierung nun für Bund, Länder und Kommunen völkerrechtlich verbindlich ist.Es wird erwartet,dass die Bundesländer und damit auch Hessen als Erstes ihr System einer Prüfung unterziehen, inwieweit es den Anforderungen einer inklusiven, also gar nicht erst aussondernden Bildung entspricht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Haben Sie schon etwas von individueller Förderung gehört?)

Dort, wo es Zweifel gibt, gilt das Gebot, eine klar völkerrechtsfreundliche Auslegung vorzunehmen. Das bedeutet, Hessen wird sich nicht so einfach herausmogeln können.

Zweitens wird erwartet, dass wir ab sofort erste Schritte auf dem Weg zu mehr Inklusion gehen. In zwei Jahren wird erstmals geprüft, ob und welche Schritte inzwischen eingeleitet wurden. Die verschiedenen Bundesländer setzen sich dabei unterschiedlich anspruchsvolle Ziele und geben sich unterschiedlich viel Zeit, die Bedingungen dafür zu erfüllen, dass unsere allgemeinbildenden Schulen alle Kinder aus ihrem Einzugsbereich beschulen.

Die Ministerin aus Schleswig-Holstein, mit 45 % Integration Vorreiter unter den Bundesländern, hat uns berichtet, dass sie das Jahr 2009 zum Jahr der inklusiven Bildung ausgerufen hat und in zehn Jahren die Marke von 80 % behinderter Kinder im Regelschulwesen erreicht haben will. Wir wissen, Hessen liegt erst bei 15 %. Wir müssen uns also sputen, Frau Henzler, wenn wir zumindest in diesem Bereich jemals Bildungsland Nummer eins werden wollen. Aber vielleicht reicht der Koalition auch hier ein Platz auf den hinteren Rängen. Mehr werden wir mit jeweils 50 zusätzlichen GU-Stellen nicht erreichen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Warum habe ich diesen Einstieg in die Haushaltsdebatte zum Einzelplan 04 gewählt? Weil den Verpflichtungen,die sich durch die Ratifizierung der UN-Konvention ergeben und die allen Schülerinnen und Schülern zugute kommen, nur mit der Umsetzung bestimmter Rahmenbedingungen,die natürlich auch haushalterische Konsequenzen haben, entsprochen werden kann.

Wie auf der Konferenz festgehalten wurde, gibt es bestimmte notwendig herzustellende Bedingungen, die keine oder kaum finanzielle Belastungen nach sich ziehen. Ich will sie nur kurz erwähnen, damit wir uns auf sie einstellen. Dazu gehört z. B. die Schaffung entwickelter, gleichberechtigter Kooperationsformen mit Eltern- und Behindertenvertretungen. Dazu gehört auch die Anpassung des Hessischen Schulgesetzes, das den Vorrang der inklusiven Beschulung festhalten und ausgestalten muss, und des Hessischen Lehrerbildungsgesetzes, das z. B. sicherstellen muss, dass allen Regelschulpädagogen, auch denen aus den Sekundarstufen, grundlegende sonderpädagogische Kenntnisse und ausreichendes Handwerkszeug vermittelt werden, um zieldifferent unterrichten zu können.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Henzler, ich nehme an, dass in der nächsten Zeit ein Vorschlag Ihres Hauses zur Anpassung beider Gesetze an die neuen Vorgaben vorgelegt wird. Schließlich war die UN-Konvention schon lange genug in der Pipeline, sodass man sich darauf vorbereiten konnte. Ich hoffe, dass wir dann die Anpassung in Übereinstimmung mit dem ganzen Haus vornehmen können.

Die Anpassung des Landesrechts und der Kooperationsformen als notwendige Voraussetzung für ein inklusives Bildungssystem muss mit der Anpassung der faktischen Situation in den Schulen des Landes einhergehen; denn nur auf die zielt die Konvention ab. Die Verbesserung der faktischen Situation braucht bestimmte materielle Rahmenbedingungen, die leider nicht durch noch so viele Rankings,Messungen und Konkurrenzverhältnisse herzustellen sind.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sagen Sie etwas zum Haushalt!)

Damit wären wir beim Punkt, Herr Irmer. – Wir wissen, Inklusion zielt nicht nur auf Behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder ab, sie umfasst auch leseschwa

che und rechenschwache Kinder und Kinder, die sich nicht konzentrieren oder ausreichend sozial anpassen können. Sie umfasst Kinder aus sozial schwachen Familien, aus bildungsfernen Familien, Kinder mit anderem kulturellen Hintergrund, mit anderen Muttersprachen. Sie umfasst auch Kinder von Alleinerziehenden, die ganztags arbeiten gehen müssen. Kurzum, sie zielt besonders auch auf Kinder, die in der Familie kein ausreichend anregungsreiches Lernmilieu haben oder keine qualitativ ausreichende Lernunterstützung bekommen oder schlicht zeitlich nicht ausreichend betreut und unterstützt werden können. Diese Kinder rangieren bei Ihnen unter „ferner liefen“.

Sie haben bisher einen unangemessen hohen Batzen der Ganztagsschulgelder für Ihre verkorkste G-8-Reparatur ausgegeben. Es sind aber diese Kinder, die für mehr Chancengerechtigkeit gute, rhythmisierte Ganztagsschulen benötigen, in denen sie zusammen mit ihren Klassenkameraden den Tag verbringen und individuell gefördert werden können. Das heißt für uns, es müssen weit mehr Gelder in den Ausbau gebundener Ganztagsschulen fließen. Ich kann mich da zum Teil nur den Vorrednern anschließen.

(Beifall bei der LINKEN)

Einer unserer Anträge zum Haushalt wird daher lauten, dass in einem ersten Schritt 300 und nicht zehn Schulen den gebundenen Ganztagsbetrieb aufnehmen sollten.Dafür brauchen wir ca. 3.000 Stellen für Lehrer und andere pädagogische Fachkräfte.

Als Zweites brauchen wir angesichts dieser Herausforderung unbedingt kleinere Klassen. Anzuzielen sind um 20 % geringere Klassengrößen für jede Klasse in jeder Schulform.Als einen ersten Schritt wollen wir den Wegfall der Sternchenregelung nicht nur für die Eingangsklassen realisieren, wie es die Koalition vorschlägt, sondern für alle Klassen.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Wie viele Lehrer sind das, und was kostet das?)

Natürlich können die zusätzlichen Lehrerstunden auch als Förderstunden in Doppelbesetzung realisiert werden, wenn laufende Klassen sich nicht verkleinern wollen. Dafür veranschlagen wir 1.500 weitere Lehrerstellen über die von der Regierungskoalition geplanten 1.000 Lehrstellen hinaus. Frau Habermann, ich schließe mich in ihrer Kritik an diesem Punkt ausdrücklich an.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Ach ja, Volksfront funktioniert!)

Ein drittes Vorhaben ist der Ausbau der Schulsozialarbeit und des schulpsychologischen Dienstes mit 500 und nicht 15 zusätzlichen Sozialpädagogen- und Psychologenstellen.Echt selbstständige Schulen brauchen eben keine Manager, sondern die Schulleiter brauchen dringend Unterstützung angesichts der Herausforderungen von Inklusion und Aufbau der Ganztagsschulen unter oftmals schwierigen Bedingungen an den Schulen, gerade auch in sozial schwachen oder konflikthaften Stadtteilen.

Zur Sicherung der in Art. 59 der Hessischen Verfassung niedergelegten Lehr- und Lernmittelfreiheit halten wir es viertens für notwendig, die zusätzlichen 6 Millionen c der Regierung auf 18 Millionen c aufzustocken. Da wir rund 840.000 Schülerinnen und Schüler in Hessen haben, handelt es sich hierbei zumindest um durchschnittlich 20 c pro Schüler mehr,während die Regierung wohl meint,mit 7 c mehr pro Jahr und Schüler seien die inzwischen an

vielen Schulen illegitim erhobenen Kopierkostenpauschalen abzugelten, Bücher und Sonstiges zu finanzieren. Das ist, und das wissen alle Eltern, alle Schüler und alle Lehrer, absolut nicht der Fall.

(Beifall bei der LINKEN)

Für besonders wichtig halte ich fünftens die Bereitstellung von 500 Lehrerinnen- und Lehrerstellen für die Bereiche DaZ, Deutsch als Zweitsprache, und muttersprachlicher Unterricht. DIE LINKE schließt sich hier den Forderungen des Landesausländerbeirates und den Einschätzungen namhafter Sprachwissenschaftler an, die den Zweitspracherwerb von Deutsch nicht auf den Kindergarten reduziert sehen wollen und eine gut entwickelte Erstsprache als unverzichtbare Basis für den erfolgreichen Erwerb der Zweitsprache ansehen.

Zusammengefasst summieren sich unsere Forderungen für den Schulbereich auf rund 370 Millionen c.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Mehr nicht?)

1,8 Milliarden c Mehreinnahmen aus der Vermögenund Erbschaftsteuer reichen dafür dicke, Herr Irmer.