Liebe Kolleginnen und Kollegen, unter dem Strich ist am Ende der Inhalt doch das Entscheidende von Politik. Manche Vorhaben sind interessant, wenn sie neu sind. Wenn man aber nicht liefert, hat man am Ende dasselbe Problem wie am Anfang. Insofern werden wir in 100 Tagen über die Frage reden, ob diese Kabinettsumbildung einen Neuanfang bedeutet oder einfach nur eine Weiterführung dessen ist, was bisher schon gescheitert ist. In diesem Sinne wünsche ich persönlich alles Gute; politisch bin ich sehr skeptisch, um es vorsichtig auszudrücken.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich habe im letzten Plenum die Art und Weise, wie die beiden FDPMinister ausgetauscht wurden, als stil- und würdelos kritisiert und festgestellt, dass Solidarität für die FDP offensichtlich auch innerparteilich ein Fremdwort ist.
Mittlerweile haben wir die Entlassung des Bundesumweltministers Röttgen erlebt und gesehen: Schlimmer geht immer. – So viel auch zum Thema christlicher Nächs tenliebe in der CDU. Die scheint auch innerparteilich nur wenig Platz zu haben.
(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)
Wir werden heute die Vereidigung von zwei neuen Ministern erleben. Ich möchte zu Beginn nochmals daran erinnern, was Positives aus der Amtszeit der scheidenden Minister, von Frau Henzler und Herrn Posch, bleibt. Da müssen Sie jetzt durch. Herrn Greilich ist in seiner Rede ja wenig Inhaltliches eingefallen.
Herr Minister Posch, es ist Ihnen hoch anzurechnen, dass es nicht der hessische Wirtschaftsminister war, der die Schlecker-Beschäftigten bei der Beschäftigungsgesellschaft im Regen stehen ließ. Ich will ausdrücklich anerkennen: Für Sie waren an dieser Stelle die 2.000 hessischen Beschäftigten wichtiger als die Einhaltung dogmatischer neoliberaler Grundsätze. Andere FDP-Wirtschaftsminister haben in dieser Situation anders entschieden, und ich bin mir auch nicht sicher, wie Ihr Nachfolger in dieser Frage entschieden hätte.
Frau Henzler, Sie haben in Ihrer Amtszeit den Schulbesuch für Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus ermöglicht und damit einen großen Fehler Ihrer Vorgängerin korrigiert. In Hessen gab es die Regelung, dass Lehrern, die Kinder ohne legalen Aufenthaltsstatus nicht den Behörden gemeldet haben, dienstrechtliche Konsequenzen drohten. Frau Ministerin, das haben Sie korrigiert – gegen Widerstände aus der CDU. Das war ein wichtiger Schritt; denn kein Kind ist „illegal“, und alle Kinder haben das Recht auf den Besuch der Schule. Ich denke, das bleibt aus Ihrer Amtszeit, und dafür möchte ich Ihnen herzlich danken.
Ich wünsche Ihnen, Frau Henzler, und Ihnen, Herr Posch, persönlich alles Gute, vor allem Gesundheit und ein biss chen mehr Freizeit, als Sie in den letzten Jahren hatten.
Meine Damen und Herren, die Kabinettsumbildung erfolgte, weil die FDP erklärt hat, einen Generationswechsel einleiten zu wollen. Aber ein Generationswechsel macht sich nicht allein am biologischen Alter fest. Jüngere machen es nicht automatisch besser, vor allem nicht, wenn sie Ideen von gestern vertreten. Die Antrittsrede des neuen FDP-Fraktionsvorsitzender Greilich sprühte ja nicht gerade von Ideenreichtum um Enthusiasmus, um es vorsichtig auszudrücken.
Die Charmeoffensive von Wolfgang Greilich. – Sie haben hier zehn Minuten lang geredet. Sie haben im Wesentlichen nichts gesagt. Herr Greilich, ob Sie so die Menschen begeistern können, wage ich zu bezweifeln.
(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Herzen fliegen ihm zu! – Heiterkeit bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Herr Greilich, wenn Sie sagen, wie gut die Arbeit von Herrn Posch und Frau Henzler gewesen ist, wie erfolgreich beide in ihren Ämtern gearbeitet haben, bleibt natürlich weiterhin die Frage offen, warum Sie sie denn dann austauschen.
Dass mit Frau Breier erstmals eine Staatsbürgerin eines anderen Landes Staatssekretärin wird, mag ja als positives Zeichen gedacht gewesen sein. Dass sich Frau Breier allerdings klar zum ungarischen Regierungschef Viktor Orbán bekennt und ihn als „Demokraten“ bezeichnet, disqualifiziert sie für das Amt.
Orbán und seine rechte Regierung beschneiden demokratische Rechte und schränken die Presse- und Meinungsfreiheit ein. Das ist überall in Europa auf Kritik gestoßen. Mit der Ernennung von Frau Breier erweisen Sie der ungarischen Opposition einen Bärendienst, Herr Hahn.
Meine Damen und Herren, auch in der Landesregierung gilt: Der Fisch stinkt vom Kopf. Herr Bouffier, dafür, dass Sie so lange darauf gewartet haben, das Amt von Roland Koch zu übernehmen, fällt Ihnen verdammt wenig ein.
Sie hatten immerhin mehr als ein Jahrzehnt Zeit, darüber nachzudenken. Es gibt kein zentrales Anliegen, kein zukunftsweisendes Projekt dieser Regierung. Das ist das Problem Ihrer Regierung: die politischen Inhalte, nicht, wer sie vertritt.
Der Ministerpräsident ist selten anwesend, entwickelt keine Initiativen und hat keine Ideen. Er meldet sich in diesem Haus nicht zu Wort, wenn es um Fluglärm, das Uniklinikum oder das Chaos in seinem früheren Ministerium geht. Er greift nicht in bundespolitische Debatten ein und schiebt überhaupt nichts an. Von diesem Ministerpräsidenten gehen überhaupt keine Impulse und Ini tia tiven aus.
Die Energiewende läuft trotz des Energiegipfels nicht an, bildungspolitisch gibt es keine positiven Reformansätze, beim Flughafenausbau und beim Nachtflugverbot hat die Landesregierung jedes Vertrauen verspielt, und im Innenministerium hat Herr Bouffier seinem Nachfolger ganze Leichenberge im Keller hinterlassen.
Für uns ist entscheidend, dass es in der Landesregierung nicht nur einen Austausch von Köpfen gibt, sondern auch eine inhaltliche Neuausrichtung auf den beiden wichtigen Feldern der Wirtschafts- und Schulpolitik. Angesichts der designierten Nachfolger bin ich diesbezüglich nicht gerade hoffnungsvoll gestimmt; aber da es aufgrund der chaotischen Zustände im Innenministerium derzeit nicht einmal einen Landeswahlleiter gibt, fällt die Option Neuwahlen nun auch weg.
Wieder einmal hat ein Gericht eine Personalentscheidung im Innenministerium gestoppt und für rechtswidrig erklärt. Diesmal geht es um den Sohn des früheren CDUMinisters Manfred Kanther. Ich muss sagen: Das, was sich im Innenministerium abspielt, ist wirklich abenteuerlich, Herr Rhein. Da stellt sich die Frage, ob Sie diesem Kabinett wirklich auf Dauer angehören werden.
Sowohl im Wirtschaftsministerium als auch im Kultusministerium kann die Landesregierung bisher nicht auf Glanztaten zurückschauen. Wenn Sie, Herr Greilich, diese Ministerien als „gut bestellte Häuser“ bezeichnen, frage ich mich wirklich, wie bei Ihnen sanierungsbedürftige Häuser aussehen.
In der Wirtschafts- und Verkehrspolitik wäre es dringend nötig, Konzepte für einen sozial-ökologischen Umbau zu entwickeln. Stattdessen hält die Landesregierung an einer Verkehrspolitik fest, die sich im Wesentlichen an den Interessen der Luftverkehrs- und Automobilwirtschaft orientiert.
Gegen alle Widerstände und auf Kosten der Menschen in der Region haben Sie den Frankfurter Flughafen ausbauen lassen. Wer sein eigenes Versprechen für ein Nacht
flugverbot bricht, in Revision geht und sich vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig von einem Anwalt vertreten lässt, der sich vehement für Nachtflüge einsetzt, verspielt auch das letzte Vertrauen der Menschen in der Region. Mit dem sogenannten Planklarstellungsverfahren setzen Sie diesen Kurs nahtlos fort.
Seit Monaten demonstrieren jeden Montag Tausende von Menschen im Frankfurter Flughafen gegen die unerträgliche Lärmbelastung, und der scheidende Minister hat einfach nur erklärt, dass er mit einer derartigen Lärmzunahme nicht gerechnet habe. Dabei ist es gerade die Aufgabe des Wirtschaftsministers, als Chef auch der Planfeststellungsbehörde die Lärmentwicklung im Vorfeld zu prognostizieren. Dass Sie das nicht gemacht haben bzw. die Folgen nicht abwägen wollten, zeigt, dass für Sie die Interessen der Luftverkehrswirtschaft im Vordergrund stehen und wie verantwortungslos Sie an der Stelle gehandelt haben.
In einer Zeit, in der alle über den Klimawandel reden, setzt man in Hessen auf den Ausbau des Flugverkehrs. Mit Kassel-Calden schaffen Sie ein Millionengrab in Nordhessen. Zukunftsfähige verkehrspolitische Konzepte gibt es seitens dieser Landesregierung nicht. Es gibt keine Idee, wie man den CO2-Ausstoß senkt und den Energieverbrauch durch den Verkehr reduziert. Dabei ist der Verkehr in Hessen immerhin für fast die Hälfte des Energieverbrauchs verantwortlich.
Statt den ÖPNV auszubauen, wurden den Verkehrsverbünden die Mittel gekürzt. Herr Posch hat den Großteil seiner Amtszeit damit verbracht, neue Straßen einzuweihen – leider aber kaum neue Fahrradwege, wie man es sich von ihm als leidenschaftlichem Radfahrer gewünscht hätte. Die Umweltverbände gelten im Wirtschaftsministerium grundsätzlich als Gegner, ebenso wie der Umweltund Artenschutz, der der vollständigen Betonierung Hessens offensichtlich im Wege steht.
In der Wohnungspolitik – um das nur stichwortartig zu nennen – hat die Landesregierung die Fehlbelegungsabgabe ebenso auslaufen lassen wie das Wohnraumzweckentfremdungsgesetz. Sie haben überhaupt keine Initiativen ergriffen, um die Versorgung der Bevölkerung mit bezahlbarem Wohnraum sicherzustellen. Wir sagen: Die Versorgung mit Wohnraum ist zu wichtig, als sie allein dem Markt zu überlassen. Deswegen ist auch die Privatisierung der Nassauischen Heimstätte grundfalsch.
Hessen hat noch immer kein wirksames Vergabegesetz. Auch hier gab es Vorschläge seitens der Opposition. Auch hier haben Sie sich darauf beschränkt, die Vorschläge der Opposition zu kritisieren, statt selbst etwas vorzulegen.
Auch im Kultusministerium besteht großer Handlungsbedarf, sei es bei den Ganztagsschulen oder bei der Inklusion. Ohne eine bessere finanzielle Ausstattung wird beides nicht möglich sein. Dafür müsste sich die neue Kultusministerin einsetzen, statt mit der Einführung der sogenannten selbstständigen Schule die Mangelverwaltung auf die Schulen abzuschieben.
Die Schulen haben die Aufgabe, Benachteiligungen aufgrund der Herkunft auszugleichen. Derzeit macht die Schule das Gegenteil: Sie zementiert die Ungleichheit. Das ist auch dem mehrgliedrigen Schulsystem geschuldet, an dem diese Landesregierung sklavisch festhält. Ich denke, solange jemand wie Herr Irmer in der hessischen
Das ist zwar bedauerlich, aber ich komme zum Schluss. – Die Landesregierung setzt auf Auslese statt auf Förderung. Ich denke, die neue Kultusministerin wird bei der Einführung des islamischen Religionsunterrichts viel Spaß mit Herrn Irmer haben.
Wenn ein Haus marode ist, nutzt auch ein neuer Anstrich nichts. Diese Landesregierung hat abgewirtschaftet. Das hat auch ihr Verhalten heute Morgen gezeigt: ihr völlig unsouveräner Umgang mit Debatten in diesem Haus. Daher erwarte ich von den beiden neuen Ministern relativ wenig frischen Wind.