Protokoll der Sitzung vom 27.06.2012

Kaum ein anderer Politiker hat derart häufig und scharf Stimmungen auf Kosten von Minderheiten geschürt, Vorurteile und Ressentiments bedient und Wahlkämpfe auf dem Rücken von Migranten gemacht – erst im Wahlkampf 1999 gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und dann immer wieder, wenn es gerade eng für ihn wurde, wie 2008, als er behauptete, es gebe zu viele junge kriminelle Ausländer. Bei aller Kritik an Volker Bouffier: Solche Äußerungen habe ich in seiner Zeit als Ministerpräsident noch nicht von ihm gehört.

(Ministerpräsident Volker Bouffier: Dann ist ja al- les gut!)

Herr Ministerpräsident, freuen Sie sich nicht zu früh. – Nichtsdestotrotz trägt natürlich auch Volker Bouffier als führender CDU-Politiker in Hessen und langjähriges Kabinettsmitglied unter Koch eine Mitverantwortung für diese widerwärtigen Kampagnen der hessischen CDU.

(Zuruf von der SPD: Die FDP hat damals gehol- fen!)

Um hier jeglicher Geschichtsklitterung und Verklärung entgegenzuwirken, finde ich, dass man sich noch einmal einen Moment lang vor Augen führen sollte, welche katastrophalen Entwicklungen Roland Koch in Hessen eingeleitet hat. Ich denke, daran sollte man auch die Kolleginnen und Kollegen der GRÜNEN noch einmal erinnern.

Wenn es nach normalen Maßstäben gegangen wäre, hätte Koch schon nach wenigen Monaten Amtszeit zurücktreten müssen, nachdem er in der CDU-Parteispendenaffäre nachweislich die Unwahrheit gesagt und die Öffentlichkeit an der Nase herumgeführt hat. Die Glaubwürdigkeit von Roland Koch war schon zerstört, bevor viele Menschen seinen Namen überhaupt kannten.

(Beifall bei der LINKEN)

Roland Koch blieb trotzdem im Amt. Er war es doch, der für die Studiengebühren verantwortlich war. Er hat sie eingeführt. Er hat den ganzen G-8-Murks in seiner Umsetzung zu verantworten. „Auslesen statt fördern“, das war das Motto seiner Bildungspolitik. Mit Eliteprojekten wie der EBS und der Internatsschule Hansenberg wurde die eigene Klientel gehätschelt. Mit der „Operation düstere Zukunft“ wurden massive Kürzungen bei den Beamten und Angestellten im öffentlichen Dienst durchgesetzt; es wurde bei der Aidshilfe, den Schuldnerberatungsstellen

und Frauenhäusern gekürzt. Gleichzeitig hat Roland Koch Steuersenkungen für Unternehmen und Reiche im Bundesrat immer wieder forciert und diesen zugestimmt.

Für Koch galt, dass jede staatliche Leistung auf ihre Privatisierbarkeit hin geprüft werden sollte. Er machte aber auch keinen Halt vor Einrichtungen, die ganz offensichtlich nicht privatisierbar waren. Im Zweifelsfall wurde getrickst, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Das sehen wir gerade bei der Teilprivatisierung der JVA Hünfeld, der ersten Haftanstalt in Deutschland, die zum Teil von einem privaten Unternehmen betrieben wird. Mittlerweile belegt ein Sonderbericht des Rechnungshofs, dass hier mit falschen Zahlen gearbeitet wurde, um das Vorhaben lukrativer aussehen zu lassen.

Noch dramatischer sind die Folgen bei dem Leuchtturmprojekt Nummer eins, nämlich bei der Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg. Hier sind wirklich alle Befürchtungen eingetreten, die im Vorfeld geäußert wurden. Gegen alle Widerstände hat Roland Koch diese Privatisierung durchgesetzt. Ebenso hat er den Flughafenausbau durchgesetzt. Das Unternehmen Bilfinger Berger, wo er jetzt Millionen verdient, durfte damals die Landebahn bauen. Mit dem Mediationsverfahren wurde versucht, die Menschen in der Region einzulullen. Am Ende wurden selbst minimale Versprechen, wie das sechsstündige Nachtflugverbot, gebrochen. Es ist kein Wunder, dass dieser Regierung in der lärmgeplagten Region niemand mehr vertraut.

(Beifall bei der LINKEN)

Am Ende seiner Karriere hat sich Koch, der Baumeister, vom Acker gemacht und dann ohne jede Schamfrist direkt bei Bilfinger Berger sowie bei der Schweizer Bank UBS angeheuert. Es gäbe sicher noch eine ganze Menge anderer Beispiele, die zu erwähnen wären.

(Zuruf des Abg. Helmut Peuser (CDU))

Ich denke, das Problem ist doch gerade nicht, dass es durch Volker Bouffier einen Bruch zu seinem Vorgänger gegeben hätte, sondern, ganz im Gegenteil, dass jeder Neuanfang ausgeblieben ist.

(Clemens Reif (CDU): Ach, ach, ach!)

Bouffier löffelt die Suppe aus, die Koch zuvor angerührt hat. Ich finde, die „Oberhessische Presse“ hat es vor einigen Tagen ganz treffend geschrieben. Ich zitiere:

Die Lieblingsprojekte aus der Ära des ehemaligen Ministerpräsidenten werden jetzt Stück für Stück abgewickelt....

(Clemens Reif (CDU): Quatsch!)

Die nun ganz neu entfachte Bildungsdiskussion ist nur ein Beispiel dafür, wie die Hinterlassenschaften des ehemaligen „Anführers“ Koch (Originalton Volker Bouffier) inzwischen zu schweren Hypotheken für seinen Nachfolger und die gemeinsame Partei geworden sind.

(Zuruf des Abg. Clemens Reif (CDU))

Was Roland Koch noch als Leuchttürme verkaufen konnte, stürzt unter Bouffier in sich zusammen, ob das die privatisierte Universitätsklinik ist, ob das die EBS ist, ob das die JVA Hünfeld ist. Das hat Auswirkungen. Koch hat immer noch bundesweit für seine Rezepte werben dürfen. Für Bouffier ist eben nicht mehr viel übrig, womit er werben kann.

(Clemens Reif (CDU): Blödsinn!)

Während Roland Koch noch in politische Talkshows zu Anne Will und Maybrit Illner eingeladen wurde, freut sich die CDU-Pressestelle heute schon, wenn Ministerpräsident Bouffier sonntags morgens zwischen der Übertragung von Pokerturnieren und Werbung für 0190er-Nummern beim Sender SPORT1 auftreten und dort über Fußball diskutieren darf.

(Heiterkeit bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei der LINKEN)

Herr Ministerpräsident, vielleicht haben Sie dazu mehr zu sagen als zu politischen Zukunftsprojekten.

(Clemens Reif (CDU): Das ist unglaublich!)

Im Antrag der GRÜNEN wird der Eindruck vermittelt, die Landesregierung sei in erster Linie unfähig und chaotisch, regieren müsse man nicht nur wollen, sondern auch können. Ich glaube, dass diese Problembeschreibung zumindest sehr verkürzt ist. Ich glaube, dass diese Landesregierung schon das will, was sie tut. Das Kabinett ist nicht in erster Linie unfähig, sondern es verfolgt eine falsche politische Linie, die auf Privatisierungen, Bedienung der eigenen Klientel, Sozial- und Demokratieabbau hinausläuft.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man Parteifreunde immer wieder bei Stellenbesetzungen bevorzugt, dann braucht es schon viel guten Willen, um einem Ministerium Chaos zu unterstellen. Ich befürchte: Vielleicht ist es für den einen oder anderen GRÜNEN einfach leichter zu ertragen, sich vorzustellen, dass der potenzielle Koalitionspartner einfach etwas unfähig ist und mit Unterstützung besser regieren könnte, als sich einzugestehen, wie tief die inhaltlichen Differenzen sind.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe der Abg. Ma- thias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) und Clemens Reif (CDU))

Im Falle der Nassauischen Heimstätte sind die Privatisierungspläne vom Tisch. Das halten wir für begrüßenswert. Das ist in erster Linie der Erfolg der Mieterinnen und Mieter, der Proteste der Gewerkschaften und des Mietervereins.

Die GRÜNEN argumentieren, es hätte unter Koch zumindest weniger handwerkliche Fehler gegeben. Auch da frage ich mich, ehrlich gesagt, wie Sie zu dieser Ansicht kommen. Es gibt eine ganze Reihe von Gesetzen aus der Koch-Regierung, die später für verfassungswidrig erklärt wurden. Das ist die Rasterfahndung und die Kennzeichenerfassung. Die Privatisierung der Universitätskliniken wurde in Teilen für verfassungswidrig erklärt, weil dort die Rechte der Beschäftigten verletzt wurden.

Oder denken Sie zurück an den peinlichen Eklat bei der Verleihung des Hessischen Kulturpreises 2009. Das war wirklich handwerklich wie inhaltlich einfach nur beschämend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin der Meinung, wir dürfen hier nicht in erster Linie über das Handwerkliche reden. Wir müssen über die Inhalte der Politik reden. Denn wenn die politische Ausrichtung die falsche ist, dann kann man sich auch nicht darüber freuen, wenn falsche Reformen handwerklich sauber umgesetzt werden.

Der Gesetzentwurf zur Abschaffung der Studiengebühren im Jahr 2008, der von SPD, GRÜNEN und LINKEN beschlossen wurde, war handwerklich zugegebenermaßen fehlerhaft. Das ändert aber nichts daran, dass es der beste Gesetzentwurf war, der den Landtag in den letzten Jahren passiert hat, eben weil der Inhalt der richtige war. Darauf kommt es an.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Deshalb halte ich es für sinnvoller, über die Inhalte zu reden als über die Form. Liebe GRÜNE, da gibt es bedauerlicherweise eine ganze Menge Übereinstimmungen zwischen Ihnen und der CDU, gerade bei den Punkten, die Sie in dem Antrag ansprechen. Sie sprechen G 8 an und die Kehrtwende, die Bouffier gerade vollzieht, indem er den Gymnasien die freiwillige Rückkehr zu G 9 ermöglichen will. Es ist doch exakt die Linie der GRÜNEN, die Wahlfreiheit herzustellen. Sie fordern das doch seit Jahren. Wir halten diesen Schritt keineswegs für ausreichend. Aber an der Stelle sind Sie doch genau auf der Linie der Landesregierung.

Der zweite Punkt ist der Energiegipfel. Sie haben doch dem Energiekonsens zugestimmt, obwohl vollkommen klar war, dass es ein Formelkompromiss ist, der bei jeder Gelegenheit wieder aufgekündigt wird.

Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. Bei der Schuldenbremse war es das Gleiche. Auch hier standen vier Fraktionen gegen eine. Damit will ich sagen, dass immer dann, wenn es hart auf hart kam, wenn es wirklich darauf ankam, die GRÜNEN an der Seite von Bouffier und seiner Landesregierung standen.

(Demonstrativer Beifall des Abg. Frank Sürmann (FDP) – Zurufe von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Zurufe von der CDU)

Ich finde, es ist schon ein Zeichen, dass Sie in Ihrem Antrag heute mehr auf die Form als auf die politische Ausrichtung der Landesregierung abzielen. Ich sehe das schon durchaus als einen Versuch, die Landesregierung zu kritisieren, ohne schwarz-grüne Zukunftsträume ernsthaft zu gefährden.

Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.

Ich bin beim letzten Satz. – Unsere Kritik ist viel grundsätzlicher. Wir wollen Roland Koch in keiner Hinsicht positiv würdigen. Deshalb können wir auch dem Antrag leider nicht zustimmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner hat sich Kollege Rudolph von der Fraktion der SPD gemeldet. Bitte schön, Herr Kollege, Sie haben das Wort.

(Clemens Reif (CDU): Glücksspiel-Rudolph!)

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Herr Reif, Sie haben recht: lieber ein Glücksspieler als ein Falschspieler.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich zunächst feststellen: Herr Dr. Wagner, es gibt schon Gemeinsamkeiten zwischen CDU und LINKEN. Mit Ironie haben es beide nicht so. Das klang alles ein bisschen arg verbissen.