Protokoll der Sitzung vom 28.06.2012

(Demonstrativer Beifall des Abg. Torsten War - necke (SPD))

Ändern wir unsere Position, sagen Sie: „Schlingerkurs, Eltern werden verunsichert, Unruhe, Zeitfaktor.“

(Demonstrativer Beifall des Abg. Torsten War - necke (SPD))

Meine Damen und Herren, es Ihnen recht zu machen, ist die Quadratur des Kreises. Angeblich freuen Sie sich darüber, aber wenn ich so in Ihre Gesichter schaue, stelle ich fest: Freude sieht ein bisschen anders aus.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sehen auch nicht sehr erfreut aus!)

Im Übrigen Herr Kollege Wagner, spricht es für eine Regierung und für Parteien, wenn sie sagen: „Wir sind nach vielen Gesprächen bereit, unsere Position zu überprüfen.“ Das ist ein Zeichen von Größe und nicht das Gegenteil.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen bei der SPD)

Herr Kollege Irmer, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, wir wollen, dass bis zum 01.08.2013 alle Gymnasien im Laufe des kommenden Schuljahres für sich entscheiden können, welche Regelungen sie machen. Wir werden im Herbst in der Tat noch ein paar Feinheiten zu diskutieren haben, Turbo-Klassen und anderes mehr. Aber alle Eltern und Schüler haben ab Herbst dieses Jahres Planungssicherheit.

Ich bin überzeugt – letzter Satz –, dass nur ein kleiner Teil der Gymnasien zu G 9 zurückkehren wird; denn so schlecht kann G 8 gar nicht sein, wenn z. B. Herr Nagel, GEW-Vorsitzender, überzeugter Befürworter der Einheitsschule und Gegner des G-8-Systems, den eigenen Nachwuchs auf dieses angeblich so reaktionäre G-8-Gymnasium schickt. Es gibt auch in diesem Hause einige Genossen, die für sich genau diese Möglichkeit in Anspruch nehmen.

Herr Kollege Irmer, Sie müssen wirklich zum Schluss kommen.

Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren, sieht ein biss chen anders aus.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Irmer. – Das Wort hat Frau Abg. Cárdenas, DIE LINKE.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Lasst doch mal die Kinder von den Leuten raus! – Gegenruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU): Das ist aber die Wahrheit! Entweder bin ich davon überzeugt oder nicht! – Anhaltende Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Bouffiers Ankündigung auf dem Landesparteitag schlug wie eine Bombe ein. Dabei hätte man das eigentlich voraussehen können. Es waren nicht mehr nur die ewig linken Querulanten, sondern die Kritik kam zunehmend auch aus dem Herzen der konservativen Wählerschaft, der Eltern wie dem Hort der klassischen Bildung selbst, den eigenständigen Gymnasien, die nicht weiter zusehen wollen, wie ihre Felle zunehmend in Richtung kooperative Gesamtschule und Oberstufengymnasium davonschwimmen.

Das Thema G 8 ist ein Dauerbrenner. Es beschäftigt uns schon seit der Einführung in Hessen zum Schuljahr 2004/ 2005. Seit der Einführung sind vehement Bedenken geäußert worden, die vonseiten der Landesregierung überheblich und störrisch abgetan wurden. Nun haben wir endlich eine Debatte, die, wenn ich Sie noch beim Wort nehmen darf, Frau Ministerin, im Ergebnis offen sein soll. Sie wollen seit Dienstag zusammen mit dem Ministerpräsidenten die Wahlfreiheit zwischen G 8 und G 9 umsetzen, aber das ist hoffentlich noch nicht das Ende der Fahnenstange.

In unserer Pressekonferenz zu diesem Thema am Montag haben wir eine betroffene Mutter zu Wort kommen lassen. Diese Mutter bezeichnete ihre Söhne als „G-8-Opfer“.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Eieiei, dann hätte sie sie woandershin schicken können!)

Kinder und Jugendliche werden durch diese Schulzeitverkürzung unter einen Leistungsdruck gesetzt, dem ihre ganze Lebenswelt untergeordnet wird. Der Landessportbund Hessen hat extra eine Tagung zu diesem Thema veranstaltet.

Hella Lopez, Vorsitzende des Elternbundes Hessen, hat in unserer Presseerklärung explizit auf die Entwicklungsphase der von G 8 betroffenen Schülerinnen und Schüler hingewiesen. Das ist die Pubertät. Die Auswirkungen sind alarmierend. Kinder und Jugendliche klagen über gesundheitliche Probleme, insbesondere über Konzentrationsschwierigkeiten, Magenschmerzen, Kopfschmerzen und über Schlaflosigkeit. Auch die psychischen Probleme nehmen zu. Therapeuten berichten von einem Anstieg der Anzahl der jugendlichen Patienten seit der Einführung von G 8.

Außerdem boomt seit Einführung der Schulzeitverkürzung der Nachhilfesektor. Fast doppelt so viele Schülerinnen und Schüler in G 8 nehmen Nachhilfe in Anspruch als in G 9.

(Unruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Umfragen besagen, dass es in 60 % der befragten Familien Nachhilfebedarf gibt, viele sich dies aber nicht leisten können. Nachhilfestunden kosten schließlich bis zu 30 € pro Stunde. Laut einer Studie des Allensbach-Instituts

sprechen sich folgerichtig 71 % der befragten Eltern im Bundesgebiet für die Möglichkeit aus, zu G 9 zurückzukehren.

Ich will nicht verhehlen, dass es auch Fakten zu geben scheint, die für G 8 sprechen. So sprach ein Schulleiter in Offenbach davon, dass ohne G 8 die Diskussion über die Lehrgänge nicht in Gang gekommen wäre. Außerdem wäre die Entwicklung hin zu Ganztagsschulen nicht so schnell gekommen, insbesondere die dazugehörigen Aspekte wie Wahlunterricht, Schulsozialarbeit und Zusammenarbeit mit Vereinen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, dafür hätten wir G 8 nicht gebraucht. Das hätten wir auch ohne G 8 haben können, wenn es in diesem Hessischen Kultusministerium wirklich darum gehen würde, dass wir Schulen zu guten Schulen machen wollen.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Frau Ministerin, im Kulturpolitischen Ausschuss bezeichnen Sie die Debatte um G 8/G 9 als Spielzeug der Opposition.

(Günter Rudolph (SPD): Das ist Kritik am Ministerpräsidenten!)

In Ihrer Antrittsrede setzen Sie noch auf einen möglichst intensiven Austausch mit allen, auch mit den Gewerkschaften. Sie wollen auf die Praxiserfahrung und auf die Expertise setzen. Die GEW als die wichtigste Lehrergewerkschaft will keine Wahlfreiheit. Die Wahlfreiheit wird zu einem Zweiklassenschulsystem führen, sagen auch die Gymnasialschulleiter. Wir sagen: Jedes Kind in G 8 ist ein Kind zu viel.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): So ein Unsinn! – Zuruf von der CDU: Oh!)

Daher sehen wir die jetzt den Gymnasien gegebene Wahlfreiheit nur als ersten, aber begrüßenswerten Schritt auf dem Weg hin zu G 9 für alle an.

Interessant ist die Sicht des „Darmstädter Echos“ zu der Entwicklung. Sie sagten gestern, die Wahlfreiheit ermögliche nun einen fairen Wettbewerb zwischen schnellem und weniger schnellem Lernen fürs Leben.

Wir wollen keinen Wettbewerb an Schulen, weder zwischen Schülerinnen und Schülern noch zwischen den Schulen selbst,

(Holger Bellino (CDU): Kein Wettbewerb? Planwirtschaft! Im Sozialismus gibt es keinen Wettbewerb! – Gegenruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

schon gar nicht darum, wie schnell jemand lernen kann, Herr Bellino. Was für ein Verständnis von Pädagogik zeigt sich da?

Das Blatt appelliert interessanterweise an die SPD, sich nun ebenfalls zu bewegen und von ihrem Versprechen, zu G 9 zurückzukehren, im Interesse des Schulfriedens ebenfalls abzurücken. Wer weiß, welche Purzelbäume wir in diesem Landtag noch alle zu sehen bekommen. Wendehälse gibt es hier schon genug.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Davon wissen Sie eine Menge!)

Frau Beer, mit der Abschaffung des Turboabiturs würden Sie tatsächlich den lang ersehnten neuen Wind in die FDP bringen. Denn Einsicht, etwas falsch gemacht zu haben,

gepaart mit der Bereitschaft, dies wieder auszubügeln, wäre in der Tat eine bemerkenswerte neue Politiklinie Ihrer Partei. Dazu würden wir Ihnen uneingeschränkt gratulieren. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank. – Das Wort hat die Kultusministerin, Frau Staatsministerin Beer.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren Abgeordnete! Nachdem ich mir die Debatte angehört habe, glaube ich, dass es notwendig ist, vorneweg zwei, drei Feststellungen zu treffen. Erstens. Hessens Schulen geht es gut. An Hessens Schulen gab es noch nie so viele Lehrer.

(Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Wir haben noch nie ein so gutes Schüler-Lehrer-Verhältnis gehabt. Wir haben für diese Schulen noch nie so gute Arbeitsbedingungen gehabt. Weil mir die eine oder andere Aussage hier überhaupt nicht gefallen hat, möchte ich explizit von dieser Stelle aus, gerade kurz vor Beginn der Schulferien, feststellen: Wir haben über 50.000 kompetente, motivierte und engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die einen tollen Job zugunsten unserer Kinder machen.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber an der Spitze stimmt es nicht! – Zuruf des Abg. Hans-Jürgen Irmer (CDU))

Es waren genau diese kompetenten Kolleginnen und Kollegen an den Gymnasien dieses Landes, Herr Wagner,

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Beer!)

die die Einführung von G 8 sehr verantwortungsvoll umgesetzt haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Allen Unkenrufen zum Trotz: Diese Hessische Landesregierung steht weiter hinter der Möglichkeit, in Hessen mit G 8 in acht Jahren zum Abitur zu kommen. G 8 ist wesentlich besser als sein Ruf. Das haben wir auch der engagierten Arbeit an unseren Gymnasien zu verdanken.