Hans-Jürgen Irmer

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Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Als die ersten Steuererhöhungspläne von SPD und GRÜNEN veröffentlicht wurden, hat eine deutsche Tageszeitung geschrieben: „Rot-Grün am Steuer, das wird teuer.“ Ich glaube, da ist eine ganze Menge Wahrheit drin.
Wenn Sie politisch nicht reüssieren, zumindest was die Umfragen angeht, dann hat das möglicherweise auch ein klein wenig damit zu tun, welche Pläne Sie veröffentlicht haben. Ich habe durchaus Verständnis, wenn Sie heute versuchen, alles niedrigzuhängen, nach dem Motto: „tarnen, täuschen, tricksen“, dass Sie sagen: „Es wird alles nicht so schlimm kommen“, und dass Herr Trittin erklärt, es seien nur 5 % der Bevölkerung betroffen und alle anderen überhaupt nicht.
Meine Damen und Herren, ich weiß nicht, ob er die holzapfelsche Mengenlehre verinnerlicht hat, aber wenn man einmal Revue passieren lässt, was Sie letzten Endes alles verändern wollen, dann komme ich nicht auf 5, 6, 7, 8 oder 9 %, sondern eher auf 90 %, die betroffen sind. Das möchte ich Ihnen in der gebotenen Kürze auch darstellen:
Erstens. Sie wollen die Abschaffung des Ehegattensplittings. Das bedeutet, dass ein Ehepaar mit einem Alleinverdiener bis zu 6.000 € pro Jahr mehr zahlen muss. Dies trifft Millionen.
Zweitens. Sie wollen eine Verdoppelung der Erbschaftsteuer. Dabei geht es nicht um die Luxusvilla von Herrn Lafontaine, das Chalet von Frau Wagenknecht in England oder um die Luxusvilla von Herrn Bsirske, nein, da geht es um ganz normale und gut situierte Wohngegenden. Ob das in Wetzlar, Gießen oder wo auch immer ist; kurzum, es
sind ganz normale, ordentliche Einfamilienhäuser. Das wollen Sie verdoppeln, und das bedeutet, dass die Nachkommen für ein normales Einfamilienhaus mindestens 20.000 € mehr an Erbschaftsteuer bezahlen müssen, obwohl alles schon einmal versteuert war. Das trifft pro Jahr Hunderttausende.
Drittens. Sie wollen – darauf hat Herr Kollege Greilich zu Recht schon hingewiesen – die Einkommensteuer erhöhen. Dies betrifft nach Ihrer eigenen Definition etwa 15 bis 20 % der Einkommensbezieher. Das heißt, wir diskutieren über Millionen pro Jahr, die betroffen sind.
Viertens. Sie wollen darüber hinaus eine Einheitskrankenversicherung einführen.
Das bedeutet beispielsweise, dass ein Haushalt mit einem Monatsbruttoeinkommen von 3.000 € rund 75 € monatlich mehr bezahlen muss. Das betrifft Millionen.
Fünftens. Sie wollen die Beitragsbemessungsgrenze der Kranken- und Pflegeversicherung erhöhen von derzeit 3.937,50 auf 5.500 €, und Sie wollen obendrein Einkünfte aus Kapitalvermögen und Vermietung hinzuziehen.
Das heißt, diejenigen, die versucht haben, für das Alter ein wenig vorzusorgen und vielleicht irgendwo eine kleine Eigentumswohnung, eine Studentenbude, haben und dies natürlich letzten Endes in die Alterssicherung investiert haben, mit entsprechendem Engagement, mit Fleiß und Leistung, sollen von Ihrer Seite aus zusätzlich bestraft werden. Leistung lohnt sich für Sie in letzter Konsequenz nicht, und das sind auch Millionen.
Es heißt im Übrigen, wenn Sie das einmal umrechnen: Es belastet im Normalfall die Wirtschaft, und es belastet den Arbeitnehmer ebenfalls in einer Größenordnung von rund 150 €. Arbeit wird, dadurch bedingt, in Hessen und in Deutschland teurer.
Sechstens. Sie wollen Steuern auf Wasser, Sand und Kies erheben; Sie wollen die Einführung der Rohstoffsteuer, und Sie wollen eine Grundwasserabgabe einführen. Das macht allein in Hessen rund 100 Millionen € aus, die Sie der Wirtschaft und den Privatbürgern entziehen wollen. Das trifft in Hessen alle; das sind 6 Millionen. Meine Damen und Herren, da reden Sie von 5, 6, 7 %.
Siebtens. Sie wollen, das halte ich für extrem unsozial, den Steuerfreibetrag für die Ausbildung streichen. Familienfreundlichkeit sieht anders aus, denn bisher wurden Eltern steuerlich entlastet, wenn die Kinder studierten. Diese Möglichkeit der steuerlichen Entlastung wollen Sie streichen. Das ist im Grunde genommen nichts anderes, als durch die Hintertür wieder Studienbeiträge einzuführen.
Letzter Punkt, der Wegfall der 450-€-Jobs.
Meine Damen und Herren, das trifft 7 Millionen Menschen.
Man muss gelegentlich einmal erklären, was Sie alles vorhaben, weil Sie immer versuchen, den Leuten ein X für ein U vorzumachen. Das machen die GRÜNEN mit ihrem Antrag zum Thema 450-€-Jobs ganz genauso. Sie reden von einer Reform der 450-€-Jobs. Das ist ein Kahlschlag und keine Reform. Das ist der entscheidende Unterschied.
Sie wollen, so erklären Sie, in einem ersten Schritt durch die Einführung eines Mindestlohns von mindestens 8,50 € die Niedrigstlöhne im Bereich der Minijobs künftig verhindern, usw.
Sie verkennen dabei, dass der durchschnittliche Minijobber bereits 9,45 € verdient. Das nur einmal am Rande.
Sie führen in Ihrem Antrag weiter aus, dass Sie eine Informationspflicht der Arbeitgeber und zusätzliche Betriebskontrollen einführen wollen. Meine Damen und Herren, wer beschäftigt denn eigentlich die Minijobber in der Regel? In aller Regel sind Schulvereine, Betreuungsvereine, Sozialverbände,
Privathaushalte, Musikschulen, Sportvereine und Gesangvereine die Arbeitgeber für Minijobber.
Wie soll denn, bitte schön, eine Informationspflicht beispielsweise eines Sportvereins oder einer Musikschule aufgebaut werden? Was wollen Sie denn bei diesen Vereinen für Betriebskontrollen durchführen? Wollen Sie Inspekteure hinschicken? Wollen Sie in letzter Konsequenz ein ganzes Heer von Kontrolleuren aufbieten mit einer riesigen Bürokratie, oder was soll das in der letzten Konsequenz bedeuten?
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland etwa 7 Millionen Menschen, die Minijobs ausüben. Sie reden immer von prekären Beschäftigungsverhältnissen usw. Fakt ist: Seit 2004 bis heute ist die Zahl der Minijobber nicht gestiegen, sie ist gleich geblieben.
Gleichzeitig ist aber die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland um 11 % gestiegen. Das ist positiv.
Etwa 10 % der Minijobber hätten gerne eine Vollzeit- oder eine Teilzeitstelle, mehr nicht. Diejenigen, die anschließend eine Vollzeit- oder Teilzeitstelle in Anspruch nehmen, machen das zu 40 % bei den Arbeitgebern, bei denen
sie mit einem Minijob gestartet sind. Mit anderen Worten: Der Minijob kann auch eine Chance für Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigung sein.
Jetzt gehen wir doch einmal an diejenigen, die den Minijob ausführen. Wer ist das denn? Das ist der Schüler, der irgendwo das Taschengeld aufbessert. Das ist der Student, der dazu beiträgt, das Studium zu finanzieren. Das ist der Rentner bzw. die Rentnerin. Ich hatte gestern eine Führung durch das Kloster Eberbach von einer netten topfitten Dame. Ich habe sie gefragt, wie es bei ihr mit der Bezahlung ist. Sie sagte, sie sei Pensionärin und habe historische Interessen. Sie mache diesen Job, weil sie Hobby und die Möglichkeit, etwas dazuzuverdienen, verbinden könne.
Dasselbe ist es bei den Zeitungsausträgern. Wer macht das denn? Das machen häufig Leute, die gar keine Zeit haben, einen Vollzeitjob auszuüben, und es teilweise gar nicht wollen.
Wir diskutieren also über eine hohe Zahl von Menschen, die dies als Chance begreifen, für das eigene Einkommen etwas zu tun, und diese Gelegenheit wahrnehmen.
Nein, die Zeit ist dafür leider zu kurz. – Nehmen wir ein anderes Beispiel: die Musikschule Wetzlar.
Ein Drittel der Beschäftigten arbeitet Vollzeit, ein Drittel der Beschäftigten Teilzeit und ein Drittel der Beschäftigten sind 450-€-Jobber. Warum? Das ist ganz einfach zu erklären. Es gibt nun einmal Musiklehrer, die relativ exotische Instrumente anbieten, die nicht nachgefragt werden. Für diese drei bis vier Schüler können sie keine Vollzeitstelle schaffen.
Nehmen Sie beispielsweise den Förderverein der Grube Fortuna bei uns im Lahn-Dill-Kreis. Dort sind viele Saisonarbeiter beschäftigt. Dort gibt es 30 Leute als 450-€Jobber. Dort können überhaupt keine Vollzeitstellen geschaffen werden. Das ist völlig ausgeschlossen.
Zweites Beispiel: das Familienzentrum in DillenburgFrohnhausen. Kollege Reif und ich waren dort. Sie haben dort zehn Minijobber, also zehn 450-€-Jobber. Wir haben hier die Chance, flexibel auf die Bedingungen des Arbeitsmarkts zu reagieren, so wie das der Einzelne möchte. Wir möchten, dass das auf Dauer erhalten bleibt. Das möchten wir im Interesse dieser Menschen, die einen kleinen Teil dazu beitragen wollen, ihr Einkommen aufzubessern.
Was Sie wollen, ist in letzter Konsequenz die Abschaffung der 450-€-Jobs, auch wenn Sie das jetzt anders verkleistern. Sie reden jetzt von Reform, von erstem und zweitem Schritt. Die Wahrheit sieht aber anders aus.
Wir lassen es Ihnen nicht durchgehen, dass Sie alle diese Steuererhöhungsorgien verschweigen. Wir reden mit den Menschen darüber, wir informieren sie darüber. Sie können am 22. September sowohl bei der Bundestagswahl als auch bei der Landtagswahl aus innerer Erkenntnis und aus freien Stücken heraus entscheiden, wem sie mehr vertrauen, Ihnen, die Sie den Menschen das Geld aus der Tasche herausziehen wollen, oder uns, die wir sagen, Leistung muss sich wieder lohnen, deswegen wollen wir diese Steuererhöhungsorgie nicht.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Frau Kollegin Wissler hat davon gesprochen, dass wir ausreichende Löhne benötigen würden. Die GRÜNEN haben mit ihrem Antrag formuliert, „dass allen Menschen die Möglichkeit eröffnet werden muss, ihren Lebensunterhalt eigenverantwortlich zu erwirtschaften und nicht von staatlicher Unterstützung abhängig zu sein. Von seiner eigenen Arbeit leben zu können, das bedeutet ein großes Stück Würde und Gerechtigkeit.“
Lieber Herr Kollege Bocklet, ich teile das ausdrücklich. Darüber brauchen wir gar nicht zu streiten. Das muss das Ziel sein. Aber es gibt leider auch Grenzen. Gerade vor dem Hintergrund dieser richtigen Aussage verstehe ich umso weniger – –
Frau Kollegin Wissler, ich habe mit Ihnen angefangen, wenn Sie richtig zugehört haben. – Kurzum, ich stimme der Frau Kollegin zu, was die Geschichte „ausreichende Löhne“ angeht. Ich stimme dem Kollegen Bocklet zu, was diese Formulierung angeht. Vor diesem Hintergrund kann ich umso weniger verstehen, dass man entsprechende Anträge oder Steuererhöhungspläne hat, die genau das Gegenteil bewirken, nämlich Arbeitsplätze in der Größenordnung von 1,8 Millionen abzubauen.
Meine Damen und Herren, ein letzter Satz, weil Sie bezweifelt haben, die Antragstellung sei falsch. Ich zitiere nur einen Satz aus Ihrem Antrag: „In einem zweiten Schritt [werden wir] … Minijobs durch sozialversicherte Beschäftigung … ersetzen.“ – Das heißt übersetzt: abschaffen. Und deshalb ist unser Antrag richtig.
Ist der Kultusministerin bekannt, dass die Kultusministerin des Landes Bremen zurückgetreten ist, weil sich Bremen geweigert hat, die Zahl der Ganztagsschulen auszudehnen?
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man eben die Vertreter der Fraktionen der SPD und der GRÜNEN gehört hat, kann man davon ausgehen, dass, wenn sie denn gewinnen sollten, in der neuen Legislaturperiode in diesem Bundesland, was die Bildungspolitik angeht, alles besser wird.
„So ist es!“ – Ich glaube, dass wir heute Zeitzeugen eines vorprogrammierten Wahlbetrugs geworden sind, wenn man unterstellt, dass Sie gewinnen werden.
An ihren Taten sollt ihr sie messen. Wir haben die Situation, dass wir in einigen Bundesländern Rot-Grün bzw. Grün-Rot haben. Ich will Ihnen einmal mit wenigen Worten skizzieren, was Sie den Menschen in den Ländern, in denen Sie die Verantwortung tragen und in denen angeblich alles viel besser als in den Ländern ist, die SchwarzGelb regiert, vor der Wahl versprochen haben. Ich zitiere:
Gerade in Zeiten ökonomischer und ökologischer Krisen sind Investitionen in Bildung besonders wichtig, weil sie gesellschaftliche Blockaden aufbrechen und gute Voraussetzungen für die Bewältigung der Herausforderungen in der Zukunft schaffen …
Nicht alle Probleme unseres Bildungssystems lassen sich mit Geld lösen, aber ohne zusätzliches Geld wird es nicht gehen. Die Bildung unserer Kinder muss uns etwas wert sein. Deshalb wollen wir der Bildung im Haushalt Priorität einräumen. Die im Zuge des demografischen Wandels in den kommenden Jahren sinkenden Kinderzahlen werden wir nicht zu Einsparungen im Bildungsbereich nutzen.
Das war ein Zitat zur Bildung aus dem Wahlprogramm der GRÜNEN aus Rheinland-Pfalz vor der Landtagswahl im Jahr 2011. Die SPD hat erklärt – ich zitiere –:
Die demografische Entwicklung wird unweigerlich zu einem Rückgang der Schülerzahlen führen. Statt diese Veränderung zu beklagen, werden wir
die Mitglieder der SPD –
sie zum Wohle der Schülerinnen und Schüler als Vorteil nutzen, indem wir die pädagogische Qualität verbessern und die Betreuungsrelationen, z. B. durch geringere Klassenmesszahlen, erhöhen.
Gut gebrüllt, Löwe. Das ist wunderbar. Das Ergebnis sieht so aus – das waren Worte der SPD aus Rheinland-Pfalz –: Pro Woche fallen in Rheinland-Pfalz allein an den Gymnasien 10.000 Stunden Unterricht aus. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die ich selten anführe, erklärt an die Adresse der Landesregierung, es sei positiv, dass Schulen mit mehr als 10 % Unterrichtsausfall vorrangig Lehrerstellen zugewiesen bekämen. Es geht da um Schulen mit mehr als 10 % Unterrichtsausfall.
Was macht Frau Ministerin Ahnen? 2.000 Lehrerstellen werden gestrichen. Frau Ahnen erklärt in der Mainzer „Allgemeinen Zeitung“:
Das ist ein vernünftiger Weg.
Dafür haben die rot-grünen Koalitionäre in RheinlandPfalz in ihrem Vertrag festgehalten, einmal in der Woche soll ein fleischloser Tag unterstützt werden.
Rot-grüner Wortbruch oder: Rot-Grün ist Bildungsabbau, Beispiel eins.
Beispiel zwei: Nordrhein-Westfalen.
Dem kann man nur zustimmen. Er hat gesagt: Wenn weniger Lehrer da sind, brauchen sie auch weniger Fleisch für die Allgemeinheit.
Meine Damen und Herren, Nordrhein-Westfalen – sinngemäß gleiche Begründung im Wahlprogramm von SPD und GRÜNEN. Fakt ist: Bedarfsdeckender Unterricht für Referendare wird erhöht; keine kleineren Klassen, trotz Zusage; Fortbildung bei der Inklusion wird gestrichen; Elternanträge bei der Inklusion werden tausendfach abgelehnt; und Frau Löhrmann, die Kultusministerin, erklärt: Was die Inklusion angeht, brauchen wir einen ganz langen Atem.
Und was machen sie aktuell? 500 Lehrerstellen oder umgerechnet 25 Millionen € werden gestrichen. Die Kultusministerin von den GRÜNEN erklärt dazu: Na ja, temporärer Unterrichtsausfall sei möglich.
5 % fallen ohnehin aus, vom Betrug bei der Besoldungsanpassung ganz zu schweigen. Riesenproteste: „Lügen-Hanni!“, „Kraft in Beugehaft“ heißt es dort bei den Protesten, weil man das, was man vorher versprochen hat, nämlich Besoldungsanpassung, nach der Wahl nicht mehr wahrhaben wollte.
Rot-Grün bedeutet Wortbruch. Rot-Grün bedeutet Bildungsabbau.
Drittes Beispiel: Baden-Württemberg. Grün-rote Überschrift: „Bessere Bildung für alle“, 2011. Wer wollte da widersprechen? Die Ex-Kultusministerin: Alle frei werdenden Stellen bleiben im System erhalten.
Fakt ist: Der Klassenteiler wird, entgegen der Zusage, nicht gesenkt. Die Besoldungserhöhung wird geschoben. Die versprochene Rückgabe der Überstunden im Umfang von 30.000 Stunden wird nicht gewährt. Der Unterrichtsausfall in den beruflichen Schulen beträgt 10 %. Die Eingangsbesoldung der angehenden Lehrer wird um 4 % abgesenkt. 11.600 Stellen werden abgebaut.
Im nächsten Jahr soll die Altersermäßigung gestrichen werden. Der Kollege Kretschmann erklärt öffentlich, in der
Altersermäßigung der Lehrer sieht er keinen Sinn. – Im Übrigen ist die Beihilfe für die Beamten gekürzt worden, und auch dort hat es eine Verschiebung der Besoldungsanpassung gegeben.
Rot-Grün ist Wortbruch, Rot-Grün ist Bildungsabbau – egal, wohin Sie schauen.
Niedersachsen: Vor der Wahl wurden mehr Lehrer gefordert. Dort sind Sie noch nicht lange dran. In der Koalitionsvereinbarung hat man Folgendes festgehalten: Die Schülerbeförderungsmittel werden um 60 Millionen € reduziert; eine Arbeitszeiterhöhung für Gymnasiallehrer; eine Altersermäßigung für Lehrer über 55 wird gestrichen; 300 Lehrerstellen werden im Gymnasialbereich abgebaut.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün ist Bildungsabbau – überall, wo Sie regieren.
Bremen: In Bremen beträgt der Unterrichtsausfall 8 %. Die Kultusministerin ist zurückgetreten, weil – entgegen der Zusage, die man ihr gegeben hat – keine zusätzlichen Ganztagsschulen eingerichtet werden. Die Mittel werden eingefroren. Die Klassengrößen werden angehoben. Für die Inklusion ist kein Geld da. Die Förderschulen hat man abgeschafft. Die Förderschüler sind da. Jetzt hat man gesehen, es funktioniert nicht – und 120 Förderschüler werden an Förderschulen zurückgebracht, obwohl Förderschule gar nicht mehr stattfindet. So viel zum Thema Inklusion. 7 % der Lehrer gehen in Pension, 3 % werden ersetzt: Abbau 4 %.
Meine Damen und Herren, Rot-Grün ist Stellenabbau. RotGrün ist Wortbruch. Rot-Grün ist Bildungsabbau. Genau so ist es.
Zum Schluss. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, das zusammenzustellen: Rheinland-Pfalz 95% Unterrichtsabdeckung, NRW 95 %, Berlin 96 %, Bremen 92 %, Schleswig-Holstein 94 % – Hessen 105 %. Das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns.
Und eine zweite Zahl: Lehrerstellenabbau. Rheinland-Pfalz 2.000, NRW 500, Baden-Württemberg 11.600, Niedersachsen 300, Bremen 50, Brandenburg 1.000, SchleswigHolstein 3.500 – macht 18.000 Stellen minus unter rot-grüner Verantwortung.
Jetzt sage ich Ihnen, was von uns gemacht worden ist: Nordrhein-Westfalen, von 2005 bis 2010 unter CDU-Regierung, 8.000 Stellen zusätzlich, Bayern in der letzten Legislaturperiode 8.000 Stellen zusätzlich – das Land ist auch ein bisschen größer –, Baden-Württemberg von 2006 bis 2011 3.500 Stellen zusätzlich, unsere 6.000. 25.000 Lehrerstellen mehr unter schwarz-gelber Verantwortung, bei Ihnen 18.000 minus. Das ist der Unterschied, und deshalb muss Hessen schwarz-gelb bleiben.
Frau Ministerin, ich bitte um Nachsicht. Sie kommen sofort dran. Die Frau Kollegin Habermann hat zwei Aussagen gemacht, die ich an dieser Stelle so nicht stehen lassen kann und nicht stehen lassen will, weil sie objektiv falsch sind, sehr vornehm formuliert.
Sie haben eben ausgeführt, wir hätten gesagt, Ganztagsschule in gebundener Form sei nach unserer Auffassung eine Zwangsbeglückung. Das ist falsch. Das wissen Sie. Wir haben gestern Folgendes ausgeführt: Wir wollen den Ausbau von Ganztagsschulen in offener Form auf freiwilliger Basis – ja. Wir haben zweitens gesagt: Wir wollen den Ausbau von Ganztagsschulen in gebundener Form da, wo gewünscht – ja, klares Bekenntnis. Was wir aber nicht wollen – das ist der Unterschied zwischen Ihnen und uns –: Wir wollen nicht die 500 oder mehr Grundschulen in Hessen, die Sie in den nächsten fünf Jahren ohne Rücksicht auf den tatsächlichen Bedarf zu gebundenen Ganztagsschulen ausbauen wollen. Das ist der Unterschied. Meine Damen und Herren, wir wollen keine flächendeckende Zwangsganztagsschule –
da, wo vor Ort notwendig, ja, aber nicht flächendeckend. – Das ist das eine.
Das Zweite. Das war schlichtweg falsch, Frau Kollegin, und eine Unterstellung. Sie wissen, dass es nicht so gewesen ist. Sie haben mir unterstellt, ich hätte gesagt, die integrierte Gesamtschule sei ein pädagogisches Verbrechen. Diese Aussage von Ihnen ist falsch; ich habe sie nie so getätigt.
Ja, man muss gelegentlich auch am nächsten Tag noch einmal die Zeitung lesen. Es handelte sich um eine Veranstaltung in Gießen, bei der zwei Zeitungen vertreten waren. Es ging um das Thema Einheitsschule.
Einheitsschule, so, wie Sie sie wollen: ohne äußere Differenzierung, ohne größere innere Differenzierung.
Diese Form von Einheitsschule, die Sozialdemokraten und Kommunisten predigen, ist nicht das, was wir wollen, und
das ist ein pädagogisches Verbrechen, aber nicht die integrierte Gesamtschule – um es sehr deutlich zu sagen. Ich habe selbst an einer solchen unterrichtet, sogar an mehreren, und weiß, wovon ich rede.
Die eine Zeitung hat das formal völlig korrekt dargestellt, die andere Zeitung hat es in der Sache völlig falsch dargestellt, hat es aber am nächsten Tag korrigiert. Ich denke, Sie wissen das. Das sollten Sie einfach zur Kenntnis nehmen. Es wäre ein Akt der Fairness, dies auch entsprechend öffentlich darzustellen und nicht mit falschen Behauptungen zu operieren.
Danke, Herr Präsident. – Wir haben das Thema in der Vergangenheit schon mehrfach erörtert. Deshalb kann ich mich relativ kurz fassen. Ich will in der gebotenen Kürze nur darauf aufmerksam machen, dass es ganz unterschiedliche Studien gibt, was die Bedeutung des Lehrers für den Erfolg des Schülers im Unterricht angeht. Ich verweise auf den neuseeländischen Bildungsforscher Hattie, der die Ihnen bekannte Hattie-Studie verfasste und Hunderte von Metastudien ausgewertet hat. Ich fasse zusammen: Er kommt wie viele andere auch zu der entscheidenden Auffassung, dass für den schulischen Erfolg von Kindern die Art, wie Lehrer unterrichten, die stärkste Auswirkung auf den Lernzuwachs junger Menschen hat. Er sagt:
Lehrer brauchen die Liebe zum Fach, den Willen, es Schülern näherzubringen, und den Glauben, dass jeder Schüler lernfähig ist.
Also eine entsprechend positive Grundeinstellung, das ist etwas, was bei anderen Studien – Hamburg beispielsweise – ebenfalls herauskommt, oder bei dem, was der uns, geografisch gesehen, etwas näher stehende Prof. Rauin an der Universität Frankfurt – ein entschiedener Befürworter des Praxissemesters, aber das nur am Rande – mehrfach öffentlich erklärt hat:
Lehrer müssen brennen. Sie müssen begeistert sein für ihren Beruf und ihre Berufung. Lehrer als Beruf im Sinne von Berufung und nicht als Job.
Das heißt, Rauin sagt: Lehrer müssen rechtzeitig wissen, was auf sie zukommt.
Ich will Frau Stange, ehemalige GEW-Bundesvorsitzende, zitieren – das kommt bei mir nicht häufig vor –, die gesagt hat
gelegentlich gibt es auch dort Lichtblicke –:
Dazu brauchen wir auch eine engere Verzahnung zwischen Theorie und Praxis. Lehramtsanwärter werden heute nach der Theorie an der Uni ins kalte Wasser geworfen und sind ganz geschockt, wie hart die Schulpraxis ist.
Es gibt auch eine interessante Umfrage vom Institut für Demoskopie Allensbach aus dem Jahre 2012. Damals sind Junglehrer befragt worden, wie sie glauben, so einigermaßen auf den Lehrerberuf vorbereitet worden zu sein. 62 % haben erklärt, dass sie viel zu wenig Vorbereitung hatten, bezogen auf die Praxis, auf das tägliche Geschäft anschließend im Lehrerberuf.
Hierfür brauche ich nicht das Institut für Demoskopie Allensbach: Das war schon zu meiner Zeit so; das ist heute noch so. Ich habe gerade vor wenigen Wochen wieder mit einer Reihe von Lehramtsstudenten diskutiert und gefragt: Wie sehen Sie das denn? Wie ist das denn mit der Vorbereitung auf den späteren Beruf? – Die Kernaussage war bei allen gleich: Wir haben im Grunde genommen eine tolle
fachbezogene Ausbildung auf hohem Niveau. Das ist alles in Ordnung, aber wir fühlen uns in Bezug auf das, was später auf uns zukommt, ein klein wenig im Stich gelassen. – Das deckt sich auch mit der Anhörung zum Thema Praxissemester.
Die Kernaussage war – bei allen Kritikpunkten, die das Praxissemester von den Anzuhörenden auch erfahren hat; das gehört zur Wahrheit dazu –: Jawohl, wir brauchen mehr Praxisbezug. – Deshalb haben wir gesagt: Wir wollen dieses Praxissemester im 3./4. Semester implementieren. – Letzten Endes bewegen wir uns damit auf der Ebene anderer Bundesländer bzw. anderer Staaten in Europa, die längst auf diesem Wege sind, und zwar erfolgreich. Es ist das Ziel, dass junge Leute zu einem relativ frühen Zeitpunkt für sich erkennen können, ob das Lehramtsstudium für sie das Richtige ist oder nicht.
Es ist wichtig, dass sie das für sich selbst erkennen können, und wir ersparen jenen, die vielleicht nicht geeignet sind, spätere gescheiterte Karrieren. Wir ersparen aber dann auch vielen Schülern Pädagogen, die für diesen Beruf nicht geeignet sind, mit allen negativen Konsequenzen. Deshalb ist es richtig, dass wir ihnen zu einem möglichst frühen Zeitpunkt die Chance geben, für sich zu erkennen: Jawohl, das ist genau das, was ich schon immer machen wollte.
Was wir aus der Anhörung noch mit herausnehmen können und müssen, sind aus meiner Sicht kritische und konstruktive Anmerkungen – wir sind sehr offen im Vollzug dessen, was dann umgesetzt werden soll –, beispielsweise die Frage: Wie können wir die Studienseminare stärker einbinden? Oder die Mentorenentlastung; das will ich ganz bewusst nur als Stichwort nennen; oder auch die Anregung, die aktuell von der Universität Kassel gekommen ist, zu sagen: Bitte schön, wir haben bisher ein anderes Konzept mit mehreren Praktika gehabt.
Wir haben kein Problem damit, zu sagen: Wenn wir das Praxissemester haben, spricht nichts dagegen, zu prüfen, ob man im weiteren Verlauf des Studiums noch einmal ein vierwöchiges oder zwei vierwöchige Praktika anschließt. Damit haben wir kein Problem, da sind wir völlig offen. Der Kern aber ist, dass wir gesagt haben, wir brauchen diesen Praxisbezug zu einem möglichst frühen Zeitpunkt. Damit befinden wir uns auf der Ebene all der Staaten und Bundesländer, die das vor uns bereits partiell eingeführt haben oder dies diskutieren. Deshalb wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie diesem Gesetzentwurf zustimmen würden.
Ich frage die Landesregierung, ob ihr bekannt ist, dass die Zahl der befristeten Stellen im Bundesland Baden-Württemberg im Vergleich zum letzten Jahr um 1.400 % gestiegen ist.
Herr Minister, ist es zutreffend, dass bei den zu Recht – in Anführungszeichen – eingekesselten Demonstranten etwa 900 Waffen und waffenähnliche Gegenstände wie Polen
böller, angespitzte Lanzen und anderes mehr festgestellt und sichergestellt wurden? Und ist es richtig, dass diese Demonstranten in der Lage gewesen wären, an der Demonstration weiter teilzunehmen, wenn sie der Aufforderung der Polizei Folge geleistet hätten, diese Waffen und waffenähnlichen Gegenstände abzugeben?
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Alle Studien, die wir deutschlandweit und weltweit kennen, sagen eines: Wir brauchen im Bereich der Lehrerausbildung mehr Praxisbezug. Genau diesem Ziel dient der Gesetzentwurf, den wir heute in zweiter Lesung beraten. Die Anhörung hat ebenfalls einiges ergeben. Es hat eine Reihe von Anregungen sowie Kritik gegeben. Es gab wichtige Anregungen, die wir sicherlich in der nächsten Zeit umsetzen werden; von daher war die Anhörung gut. Vor allem aber hat sie eines ergeben: Wir brauchen vor allem das, was wir vorschlagen, nämlich deutlich mehr Praxisbezug. Das erreichen wir in Form des Praxissemesters. Deshalb sind wir hier auf einem guten Wege.
Wenn wir das umgesetzt haben, wird es eine anschließende Evaluation und Anregungen geben. Wir gehen ergebnisoffen an das Ganze heran. Aber unterm Strich sind wir, pädagogisch gesehen, absolut auf der Höhe der Zeit, weil das, was wir vorgeschlagen haben, in der Tat das wiedergibt, was beispielsweise die große Hattie-Studie sagt, in der 800 Metastudien ausgewertet worden sind. Das Ergebnis lautet ganz klar, dass die Persönlichkeit des Lehrers entscheidend für den schulischen Erfolg eines Kindes ist. Dazu brauchen wir Pädagogen, die möglichst zeitnah und früh erste Erfahrungen in der Schule machen können. Deshalb sind wir mit diesem Gesetzentwurf auf einem guten Weg. – Herzlichen Dank.
Verehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir kommen heute mit dem Gesetzentwurf, glaube ich, in Richtung Praxissemester einen guten Schritt weiter. Damit ist heute ein wichtiger Einstieg geschafft, und das ist etwas, was aus unserer Sicht sehr begrüßenswert ist. Ich füge ausdrücklich hinzu: Ich freue mich auch sehr darüber, dass damit letzten Endes im Vorfeld einem gemeinsamen Anliegen Rechnung getragen wird, nicht nur von CDU und FDP, sondern auch von den GRÜNEN. Das möchte ich ausdrücklich begrüßen.
Wenn wir uns über das Thema der Veränderung der Lehrerausbildung unterhalten, besteht immer die grundsätzliche Gefahr, dass man damit diejenigen in irgendeiner Form diskreditiert, die jetzt im System drin sind. Dies ist natürlich in keiner Weise vorgesehen. Deshalb möchte ich sehr bewusst und ausdrücklich – ich denke, auch in Ihrer Namen – an die Adresse der 50.000 Vollzeitstelleninhaber bzw. 60.000 Pädagogen, die wir in Hessen haben, das sind so viele wie noch nie, ein ausdrückliches Lob aussprechen, ein Wort des Dankes für das, was sie im Sinne unserer Kinder in diesem Lande leisten.
Deshalb sage ich auch sehr deutlich: Ich glaube, dass Deutschlands schulpolitischer Ruf dramatisch besser ist als das, was gelegentlich öffentlich kommuniziert wird, denn wenn wir so schlecht wären, wären wir international nicht so außergewöhnlich positiv aufgestellt.
Meine Damen und Herren, die Anforderungen an den Lehramtsberuf sind hoch, und sie werden mit Sicherheit
nicht weniger, sondern werden tendenziell steigen. Es verbietet die Kürze der Zeit, darauf im Detail einzugehen, aber wenn ich hierauf nur stichwortartig hinweisen darf: Wir erwarten Fachkompetenz, didaktische, methodische, diagnostische Fähigkeiten und, nicht zu vergessen, die sogenannten Soft Skills: Teamfähigkeit, Beziehungsfähigkeit, gegenseitige Achtung, Respekt, Mitarbeit usw. usf. Ich glaube, daran wird deutlich, welchen Anforderungen Lehrer heute ausgesetzt sind. Deshalb ist es auch so wichtig, sich mit der Lehrerausbildung zu befassen. Wenn wir davon ausgehen, dass für den schulischen Erfolg eines Kindes eine gute Lehrerausbildung, ein guter Pädagoge, zu einem Prozentsatz x, in einer Größenordnung von etwa 50 %, mitentscheidend ist, dann wird spätestens in diesem Moment deutlich, wie wichtig eine gut ausgebildete Lehrerschaft generell ist.
Es gibt im Übrigen interessante Studien, die das sehr deutlich belegen. Ich will nur auf eine von vielen hinweisen, die in England erhoben wurde. Dort hat man beispielsweise Parallelklassen gebildet, wo die Rahmenbedingungen für die Schüler ziemlich exakt identisch waren. Man hat diesen Schulklassen in England Lehrer zugewiesen. Einerseits waren es sogenannte Top-Ten-Lehrer, also diejenigen, die zu den 10 % Besten gehören, auf der anderen Seite waren es welche, die sozusagen auf dem unteren Level rangiert haben. Das Ergebnis nach zwei Jahren ist: Diejenigen, die den Spitzenlehrer hatten, waren im Stoff nach zwei Schuljahren etwa ein Jahr weiter. Nichts zeigt mehr als dieses Ergebnis, wie bedeutsam eine gute Lehrerausbildung und gute Pädagogen sind.
Jetzt kommen wir zu der aktuellen Geschichte. Das ist etwas, was uns Anlass geben muss, darüber nachzudenken. Es gibt unterschiedliche Studien über die Frage, wie sich Berufseinsteiger auf den Lehramtsberuf vorbereitet fühlen. Ob Sie Allensbach, die Vodafone Stiftung oder eine Studie der Universität Trier nehmen – das Ergebnis bei diesen dreien, alle aus den letzten zwei Jahren, ist exakt identisch, mit nur wenigen Unterschieden bei den Prozentpunkten: Bei Allensbach erklären beispielsweise 62 % der Berufseinsteiger, sie seien zu wenig auf die Praxis vorbereitet. Bei der Vodafone Stiftung waren es 50 %, und 20 % haben den Einstieg in das Lehramt und die tägliche Konfrontation mit den Schülern als Praxisschock empfunden. Das heißt, hier ist Handlungsbedarf gegeben. Deshalb wollen wir ein Praxissemester.
Damit sind wir auch nicht allein. Ich erinnere daran, dass in Berlin die dortige sozialdemokratische Bildungssenatorin Scheeres erst vor wenigen Monaten erklärt hat, damit angehende Lehrer keinen Praxisschock erleiden würden, müssten sie in ein Praxissemester. In Niedersachsen wurde 2011 der gleiche Grundsatzbeschluss gefasst. Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Baden-Württemberg, Thüringen – sie alle haben entweder schon Elemente eines Praxissemesters oder bereits die entsprechenden Grundsatzbeschlüsse gefasst.
Abschließend verweise ich in diesem Kontext darauf, dass bereits im Jahr 2009 eine Arbeitsgemeinschaft der EUKommission Lehrer und Ausbilder in Vilnius festgestellt hat – und zwar konsensual –, dass eine Intensivierung der Praxisphasen während der Universität nötig und mindestens eine Phase von einem zusammenhängenden Semester erforderlich sei.
Dies deckt sich im Übrigen auch ziemlich exakt mit dem, was beispielsweise Prof. Prenzel an der School of Education in München öffentlich erklärt hat. Es deckt sich auch mit dem, was Baumert vom Max-Planck-Institut gesagt hat. Sie alle haben zum Ausdruck gebracht, dass wir mehr Praxis in der Ausbildung brauchen. Wir brauchen eine Verzahnung von Schule, Studienseminar, Universität und umgekehrt.
Meine Damen und Herren, wir überantworten unseren Universitäten die Lehrerausbildung und müssen deshalb logischerweise auch Einfluss darauf nehmen, was dort herauskommt. Wenn man Universität isoliert betrachtet, funktioniert es nicht. Deshalb brauchen wir die Verzahnung zwischen Universität und Schule, Studienseminar und Schule – alles zusammen. Das gibt letzten Endes Sinn. Es macht keinen Sinn, auf der einen Seite theoretisch etwas zu machen, um auf der anderen Seite den viel zitierten Praxisschock live erleben zu müssen.
Deshalb wollen wir – wie die anderen Bundesländer auch –, dass angehende Pädagogikstudenten im 3. oder 4. Semester dieses Semester weitgehend in der Schule verbringen. Das heißt, wenn die Schule im August beginnt, sind sie bis Mitte Oktober, wenn das Semester startet, fünf Tage in der Schule, anschließend in der Regel drei Tage in der Schule und zwei Tage in der Universität, damit auch semesterbegleitend entsprechende Reflexionen möglich sind.
Man wird sicherlich im Detail noch über einige Kleinigkeiten sprechen müssen, wie das in der Praxis alles läuft. Aber unterm Strich ist das – zumindest aus meiner Sicht – etwas, was zielführend ist. Der entscheidende Punkt ist: Wenn ich als junger Student ein halbes Jahr an der Schule war – mit Begleitung der Universität, mit Einbindung des Studienseminars –, dann bin ich in der Lage, nach diesem Semester für mich selbst zu erkennen, ob das mein Traumberuf im Sinne von Berufung und nicht im Sinne von Job ist. Das ist das Entscheidende; das ist eine Frage der inneren Einstellung. Dies lässt sich für diesen Moment nach einem halben Jahr dann sicherlich relativ valide für mich erkennen.
Ich kann auch von außen entsprechende Erfahrungen auf mich wirken lassen. Es wird so sein, dass es kein Ausschlusskriterium ist. Wenn Sie nach dem 3. Semester für sich selbst sagen, dass Sie nicht geeignet sind, oder andere es Ihnen sagen, Sie aber trotzdem weitermachen wollen, können Sie weitermachen. Aber wenn Sie sagen: „Danke schön für diese Hinweise unter pädagogischen Aspekten, die ich bekommen habe, das war genau das, was ich brauchte“, werden Sie nach dem 3. Semester wahrscheinlich noch relativ einfach wechseln können.
Wenn Sie es aber beispielsweise nach acht oder zehn Semestern nicht geschafft haben oder fertig sind und in das Referendariat einsteigen, dann werden Sie diesen Systemwechsel logischerweise nicht mehr hinbekommen.
Deshalb glaube ich, dass wir mit diesem Praxissemester jungen Leuten eine riesengroße Chance geben, es andererseits Schülergenerationen aber auch ersparen, möglicherweise von nicht so ganz optimalen Pädagogen unterrichtet zu werden.
Deshalb bin ich überzeugt davon, dass das heute ein hervorragender Einstieg in eine künftige professionelle Lehrerausbildung ist. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident, herzlichen Dank. Ich mache es auch sehr kurz. Es dauert 30 Sekunden.
Ich möchte eine kurze persönliche Erklärung zum Thema Landesschulamt abgeben. Sie wissen aus der Presse, dass ich die Einrichtung eines Landesschulamtes aus inhaltlichen Gründen für falsch halte. Dazu stehe ich nach wie vor. Ich habe unter anderem deshalb – das wissen Sie – mein Amt als bildungspolitischer Sprecher niedergelegt,
eine Entscheidung – das können Sie mir abnehmen –, die nicht ganz einfach war. Ich werde gleichwohl aus Fraktions- und Koalitionsgründen heute zustimmen, um Ihnen deutlich zu machen, dass es Ihnen, losgelöst von der unterschiedlichen Bewertung in dieser Sachfrage, nicht gelingen wird, die Koalition zu spalten. Sie haben sich das letzte Mal bei der Abstimmung sehr gefreut, das kann ich verstehen. Mein Job ist es aber nicht, Ihnen eine Freude zu bereiten. Deshalb werde ich heute zustimmen.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist zwar ganz schön, wenn man gelegentlich Vergleiche aus der Fußballsprache bemüht. Ich glaube aber nicht, dass es der Bedeutung des Themas angemessen ist, um das sehr deutlich zu sagen.
Ich stelle für die CDU und die FDP fest: G 8 hat sich bewährt.
Es ist in Deutschland und in Europa Standard. Ich sage sehr deutlich – –
Hören Sie doch einfach einmal zu, und hören Sie auf, ständig dazwischenzublöken. Ich habe das Mikrofon und bin ohnehin lauter als Sie, auch wenn Sie mit Ihrer charmanten Stimme versuchen, mich zu übertönen.
Das, was Schüler in Deutschland und in Europa in Sachen G 8 können, können hessische Schüler auch.
Sie müssen sich doch einmal die Frage stellen: Warum ist der Zustrom an die hessischen Gymnasien ungebrochen, trotz oder wegen G 8? – Das ist doch eine berechtigte Frage.
Erste Aussage. Wenn das alles so schlimm wäre, wie Sie sagen, dann müssten doch die Besucherzahlen einbrechen. Es müsste einen dramatischen Rückgang geben. Das Gegenteil ist aber der Fall.
Zweitens. Ich freue mich, dass G 8 von den GRÜNEN nicht mehr infrage gestellt wird, weder in Hessen noch in Nordrhein-Westfalen, noch in Baden-Württemberg. Das sage ich im Übrigen an die Adresse der Sozialdemokraten: Es gibt in Schleswig-Holstein eine interessante Koalitionsvereinbarung. Dort haben SPD und GRÜNE beschlossen, keine weiteren G-9-Gymnasien genehmigen zu wollen. Das ist auch eine interessante Feststellung.
Meine Damen und Herren, ich bin zutiefst davon überzeugt, dass, wenn wir die Möglichkeit eröffnen, und das wollen wir, die Wahl zwischen G 8 und G 9 zu haben, ein kleiner Prozentsatz der G-8-Gymnasien davon Gebrauch machen wird. Das ist auch in Ordnung.
Wir haben, nur um zwei Beispiele zu nennen, in Nord rhein-Westfalen 600 Gymnasien. Dort hat man die Möglichkeit geschaffen, dass sie entscheiden können. 13 von 600 Gymnasien haben das beantragt. In Baden-Württemberg gibt es 400 Gymnasien, da gibt es eine Umstellungsphase von derzeit 22. Darüber reden wir. Wir haben in Hessen 168 Gymnasien, und ich weiß nicht, was herauskommen wird, ob es 5, 10 oder 15 % sein werden. Ich sage Ihnen sehr offen: Das ist mir auch relativ egal. Wenn sie das machen wollen, sollen sie es tun.
Kritik gab es jetzt beispielsweise von der Oberstudiendirektorenkonferenz, die aber sinnigerweise gleichzeitig gesagt hat: Eigentlich ist G 8 vernünftig gelungen. – Sie kritisieren jetzt aber, dass wir diese Wahlmöglichkeit eröffnen. Das muss man akzeptieren. Die VhU kritisiert es, weil G 8 für die Volkswirtschaft wichtig sei. Ich sage einmal an die Adresse der Freunde aus der VhU: Nicht alles im Leben kann man unter dem Primat der Wirtschaft sehen. Es gibt auch andere Aspekte.
Selbstverständlich, das ist eine Binsenweisheit.
Zeit ist ein wichtiges Thema, deshalb haben wir gesagt: Wir nehmen die Sorgen von Eltern und Schülern natürlich wahr und ernst, ob die Kinder möglicherweise überfordert sind. Deshalb haben wir in den letzten Monaten – für Sie zugegebenermaßen überraschend, für uns überhaupt nicht –
intern viele Gespräche mit Schulleitungen, Pädagogen, Eltern usw. geführt. Der Tenor war unisono: Ja zu G 8, es hat sich bewährt, und die Anfangsprobleme sind überwunden. Es gibt aber Schüler, denen es guttun würde, wenn sie ein klein wenig mehr Zeit haben könnten. – Wir wollen ihnen diese Zeit geben; denn wir wollen, dass jedes Kind den für ihn höchstmöglichen Schulabschluss erreichen kann. Das ist unser klarer Anspruch.
Im Übrigen: Wenn wir von selbstständiger Schule sprechen, dann gehört es perspektivisch natürlich dazu, dies in die Dispositionsfreiheit der Schule zu geben. Wahlfreiheit, meine Damen und Herren, ist für die Union und die FDP ein Markenzeichen schlechthin. Es gibt kein Bundesland in Deutschland, in dem die Eltern so viele Wahlfreiheiten, so viele Wahlmöglichkeiten haben wie in Hessen. Das soll auch so bleiben. Das ist auch ein entscheidender Unterschied zu Ihnen.
Es ist doch geradezu Zynismus pur, wenn diejenigen, die von uns mehr Wahlfreiheit fordern, die Gleichen sind, die für die Gemeinschaftsschule, eine Schule für alle, eintreten und damit die Wahlfreiheit in letzter Konsequenz abschaffen wollen. Deshalb ist Ihre Kritik unglaubwürdig.
Machen wir uns doch nichts vor: Egal, was wir machen, es ist immer falsch. Sie nölen.
Bleiben wir bei unserer Position, dann heißt es: „Sie sind beratungsresistent, nicht flexibel, das geht zulasten der Schüler.“
Ändern wir unsere Position, sagen Sie: „Schlingerkurs, Eltern werden verunsichert, Unruhe, Zeitfaktor.“
Meine Damen und Herren, es Ihnen recht zu machen, ist die Quadratur des Kreises. Angeblich freuen Sie sich darüber, aber wenn ich so in Ihre Gesichter schaue, stelle ich fest: Freude sieht ein bisschen anders aus.
Im Übrigen Herr Kollege Wagner, spricht es für eine Regierung und für Parteien, wenn sie sagen: „Wir sind nach vielen Gesprächen bereit, unsere Position zu überprüfen.“ Das ist ein Zeichen von Größe und nicht das Gegenteil.
Ich komme zum Schluss. – Meine Damen und Herren, wir wollen, dass bis zum 01.08.2013 alle Gymnasien im Laufe des kommenden Schuljahres für sich entscheiden können, welche Regelungen sie machen. Wir werden im Herbst in der Tat noch ein paar Feinheiten zu diskutieren haben, Turbo-Klassen und anderes mehr. Aber alle Eltern und Schüler haben ab Herbst dieses Jahres Planungssicherheit.
Ich bin überzeugt – letzter Satz –, dass nur ein kleiner Teil der Gymnasien zu G 9 zurückkehren wird; denn so schlecht kann G 8 gar nicht sein, wenn z. B. Herr Nagel, GEW-Vorsitzender, überzeugter Befürworter der Einheitsschule und Gegner des G-8-Systems, den eigenen Nachwuchs auf dieses angeblich so reaktionäre G-8-Gymnasium schickt. Es gibt auch in diesem Hause einige Genossen, die für sich genau diese Möglichkeit in Anspruch nehmen.
Glaubwürdigkeit, meine Damen und Herren, sieht ein biss chen anders aus.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Bundespräsident hat vor wenigen Tagen in Israel erklärt, Deutschland und Israel seien enger verbunden als je zuvor. Das Gleiche hat unser Ministerpräsident bei seinem letzten Besuch in Yad Vashem vor wenigen Monaten ausgedrückt: Deutschland müsse wegen seiner historischen Schuld besonders sensibel mit der politischen Lage in Israel und im Nahen Osten umgehen. Man solle sensibel auf eine Entwicklung reagieren, die einen besorgen müsse.
Das Gleiche sagt der Bundespräsident aktuell: Er habe die Sorge, dass das Ansehen Israels in Deutschland sinke. Das dürfe nicht geschehen, hat der Bundespräsident zu Recht gesagt. Er hat am Schluss sinngemäß ausgeführt, dass unsere beiden Länder nach der Schoah und dem Krieg gemeinsam Historisches geschaffen hätten, nämlich eine nie für möglich gehaltene Versöhnung und Verständigung auf der Basis von gegenseitigem Vertrauen. – Dies muss auf Dauer erhalten bleiben.
Der besondere Charakter der Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern ergibt sich natürlich in erster Linie aus dem Holocaust, historisch gesehen aber auch aus der engen Verzahnung von Christentum und Judentum sowie den Beiträgen jüdischer Intellektueller zur deutschen und europäischen Geistesgeschichte und Kultur.
Dieses Engagement wird – es ist eben schon angesprochen worden – in vielen Begegnungen deutlich, sei es nun von Vertretern der Kirchen, von politischen Stiftungen, der Bundesländer – ich erinnere nur daran: das DiasporaMuseum in Tel Aviv wird seit 25 Jahren von Hessen unterstützt –, der Landkreise und der Kommunen. Es gibt 100 Städtepartnerschaften. Ausgangspunkt ist die Grundüberlegung: Nur wenn man miteinander spricht, spricht man nicht übereinander.
Deswegen begrüßen wir die Vereinbarung zwischen dem Land Hessen und Yad Vashem ausdrücklich. Im Übrigen haben Bayern und Baden-Württemberg das zuvor auch schon gemacht. Das ist ein guter Weg. Das Ziel ist ein Austausch über die Erinnerungspädagogik, ein Austausch zwischen hessischen Einrichtungen und Yad Vashem und eine Intensivierung der Lehrerausbildung und des Schüleraustauschs.
Meine Damen und Herren, auch das hat Herr Kollege Wagner eben zu Recht angesprochen: Wir müssen uns über die Erinnerungskultur Gedanken machen; denn es gibt nicht mehr viele Zeitzeugen. Aber wir müssen die Erinnerung an die Nazidiktatur, an Konzentrationslager, an KZ-Schergen, an den Totalitarismus, an den millionenfachen Mord an Juden, an politisch Andersdenkenden und an Menschen, die nicht zu dem Rassenbild der Nazis pass ten, aufrechterhalten. Dies ist unsere historische Verpflichtung.
Yad Vashem als zentrale Gedenkstätte ist deshalb der richtige Partner. „Yad Vashem“ bedeutet übersetzt: ein Denkmal und ein Name. – Mit anderen Worten: Es gibt den 6 Millionen ermordeten Juden die Namen zurück und gibt ihnen damit ein Gesicht. Es mahnt, forscht und dokumentiert. Es legt – neben dem Zeigen grauenvoller Bilder ermordeter Menschen – den Schwerpunkt auf die Arbeit an Zeitzeugnissen, die individuell zuzuordnen sind, um im Zusammenhang mit jedem Namen auch ein menschliches Schicksal zu dokumentieren.
Der Schüleraustausch und die Gedenkstättenarbeit sind unverzichtbare Pfeiler, um die Erinnerung wachzuhalten. Lassen Sie mich das durch ein sehr persönliches Erlebnis beschreiben. Sie wissen, dass ich 20 Jahre lang im Schuldienst war. Ich habe Oberstufenkurse in Gemeinschaftskunde gegeben und in der Mittelstufe Gesellschaftslehre unterrichtet. Natürlich stand im Rahmen dieses Fachs das Thema Nationalsozialismus auf der Tagesordnung. Ich habe sehr bewusst jedes Jahr Besuche in Konzentrations
lagern durchgeführt, ob in Dachau, in Plötzensee oder in Struthof.
Sehr beeindruckt hat mich immer die Tatsache, dass man mit jungen fröhlichen Menschen zu einer Klassenfahrt aufbricht – sie sind natürlich darauf vorbereitet, eine solche Gedenkstätte zu besuchen – und dass es, je näher man dem Ziel kommt, im Bus umso ruhiger wird. Sie treten durch das Tor, nehmen an der Führung teil – zwei oder zweieinhalb Stunden, je nachdem – und kommen völlig verändert zurück, teilweise mit Tränen in den Augen, entsetzt, erschüttert. Das ist genau das, was ich unter pädagogischen Aspekten erreichen will: Den Leuten, die schon in jugendlichem Alter Konzentrationslager besucht haben, wird der Besuch für immer in Erinnerung bleiben. Damit sind sie gegen das gefeit, was irgendwelche braunen Horden sagen. Genau das muss unsere Aufgabe sein.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Die Erinnerung an die Opfer des Holocaust, die Verantwortung, die wir haben, sowie die persönliche Begegnung von Jugendlichen, Pädagogen und von Menschen aller Altersstufen fördern Weltoffenheit und Toleranz. Sie sind die beste Prävention gegen Antisemitismus, Rassismus, religiöse Intoleranz, Rechtsextremismus und Linksextremismus. An der Schwere der Verbrechen in der Vergangenheit können wir den Wert von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Freiheit richtig ermessen. Dafür lohnt es sich zu kämpfen, und deshalb brauchen wir eine Erinnerungskultur.
Das ist die besondere Bedeutung der Gedenkstätte Yad Vashem. Sie vermittelt durch historisches Lernen Menschenrechtsbildung. Deshalb ist diese Vereinbarung hervorragend für die Zukunft unseres Landes.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Frau Kollegin Habermann, es war nicht unbedingt verwunderlich, dass Sie die gleiche Schellackplatte aufgelegt haben, nach dem Motto: „Echte Ganztagsschulen sind Mangelware, und die Statistik, die wir vorlegen, ist ein Etikettenschwindel“. So Frau Kollegin Habermann eben inhaltlich, vor wenigen Tagen auch in der „HNA“ pressemäßig nachzulesen.
Die spannende Frage ist doch: Was ist eigentlich eine Ganztagsschule? – Darüber kann man nun mal streiten. Ich habe mir herausgesucht, auch ich schaue ganz gern mal ins Archiv, was denn die rot-grüne Bundesregierung zu diesem Thema der Ganztagsschule gesagt hat. Sie erinnern sich, dass wir das Ganztagsschulförderprogramm hatten, die 4 Milliarden €, davon 278 Millionen € für Hessen; das war okay; das war positiv.
Entschuldigung. „Das war positiv“, das habe ich doch gerade gesagt. – Dann war die spannende Frage: Wie wird denn in der Bundesregierung die Ganztagsschule definiert? – Dazu gibt es eine Antwort der Bundesregierung, von der damaligen Bundesbildungsministerin Bulmahn unterzeichnet. Ich zitiere wörtlich:
Ganztagsschulen sind Schulen, in denen über den in Deutschland normalen Halbtagsunterricht hinaus den Schülerinnen und Schülern auf der Basis eines pädagogischen Konzeptes... freiwillige oder verbindliche Angebote zur individuellen Förderung und im Freizeitbereich sowie eine Mittagessenbetreuung unterbreitet werden.
Genau dies und ein bisschen mehr machen wir, so wie es die rot-grüne Bundesregierung als ihren Idealzustand beschrieben hat. Der damalige Bundeskanzler erklärte weiter gehend, wir hätten in Deutschland rund 40.000 allgemeinbildende Schulen – zum damaligen Zeitpunkt waren es etwa 2.000 Ganztagsschulen, inhaltlich nach dieser Form definiert –, notwendig seien etwa 10.000. Rund 25 %
aller Schulen, so Gerhard Schröder, sollten also sinnvollerweise Ganztagsschulen sein. Auch Ihr damaliger Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Gerhard Bökel, das ist alles noch nicht so lange her, erklärte, er wolle in den nächsten Jahren auf freiwilliger Basis 500 Ganztagsschulen oder Ganztagsangebote schaffen, bezogen auf eine Legislaturperiode von fünf Jahren. Gerhard Bökel sprach von 500; wir haben ungefähr 600. Also von daher – –
Das ist in der Tat lange her. Das macht aber nichts. Es macht nämlich deutlich, wo Sie gestanden haben, und es macht deutlich, von wo wir gekommen sind. Ich finde es sehr löblich – –
Frau Fuhrmann, ich habe das Mikrofon, ich bin automatisch ein bisschen lauter.
Ja, ich weiß. Sie sind dafür berüchtigt, dass Sie „laut können“. Das ist schon klar. – Es ist löblich, dass Frau Habermann darauf hingewiesen hat, wo wir denn in Hessen hergekommen sind. 1995 waren es in der Tat 125 Schulen; und es waren 1998/1999, als Sie abgewählt wurden, ebenfalls 125. Zuwachs: null. Dann haben wir einmal geschaut, was wir machen können.
Im Jahr 2005/2006 waren es 336, 2009/2010 waren es rund 650, und 2011/2012 waren es rund 750. Im kommenden Schuljahr werden wir in Hessen etwa 850 Schulen mit Ganztagsangeboten oder Ganztagsschulen haben. Dies sind 50 % aller hessischen Schulen. Das ist das Doppelte dessen, was Gerhard Schröder als Idealzustand beschrieben hat, weil er von 25 % ausging. Zu Ihrer Zeit hatten wir 7 %. Heute haben wir aktuell 50 %, unterlegt mit 1.500 Lehrerstellen, was Jahr für Jahr allein ein Volumen von rund 75 Millionen € ausmacht. Darauf kann man stolz sein. Das ist eine hervorragende Bilanz.
Meine Damen und Herren, wenn es dann immer heißt: „Wenn wir die Ganztagsschule flächendeckend haben“, so wie Sie das wollen, dann warne ich als Pädagoge ein klein wenig vor zu hohen Erwartungen, weil wir im Grunde genommen Wunderdinge erwarten und ich nicht glaube, dass das erfüllbar ist. Auf die Zahlen, die Kosten usw. will ich jetzt gar nicht eingehen.
Wir sind sehr dafür, dass ausgebaut wird. Ich warne aber vor zu hohen Erwartungen. Ich will nur ganz kurz aus der Antwort der Bundesregierung zitieren. Es gab eine parlamentarische Anfrage der damaligen CDU/CSU-Bundestagsfraktion an die Bundesregierung, Frau Bulmahn:
Ist die Bundesregierung sicher, dass das hervorragende Abschneiden von Ländern wie Finnland... [und anderen] vor allem mit dort vorhandenen Ganztagsschulen zusammenhängt?
Die Antwort der Bundesregierung lautete:
Die Komplexität schulischer Bildungsprozesse mit Einflussfaktoren der verschiedensten Art und auf den verschiedensten Ebenen lässt eine eindimensionale und kausale Interpretation der Ergebnisse nicht zu.
Die schulischen Systeme der an PISA beteiligten Staaten unterscheiden sich in vielfacher Hinsicht. Es ist deshalb in der Regel unmöglich, die Effekte einzelner Faktoren – wie zum Beispiel den Effekt von Ganztagsschulen – isoliert zu benennen.... Nach Aussagen der Wissenschaftler, die an PISA mitgearbeitet haben, könnte allerdings auch dann noch nicht mit Sicherheit gesagt werden, inwieweit ein Ganztagsschuleffekt für Unterschiede in den Leistungsergebnissen der Teilnehmerstaaten verantwortlich ist, …
Meine Damen und Herren, deshalb warne ich vor zu hohen Erwartungen. Ich möchte auch in aller Ruhe darauf hinweisen, dass es in Deutschland auch anerkannte Wissenschaftler gibt, die sich mit dieser Thematik einer flächendeckenden Zwangsganztagsschule befassen.
Ich möchte beispielsweise Prof. Hellbrügge zitieren, der wissenschaftlich nachgewiesen hat, dass der Unterricht am Nachmittag für Schüler grundsätzlich anstrengender ist als am Vormittag und dass die Fehlerhäufigkeit größer ist:
Vom ärztlichen Standpunkt aus kann daraus nur die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die körperlichen und geistigen Leistungen der Kinder während des Nachmittagsunterrichts weit unter ihrem durchschnittlichen Niveau liegen …
Prof. Pechstein, ehemaliger Direktor des Kinderneurologischen Zentrums Mainz, bemängelt:
Die Ganztagsschulen sind eindeutig nicht „vom Kind her“ gedacht.... Durch Ganztagskindergärten und -schulen in den frühen Altersstufen müssen Kontinuität, Tiefe und Sicherheit der Kind-ElternBezüge und der Kind-Geschwister-Beziehungen in den Hintergrund treten, wenn die Kinder fast in ihrer gesamten lernaktiven Zeit einem TV-flimmerbildähnlichen Fremdbetreuungssystem ausgesetzt werden …
Der Lippstädter Kinder- und Jugendpsychologe Katterfeldt sagt, gerade sensible Kinder leiden unter dem „verpflichtenden Charakter und dem Gruppendruck“ einer Ganztagsschule.
Ich füge hinzu: Prof. Klaus Hurrelmann – durchaus bekannt – hat angeregt, darüber nachzudenken, ob es nicht absolut ausreichend ist, in jedem Bundesland etwa 50 % der Plätze an Schulen mit Nachmittagsangeboten zu versehen, weil man auf den Biorhythmus der Kinder Rücksicht nehmen müsse. Er fügt hinzu: „Die psychische Belastung eines Ganztagsbetriebes liegt vor allem darin, dass viele Schüler sich im Laufe des Tages auch zurückziehen möchten und es möglicherweise nicht können.“
Dieser Rückzug wird auch von Christa Schaff, Vorsitzende des Berufsversbandes der Ärzte für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie öffentlich erklärt: „Viele Kinder leiden unter der Dichtigkeit der Gruppe.“
Meine Damen und Herren, ich sage es noch einmal: Wir sind für den Ausbau von Ganztagsschulen – auf freiwilliger Basis. Wir sind auch dafür, dass Ganztagsangebote in gebundener Form dort gemacht werden, wo alle dies wol
len. Gleichwohl muss man solche wissenschaftlichen Erkenntnisse ernst nehmen. Ich glaube, das gehört zu einer seriösen Betrachtung des gesamten Themas dazu.
Ich zitiere auch sinngemäß Vertreter des Sports, nämlich unseren Landessportbund-Präsidenten Rolf Müller, der in einer öffentlichen Veranstaltung erklärt hat: „Die Chancen liegen in der stärkeren Verankerung des Sports in der Schule und die Gefahren primär darin, dass Kindern und Jugendlichen der Weg versperrt wird, in Vereinen und Verbänden Sport zu treiben.“ Gleiches sagt seine Kollegin Karin Augustin, Präsidentin des Landessportbundes Rheinland-Pfalz.
Meine Damen und Herren, wir diskutieren immer aus Erwachsenensicht über die Kinder. Es ist doch eine spannende Frage: Was sagen denn eigentlich Schüler? Sie haben vorhin das Thema Holzapfel gebracht. Ich war seinerzeit im Schuldienst und haben einmal gefragt, was sie denn von einem solchen Modell halten – da ging es nicht um Ganztagsschulen, sondern es ging um ein anderes Zeitmodell, das mit Ganztagsschulen überhaupt nichts zu tun hatte, und zwar um den Unterricht von 9 Uhr bis 15:30 Uhr. Das war also eine völlig andere Baustelle.
Es gibt eine interessante Untersuchung des Landes Schleswig-Holstein aus dem Jahr 2010. Untersucht hat Prof. Dr. Struck die Frage, was Schüler dazu sagen. Das Ergebnis war: 19,35 % der befragten Schüler in Schleswig-Holstein waren für die Ganztagsschulen, und fast 70 % haben sie abgelehnt. Das Institut für Sozialforschung „PROKIDS“ hier in Hessen hat vor wenigen Wochen eine Umfrage gleicher Art gemacht und untersucht: Was sagen denn unsere Kinder eigentlich zu der Ganztagsschule? Die Aussage lautet: „Hessens Nachwuchs ist gegen Nachmittagsunterricht“.
Das ist im Übrigen das Gleiche, was ich – statistisch nicht erfassbar, aber einfach abfragbar – aus vielen Diskussionen mit Schülern mitnehme. Ich frage meine Schüler auch gelegentlich: Wie sieht es denn aus, was macht ihr denn am liebsten? Ist denn Schule für euch etwas Attraktives mit tollen Angeboten? – Es gibt auch tolle Angebote am Nachmittag. Das bestreitet doch auch keiner. Das macht ja auch Sinn. Gleichwohl sagt die große Mehrzahl unserer Kinder und Jugendlichen: Das ist alles gut und schön, und wir nehmen auch manche Angebote gerne an, aber im Prinzip möchten wir auch einmal individuell unsere Freizeit gestalten und nicht ständig gestaltet bekommen.
Deshalb bin ich davon überzeugt, dass wir mit dem Weg, den wir in Hessen eingegangen sind, nämlich angebotsorientiert, bedarfsgerecht und auf freiwilliger Basis so etwas anzubieten, genau das richtige machen, wie es im Sinne unserer Kinder ist. – Herzlichen Dank.
Herr Präsident! Frau Habermann, ich nehme erfreut zur Kenntnis, dass Sie sich offensichtlich zumindest von dem Eindruck, den Sie bewusst erwecken, verabschiedet haben, Sie wollten einen flächendeckenden Ausbau von Ganztagsschulen in Hessen.
Das nehme ich für das Protokoll auf und bin dankbar für diese Klarstellung Ihrerseits. Dann kann man das auch gelegentlich einmal medial anderweitig darstellen. Das ist das eine.
Das Zweite ist Folgendes: Sie haben das Thema G 8 angesprochen. Das ist ohnehin merkwürdig. Auf der einen Seite werfen Sie uns vor, wir hätten G 8 eingeführt, und das habe katastrophale Auswirkungen auf den Vereinssport, auf das Freizeitverhalten usw. Ich höre gerade als Zwischenruf, das sei auch so. Natürlich ist es so, dass sie an einem oder zwei Nachmittagen dann in der Regel auch nachmittags Unterricht haben. Das bleibt gar nicht aus. Das ist so.
Aber dieselben, die uns das vorwerfen, plädieren auf der anderen Ebene für einen – sagen wir das einmal sehr zurückhaltend – sehr, sehr großen Ausbau flächendeckender Form von Ganztagsschulen. Wenn Sie Ganztagsschule ernst nehmen, dann haben Sie logischerweise nicht nur einen oder zwei Nachmittage, sondern dann haben Sie drei oder vier oder in gebundener Form alle fünf Nachmittage an der Schule zu verbringen. Kategorischer Imperativ. Und das ist der Unterschied.
Das ist das Problem, das die Vereine dann bekommen. Aber mit G 8 bekommen sie das mit Sicherheit nicht.
Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin Habermann, wir sind als Union sehr für Inklusion. Soweit es irgendwie vertretbar ist, wollen wir Inklusion.
Es gibt aber auch Grenzen der gemeinsamen Beschulbarkeit. Das muss man ganz offen sagen. Das ist unsere Position.
Herr Kollege Wagner hat darauf hingewiesen, Förderschulen hätten in der Vergangenheit eine gute Arbeit geleistet. Jawohl, das ist in der Tat so, das sehen wir genauso. Sie haben aber nicht die Frage beantwortet, wie Sie die Rolle der Förderschulen in Zukunft sehen.
Die Frage ist, ob sie abgeschafft werden sollen oder nicht; das ist das eine. Wir diskutieren doch gar nicht darüber, dass körperbehinderte Kinder nicht integriert werden sollen. Das ist doch eine wahre Selbstverständlichkeit, dass wir alles daransetzen, dass Kinder, die körperbehindert sind, in der Regelschule beschult werden.
Es ist doch eine Selbstverständlichkeit, dass Kinder, die in irgendeiner Form Sinnesstörungen haben, in der Regelschule beschult werden müssen, soweit das irgendwie geht. Das ist doch völlig unstreitig.
Ich empfehle Ihnen, Herr Kollege Wagner, den Besuch der Blindenstudienanstalt in Marburg.
Ja schön, dann hoffe ich, dass Sie hier ein klares Wort für den Erhalt der Blista in Zukunft aussprechen. Dort gehen Kinder in Absprache mit ihren Eltern hin, die sagen: Wir wollen genau dorthin, an die Blindenstudienanstalt, weil wir nur dort eine optimale Förderung bekommen, die wir in keiner anderen Schule bekommen.