Meine Damen und Herren, dabei geht es auch um eine zunehmende Militarisierung in Bildung und Wissenschaft.
Beispielsweise hat sich in Frankfurt das Bündnis „Bildung ohne Bundeswehr“ gegründet, gegen Bundeswehrwerbung an Schulen, Hochschulen, Arbeitsämtern und auf Bildungsmessen.
Meine Damen und Herren, immer mehr Schulen und Hochschulen sprechen sich explizit dafür aus, dass Bildungseinrichtungen ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dienen sollen. So haben beispielsweise die BertBrecht-Schule in Darmstadt und die Käthe-KollwitzSchule in Offenbach beschlossen, nicht mit der Bundeswehr zusammenzuarbeiten. Damit stellen sie sich gegen die Kooperationsvereinbarung, die das Hessische Kultusministerium mit der Bundeswehr geschlossen hat. Die Schüler, Lehrer und Eltern an diesen Schulen wollen keine Jugendoffiziere im Unterricht. Das können wir nur unterstützen.
An immer mehr Hochschulen wird über Rüstungsforschung und Zivilklausel diskutiert. In einer Urabstimmung an der Universität Frankfurt haben sich 76 % der Studierenden für eine Zivilklausel ausgesprochen. An der Universität Kassel hat sogar der Senat einen Beschluss verabschiedet, der ebenfalls eine rein zivile und friedliche Ausrichtung von Studium und Lehre fordert.
Vor einiger Zeit haben wir eine Große Anfrage zu sicherheits- und wehrtechnischen Forschungen an Hessens Hochschulen an die Landesregierung gestellt. Nach Auskunft der Landesregierung sind die TU Darmstadt, die Hochschule Darmstadt und die Universität Frankfurt in der sicherheits- und wehrtechnischen Forschung aktiv. An der Hochschule Fulda hat es zuletzt im Jahr 2000 ein solches Projekt gegeben.
Meine Damen und Herren, wir halten es für sinnvoll, im Hessischen Hochschulgesetz eine Zivilklausel zu verankern, die klarstellt, dass Hessens Hochschulen dem Frieden und der Abrüstung verpflichtet sind.
An dieser Stelle möchte ich auf Art. 69 der Hessischen Verfassung hinweisen. Ich hoffe sehr, der Verfassungsschutz hört mir gerade zu, denn nach meinem Eindruck ist der Art. 69 dort etwas unterbelichtet. In Art. 69 heißt es:
Jede Handlung, die mit der Absicht vorgenommen wird, einen Krieg vorzubereiten, ist verfassungswidrig.
Rüstungsgüter werden nun einmal entwickelt, um sie in Kriegen und in bewaffneten Konflikten einzusetzen. Deutschland ist einer der größten Waffenexporteure der Welt. Ich glaube, darauf können wir nicht stolz sein.
Auch in Hessen werden Waffen entwickelt, die in Ländern wie Saudi-Arabien ausgeliefert werden. Ehrlich gesagt, denke ich, es würde dem Geist der Hessischen Verfassung entsprechen, dafür zu sorgen, dass an den hessischen Hochschulen keine Rüstungsforschung betrieben wird.
Dabei ist es natürlich auch klar, dass man eine ausreichende Finanzierung der Hochschulen benötigt, um ihre wissenschaftliche Unabhängigkeit zu gewährleisten und ihnen den immensen Druck zu nehmen, immer mehr private Mittel einwerben zu müssen und somit doch nicht nach eigener Ausrichtung forschen und lehren zu können.
Ich will ganz klar sagen, dass es eine schwierige Materie ist und wir uns auch bewusst sind, dass es nicht einfach ist, diesen Grundsatz konsequent umzusetzen. Das gilt allein schon für die Tatsache, dass Militär- und Rüstungsforschung oftmals bestens verschleiert ist. Zudem existieren viele Forschungsprojekte, die unter den Begriff des Dual Use fallen, Projekte also, die primär einem zivilen Zweck dienen, aber trotzdem auch militärisch genutzt werden können. Viele Forscherinnen und Forscher wissen oftmals gar nicht, zu welchem Zweck sie forschen. Sie sind Teil eines Großprojekts und arbeiten in ihren speziellen Teilbereichen, ohne zu erfahren, was als Endprodukt eigentlich herauskommen soll. Diese Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben nicht einmal die Chance, sich dagegen zu entscheiden, sich an der Entwicklung von Rüstungsgütern zu beteiligen.
Ich gehe davon aus, dass von den 76 % der Studierenden, die sich in Frankfurt für die Zivilklausel ausgesprochen haben, niemand sich an dieser Forschung beteiligen würde. Es kann nicht sein, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch eine Verschleierungstaktik doch dazu gebracht werden.
Eine Verankerung der Zivilklausel im Hessischen Hochschulgesetz würde einen rechtlichen Rahmen schaffen. Auch die in unserem Antrag formulierte Forderung, die Vergabepraxis im Rahmen der öffentlichen Projektförderung an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen dahin gehend, zu ändern, dass die zivile Ausrichtung von Forschung und Lehre gewährleistet ist, würde Rüstungsforschung erschweren.
Meiner Fraktion ist es wichtig, über diese Frage eine Diskussion anzustoßen, sowohl an den Hochschulen als auch im Landtag. Immerhin ist es der Landtag, der als Haushaltsgesetzgeber auch die Mittel beschließt, die für die Forschung bereitgestellt werden. Ich freue mich deswegen sehr darüber, dass die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ebenfalls zu diesem Thema einen Antrag eingebracht hat. Es geht hier um eine sehr grundsätzliche Frage nach der Verantwortung der Wissenschaft für die Gesellschaft und vor allem auch für die Folgewirkungen ihrer Forschung.
Altkanzler Helmut Schmidt hat sich im letzten Jahr im Rahmen einer Festansprache zu Ehren der Max-PlanckGesellschaft sehr tief gehend mit der Rolle der Wissenschaft im 21. Jahrhundert und ihrer Verantwortung auseinandergesetzt. Seiner Ansicht nach ist die weltweite militärische Hochrüstung zu einem Menschheitsproblem geworden. Die heute aufgehäufte atomare Vernichtungskraft sei – so Helmut Schmidt – inzwischen tausendmal größer als 1968 zu Zeiten des Nichtverbreitungsvertrags. Er sagt:
Die Hochrüstung betrifft allerdings nicht nur die atomaren Waffen, sondern ebenso Raketen, Panzer, Flugzeuge, Kriegsschiffe. Und vor allem müssen wir erkennen: Der fast ungehemmte Rüstungsexport sogenannter konventioneller Waffen hat das Vernichtungspotenzial vervielfacht.... Ich muss mich fragen: Können wir im Ernst den Standpunkt vertreten, diese ungeheure lebensbedrohende Problematik gehe die Wissenschaft nichts an?
Helmut Schmidt appelliert in dieser Festrede, wie ich finde, sehr eindrücklich an die soziale Verantwortung der Wissenschaft.
Helmut Schmidt sagt, dass Wissenschaftler nicht für sich beanspruchen könnten, unbehelligt vom ökonomischen und politischen Geschehen ein glückliches Eremitendasein zu führen. Sie hätten eine Mitverantwortung, denn fast jede Grundlagenforschung führe früher oder später zur praktischen Anwendung. Deshalb dürfe die Frage der Folgewirkungen nicht ausgeklammert werden. Schmidt betont, es gebe auch eine Holschuld der Politik.
Denn tatsächlich beschließt der Bundestag in den Haushaltsgesetzen zwar den größten Anteil an der Finanzierung der wissenschaftlichen Forschung, aber tief greifende Diskussionen über Fragen der Forschung und der Wissenschaft sind selten,... Bundestag und Politik erfüllen ihre Holschuld nur in sehr unzureichender Weise.
Meine Damen und Herren, ich finde, vieles, was Helmut Schmidt in dieser Rede sagt, ist sehr beachtens- und bedenkenswert. Ich kann Ihnen die Lektüre nur empfehlen, der Text ist in der „Zeit“ abgedruckt gewesen.
Meine Damen und Herren, in Deutschland gab es nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine Debatte über die gesellschaftliche Rolle der Wissenschaft und deren soziale Verantwortung. So wurde beispielsweise 1948 an der TU Berlin eine Regelung eingeführt, nach der die Studierenden der technischen und naturwissenschaftlichen Fächer auch ein humanistisches Begleitstudium absolvieren mussten. Dies geschah aus der Überlegung heraus, dass Wissenschaftler eben nicht im luftleeren Raum existieren, sondern dass sie eine gesellschaftliche Verantwortung tragen. Diese Regelung wurde irgendwann in den Sechzigerjahren wieder abgeschafft. Ich finde, dass die grundsätzliche Überlegung richtig ist.
Meine Damen und Herren, Albert Einstein hat einmal mit Blick auf die Atombombe gesagt: Wenn er die Folgen seiner wissenschaftlichen Erkenntnis geahnt hätte, wäre er Uhrmacher geworden. – Friedrich Dürrenmatt beschreibt in seinem Buch „Die Physiker“ sehr eindrücklich den inneren Konflikt des Physikers. In diesem Buch lässt sich ein Physiker in ein Irrenhaus einweisen und für verrückt erklären, weil er Angst vor den Folgen seiner Entdeckung hat und befürchtet, sie könne missbraucht werden, um der Menschheit zu schaden.
Wir denken, dass die Politik eine Verantwortung dafür hat, was an öffentlichen Hochschulen passiert. Wir haben diesen Antrag eingebracht, weil wir gerne eine Diskussion darüber beginnen würden.
Meine Damen und Herren, das Verteidigungsministerium gibt jährlich über 1 Milliarde € für Wehrforschung aus. Das ist Geld, das in dem chronisch unterfinanziertem Bildungswesen dringend benötigt würde. Kriege und bewaffnete Konflikte machen leider einen weltweit wachsenden Wirtschaftszweig aus. Laut des Stockholmer Instituts für Friedensforschung belaufen sich die weltweiten Staats
Wenn man diese Summe, die nur für ein Jahr ausgegeben wird, umverteilen würde und versuchte, damit die Probleme der Menschheit zu lösen, dann könnte man den schlimmsten Hunger in der Welt erfolgreich und anhaltend bekämpfen.
Ich habe ein bisschen den Eindruck, so wie Bertolt Brecht es einmal gesagt hat, dass Erfindungen für die Menschen oftmals unterdrückt werden, während Erfindungen gegen die Menschen gefördert werden. Dafür ist die Rüstungsforschung ein sehr gutes Beispiel. Forschung und Wissenschaft sollten eigentlich zum Ziel haben, Verbesserungen für die Menschen zu bringen, und nicht, deren Existenz zu gefährden.
Deshalb sprechen wir uns nicht nur gegen Rüstungsforschung aus, sondern auch gegen Kriegsführung. All das Geld, das militärischen Zwecken dient, könnte nachweislich genutzt werden, um Probleme wie Hunger und Krankheit in den Griff zu bekommen.
Der Landtag sollte sich dafür aussprechen, diese wirtschaftliche Kriegsmaschinerie nicht weiter zu unterstützen. Ein erster kleiner Schritt wäre, die Rüstungsforschung an hessischen Hochschulen zu unterbinden. – Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Als nächster Redner hat sich Herr Kollege May von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zu Wort gemeldet.
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Dass das Thema grundsätzliche Bedeutung hat, darin stimme ich mit Frau Wissler durchaus überein. Es ist auch gut, dass sich der Landtag über Verantwortung und Ethik in der Forschung unterhält. Es geht dabei um Gewissenskonflikte in der Wissenschaft. Am Rande gesagt, handelt es sich nicht nur um Forschung, die militärisch genutzt werden kann, sondern diese Fragestellungen gibt es auch in vielen anderen Forschungszweigen, beispielsweise in der Agrar-Gentechnik. Darum soll es aber heute nicht gehen. Heute soll es um die Verantwortung von Forschung für die militärische Verwertung gehen, denn darum dreht sich der Antrag der Linkspartei.
Die Einführung einer Zivilklausel ist eine Antwort der Wissenschaft auf die Erfahrung, dass Forschung, wenn sie militärisch eingesetzt wird, bis zum Ende der Menschheit führen kann, wie dies beispielsweise bei der Atombombe der Fall sein könnte.
Frau Wissler hat Helmut Schmidt zitiert. Ich habe mir ein anderes Zitat herausgesucht, allerdings aus einem Buch, das Frau Wissler auch angeführt hat, nämlich Friedrich Dürrenmatts „Die Physiker“.
(René Rock (FDP): Sehr originell! – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Dazu gibt es gute Dissertationen!)
Viele von Ihnen werden dieses Buch schon als Schullektüre kennengelernt haben. Ich möchte trotzdem den Möbius daraus zitieren:
Es gibt Risiken, die man nie eingehen darf: Der Untergang der Menschheit ist ein solches. Was die Welt mit den Waffen anrichtet, die sie schon besitzt, wissen wir, was sie mit jenen anrichten würde, die ich ermögliche, können wir uns denken. Dieser Einsicht habe ich mein Handeln untergeordnet.
Frau Wissler hat es dargestellt, in der Konsequenz hat sich dieser Wissenschaftler ins Irrenhaus einweisen lassen. Ich möchte damit nicht sagen, dass eine Zivilklausel ein Irrenhaus darstellt, sondern ich möchte Ihnen damit darstellen, wieso Wissenschaftler überhaupt darüber diskutieren sollten, sich selbst einer Zivilklausel zu verpflichten.
Von daher haben wir von den GRÜNEN große Sympathien dafür, dass die hessischen Hochschulen Zivilklauseln einführen wollen, in denen sie sich verpflichten, keine militärische Forschung zu betreiben.