Protokoll der Sitzung vom 25.09.2012

Vielen Dank, Herr Greilich. – Ich darf Herrn Innenminister Rhein das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich den Gesetzentwurf gesehen und gelesen habe, habe ich mich gefragt, wie man mit so etwas umgehen soll.

Wir sind nicht zu einem Werkstattgespräch eingeladen worden. Auch wir sind ausgegrenzt worden. Es hätte mich

gereizt, an einem Werkstattgespräch bei Ihnen teilzunehmen.

(Heiterkeit bei der LINKEN – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das können wir nachholen, Herr Minister!)

Ich kann Ihnen aber zusichern: Wir haben die Einladungen nicht angehalten; das wäre mir vorgelegt worden. Das wäre vielleicht eine Erklärung dafür, warum auch Frau Faeser und Herr Frömmrich nicht eingeladen wurden.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Nein, ich glaube, das sind organisatorische Mängel.

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Fragen Sie mal Ihr Ministerium!)

Es gibt aber auch organisatorische und inhaltliche Mängel bei diesem Gesetzentwurf. Ich hätte es eigentlich am liebsten mit Karl Valentin gehalten, der gesagt hat: gar nicht erst ignorieren.

(Zurufe von der SPD)

Aber, meine Damen und Herren, das geht nicht. Denn das, was Sie aufgeschrieben und vorgelegt haben, ist schlichtweg grober Unfug. Denn der Verfassungsschutz ist ein unverzichtbarer Pfeiler unserer wehrhaften Demokratie.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Als politisches Instrument!)

Der Verfassungsschutz ist ein Frühwarnsystem. Er erfüllt als Frühwarnsystem einen ganz elementaren Bedarf dieses Staates, nämlich einen sicherheitspolitischen Bedarf, den weder die Polizei noch die Justiz mit ihren Möglichkeiten gewährleisten kann.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Frühwarnsystem? Nee, ist klar! – Nancy Faeser (SPD): Darf sie doch gar nicht!)

Und sie darf es in der Tat auch gar nicht. Das ist auch richtig so.

Deswegen sage ich Ihnen in aller Deutlichkeit, Herr Dr. Wilken und meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linkspartei: Wer den Verfassungsschutz abschafft, legt bewusst oder unbewusst Hand – ich will nicht über die Motivationslage der Linkspartei spekulieren – an die freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Ich sage Ihnen auch sehr deutlich: Wer die Lehren aus Weimar zieht, muss sich auf Nachrichtendienste einlassen. Denn letztlich hat die Gewalt auf den Straßen dafür gesorgt, dass der Versuch demokratischer Verhältnisse, der in Weimar gestartet worden ist, zugrunde gegangen ist. Am Ende war die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei, die sogenannte NSDAP, der Nutznießer eines nicht vorhandenen Verfassungsschutzes in der Weimarer Republik. Das ist die Realität.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Was? – Willi van Ooyen (DIE LIN- KE): Und wer hat den Geheimdienst nach 1945 aufgebaut?)

Deswegen muss jeder wissen, meine sehr geehrten Damen und Herren, wohin der Weg führt, den Herr Dr. Wilken gehen will, nämlich zum Extremismus selbst.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): So ein Quatsch!)

Daher kann man vor diesem Weg in der Tat nur warnen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU – Janine Wiss- ler (DIE LINKE): Die Weimarer Republik ist doch nicht am fehlenden Verfassungsschutz gescheitert! – Willi van Ooyen (DIE LINKE): Wer hat denn nach 1945 den Verfassungsschutz aufgebaut?)

Das ist ein sehr deutliches Plädoyer für den Erhalt des Verfassungsschutzes. Das heißt aber noch lange nicht, dass alles so bleiben darf, so bleiben muss und so bleiben soll, wie es derzeit ist. Ich sage das natürlich vor dem Hintergrund der furchtbaren Taten des sogenannten NSU sehr deutlich. Das gilt nach allem, was wir in den letzten Wochen und Monaten erfahren haben, zumal sich etwas ändern muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU sowie der Abg. Nancy Faeser (SPD) – Janine Wissler (DIE LIN- KE): Bei der CDU klatscht auch keiner mehr! – Gegenruf des Abg. Holger Bellino (CDU) – Janine Wissler (DIE LINKE): Nur drei Leute!)

Das habe ich mehrfach gesagt. Dazu werden wir morgen in einer Debatte über den Gesetzentwurf von CDU und FDP ausführlich diskutieren können. Das ist der erste Teil Ihres Gesetzentwurfs.

Zum zweiten Teil Ihres Gesetzentwurfs kann ich nur feststellen: Er ist völlig überflüssig. Denn alles das, was Sie aufgeschrieben haben und fordern, gibt es bereits. Das haben wir bereits installiert. Das ist im Übrigen auch der Grund dafür, dass in keinem anderen Bundesland Extremismus – egal, ob von rechts oder von links; ich stimme zu, dass es entlarvend ist, dass die Linkspartei nur von Rechtsextremismus spricht – gleichermaßen so intensiv und erfolgreich wie in Hessen bekämpft wird.

Schauen Sie auf die Zahlen, und Sie werden den Beleg für das finden, was ich sage. Aber schauen Sie auch auf die Programme, die wir in Hessen fahren. Auch das ist ein Beleg. Nehmen Sie beispielsweise das am 1. Dezember 2002 eingerichtete Informations- und Kompetenzzentrum Ausstiegshilfen, das sogenannte „IKARus-Projekt“. Wir haben in den vergangenen Jahren seit 2002 52 Personen durch „IKARus“ zum Ausstieg bewegen können.

Nehmen Sie beispielsweise das „beratungsNetzwerk hessen – Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus“. Dieses Projekt wirkt der Verfestigung von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus in Hessen entgegen.

Nehmen Sie das Projekt „Rote Linie – Hilfen zum Ausstieg vor dem Einstieg“. Auch das ist ein Modellprojekt, das sich sehen lassen kann, weil es sich auf die rechte Jugendszene mit diffuser politischer Einstellung und auf junge Leute fokussiert, die drohen, in den organisierten Rechtsextremismus abzudriften. Es bewahrt junge Leute davor, abzudriften.

Oder denken Sie an das „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus“, das wir im Landesamt für Verfassungsschutz eingerichtet haben und das im präventiven Bereich eine erhebliche Erweiterung ist. Zielgruppen sind Lehrer, die Justiz, die Polizei und die Kommunalpolitik usw.

Alles, was ich aufgezählt habe, macht unmissverständlich deutlich, dass wir das, was Sie fordern und einrichten wollen, schon lange tun.

Ich will gerade Ihnen von der Linkspartei noch einige letzte Sätze sagen. Wir brauchen keine Nachhilfe und schon gar keine Nachhilfe von Ihnen, meine sehr geehrten Damen und Herren von der Linkspartei;

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Och!)

denn Sie haben bis zum heutigen Tage Ihr Verhältnis zu Radikalismus, Extremismus und linkem Antisemitismus nicht geklärt.

(Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE) schüttelt den Kopf.)

Wir brauchen keine Nachhilfe von Ihnen, wie wir mit dem Verfassungsschutz umzugehen haben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Janine Wissler (DIE LINKE): Aber zum Werkstattgespräch wollen Sie eingeladen werden!)

Vielen Dank, Herr Rhein. – Wir können in die zweite Diskussionsrunde eintreten. Für die Fraktion DIE LINKE hat sich Herr Schaus gemeldet. Wir haben dafür fünf Minuten Redezeit vorgesehen.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich weiß gar nicht, wo ich in dieser Debatte anfangen soll.

(Zuruf von der CDU: Setzen Sie sich doch wieder hin! – Weitere Zurufe von der CDU und der FDP)

Ich habe eher den Eindruck, dass es vielen offensichtlich nicht gelungen ist, sich mit unserem Gesetzentwurf intensiv zu beschäftigen. Es hat einige gegeben, die ihn offensichtlich gar nicht gelesen haben und dennoch dazu reden. Das ist so wie eh und je; da hat sich nichts geändert. Ich kann aber sehr wohl auch eine wohltuende differenzierte Betrachtungsweise feststellen.

Fakt ist, dass natürlich unser Gesetzentwurf ein Diskussionsbeitrag und das Betreten von Neuland ist und sein soll. Dies ist insbesondere derzeit vonnöten, weil die Öffentlichkeit und wir Parlamentarier erstmals einen kleinen Einblick in die Tätigkeit der deutschen Geheimdienste erhalten haben: von Unzulänglichkeiten an der Oberfläche bis hin zu gravierenden Mängeln.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist nicht zu leugnen, meine Damen und Herren.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Das liegt am System!)

Das ist auch der Punkt, an dem es darum geht, zu prüfen und zu diskutieren. Dazu laden wir Sie in der Tat an. Unsere Einladung richtet sich an alle, die bereit sind, sich auf diese Diskussionsebene zu begeben. Kann oder muss man das Alte fortsetzen und reformieren – darüber werden wir sicherlich morgen diskutieren –, oder müssen wir Überlegungen anstellen, neue Wege zu beschreiten, wie wir unsere Verfassung – im Sinne von Verfassungsschutz – und die hier lebenden Menschen schützen? Das ist der Punkt, und das ist der Ansatz.

Deshalb sage ich: Mit dem Informations- und Dokumentationszentrum haben wir eine Möglichkeit geschaffen und

in die Diskussion eingebracht, die sehr wohl eine Alternative zu einem Landesamt für Verfassungsschutz ist. Wenn hier die Behauptung aufgestellt wird, das sei nicht gesetzeskonform, nehme ich das zur Kenntnis. Aber belegt wurde sie an keiner Stelle. Das wurde einfach in den Raum gestellt.

(Zuruf der Abg. Nancy Faeser (SPD))

Ich sage: Es ist sehr wohl möglich, auf diese Art und Weise mit einer öffentlich-rechtlichen Institution die zentralen Aufgaben darzustellen, die in der Zusammenarbeit von Bund und Ländern notwendig und vorgeschrieben sind.