Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Am Anfang – Frau Kollegin Faeser hat es bereits getan – muss man darüber reden, warum wir heute eigentlich einen Gesetzentwurf diskutieren, der sich damit beschäftigt, dass die Rechte der Parlamentarischen Kontrollkommission, aber auch des Verfassungsschutzes insgesamt überdacht und vielleicht neu geordnet werden.
Es hat damit zu tun, dass Rechtsterroristen des NSU eine Blutspur durch Deutschland gezogen haben. Ein Opfer – Halit Yozgat aus Kassel – ist in seinem Internetcafé erschossen worden. Es gibt ein Versagen der Sicherheitsbehörden und des Verfassungsschutzes, das im Übrigen von allen – außer den Kolleginnen und Kollegen der hessischen CDU und FDP – attestiert wird: Der ehemalige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Fromm hat es gesagt, der BKA-Präsident Ziercke hat es gesagt, selbst der Bundesinnenminister Friedrich hat erklärt, dass die Sicherheitsbehörden in diesem Zusammenhang versagt haben.
Die Zusammenarbeit der Behörden untereinander hat nicht funktioniert. Behörden haben sich nicht über ihren jeweiligen Informationsstand in Kenntnis gesetzt. Akten wurden vernichtet und dem jetzt im Bundestag tätigen Untersuchungsausschuss nicht zur Verfügung gestellt. Die parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste hat effektiv versagt. – Meine sehr verehrten Damen und Herren von CDU und FDP, das sind die Erkenntnisse aus der gesamten Bundesrepublik Deutschland. Diese parlamentarische Kontrolle hat versagt.
Es wird klar, dass sich an den Strukturen der Kontrolle etwas ändern muss, und zwar nicht marginal, sondern grundsätzlich.
CDU und FDP legen jetzt einen Gesetzentwurf vor, der nach meiner Meinung den falschen Geist atmet. Er atmet eben nicht den Geist von Offenheit, Transparenz und Kontrolle, vielmehr atmet er immer noch den Geist von Abschottung, Geheimhaltung und „Weiter so“. Die uns vorliegenden Erkenntnisse müssen uns zu einem genau gegensätzlichen Handeln zwingen: Wir brauchen mehr Kontrolle, wir brauchen mehr Offenheit und mehr Transparenz bei Geheimdiensten.
Sie glauben es in bekannter Weise der Opposition nicht. Ich will daher aus einem Kommentar der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ von heute Morgen vorlesen, wie es die veröffentlichte Presse sieht – Zitat –:
Die schwarz-gelbe Koalition in Wiesbaden will es vielmehr bei kleineren Veränderungen belassen, die nicht wirklich für mehr Transparenz und Offenheit sorgen, sondern die Einflussmöglichkeiten von Abgeordneten an einigen Stellen sogar noch verringern.
Meine Damen und Herren, wenn Sie uns schon nicht glauben, dann glauben Sie doch wenigstens denen, die diese Prozesse begleiten und maßgeblich die veröffentlichte Meinung in unserem Lande vertreten.
Es ist geradezu eine verkehrte Welt, wenn wir auf der einen Seite feststellen, dass es offensichtlich ein Versagen der Geheimdienste gegeben hat, wenn offensichtlich auch von führenden Repräsentanten von Sicherheitsbehörden erklärt wird, dass es ein Versagen gibt, und dann von Herrn Bauer eine solche Äußerung kommt:
Bauer wies darauf hin, dass es in Hessen bislang in keiner Weise Probleme mit dem Verfassungsschutz gegeben hat.
Herr Kollege Bauer, es ist geradezu absurd, in Anbetracht der Tatsachen, die wir auf dem Tisch liegen haben, eine solche Feststellung zu tätigen.
Der Vorschlag der LINKEN, den wir gestern diskutiert haben, ist meiner Auffassung nach der verkehrte Weg. Wir haben gerade gesehen, dass auch ein bisschen Geschichtsbewusstsein fehlt, wenn es um die Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei geht. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben die Geheimdienste und die Polizeiarbeit sehr bewusst aufgrund der Erfahrung mit der Gestapo voneinander getrennt. Es ist eben falsch, einen solchen Vorschlag zu machen.
Schlimmer aber ist es eigentlich – das sage ich in Richtung der Kollegen von CDU und FDP –, dass man ein Problem erkennt und die falschen Schlussfolgerungen daraus zieht. Das ist das eigentlich Schlimme daran.
Die parlamentarische Kontrolle hat versagt, das ist doch ganz offenkundig. Der PKV in Hessen wurde nicht über die Erkenntnisse berichtet, die vorgelegen haben. Die Kolleginnen und Kollegen, die früher in der PKV waren, sitzen doch hier. Es wurde verheimlicht, und wichtige Erkenntnisse wurden nicht mitgeteilt.
Bis zur Veröffentlichung in der „Bild“-Zeitung, wo seinerzeit berichtet wurde, dass ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes am Tatort in Kassel gewesen ist, wurde die Parlamentarische Kontrollkommission nicht über diese Zusammenhänge informiert. Wenn Sie noch einen Beweis mehr brauchen, dass die parlamentarische Kontrolle nicht funktioniert hat, ist dies der Beweis dafür.
Sie legen jetzt einen Gesetzentwurf vor, der Mitschriften und Handys der Abgeordneten in solchen Sitzungen verbietet. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass wir in der Bundesrepublik Deutschland ein Problem damit gehabt haben, dass frei gewählte Abgeordnete sich Notizen machen und ihre Handys dabei haben. Wir haben aber in der Tat ein Problem damit gehabt, dass die parlamentarische Kontrolle nicht unterrichtet worden ist, meine Damen und Herren.
hat seinerzeit die PKV nicht darüber unterrichtet, dass der ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes am Tatort war. Er hat nicht darüber unterrichtet, dass bei diesem bei Hausdurchsuchungen rechte Schriften gefunden wurden. Er hat nicht darüber unterrichtet, dass sich Munition und Waffen in seinem Arsenal befunden haben. Er hat nicht darüber berichtet, dass Drogen bei ihm gefunden wurden. Wenn die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission darüber informiert worden wären – ich gehe auch davon aus, dass Herr Hahn das gemacht hätte –, wäre die Geschichte „falscher Zeitpunkt, falscher Ort“ seinerzeit keine Erklärung für die Anwesenheit des Mitarbeiters in Kassel gewesen.
Dann erteilt dieser Ministerpräsident und ehemalige Innenminister auch noch die Aussagegenehmigung nicht. Es ist doch geradezu absurd: Da gibt es einen Abwägungsprozess,
(Holger Bellino (CDU): Er hat sich beraten lassen! Ihm wurde davon abgeraten! – Gegenruf des Abg. Günter Rudolph (SPD): Von wem denn?)
das Schutzinteresse eines V-Manns wird höher eingestuft als das Ermittlungsinteresse an einem Serienmordverfahren in der Bundesrepublik Deutschland. Das ist in der Tat einmalig, meine Damen und Herren. Wie man dazu kommt, das müssen Sie erklären.
Es war seinerzeit so – und das ist das Schlimme, wenn man es aus dem Kontext von damals durchbuchstabiert –, dass damit gerechnet wurde, dass es noch weitere Morde gibt. Die Ermittlungsbehörden sind bei dieser Mordserie davon ausgegangen, dass es noch weitergeht. Dann jemandem, der unter Umständen zur Aufklärung solcher Taten beitragen kann, die Aussagegenehmigung nicht zu erteilen – das ist in der Tat Verhinderung der Aufklärung von Strafverfahren, meine Damen und Herren.
Dann gab es im Bund die Überlegung, die Ermittlungen bundesweit zusammenzuführen und beim BKA zu bündeln. Daran war auch dieser jetzige Ministerpräsident beteiligt. Er war bei der Innenministerkonferenz auf der
Zugspitze daran beteiligt – so habe ich es mir erklären lassen –, dass verhindert wurde, dass dieses Verfahren zentral vom BKA betrieben wurde.
In einem wichtigen Serienmordverfahren, bei dem eine rechtsextreme Terrorgruppe in ganz Deutschland Morde begeht – wenn es noch mehr Beweise braucht, dass es Aufklärungs- und Nachsteuerungsbedarf gesetzlicher Art auch im Bereich des Verfassungsschutzes gibt: Dies ist der Beweis dafür, dass es dessen dringend bedarf und wir eine grundsätzliche Debatte über die Aufstellung der Geheimdienste brauchen.
Parlamentarische Kontrolle ist ein kleiner Schritt; das sage ich ausdrücklich. Parlamentarische Kontrolle muss funktionieren, parlamentarische Kontrolle kann aber nur funktionieren, wenn die Parlamentarier auch die Lage versetzt werden, hineinzuschauen.
In der Tat habe ich gesagt, dass ich mich bisher von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gut unterrichtet gefühlt habe, Herr Greilich. Ich habe aber nicht gesagt, dass ich mich gut über das unterrichtet gefühlt habe, was sie mir in der Parlamentarischen Kontrollkommission nicht erzählt haben – das ist ein Unterschied.
Der Kollege Al-Wazir, der damals Mitglied dieser Parlamentarischen Kontrollkommission war, ist nämlich nicht über diese Zusammenhänge informiert worden. Da hat die parlamentarische Kontrolle versagt. Der ehemalige Innenminister hat seinerzeit seine Pflicht, der Parlamentarischen Kontrollkommission Bericht zu erstatten, vernachlässigt. Daher bin ich sehr gespannt, wie er das nächsten Freitag in Berlin vor dem Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages erklären wird.
Ich glaube, dass wir eine Debatte grundsätzlicherer Art brauchen, statt an einzelnen Teilen herumzudoktern. Im Zuge der Ermittlungen des Generalbundesanwalts wie auch des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Bundes werden wir noch Erkenntnisse gewinnen, die wir in einen solchen Reformprozess einarbeiten müssen. Es reicht eben nicht aus, nur Überschriften zu protokollieren. Es müssen Verlaufsprotokolle angefertigt werden. Warum werden eigentlich die dort vom Landesamt für Verfassungsschutz und vom Ministerium gegebenen Berichte nicht eingesammelt und im Tresor eingeschlossen, damit man nachher schauen kann, was eigentlich genau berichtet worden ist?
Ich komme sofort zum Schluss. – Es ist z. B. die Frage, wie der Umgang mit V-Leuten geregelt wird. Es wird bis heute nicht berichtet, wie viele V-Leute in welchen Extremismusbereichen mit welcher Bezahlung beschäftigt werden. Das ist eine wichtige Aufgabe nach den Erkenntnis
Ich glaube auch, dass die Parlamentarische Kontrollkommission der Öffentlichkeit über ihre Arbeit berichten muss. Das ist im Bund im Übrigen üblich. Es gibt jedes Jahr einen Verfassungsschutzbericht. Warum enthält dieser Verfassungsschutzbericht nicht einen Teil, in dem die Parlamentarische Kontrollkommission über ihre Arbeit und über ihre Erkenntnisse berichtet?
Es gibt durchaus noch Regelungs- und Diskussionsbedarf. Ich glaube, dass das, was Sie hier vorgelegt haben, Herr Kollege Greilich, in der Tat ein Placebo-Entwurf ist, der es nicht wert ist, ins Gesetzblatt zu kommen. Wir sollten eine grundsätzliche Debatte über die Zukunft des Verfassungsschutzes und der parlamentarischen Kontrolle führen.