Protokoll der Sitzung vom 26.09.2012

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Ja, da war was! – Zurufe von der SPD: Ja!)

die diese Studie herausgegeben hat. Sie weist zu Recht auf eine Entwicklung spätestens im Jahr 2030 hin. Ich finde es befremdlich, wie Sie das mit einem Schlag wegwischen und sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen vom linken Teil des Raumes, das ist Panikmache. – Dann rufen Sie bitte Frau Bundesarbeitsministerin von der Leyen an und

sagen ihr, das ist Panikmache. Wir teilen das ausdrücklich nicht.

Wir glauben nämlich, dass das, was beschrieben wird – die Tendenzen und Entwicklungen zur Altersarmut –, tatsächlich alarmierend ist. Sie dürfen nicht zur Panikmache führen. Sie müssen aber dazu führen, dass wir uns heute Gedanken darüber machen, wie es mit den Einkommen im Alter weitergeht. Auch das hat Kollege Spies zu Recht beschrieben.

Dieses Thema hat bisher – so würde ich es sehen – ein Schattendasein geführt. Wir wissen zur Frage, wie hoch das Armutsrisiko – Sie haben von ungefähr 13 % gesprochen, auf diese Zahl kommen wir beim Armutsrisiko von Menschen über 65 auch – im Vergleich zur Kinderarmut ist, also von Personen bis 25 Jahre: Das Armutsrisiko von 21 % ist deutlich höher.

Man sollte aber die Armutsrisikogruppen nicht gegeneinander ausspielen. Es besteht bei über 65-Jährigen ein Armutsrisiko, das steigt. Deswegen ist die Aufforderung an uns alle, sich in der Politik frühzeitig um das Thema nüchtern und sachlich zu kümmern und nach Lösungen zu suchen, auch heute das Gebot der Stunde.

(Beifall des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wenn das Statistische Bundesamt– Sie haben es schon erwähnt, Herr Kollege – davon spricht, dass bald jeder Siebte über 65 Jahre von Armut bedroht sein wird, dann können wir nicht mehr davon sprechen, dass wir einfach so wie bisher weitermachen können.

Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land müssen sich darauf verlassen können, dass sie als langjährig Versicherte der gesetzlichen Rentenversicherung, auch als Geringverdienende, Teilzeiterwerbstätige oder mit unterbrochenen Erwerbsbiografien, im Alter nicht auf Leistungen der Grundsicherung angewiesen sein werden. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen. Wir brauchen also eine Rentenpolitik, die es erlaubt, in Würde zu altern, und einen Rentenbezug, der vor Armut schützt.

Die Rentenversicherung mit ihrer Umlagefinanzierung ist sicherlich das Kernstück. Aber sie muss weiterentwickelt werden, um den Rentnerinnen und Rentnern das Alterseinkommen nicht nur heute, sondern auch in Zukunft zu sichern und sie vor Altersarmut zu schützen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Herr Kollege Gerling, davon ist allerdings die Politik der CDU/FDP-Bundesregierung weit entfernt.

(Alfons Gerling (CDU): Sie haben doch das Rentenniveau gesenkt!)

Sehr geehrter Herr Kollege Gerling, ältere Menschen haben nur in den seltensten Fällen die Möglichkeit, ihre Situation noch zu verändern. Deswegen ist die Bekämpfung der Altersarmut ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Es nützt nichts, uns davor wegzuducken. Deswegen haben wir GRÜNE in dem Wettstreit der Ideen vorgeschlagen, wie wir das lösen. Da gestatte ich mir den lobenden Hinweis, dass die SPD den Setzpunkt heute angemeldet hat, wenngleich sie auf Bundesebene noch im munteren Findungsprozess ist.

(Zurufe von der SPD)

Das finde ich einen Mut zur Lücke, den man auch einmal loben sollte. Ich gebe zu, es gibt da noch bestimmte Fra

gen, die abzuklären sind. Wollen Sie die Absenkung der Punkte, oder wollen Sie sie nicht? – Aber es gibt durchaus Übereinstimmung mit der SPD, die ich nennen möchte: Die Solidarrente im Gabriel-Papier – wir GRÜNE sprechen von einer Garantierente.

(Zuruf des Abg. Norbert Schmitt (SPD))

Wir wollen sie so ausgestalten, dass der Bezug der Grundsicherung im Normalfall vermieden wird. Wir schlagen eine Garantierente vor, mit der ein Mindestniveau für langjährig Versicherte innerhalb der Rentenversicherung eingeführt wird. Zielrichtung ist dabei, dass Personen, die 30 Jahre lang versichert waren – das umfasst auch andere Zeiten wie die der Ausbildung, der Arbeitslosigkeit und anderes –, mindestens 30 Entgeltpunkte erhalten, was derzeit auf einen Wert von über 800 € kommt. Wir GRÜNE sprechen von einer Garantierente von etwa 850 €. Auch da sehe ich eine große Nähe zur SPD.

Gleichzeitig streben wir eine Einbeziehung weiterer Gruppen in die Rentenversicherung an. Zu erwähnen wären z. B. die Selbstständigen, die momentan noch komplett draußen aus dem System sind. Wir brauchen neben dieser Garantierente ein Bündel von Maßnahmen zur Vermeidung von Altersarmut. Das muss nachhaltig und jetzt begonnen werden.

Eine auf mehr und bessere Beschäftigung ausgerichtete Arbeitsmarktpolitik gehört ebenso dazu, wie die Entwicklung der Rentenversicherung zu einer Bürgerversicherung anzustreben ist. Wir müssen darüber nachdenken, dass das obligatorische Rentensplitting, durch das die während der Ehe erworbenen Rentenansprüche auf beide Partner in gleicher Höhe aufgeteilt werden, eine Element ist. Wir müssen darüber nachdenken, dass die Wiedereinführung der Mindestrentenbeträge für die Menschen im ALG-IIBezug diskutiert wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die wurden von CDU und FDP abgeschafft. Wir brauchen dieses Bündel von Maßnahmen, die sofort wirken werden, damit Altersarmut für Menschen über 65 Jahre vermieden wird.

Wir haben deshalb die Vorschläge von Frau von der Leyen mit Unverständnis zur Kenntnis genommen, weil sie dieser Gruppe real nicht helfen werden. Frau von der Leyen will erst nach 40 Versicherungsjahren, später sogar ab 45 Versicherungsjahren, diese Zuschussrente einführen. Wir wissen, dass das gerade für diese Zielgruppen mit unsteten Erwerbsbiografien überhaupt nicht greifen wird. Zum anderen ist es auch falsch, von einem maximalen Mindestniveau zu sprechen und überhaupt kein minimales Rentenniveau zu formulieren. Insofern wird die Frage nicht beantwortet, ob man dann wieder in die Grundsicherung fällt.

Genauso falsch ist es heutzutage auch, die Beitragssenkung von 19,6 % auf 19 % vorzunehmen. Das ist genauso falsch, weil es nämlich die Spielräume behindert, die man später braucht. – Ich sehe, Sie nicken und teilen offensichtlich unsere Ansicht. Aber CDU und FDP auf Bundesebene senken ohne Not den Beitragssatz von 19,6 % auf 19 %. Das halten wir für falsch.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe gesagt, wir müssen über weitere Bündel von Maßnahmen reden. In den weiteren zweieinhalb Minuten kann ich das nur stichwortartig ansprechen.

Ich glaube, wir müssen selbstverständlich dafür sorgen, dass jeder Mensch ein selbstbestimmtes Leben mit einem auskömmlichen Einkommen führen kann, das es auch ermöglicht, Rücklagen zu bilden und für eine private Vorsorge zu sorgen. Davon sind wir in weiten Teilen abgehängt.

Fangen wir mit dem Beginn der Lebensbiografie an. Wir haben heute 29.000 Jugendliche im Übergangssystem. Jedes Jahr entlassen wir 3.500 Hauptschüler ohne Abschluss. Man kann eins und eins zusammenzählen, dass diese Personengruppe kaum in ein Erwerbsleben steuert, das sie so wohlhabend macht, dass sie eine private Vorsorge treffen kann. Das müssen wir mit aller Macht verhindern.

Deswegen haben wir GRÜNE ein Konzept vorgestellt. Das heißt: Übergänge reformieren, vom Beruf zur Schule. – Wir müssen bei allen Jugendlichen für einen Berufsabschluss sorgen. Alle Jugendlichen brauchen eine Ausbildung. Alle Jugendliche müssen dorthin geführt werden. Momentan passiert dazu in Hessen überhaupt nichts

(Peter Stephan (CDU): Das ist doch falsch!)

angesichts der Zahl von 29.000 Jugendlichen im Wartesystem.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))

Die Frage des Mindestlohns ist angesprochen worden. Ich glaube nicht, dass der Mindestlohn dazu führen wird, dass man später, wenn man über 67 Jahre alt ist, an die Garantierente herankommt. Aber er erlaubt natürlich, dass man mehr Geld als bisher zur Verfügung hat, um Rücklagen zu bilden.

Ein weiterer Schritt wird vor allem sein, dass wir Antworten darauf brauchen, dass momentan 82 % aller Teilzeitstellen von Frauen besetzt sind. Der Anteil von Frauen an Vollzeitbeschäftigungen beträgt allerdings nur etwa ein Drittel. Das ist viel zu niedrig.

Die Frauen unterbrechen ihre Erwerbstätigkeit oder geben sie ganz auf. 84 % der Mütter im Alter von 45 Jahren haben ihre Erwerbstätigkeit mindestens schon einmal ausgesetzt, während das nur 10 % der Väter, also der Männer, im gleichen Alter getan haben.

Das Land und die Kommunen sind das Entscheidende bei dieser Frage, warum sie aussetzen. Da gibt es zum einen die Freiwilligkeit, weil man das nicht wünscht. Aber viele können es auch nicht. Deswegen ist es nach wie vor Landesaufgabe. Das Land und die Kommunen sind in der Verantwortung, endlich auch eine flächendeckende und verlässliche Kinderbetreuung bis zum zehnten Lebensjahr eines jeden Kindes sicherzustellen.

Das muss in das Paket mit hinein. Nur so können Frauen tatsächlich wieder voll am Erwerbsleben teilhaben. Und davon ist diese Regierung – wir diskutieren es heute Nachmittag – noch meilenweit entfernt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Bocklet, die Redezeit ist um.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident. Ich will es noch einmal sagen. Insofern ein letzter Satz.

Insofern ist es klar, dass viel mehr als bisher getan werden muss. Wir tragen heute die Verantwortung für den sozialen Zusammenhalt von morgen. Wir können es uns nicht leisten, einen großen Teil von älteren Menschen in großer Armut verharren zu lassen. Wir können heute die Weichen dafür stellen. Die bisher andiskutierten Vorschläge von Frau von der Leyen sind dazu kein Beitrag. Wir müssen schon heute eine andere Sozialpolitik beginnen. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Herr Bocklet. – Ich darf Frau Wissler für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Ich finde es bemerkenswert, dass die SPD ausgerechnet ihr derzeit größtes innerparteiliches Streitthema, nämlich die Rentenpolitik, im Landtag zum Thema macht.

(Zuruf der Abg. Petra Fuhrmann (SPD))

Erst am Montag wurde die Entscheidung im SPD-Parteivorstand vertagt, weil es massive Kritik der SPD-Linken am Papier von Sigmar Gabriel gab.

Die SPD hat also noch gar kein gemeinsames Konzept. Aber ich finde es schön, dass Sie den Landtag an dieser Debatte teilhaben lassen.

(Beifall bei der LINKEN und des Abg. Torsten Warnecke (SPD))

Ich werde Ihnen selbstverständlich meine Anregungen zu dem Thema nicht vorenthalten.

Dass Altersarmut ein wachsendes Problem ist, hat mittlerweile auch die Bundesregierung erkannt. Erwerbslosigkeit, die Ausweitung prekärer Beschäftigung und sinkende Löhne führen zu Lücken in der Erwerbsbiografie und damit zu fehlenden Beitragszeiten. Niedrige Löhne führen zu niedrigen Renten. Deshalb kann man natürlich nicht über die Rente diskutieren, ohne über die Löhne zu diskutieren und ohne über die Arbeitsmarktreformen der letzten Jahre zu reden.

In Hessen arbeiten heute 300.000 Menschen zu Niedriglöhnen, also zu Löhnen, die kaum oder gar nicht ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Frauen sind von dieser Entwicklung besonders betroffen. Mittlerweile arbeitet jede dritte Frau im Niedriglohnsektor.

Es gibt eine wachsende Zahl Menschen, die gezwungen sind, trotz Vollzeitbeschäftigung ihr geringes Einkommen mit Mitteln aus Hartz IV aufzustocken. Das ist natürlich in erster Linie für die Betroffenen entwürdigend. Das geht