Protokoll der Sitzung vom 22.11.2012

Dann würde ich Sie gern einmal auffordern, zu schauen, welche Schulen denn in letzter Zeit so ausgezeichnet wurden. Welche haben denn Schulpreise bekommen? Es waren überwiegend integrierte Gesamtschulen

(Hugo Klein (Freigericht) (CDU): Wo denn?)

bestes Beispiel ist die IGS Kelsterbach – oder Grundschulen, die auch Gemeinschaftsschulen sind.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Baumschulen!)

Im Übrigen – dies geht insbesondere an die Herren der CDU – sind Sie die Einzigen, die über eine „Einheitsschule“ sprechen. Was Sie damit bezwecken, ist klar. Sie wollen wieder einmal lediglich Angst in der Bevölkerung schüren, indem Sie ein Bild beschwören, das meilenweit von den Schulkonzepten entfernt ist, die DIE LINKE und auch die SPD vorstellen. Im Schüren von Ängsten sind Sie groß. Das tun Sie vor Wahlen gerne, wie wir das seit Jahren und Jahrzehnten kennen.

Das zeigt auch die Vorgehensweise bei den nicht stattfindenden Bemühungen hin zu einem inklusiven Schulsystem. Sie wollen die Eltern glauben lassen, dass die Kinder an den allgemeinen Schulen nicht gut aufgehoben sind. Sie wollen doch, dass Eltern ihre Kinder auf die Förderschulen schicken, damit die Förderschulen ausgelastet bleiben. Sie reden ihnen ein, man könne die Kinder an den allgemeinen Schulen leider gar nicht ausreichend fördern. Wenn Eltern dann davor zurückschrecken, ihr Kind tatsächlich integrativ beschulen zu lassen, tun Sie so, als sei dies ein Beleg für Ihre „gute“ Schulpolitik.

Unter Punkt 4 führen Sie auf, „dass sich die Hessische Landesregierung ihrer besonderen Verantwortung für exzellente Rahmenbedingungen an den Schulen bewusst ist und sich tatkräftig deren fortwährender Optimierung ver

schreibt“. Geben Sie mir doch bitte auch nur ein reales Beispiel dafür. Dass Sie an der Bildungspolitik vielleicht nicht so sparen, wie das andere Länder tun, ist doch kein gutes Beispiel. Ihre Lehrerzuweisung hat nicht flächendeckend für eine 105-prozentige Versorgung an den Schulen geführt – und wird das auch in Zukunft nicht tun. Das wissen Sie. Trotzdem sind lediglich knapp 200 neue Lehrerstellen in den nächsten zwei Jahren vorgesehen. In dieser Zeit wollen Sie angeblich das Ganztagsangebot tatkräftig ausbauen, dem Unterrichtsausfall entgegenwirken und für ein inklusives Schulsystem sorgen? Das ist, denke ich, Wählertäuschung und auch eine Täuschung des Parlaments.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann aber rühmen Sie sich damit, die beste Schüler-Lehrer-Relation in der Geschichte des Landes vorweisen zu können. Dabei vergessen Sie, zu erwähnen, dass diese Schüler-Lehrer-Relation im Bundesvergleich keineswegs zu den besten, sondern zu den Schlusslichtern gehört.

(Ministerin Nicola Beer: Was? – Holger Bellino (CDU): Wir haben zusätzliche Lehrer eingestellt!)

Wie eingangs erwähnt, verstehe ich, dass Sie sich nach Lob und Anerkennung sehnen. Auch Sie sind davon nicht frei, Frau Kultusministerin. Beides haben Sie mit Ihrer Schulpolitik aber nicht verdient.

(Beifall bei der LINKEN)

Was mir in diesem Antrag noch fehlt, ist die Selbstbeweihräucherung für die Einrichtung eines nicht gewollten und völlig unnötigen Landesschulamts, dessen beste Posten aus Ihren eigenen Reihen besetzt werden. Ich weiß nicht, Frau Ministerin, ob dies schon zu dem Plan B der FDP für die Zeit nach den nächsten Landtagswahlen gehört. Darüber haben wir in dieser Plenarwoche schon ausführlich gesprochen. Diese Schulbehörde will keiner und braucht keiner – kommen wird sie wohl trotzdem.

Ähnlich verhält es sich mit den völlig diffusen Plänen der Landesregierung zu G 8 und G 9. Über 90 % der Eltern in Hessen wollen eine Rückkehr zu G 9. Was machen Sie? Sie legen einen Gesetzentwurf vor, der weiter selektiert, sich des Problems nicht annimmt und für niemanden eine sinnvolle Lösung bietet. Statt sich der wirklichen Problemen anzunehmen und die ernst zu nehmen, die davon betroffen sind, fabrizieren Sie ein Gewurschtel, das niemandem hilft und die Schullandschaft noch weiter zerklüftet.

Daher hätten Sie als Punkt 7 in Ihren Antrag vielleicht noch aufnehmen sollen, dass sich die Landesregierung dafür lobt, weder anzuhörende Experten noch anzuhörende Betroffene ernst zu nehmen, und stolz darauf ist, sich den Wünschen von über 90 % der Betroffenen zu widersetzen. Das hätte gepasst.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Ich will aber nicht ungerecht sein. Ein einziger Punkt in Ihrem Antrag ist tragbar. Unter Punkt 6 würdigen Sie „das unermüdliche Engagement der über 60.000 … Lehrerinnen und Lehrer“ in Hessen. Das sollten Sie auch tun, denn dieses Engagement findet nicht dank Ihnen, sondern trotz Ihnen statt, meine Damen und Herren der Landesregierung.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Das wollte ich in aller Klarheit hier noch einmal festhalten. Damit schließe ich meine Rede zu diesem überflüssigen und völlig realitätsfernen Antrag.

(Beitrag bei der LINKEN)

Danke, Frau Cárdenas. – Für die FDP-Fraktion spricht Herr Kollege Döweling.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der große Bildungspädagoge Pestalozzi hat einmal gesagt: Wenn alle Menschen gleich wären, würde ja einer reichen.

(Gerhard Merz (SPD): Solange es nicht Sie sind!)

Sie sind es aber nicht, und deshalb gibt es mehr als einen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Infolgedessen brauchen wir nicht nur eine einzige Schulform als Zwangsbeglückung für alle, denn es gibt mehr als einen Menschen. Die Menschen sind verschieden, und auch die Schulen sind verschieden. Das ist auch unser Credo. Deshalb erteilen wir von der FDP und der CDU der Zwangsbeglückung in Form einer Einheitsschule, wie sie dem linken Teil dieses Hauses vorschwebt, eine deutliche Abfuhr.

(Günter Rudolph (SPD): Das macht der Wähler mit der FDP auch!)

Das wird es mit uns in Hessen nicht geben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Nun könnte man annehmen oder aus meinen Ausführungen schließen, wir würden das längere gemeinsame Lernen in Gänze ablehnen. Weit gefehlt, Kollege Merz. Vorhin wurde viel über die Siebzigerjahre gesprochen. Bis 1970 hat die SPD dieses Land alleine regiert. Davon sind wir Gott sei Dank weit entfernt.

(Günter Rudolph (SPD): Sie wären froh, wenn Sie demnächst auf der Reservebank sitzen dürften!)

Von 1970 bis 1974 hat die FDP mit der SPD eine sozial-liberale Koalition geführt. Heute sind wir auch davon weit entfernt. Damals kam es zur Einführung der Ganztagsschulen. Ich sage ganz klar – da sind wir durchaus in Kontinuität –: Für die FDP-Fraktion in diesem Hause gehören die integrierten und die kooperativen Gesamtschulen als selbstverständlicher Teil zur Schullandschaft in Hessen. Es ist durchaus eine gute Option, länger gemeinsam zu lernen, wenn die Eltern dies wollen – aber nicht als Zwangsbeglückung. Das ist der entscheidende Unterschied.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir sehen die Heterogenität einer Lerngruppe durchaus als Chance an, dass die jeweiligen Individuen voneinander lernen. Sie werden in Hessen nicht eine Hauptschul-, Realschul- oder Gymnasialklasse und erst recht keine Klasse in einer IGS finden, die völlig homogen ist. Davon sind wir weit entfernt. Alle diese Klassen sind heterogen zusammengesetzt. Deswegen brauchen wir eine Pädagogik und

einen Unterricht, die sich dieser Bedürfnisse annehmen. Wir arbeiten in Hessen daran, das möglich zu machen und umzusetzen.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Analyse richtig, Konsequenz falsch!)

Herr Schäfer-Gümbel, das kann man bei Ihnen sagen. – In der Tat ist die Frage: Wie viel Heterogenität ist für eine Lerngruppe aushaltbar, wie viel ist verkraftbar? Das ist eine schwierige Frage. Ich möchte sie nicht von diesem Pult und auch nicht im Kultusministerium in Wiesbaden für über 700.000 Schülerinnen und Schüler in diesem Land beantworten. Sie sagen, Sie wissen es besser; alle müssen in eine Einheitsschule, dann ist alles gut.

(Heike Habermann (SPD): Was für ein Quatsch! Lügen Sie doch nicht auch noch! – Weitere Zurufe von der SPD)

Das ist der gravierende Unterschied zwischen uns und der SPD und der Linkspartei in diesem Hause.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das ist eine Entscheidung, die die Eltern, die Lehrer und natürlich auch die Schülerinnen und Schüler treffen müssen: Wollen sie lieber in eine Gesamtschule gehen, oder wollen sie eine der Schulformen des klassischen Schulsystems wählen? Das ist ganz klar unsere Auffassung.

Unser Dank und unser Respekt gelten den Lehrerinnen und Lehrern in Hessen, die diese schwierige Aufgabe sehr souverän meistern, je nachdem, in welcher Schulform sie eingesetzt sind, ob in der Hauptschule, der Realschule, der Mittestufenschule, dem Gymnasium, der Förderschule, der beruflichen Schule, der integrierten oder kooperativen Gesamtschule.

Guter und qualitativ hochwertiger Unterricht braucht entsprechende Ressourcen. Deswegen arbeiten CDU und FDP seit Jahren daran, diese Ressourcen ständig zu verbessern. Wir haben gestern über den Haushalt gesprochen. Wir haben dabei gehört: Seit 1999 wächst der Bildungsetat stetig an. Wir haben stetig wachsende Zahlen bei den Lehrerstellen – allein in dieser Legislaturperiode 2.500 zusätzliche Lehrer, die dazu dienen, die Rahmenbedingungen des Unterrichts zu verbessern. Mit dem Klassenteiler haben wir kleinere Klassen geschaffen, und wir haben die unsägliche Sternchenregelung von Rot-Grün abgeschafft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich glaube, es ist nicht nötig, schon wieder über Schulstrukturen zu diskutieren. Ich glaube, wir haben in diesem Land im Schulbereich drängendere Probleme. Wie weit muss man eigentlich von der Realität entfernt sein, wenn man hier wieder die alte Schulstrukturdebatte aufmachen will?

(Gerhard Merz (SPD): Das fragen wir Sie!)

Wir haben zunehmende Gegensätze in diesem Land – in den Sozialstrukturen, zwischen dem städtischen und dem ländlichen Raum und natürlich auch in Bezug auf die demografischen Verhältnisse. Da haben wir eine Schere, die leider weit auseinanderklafft, obwohl wir stetig daran arbeiten, etwas zu verändern. Aber machen wir uns nichts

vor: Wir können die Welt nicht von diesem Pult aus ändern, zumindest nicht gleich.

Die drängende Frage ist für mich deswegen, wie wir die sozialen und demografischen Entwicklungen im städtischen Raum einerseits und im ländlichen Raum andererseits unter einen Hut bringen, und nicht, für welche Schulstruktur wir uns entscheiden. Das ist die Frage, um die es eigentlich geht. Über die sollten wir hier eigentlich diskutieren, statt die alten Schulstrukturdebatten und -kämpfe der Siebzigerjahre zu wiederholen.

(Beifall bei der FDP – Zuruf des Abg. Gerhard Merz (SPD))