Der 27. Januar ist aber auch unwiderruflich mit einem anderen Datum verbunden – das ist heute schon genannt worden, und das wird von uns mit den Worten „Nie wieder“ entsprechend einheitlich gewürdigt –, dem 20. Januar 1933, dem Tag der Machtübernahme der Nationalsozialisten.
Die Gräueltaten in diesem Zeitraum müssen Teil des kollektiven Gedächtnisses sein und bleiben. Wir müssen die Erinnerungskultur pflegen und dürfen die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus nicht scheuen. Jedes Engagement in diesem Bereich – besonders die Aufarbeitung durch Wissenschaft und Forschung, Ehrenamtliche, Lehrer und Schüler, Vereine und Verbände sowie nicht zuletzt der Politik – ist zu begrüßen. Besonders das Forschungsvorhaben der Kommission, die sich mit der politi
Allerdings muss man rückblickend auch feststellen – es ist in einem Teil der Anträge angesprochen worden –, dass heute die Ursachen, die durchaus auch in der Besonderheit und dem politischen Wirken der Weimarer Republik liegen, zu würdigen sind.
In einem Antrag sind die Notverordnungen der Weimarer Reichsverfassung aufgrund Art. 48 Weimarer Reichsverfassung genannt, die angesichts des Hitler-Putsches unter Friedrich Ebert angewendet wurden, aber dann auch weitergeführt wurden. Insbesondere nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der Auflösung des Reichstages am 1. März 1933 durch Hindenburg schränkten die Notverordnungen auch die Freiheitsrechte ein, so z. B. am 4. Februar die Versammlungs- und Pressefreiheit durch Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des deutschen Volkes.
Die Polizei wurde nach Einsetzung des kommissarischen preußischen Innenministers Hermann Göring ebenfalls instrumentalisiert und als Terrorinstrument gegen politische Gegner eingesetzt. Es kam am 27. Februar 1933 zum Reichstagsbrand. Dieser hatte eine Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat zur Folge, die sogenannte Reichstagsbrandverordnung vom 28. Februar 1933, die wesentliche Grundrechte außer Kraft setzte und die Verfolgung politischer Gegner legitimierte.
Wir hatten die Gleichschaltung der Länder unmittelbar nach der Wahl vom 5. März 1933 unter Bezug auf § 2 der Verordnung zum Schutz von Volk und Staat, das Gleichschaltungsgesetz vom 31. März 1933, die Auflösung der Landtage bis auf Preußen und Neuzusammensetzung und am 21. März 1933 die Verordnung des Reichspräsidenten zur Abwehr heimtückischer Angriffe gegen die Regierung der nationalen Erhebung.
Letztendlich gab es das Gesetz, das heute auch im Mittelpunkt steht und genannt werden muss: das Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich, das Ermächtigungsgesetz, vom 24. März 1933, das die Handlungsvollmacht ohne parlamentarische Einschränkung und Kontrolle durch andere Verfassungsorgane auf Adolf Hitler übertrug.
Es ist schon perfide, festzustellen, dass dieses Gesetz von den Parlamentariern heutzutage quasi als Akt der Selbstentmachtung empfunden werden musste, weil es ermöglichte, Gesetze ohne Zustimmung des Reichstags und des Reichsrates und ohne Gegenzeichnung durch den Reichspräsidenten zu erlassen sowie Verträge mit anderen Staaten zu schließen. Das kann nur als eine Selbstentmachtung des Parlaments zum damaligen Zeitpunkt verstanden werden.
Dieses Gesetz wurde am 23. März 1933 mit insgesamt 441 Stimmen angenommen – mit Stimmen des Zentrums, der Bayerischen Volkspartei und der Deutschen Staatspartei gegen 94 Stimmen der SPD. Nicht teilnehmen konnten 81 Abgeordnete der Kommunistischen Partei Deutschlands. Die Mandate waren auf Basis der Reichstagsbrandverordnung bereits am 8. März 1933 annulliert worden. Viele der Abgeordneten waren bereits verhaftet – das waren die frühen KZs – oder geflohen.
Wenn man zurückblickt – Herr Merz von der SPD hat schon Otto Wels erwähnt, einen mutigen Abgeordneten, der eine Rede gehalten hat –, wünsche ich mir als Liberaler – das wird aus den „Erinnerungen“ von Theodor Heuss
deutlich –, dass er diese Rede gehalten hätte, die er bereits entworfen hatte und die damals im politischen Diskurs mit seiner Fraktion zu einer Enthaltung oder gar Ablehnung führen sollte.
Dieser Entwurf ist vorhanden. Ich möchte ihn kurz vorlesen, weil ich mir persönlich gewünscht hätte, ebenso wie auch meine Fraktion, dass diese Rede gehalten worden wäre:
Die Ermächtigung, in der Norm der Gesetzgebung die Grundzüge der Verfassung zu verlassen, erfüllt uns mit großer Sorge, wenn wir an die Unabhängigkeit der Gerichte und die Sicherung des Berufsbeamtentums und seiner Rechte, an die staatsbürgerliche Gleichberechtigung und an die Entfaltung des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens denken. […] Sie sind Pfeiler des Rechtsstaates und […] Mauern, die das volkhafte Leben und seine wachsenden Ordnungen gegen die drückende staatliche Vermachtung schützen. […] Aus unserem Gewissen heraus können wir an der Verantwortung nicht teilnehmen. […] Wir werden uns daher der Stimme enthalten.
Diese Rede wurde nicht gehalten und ist in den „Erinnerungen“ wiedergegeben. Sie hat jedoch rückblickend in den Lebenserinnerungen auch zu einer Replik von Theodor Heuss geführt, die ich hochinteressant finde, weil es auch dazu führt, dass man aufstehen und ein Votum geben bzw. sich melden muss, oder aber es bereut. Theodor Heuss hat diesen Kontext in seinen „Erinnerungen“ notiert:
Jeder von uns, der als Publizist oder als „Politiker“ zu Entscheidungen gezwungen war, die er später bedauerte, hat Dummheiten gemacht. Doch dieser Begriff ist zu schwach für die Zustimmung zu diesem Gesetz, und auch das Wort „später“ trifft nicht die innere Lage; denn ich wusste schon damals, dass ich dieses „Ja“ nie mehr aus meiner Lebensgeschichte auslöschen könne.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass das, was wir heute einig feststellen – dass dies nie wieder passieren kann –, hier heute auch im Mittelpunkt des Tages und des Bekennens stehen sollte. Unterschiedlich sind die Anträge, aber das, was gewollt wird, ist ihnen gemeinsam.
Lassen Sie uns gemeinsam uns dazu bekennen, dass uns die beiden Daten – sowohl der 30. Januar 1933 als auch der 27. Januar 1945 – mahnend in Erinnerung bleiben und uns dazu verpflichten sollen, uns allen antidemokratischen Kräften in den Weg zu stellen, um die Demokratie und die Freiheitsrechte zu verteidigen. Lehren aus der Zeit des Nationalsozialismus zu ziehen, ist wichtig. Wir müssen uns aktiv für die Menschenrechte und die demokratischen Grundrechte einsetzen, dies jeden Tag, dies ohne Vorbehalt, damit dieses „Nie wieder“ wirklich nie wieder sein kann. – Danke schön.
Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Heute, 80 Jahre nach dem 30. Januar 1933, sprechen wir über einen Tag, an dem Deutschland einen Weg einschlug, der bis zu 80 Millionen Menschen in den Tod führte: Menschen aus Deutschland selbst, Menschen aus Polen und aus Frankreich, aus der Sowjetunion und aus Großbritannien, aus Griechenland und aus vielen, vielen anderen Ländern der Welt. Menschen wurden in Lagern ermordet, starben auf den Schlachtfeldern des Zweiten Weltkriegs, kamen bei Bombardements oder auf der Flucht ums Leben. Zu den Opfern zählten fast die gesamte jüdische Bevölkerung, aber auch behinderte Menschen in Euthanasieprojekten, Sinti und Roma, Homosexuelle und Zwangsarbeiter.
Insbesondere in den zwölf Jahren bis 1945 richteten die Nationalsozialisten ein grauenvolles Blutbad an. Sie tragen die unmittelbare Verantwortung für ihre furchtbaren Gräueltaten, aber sie tragen auch mittelbar die politische Verantwortung für die Folgen, die die militärischen Aktionen und die politischen Entscheidungen der Alliierten für Deutschland und die Deutschen hatten.
Wenn wir über den 30. Januar 1933 sprechen, dann sprechen wir also über einen Tag, der eine Zeitenwende markiert. Es ist eine Zeitenwende, an der das dunkelste Kapitel der Geschichte unseres Landes beginnt. Diese Wende – einige der Vorredner haben schon darauf hingewiesen – kam nicht unvermittelt. Ein Weg führte zu ihr. Er führte weg von der Demokratie hin zur Diktatur, weg von der Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Mitmenschlichkeit hin zu Zwang, Unrecht und grenzenloser Menschenverachtung.
Dabei ist festzuhalten, dass die Feinde der fragilen Weimarer Republik zunächst aus zwei Richtungen kamen: Sie kamen von rechts und von links. Die Verteidiger der Demokratie mussten also an zwei Fronten kämpfen, und das erschwerte ihre Lage sehr. 20 gescheiterte Regierungen in 14 Jahren Weimarer Republik machten sie verletzlich, Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit spielten schließlich den Braunen in die Hände.
Erhielt die NSDAP – Frau Schulz-Asche hat schon darauf hingewiesen – bei den Wahlen 1928 2,8 %, waren es 1930 18,3 % und zwei Jahre später 37,4 %.
Die drei Parteien der Weimarer Koalition, die Sozialdemokraten, die Liberalen und die Zentrumspartei, kämpften und standen z. B. auch in einer anderen Organisation gemeinsam zusammen, die sich zur Aufgabe gemacht hatte, die Republik gegen die Feinde von rechts und links zu verteidigen. Ich meine das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold. Das ist ein Name, der für uns heute ein wenig sperrig klingen mag. Aber es ist ein Name, der für eine hervorragende politische Tradition steht.
Im Reichsbanner waren Persönlichkeiten tätig, die unbeschadet tagespolitischer und parteipolitischer Differenzen gemeinsam für die Republik und die Demokratie standen und kämpften. Stellvertretend nenne ich für die Liberalen Theodor Heuss, für die SPD Georg August Zinn und für das Zentrum Heinrich Krone.
Ich sage nicht, dass ihr Einsatz vergebens war. Auch wenn Hitler am 30. Januar 1933 Reichskanzler wurde, auch wenn mit dem Ermächtigungsgesetz wenige Wochen später die Demokratie endgültig abgeschafft wurde – die Werte, für die Georg August Zinn, Theodor Heuss und Hein
rich Krone und mit ihnen viele andere Männer und Frauen standen, sind unvergänglich. Solange ein Mensch, begabt mit Vernunft und Mitgefühl, existiert, so lange bleiben diese Werte lebendig, auch wenn sie in einer Diktatur unterdrückt werden.
Meine Damen und Herren, diese Werte lebten wieder auf. Die hessische Landesverfassung vom 1. Dezember 1946 legt davon ein Zeugnis ab. In ihr fanden die Werte ihren rechtlichen Ausdruck, ebenso wie zweieinhalb Jahre später im Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland. Beide Verfassungen formulieren die Grundbedingungen der politischen Existenz unseres Staates. Gleichzeitig sind sie aber auch eine Antwort auf die Diktatur, die ihnen vorausging.
Uns ist bewusst, dass die demokratischen Strukturen jeden Tag wieder mit Leben erfüllt werden müssen. Die hessische Landesverfassung und das Grundgesetz bieten auch dafür eine Richtschnur. Es liegt in unserer Verantwortung, uns an dieser Richtschnur zu orientieren. Der Respekt vor anderen Menschen, vor deren Würde, die Toleranz und der Pluralismus müssen von uns gelebt werden. Das lässt sich auch nicht beschließen und verordnen. Das muss gelebt und, wie wir es auch tun, in unseren Bildungsinstitutionen vermittelt und erlebbar gemacht werden.
Meine Damen und Herren, die Lehren, die wir aus dem Scheitern der Demokratie in der Weimarer Republik gezogen haben, gilt es lebendig zu halten. Wir treten heute jedem Angriff auf unsere Demokratie und unsere Werte entschlossen entgegen, egal aus welcher Richtung sie kommen mögen.
Ministerpräsident Volker Bouffier hat anlässlich des Holocaust-Gedenktages darauf hingewiesen, dass die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht in Auschwitz begonnen haben, sondern im Alltag der Bürger: durch Verhöhnung anderer, durch Ausgrenzung und Demokratieverlust. Damit wurde der Boden für die Vernichtung bereitet.
Die Auseinandersetzung mit dem Holocaust und den Verbrechen des Nationalsozialismus ist deshalb ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Erinnerungskultur und demokratischen Werthaltung in Hessen. Ebenso gilt es immer wieder auch an das jüdische Leben in Deutschland zu erinnern, das die Nationalsozialisten ausrotten wollten.
Deshalb engagiert sich das Land Hessen in seiner politischen Bildungsarbeit besonders an Schulen, in der Arbeit mit jungen Menschen und in der Erwachsenenbildung sowie in seiner Gedenkstättenförderung nachhaltig für ein waches Geschichtsbewusstsein und eine klare Haltung gegen Diktaturen und jedwedes extremistische Gedankengut.
Meine Damen und Herren, die Stärkung der demokratischen Kultur und Bildung in der Nachkriegszeit wurde als eine der wichtigsten Aufgaben für die junge Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland gesehen. Sie war auch vor 59 Jahren der Gründungsimpuls für die Hessische Landeszentrale für politische Bildung. Diese war und ist traditionell stark auf dem Feld der Zeitgeschichte engagiert. Sie unterstützt die Erinnerung an die Opfer des Nationalsozialismus und die Aufarbeitung und Aufklärung über Ursachen, Strukturen und Folgen der NS-Diktatur.
Mit der Gedenkstätte Breitenau in Guxhagen, der Gedenkstätte Hadamar, dem Dokumentations- und Informationszentrum Stadtallendorf und der Gedenkstätte und dem Museum Trutzhain fördert das Land beispielhaft und dauerhaft vier Erinnerungsorte, die an unterschiedliche Opfergruppen des Nationalsozialismus und an beispielhafte Orte des NS-Terrors in Hessen erinnern.
Diese Gedenkstätten stehen stellvertretend für den Schrecken, den der nationalsozialistische Rassen- und Kriegswahn über unser Land und ganz Europa getragen hat. Die Bewahrung dieser unverzichtbaren Erinnerungsund Lernorte gegen das Vergessen und für Demokratie und Menschenwürde sind Ausdruck unserer Verantwortung vor der Geschichte und für die Zukunft.
Deshalb legt das Land Hessen mit den Angeboten der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung auch einen besonderen Schwerpunkt auf die Durchführung gemeinsamer Bildungsmaßnahmen mit diesen Einrichtungen und fördert und unterstützt Gedenkstättenbesuche und entsprechende Erinnerungsprojekte hessischer Schul-, Jugendund Erwachsenengruppen.
Einen besonderen Schwerpunkt legen das Land Hessen und die HLZ in ihrer Arbeit auf die Durchführung von Zeitzeugenlesungen und Zeitzeugengesprächen in hessischen Schulen. Nichts wirkt einprägsamer und lehrreicher auf junge Menschen als die persönlichen Erfahrungen, die Schicksale von Betroffenen, die uns an ihren schrecklichen Erlebnissen, aber auch an ihrem unbeugsamen Lebensmut teilhaben lassen und immer wieder zu demokratischer Verantwortung mahnen.
Gerade für diese Form der Aufarbeitung wird die Zeit aufgrund des Alters der Zeitzeugen leider immer knapper. Umso wichtiger ist es, sie jetzt nicht ungenutzt verstreichen zu lassen und viele dieser Schultermine zu unterstützen, so wie dies im Rahmen der HLZ geschieht.
Mit diesen Angeboten wollen das Land Hessen und seine Landeszentrale für politische Bildung vor allem bei jungen Menschen das Geschichtsbewusstsein stärken und zu einer intensiven Auseinandersetzung mit Diktaturen und Unrechtsregimen anregen. Deshalb gehört die Aufarbeitung der NS-Diktatur zum zentralen Bildungskanon der hessischen Schulen, ebenso wie die Aufarbeitung der SED-Diktatur, die in den letzten Jahren intensiviert wurde, ohne bei der Aufarbeitung des Nationalsozialismus auch nur einen Punkt nachzulassen.
Wir beugen damit insbesondere auch rechts- und linksextremistischen Einstellungen vor und tragen zur Festigung des demokratischen, antitotalitären Grundkonsenses bei.
Meine Damen und Herren, ohne die Aufklärung über die Ursachen und Folgen totalitärer Herrschaft, ohne die Stärkung des antitotalitären und antiextremistischen Grundkonsenses kann eine demokratische, offene Gesellschaft nicht überleben.
Dies ist eine der nachhaltigsten Lehren, die sich aus dem 30. Januar 1933 ergeben, die sich mit ihm verbinden und der wir uns in all unserem Grundverständnis permanent stellen. Wir sind uns dessen bewusst und verteidigen die Demokratie und unsere Freiheit mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln.
Meine Damen und Herren, eine Zeitenwende wie am 30. Januar 1933 darf es in unserem Land, darf es in Europa und in der Welt nie wieder geben. – Herzlichen Dank.