Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben gesagt, die Reichweite sei zu gering. Ich sage Ihnen, dass viele mittelständische Unternehmen und auch viele größere Unternehmen sehr wohl auf Aufträge aus dem öffentlichen Bereich angewiesen sind. Ich finde, das Gesetz ist hinsichtlich der Reichweite sehr effizient, wenn die entsprechenden Vorschriften Eingang in das Gesetz finden.
Vergleichbare Vorschriften gibt es übrigens auch im Hessischen Betreuungs- und Pflegegesetz hinsichtlich der Vermittlung der Pflegekräfte aus der Europäischen Union. Auch hier sind die entsprechenden Passagen Bestandteil des Gesetzes.
Wenn Sie, wie in der bisherigen Debatte hier geschehen, und auch Ihre Parteifreunde im Deutschen Bundestag die getäuschten Arbeitsuchenden für andere arbeitsmarktpolitische Streitthemen instrumentalisieren, dann ist das zunächst einmal eine Frage des Stils nicht gegenüber uns, sondern gegenüber den betroffenen Personen. Sie müssen sich da entscheiden. Wenn Sie das machen wollen – –
Natürlich können Sie das machen. Aber dann gehen Ihre Angriffe gegen die Regierungspolitik der CDU und der FDP auf Bundes- und Landesebene völlig ins Leere.
Ich wiederhole es: Wir haben die Lohnuntergrenze als Rechtsanspruch für die Zeitarbeiter geschaffen. Wenn wir das nicht geschaffen hätten, würde es die heutige Debatte nicht geben.
Wir praktizieren mit leistungsfähigen Kontrollmechanismen. Wenn die Ergebnisse dieser Kontrollen jetzt nicht publik geworden wären, würde es auch diese Debatte nicht geben.
Wir verankern Rechtsansprüche auf Tarifleistungen in vielen Landesgesetzen, für die wir zuständig sind.
Diese Regierungsparteien haben viel mehr geleistet, als es Rot-Grün damals während ihrer Verantwortung getan haben.
Im Gegensatz zu Ihnen stehen wir zu den damals getroffenen arbeitsmarktpolitischen Grundsatzentscheidungen. Wir stehen noch dazu, Sie nicht. Aber Sie haben handwerklich unsauber gearbeitet.
Wir mussten nacharbeiten, damit erstens die Effekte eintraten und zweitens die Arbeitnehmerrechte ausreichend gewahrt wurden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Das glauben Sie doch selbst nicht!)
Wir wünschen den getäuschten und enttäuschten Arbeitsplatzinteressenten aus Spanien einen Arbeitsplatz mit Tarifleistungen und den entsprechenden Arbeitnehmerrechten. Wir wollen, dass unsere europäischen Freunde vom Arbeitsleben in Deutschland einen guten Eindruck bekommen. Wir wollen, dass Amazon das Verhältnis mit seinen Arbeitnehmern unverzüglich in Ordnung bringt. Wir lassen uns von Ihnen nicht erzählen, dass wir keine ausreichende Sensibilität gegenüber den betroffenen Arbeitnehmern auch in kleineren Unternehmen hätten.
Ich sage Ihnen zu der Firma, die Mineralwasser in Limburg und Weilburg herstellt, dass ich da gewesen bin. Auch ich habe wie andere Kolleginnen und Kollegen des Landtags mit den Leuten gesprochen. Da gab es gar keinen Dissens zwischen den anwesenden Landtagsabgeordneten. Wir haben da deutlich unsere Meinung zum Ausdruck gebracht.
Wir wollen, dass Amazon sein Verhältnis zu den Arbeitnehmern in Ordnung bringt. Wir wollen aber auch, dass sie weiterhin bei uns investieren, allerdings unter der Voraussetzung rechtssicherer und fairer Arbeitsplätze. Denn man darf auch nicht vergessen: In Bad Hersfeld gibt es 2.800 Arbeitsplätze bei Amazon. In Deutschland sind es insgesamt 8.000.
Wir wollen nicht, dass die Firma die Arbeitsplätze aus Hessen abzieht. Der Schwerpunkt der Investitionstätigkeit bei Amazon liegt, was Deutschland betrifft, derzeit in Bayern. Wir wollen nicht, dass die wenigen Arbeitsplätze, die es in anderen Bundesländern gibt, auch noch nach Bayern gehen. Das entspricht nicht unserem Interesse. Aber wir wollen faire Arbeitsplätze. Da werden wir kritische Diskussionen führen.
Wir wollen auch weiterhin für den Standort Hessen werben. Wir wollen neue Arbeitsplätze gerade im ländlichen Raum und für Menschen mit unterschiedlichen Qualifikationen haben. Wir wollen eine differenzierte Betrachtungsweise der Zeitarbeit.
Was heißt hier „schöne Welt“? – Die Welt ist nun einmal nicht ideologisch einfach geprägt. Sie muss einfach differenziert betrachtet werden.
Ich glaube, wir waren in Hessen bisher, was die Arbeitsmarktpolitik, die Verdienstmöglichkeiten und das Bruttoinlandsprodukt pro Einwohner anbelangt, auf einem guten Weg. Wir brauchen Ihre Ratschläge eigentlich nicht unbedingt.
Wir sind hier klar auf Kurs. Die Menschen und auch die getäuschten Menschen können sich auf uns verlassen. – Herzlichen Dank.
Herr Dr. Bartelt, schönen Dank. – Für die Fraktion DIE LINKE erhält Frau Wissler jetzt das Wort. Frau Wissler, bitte schön.
(Holger Bellino (CDU): Bei der Berufserfahrung! – Gegenruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE): Herr Bellino, freuen Sie sich doch einmal!)
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Es ist gut, dass sich der Landtag mit den unhaltbaren Zuständen bei Amazon beschäftigt. Die Reportage „Ausgeliefert! Leiharbeiter bei Amazon“ hat zu Recht große Empörung ausgelöst.
Ich will auch sagen, dass ich großen Respekt vor dieser mutigen Recherchearbeit der Reporter des Hessischen Rundfunks habe.
Herr Bartelt, dass die Zustände bei Amazon öffentlich wurden, war doch nicht der Erfolg staatlicher Kontrollen. Das war schon gar nicht das Verdienst der Landesregierung. Vielmehr ist das einzig und allein das Verdienst mutiger Journalisten, mutiger Gewerkschafter und mutiger Beschäftigter bei Amazon, die das in dieser Reportage so dargestellt haben. Das ist deren Verdienst. Es ist aber nicht das Verdienst der Landesregierung, dass wir heute über diese skandalösen Zustände sprechen können.
Diese Rechercheergebnisse müssen Konsequenzen haben. Deshalb hat die LINKE für morgen früh eine Aktuelle Stunde zu Amazon beantragt, weil wir finden, dass dieser Aspekt in dem doch eher sehr langen Antrag der SPDFraktion etwas untergeht.
Ich halte es für ein Armutszeugnis für diese Landesregierung, dass sie ganze acht Tage gebraucht hat, um die Zuständigkeit zu klären. Zunächst erklärte der Ministerpräsident allen Ernstes, ich will das wörtlich zitieren –:
Die Landesregierung ist hier nicht zuständig, aber wir werden sehr sorgfältig die weitere Entwicklung verfolgen.
Meine Damen und Herren, was ist denn das für ein Ministerpräsident? Da fördern Journalisten zutage, dass spanische Leiharbeiter in ihren Unterkünften von einer Sicherheitsfirma mit Verbindungen in die Naziszene schikaniert werden, dass diese Sicherheitsleute sogar gegenüber dem
hr-Team handgreiflich wurden – und dieser Ministerpräsident erklärt, man werde die weitere Entwicklung verfolgen. Das ist doch wirklich das Allerletzte, eine solche Erklärung nach einer solchen Enthüllung abzugeben.
Stattdessen sollten Sie einmal der Frage nachgehen, wann bei Amazon die letzte Betriebsprüfung stattgefunden hat, welche Rolle die Arbeitsagentur dort gespielt hat und vor allem wie verhindert werden kann, dass es solche Zustände gibt, ob bei Amazon oder anderswo.
Der Sozialminister hat sich erst nach tagelangem öffentlichen Druck nach Bad Hersfeld bequemt. Herr Grüttner, ein guter Sozialminister hätte am nächsten Morgen bei Amazon auf der Matte gestanden und sich erkundigt, was in diesem Laden eigentlich abgeht.
(Beifall bei der LINKEN – Holger Bellino (CDU): Quatsch! – Hermann Schaus (DIE LINKE): Der war an diesem Tag nicht zuständig!)
Aber das ist symptomatisch für den Umgang mit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesem Land: Die Landesregierung lässt die Beschäftigten im Regen stehen, wenn es um Arbeitsbedingungen geht, und auch, wenn es um Massenentlassungen geht.
Im Dezember hat die „FAZ“ eine Liste von 68 Unternehmen veröffentlicht, die aktuell einen Stellenabbau von mehr als 200 Beschäftigten in Deutschland vollzogen oder für die nächste Zeit angekündigt haben. Meine Damen und Herren, auf dieser Liste stehen erschreckend viele hessische Unternehmen oder Unternehmen, die einen Standort in Hessen haben.
Ganz oben auf dieser Liste steht natürlich Schlecker, wo 25.000 Arbeitsplätze wegfielen, davon 2.000 in Hessen. Auf Platz 3 folgt Neckermann mit über 3.000 Arbeitsplätzen. Weiter stehen auf der Liste die Lufthansa – trotz des angeblichen Jobmotors Frankfurter Flughafen –, der Offenbacher Druckmaschinenhersteller manroland, Opel, Merck, Clariant, HP, das Solarunternehmen SMA sowie eine ganze Reihe von Banken mit Sitz in Frankfurt, darunter die Deutsche Bank, Sal. Oppenheim,
Union Investment und auch die Landesbank Hessen-Thüringen. Dabei fehlt noch die Commerzbank, die erst kürzlich angekündigt hat, ebenfalls mehrere Tausend Stellen zu streichen, und übrigens steht auch das Universitätsklinikum Gießen und Marburg auf dieser Liste.
Hinzu kommen noch – wie die SPD das in ihrem Antrag richtig schreibt – Infraserv und Vodafone. Hinzu kommt, lieber Herr Thorsten Schäfer-Gümbel, aber auch der massive Stellenabbau durch die Insolvenz bei der „Frankfurter Rundschau“. Ich finde es ein bisschen schade, dass die SPD in ihrem Antrag so viele Unternehmen aufführt, ausgerechnet aber die „Rundschau“ vergessen hat, an der Sie schließlich über Ihre Mediengesellschaft beteiligt sind und bei der Sie aktiv Einfluss nehmen könnten. Herr SchäferGümbel, ich finde, die hätten Sie auch mit aufführen können.