Protokoll der Sitzung vom 27.02.2013

nämlich auch für faire Arbeitsbedingungen zu sorgen, nie wahrgenommen – im Gegenteil. Wir erinnern uns alle mit Grauen an die verächtliche Haltung, die Minister Rentsch den ehemaligen Schlecker-Beschäftigten entgegengebracht hat. Ihre Wirtschaftspolitik kennt als Bezugsgröße nur materielle Werte.

(Holger Bellino (CDU): Ah! – Weitere Zurufe von der CDU)

Wir wollen eine Wirtschaftspolitik, für die Werte wie Verantwortung, Solidarität und die Verpflichtung, die Eigentum mit sich bringt, keine Fremdwörter sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Meine Damen und Herren, es ist unser aller erklärter Wille, dem Fachkräftemangel in unserem Land neben anderen Maßnahmen auch durch den Zuzug ausländischer Arbeitskräfte zu begegnen. Frank Martin, der Chef der hessischen Bundesagentur für Arbeit, hat leider recht, wenn er feststellt, dass diesem Ansinnen durch die Missstände bei Amazon schwerer Schaden zugefügt wurde. Wer die Begrüßung des ersten spanischen Facharbeiters so pompös inszeniert, wie es die Landesregierung am Frankfurter Flughafen getan hat,

(Hermann Schaus (DIE LINKE): Wahrscheinlich das einzige Dessert!)

der trägt eben auch Verantwortung dafür, wie es deren Landsleuten hier in Hessen ergeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

„Nicht zuständig“ ist nicht nur sachlich falsch. Es ist auch zynisch gegenüber den betroffenen Menschen. Herr Minister Grüttner, Sie berichten jetzt, Sie seien bereits am Freitag nach der Ausstrahlung tätig geworden. Nur hat davon irgendwie niemand etwas mitbekommen, auch nicht der Ministerpräsident, der noch am darauffolgenden Wochenende auf der Unzuständigkeit seiner Regierung beharrte.

(Minister Stefan Grüttner: Keine Ahnung, von was Sie reden! – Zuruf des Abg. Holger Bellino (CDU))

Herr Grüttner, jetzt sind Sie bisher auch nicht in erster Linie durch Ihre zurückhaltende Bescheidenheit aufgefallen.

(Heiterkeit bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb verwundert es schon ein wenig, dass Sie diese Tätigkeit als geheime Kommandosache behandelt haben wollen. Nichtsdestotrotz: Alles, was Sie aktiv unternehmen, um die Situation der Beschäftigten bei Amazon zu verbessern, begrüßen wir ausdrücklich.

(Holger Bellino (CDU): Na also!)

Wichtig ist aber auch, neben der sozialpolitischen die wirtschaftspolitische Dimension nicht auszublenden. Minister Rentsch und sein Vorgänger, Herr Posch, haben jahrelang die goldene Zukunft Nordhessens als Logistikstandort beschworen. Wenn das tatsächlich Ihre Vision für Nordhessen ist, dann übernehmen Sie gefälligst auch Verantwortung für die Menschen, die in der Branche arbeiten, und schlagen sich nicht in die Büsche, sobald es ernst wird.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Dass Sie sich leider für die reale Situation der Beschäftigten in dieser Logistikbranche kaum interessieren, zeigt noch ein anderer Fall. Im Sommer letzten Jahres erschien im „Zeit-Magazin“ eine ausführliche Reportage über die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beim Paketzustelldienst GLS, der unter anderem in Neuenstein, ebenfalls im Landkreis Hersfeld-Rotenburg, ein Depot unterhält.

In dieser Reportage wird eindrücklich geschildert, unter welchen Druck GLS seine Fahrer setzt. Dort wird beschrieben, wie GLS alle unternehmerischen Risiken auf Subun

ternehmer auslagert, die sie wiederum an die angestellten Fahrer weitergeben, wie diese genötigt werden, Geschwindigkeitsbegrenzungen systematisch zu überschreiten, wie ihnen nahegelegt wird, Fahrtenbücher nicht allzu ernst zu nehmen, und das alles für 1.300 € brutto. Und die Landesregierung?

Nun, im Rahmen ihrer sogenannten Wirtschaftswochen Anfang des Monats hat Frau Staatssekretärin Dr. Breier GLS in Neuenstein besucht und sich hocherfreut gezeigt, dass die – ich darf zitieren – „hervorragenden Rahmenbedingungen“, für die die Landesregierung gesorgt hat, im hessischen Mittelstand ihre Früchte tragen. Angesichts der geschilderten Arbeitsbedingungen bei GLS fragt man sich, in welcher Parallelwelt sie eigentlich war.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Welchen hessischen Mittelstand will Frau Dr. Breier eigentlich bei GLS getroffen haben? GLS ist eine Tochter der staatseigenen britischen Royal Mail, also wohl kaum hessischer Mittelstand. Die Subunternehmer und angestellten Fahrer können auch nicht mit dem hessischen Mittelstand gemeint sein. Dieser Vorgang belegt einmal mehr, dass diese sogenannten Wirtschaftswochen ausschließlich der Selbstbeweihräucherung und nicht den realen Gegebenheiten vor Ort dienen sollen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, der Hessische Landtag sollte dem Deutschen Bundestag nicht nachstehen. Lassen Sie uns heute gemeinsam ein starkes Zeichen setzen. Zustände, wie sie bei Amazon dokumentiert wurden, dulden wir in Hessen nicht. Wir stehen ein für faire Lebens- und Arbeitsbedingungen. Hessen heißt Einwanderinnen und Einwanderer willkommen und wendet sich gegen rechtsextremistische Tendenzen.

Lassen Sie uns die Bundesagentur für Arbeit an ihre Pflichten gegenüber Leiharbeitsfirmen erinnern. Lassen Sie uns die Initiative für einen runden Tisch ergreifen, um den sich die anwerbenden Firmen, die Arbeitnehmervertretung und die Bundesagentur für Arbeit unter der Leitung der Landesregierung versammeln, um die Vorgänge bei Amazon aufzuklären, aber auch um sicherzustellen, dass solche Missstände zukünftig ausgeschlossen werden können. Stimmen Sie unserem Antrag zu. – Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Schönen Dank, Herr Klose. – Für die CDU-Fraktion hat jetzt Herr Dr. Bartelt das Wort.

(Minister Boris Rhein: Das gibt Hoffnung!)

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ein Weltunternehmen bietet EU-Bürgern Arbeitsplätze in Hessen an. Bei Ankunft der Arbeitsuchenden sollen es aber Stellen bei einer anderen Firma, einer Leihfirma, sein. Die Entlohnung soll schlechter als angekündigt sein. Das ist im Logistikzentrum des Onlineversandhauses Amazon in Bad

Hersfeld geschehen. Meine Damen und Herren, das ist empörend

(Beifall bei der CDU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

und sehr wahrscheinlich auch rechtswidrig. Darüber hinaus wird in einer ARD-Dokumentation über schlechte Unterbringung und die Privatsphäre verletzende Überwachung berichtet. Da dies noch strittig gestellt wird, möchte ich mich hierzu noch nicht abschließend äußern. Wenn sich dies aber bewahrheiten würde, wäre die Bewertung eindeutig.

Dieser Vorgang ist schwerwiegend, bedarf der schnellstmöglichen Aufklärung und gegebenenfalls Sanktionierung. Er behindert auch die erfolgreichen Anstrengungen unserer Landesregierung, Arbeitnehmern aus Spanien Arbeitsplätze in Hessen anzubieten. Welchen Eindruck sollen wohl interessierte junge Menschen von dort von unserer Arbeitswelt bekommen? – Das muss korrigiert werden.

(Beifall bei der CDU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es ist gut, dass Amazon Aufklärung angekündigt hat und jetzt Betriebsräte einrichten und fördern will. Warum eigentlich erst jetzt, stellt sich die Frage, nach Medienberichterstattung und nach Informationen aus dem Kundenkreis? Ich frage: Wurden die kooperierenden Firmen sorgfältig ausgewählt? Wurde die Einhaltung der Rechtsvorschriften und ethischen Standards auch bei den kooperierenden Firmen überwacht?

Die Beendigung der Zusammenarbeit von Amazon und der Sicherheitsfirma ist richtig, bislang aber nur Schadensbegrenzung, wenn nicht weitere Maßnahmen folgen. Wenn Arbeitsuchende arglistig getäuscht und in ihren Rechten verletzt werden, sind wir auf ihrer Seite – eindeutig.

(Beifall bei der CDU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir stellen aber auch eindeutig fest: Bundes- und Landesebene haben unverzüglich eingegriffen, um die Sachverhalte aufzudecken, die Verstöße festzustellen und gegebenenfalls Sanktionen einzuleiten. Bundessozialministerin von der Leyen hat sofort die Bundesagentur für Arbeit und die Zollbehörden angewiesen, den Vorwürfen nachzugehen. Innerhalb weniger Tage stellte die Bundesagentur für Arbeit laut Presseberichterstattung Verstöße fest und leitete Verfahren ein. Ich glaube, schneller kann der Staat nicht handeln, wenn die Sorgfaltspflicht beachtet wird.

Ich meine, die Instrumente funktionieren und greifen. Für die Landesregierung hat sich unser Sozialminister Grüttner sofort vor Ort informiert. Die „Hersfelder Zeitung“ vom 22. Februar 2013 betitelte die Gespräche mit Amazon so:

Grüttner redet mit Amazon Tacheles

Es war also kein geheimes Unternehmen. Die Art unseres Sozialministers war nicht zurückhaltend.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP)

Vielmehr kam es zu einer entsprechend deutlichen Betitelung in der Lokalpresse.

CDU und FDP wollen die Rechte der Arbeitnehmer in der Leiharbeitsbranche stärken und haben dies bislang auch bewiesen. Gerade weil wir in der Zeitarbeit ein Sprungbrett

in die Festanstellung in ein Unternehmen sehen, wollen wir die Rechte der Arbeitnehmer stärken.

Wir wollen keine Arbeitnehmer zweiter Kategorie. Wir wollen keine Verdrängung oder Aufsplittung der Stammarbeitsplätze. Deswegen haben wir die Lohnuntergrenzen für Zeitarbeit im Jahr 2010 geschaffen. Wir haben das gemacht, nicht die rot-grüne Regierung.

(Norbert Schmitt (SPD): Wenn man keine Mehrheit hat, kann man das schlecht machen!)

Unser Sozialminister hat sich hier besonders engagiert.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU und der FDP – Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Ui!)

In den letzten drei Jahren wurden die Kontrollen zur Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, die auch Amazon betreffen, verdoppelt. Wir haben in zahlreichen Landesgesetzen – so auch im Mittelstandsförderungs- und Vergabegesetz – festgelegt, dass nur die Unternehmen öffentliche Aufträge erhalten sollen, die tarifvertragliche Leistungen zahlen.

Herr Schäfer-Gümbel, Sie haben gesagt, die Reichweite sei zu gering. Ich sage Ihnen, dass viele mittelständische Unternehmen und auch viele größere Unternehmen sehr wohl auf Aufträge aus dem öffentlichen Bereich angewiesen sind. Ich finde, das Gesetz ist hinsichtlich der Reichweite sehr effizient, wenn die entsprechenden Vorschriften Eingang in das Gesetz finden.