Herr Präsident, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Nachdem das grüne Krokodil hier wieder seinen Auftritt hatte, mit vielen Krokodilstränen, und Herr Merz von der SPD dafür plädiert hat, mit allem nochmals ganz von vorne anzufangen, ohne sich darauf festzulegen, wie denn das Ergebnis konkret aussehen soll, hat jetzt auch Frau Schott einen ganzen Flickenteppich von Erwägungen geboten, über den ich am besten einfach hinweggehe und dem ich damit wahrscheinlich auch am ehesten gerecht werde. Stattdessen versuche ich, die Debatte nochmals auf ihren Kern und auf das Grundlegende zurückzuführen.
Auf die Familie als Auftrag zum Handeln, dessen sich diese Landesregierung exzellent angenommen hat.
Familie ist nämlich grundlegend. Zu Beginn dieser Legislaturperiode hatte ich schon einmal Gelegenheit, kurz darauf hinzuweisen, dass dies für den Einzelnen gilt, aber auch für die Gesellschaft insgesamt. Sie ist Urzelle der sozialen Ordnung, der Raum, in dem das Zusammenleben mit anderen beginnt, Erfahrungen von Abhängigkeit und Geborgenheit, von Ähnlich-Sein und Anders-Sein, von allein und gemeinsam, von Freiheit und Grenzen und von Verantwortung und Liebe gemacht werden.
Sie ist – und das muss uns leiten – unser erster Bildungsort, unsere wichtigste Schule für Gemeinschaft, unsere nachhaltigste Zukunftswerkstatt. Als Wiege der kommenden Generation ist sie auch eine der Voraussetzungen für unseren Staat, die er nicht selbst schaffen kann. Damit ist sie systemrelevant.
Das gilt nicht nur im heute auch schon zur Sprache gekommenen handfesten materiellen Zusammenhang von Arbeitsmarkt und Sozialversicherung. Es gilt mindestens genauso im Zusammenhang mit Einstellungen und Werten. Kinder, auch die der anderen, lassen uns nach vorne und über uns hinausblicken. Sie bewegen uns zum Wandel, zur Weiterentwicklung, manchmal sogar gegen unseren Willen. Sie eröffnen einerseits reiche Erfahrungen von Knappheit und Konkurrenz, von Frustration und Fehlschlägen. Als intimstes, dem öffentlichen Zugriff weitgehend entzogenes Nahumfeld birgt sie auch Versuchungen und Gefahren. Andererseits aber ist sie immer wieder auch Quelle von Optimismus, Erneuerung und sogar Innovation. In der Familie wachsen wir nicht nur auf, sondern buchstäblich über uns hinaus. Familie heißt, dass wir fortbestehen und vielleicht sogar weiterwirken, auch wenn wir selbst nicht mehr da sind.
Wenn Familie in dieser Hinsicht – und vielleicht sogar noch anderer – grundlegend ist, so stellt Familienpolitik Grundfragen und beantwortet sie aus einer Grundhaltung heraus. Zu dieser Grundhaltung möchte ich gerne ein paar Bemerkungen machen.
Was ist unsere Grundhaltung? Es ist die Grundhaltung einer Familienpolitik für Freiheit und Vielfalt. Da bin ich sehr dankbar und fühle mich den Ausführungen des Kolle
gen Rock von der FDP sehr nahe. Denn auch für uns Christdemokraten ist die Frage der Familienpolitik nicht nur eine sozialpolitische, nicht nur eine nach Betreuung, nach Förderung, auch nach Verteilung. Das alles ist nicht unwichtig. Grundlegend ist aber gleichzeitig, dass Familienpolitik für uns etwas mit dem Menschenbild zu tun hat, das uns leitet: mit dem Verhältnis des Einzelnen zur Gesellschaft, mit der Balance zwischen Solidarität und Subsidiarität. Familienpolitik ist auch für uns eine zentrale Leitfrage der Freiheit. Denn die Vielfalt der Familien, die Unangefochtenheit ihrer höchst diversen Lebensentscheidungen und -wege sind konstitutiv für die Kreativität, die Innovationskraft, ja, die Zukunftsfähigkeit des Ganzen.
Deshalb bedürfen die Freiheit und die Vielfalt der Familien der Anwaltschaft einer sehr bewussten und zielgerichteten Politik.
Vieles dazu wurde vom Minister dargelegt. Diese Familienpolitik ist eine der Wahlfreiheit, des Ermöglichens, der Ermutigung und der Anerkennung – ohne Bevormundung, ohne Gängelung, ohne Leitvorstellung, ohne den Anspruch, für andere entscheiden zu können – jawohl: ohne materielle Leitvorstellung, ohne den Anspruch für andere entscheiden zu können, schon gar nicht für alle in gleicher Weise.
Am Beispiel des Kinderförderungsgesetzes habe ich bereits darauf hingewiesen: Wir setzen keinen Sollstandard als Passepartout-Vorschrift, die für alle zu gelten habe, nach dem Motto: So müsst ihr es tun, und weiterdenken dürft ihr nicht. – Das würde manchem Politikverständnis auf der anderen Seite des Hauses entsprechen.
Wir schreiben weniger vor, als wir ermöglichen. Wir regeln das Unverzichtbare, in diesem Fall einen Mindeststandard, und wir erleichtern das Wünschenswerte, einen tatsächlich besseren Standard. Wir überlassen die konkrete Entscheidung im Einzelfall denen, die die Notwendigkeiten und Erfordernisse am besten beurteilen können und deshalb auch dafür zuständig sind: im Falle der Kinderbetreuung die Kommunen und ganz grundsätzlich die Eltern, denen das Grundgesetz die Fürsorge für ihre Kinder als „Recht … und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“ zuschreibt. Deshalb stehen die Eltern im Zentrum unserer Politik, und deshalb zählt für uns Christdemokraten der Elternwille so viel. Wir maßen uns nicht an, für die Familien zu wissen, was ihnen dient und guttut. Wir sehen Eltern als die besten Experten an, wenn es um ihre Kinder und um die Familienbedürfnisse insgesamt geht.
(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)
Deshalb reklamieren wir nicht die Lufthoheit über den Kinderbetten – vielleicht über den Küchentischen, aber nicht über den Kinderbetten. Wir verstehen Pädagogen und Jugendhelfer aller Art auf allen Bildungsstufen den Eltern gegenüber als Partner, die Fortschritte nur mit ihnen, nicht gegen sie erzielen, und wir sehen unsere Aufgabe als Politik darin, eine vielfältige Angebotsstruktur für Unterstützung, Beratung und Betreuung parat zu haben. Sie soll für jede Familie erreichbar sein, aber jenseits von Kinderschutz und Schulpflicht keine Familie in ein Korsett fremder Vorstellungen zwängen. Uns ist insbesondere bewusst: je jünger ein Kind, desto entscheidender die Eltern für sei
Wer Kindern dienen und sie fördern will, muss die Eltern fördern und unterstützen, sie aber auch ernst nehmen und fordern. Elterliche Sorge und Sorgfalt setzen den Willen und die Fähigkeit zur Übernahme von Verantwortung voraus. Die allermeisten Eltern nehmen ihre Fürsorge- und Erziehungspflichten gegenüber ihren Kindern in sehr respektabler Weise wahr. Das kann gar nicht oft genug gesagt werden. Dafür verdienen sie den Respekt und die Wertschätzung aller Teile der Gesellschaft, auch und gerade derer, die, aus welchen Gründen auch immer, keine Kinder haben.
Dessen ungeachtet gibt es aber Eltern, die mit ihren Aufgaben überfordert sind. Dies kann die Folge schwieriger Einkommensverhältnisse sein, aber viel häufiger hat es seinen Ursprung in der Bildungsferne, im Desinteresse, auch in der Unsicherheit erwachsener Familienmitglieder. Daher besteht die vordringliche Aufgabe zur Sicherung von Chancengerechtigkeit hierzulande in der bedarfsgerechten Stärkung und Unterstützung der Eltern, ganz so, wie es die Familie im Einzelfall braucht. Dieser Bedarf ist vielfältig und reicht von Information und Beratung bis hin zu praktischen Hilfen und materieller Unterstützung. Uns ist es wichtig, frühzeitig bei den Familien anzusetzen und Probleme nicht irgendwann einmal bei der Schule abzuladen; denn anders, als mancher aus der Opposition immer wieder erkennen lässt, sehen wir Schule nicht als Regelersatzbetrieb für überforderte Familien und Bildungspolitik nicht als Steigerungsform von Sozialpolitik.
Sie kann es nicht sein, weil sie es nicht leisten kann, und sie muss es auch nicht sein, wenn wir in der Familienpolitik unsere Hausaufgaben machen. – So viel vorweg.
Diese Landesregierung hat viel für Hessen als Familienland getan. Was wurde im Einzelnen erreicht? Als Mitglied der CDU-Fraktion ist es meine Pflicht und meine Freude, der Landesregierung, namentlich Herrn Sozialminister Grüttner und seinem Vorgänger, Jürgen Banzer, für die in dieser Legislaturperiode in der Familienpolitik geleistete Arbeit zu danken.
Gemeinsam mit den Kommunen, denen an dieser Stelle unser ebenso ausdrücklicher Dank gilt, investiert das Land jährlich 2,5 Milliarden € in Leistungen und Angebote für Familien.
Dank dieses herausragenden Engagements aller Beteiligter – mit unterschiedlichem Gewicht, das ist richtig, aber das entspricht den unterschiedlichen Verantwortlichkeiten –, auch in Zeiten knapper Kassen, zählt Hessen bundesweit zu den attraktiven Standorten für junge Familien, die in ihren Standort- und Arbeitsplatzentscheidungen zunehmend weiche Faktoren, wie z. B. die Verfügbarkeit von gut ausgestatteten Betreuungsplätzen und anderen Familienservices, berücksichtigen. Das Wachstum vieler Städte im Rhein-Main-Gebiet gegen den demografischen Trend unterstreicht diesen Erfolg durchaus.
Ich möchte aber den Katalog bedeutender familienpolitischer Maßnahmen nicht nochmals in Gänze aufrufen. Der Minister hat dazu alles Wichtige bereits ausgeführt. Ich möchte stattdessen an einigen Punkten beispielhaft zeigen, dass und inwiefern familienpolitische Fortschritte in Hessen mit der besagten Grundhaltung dieser Landesregierung und der der CDU- und der FDP-Fraktion zusammenhängen.
Seit der Krippengipfel auf Initiative von Frau von der Leyen im April 2007 die Schaffung von landesweit 750.000 Betreuungsplätzen für unter Dreijährige bis zum Sommer des Jahres 2013 beschloss, ist ein gewaltiger Kraftakt im Gange, um den Ausbau der Betreuungsinfrastruktur zu bewältigen. Hessen schlägt sich seit Jahren in der relevanten Konkurrenz – der Konkurrenz der westdeutschen Flächenländer – gut. Es macht nicht viel Sinn, sich mit den neuen Bundesländern zu vergleichen, die an dieser Stelle natürlich ein ganz anderes Erbe mitgebracht haben.
Hessen verfolgt eine beharrliche Politik des parallelen Ausbaus von Krippen und Tagespflege und mobilisiert hierfür Geld und Initiativen. Beides ist zur Bereitstellung der nötigen Fachkräfte erforderlich. Insgesamt haben Bund und Land gemeinsam 286 Millionen € Investitionsmittel bereitgestellt, um die hauptsächlich zuständigen Kommunen zu entlasten – das ist der Zusammenhang. Die jüngste Tranche im Sonderinvestitionsprogramm des Landes ist derzeit abrufbar. Aktuell arbeiten 7.000 Menschen im Erzieherberuf – so viele wie noch nie. Einen hohen Anteil daran bilden Quereinsteiger aus anderen Berufen.
Im Ergebnis wird das vereinbarte Ziel, eine U-3-Versorgungsquote von 35 %, im Sommer aller Voraussicht nach erreicht werden. Ein bedarfsgerechtes Angebot – wir wissen, der Bedarf liegt darüber – wird in absehbarer Zeit vorhanden sein. Der Rechtsanspruch – als Daumenschraube, als Katalysator für den konzertierten Einsatz aller Beteiligten wichtig – wird gewirkt haben, selbst wenn es in einer überschaubaren Phase in bestimmten Kommunen noch Defizite geben sollte. Das Gros wird geschafft sein. Das ist ein Riesenfortschritt, der auch hier gewürdigt zu werden verdient.
So weit, so ziemlich gut. Den besonderen Erfolg dieser Politik sehe ich aber in noch einem anderen Punkt. Dank der CDU, seit Sozialministerin Lautenschläger und Kultusministerin Wolff, wird in Hessen nicht etwa Kinderaufbewahrung in großem Stil organisiert. Seit zehn Jahren arbeitet Hessen konsequent an der Entwicklung der Qualität der Kinderbetreuung, auch wenn die Ausbauaufgabe es eigentlich nahegelegt hätte, das Thema Qualität vielleicht doch auf die Zeit nach der Erfüllung des Rechtsanspruchs zu vertagen.
Es ist das besondere Verdienst der CDU als Familien- und als Bildungspartei, dass in Hessen seit einem Jahrzehnt an der Verbesserung von Quantität und Qualität zugleich gearbeitet wird, angefangen bei vielem, das schon erwähnt
worden ist: vom Bildungs- und Erziehungsplan und den Qualifizierungsmaßnahmen über die Mindestverordnung von 2008, die Sprachförderung – mit erheblichen Mitteln – und die Erprobung der Qualifizierten Schulvorbereitung bis hin zum Kinderförderungsgesetz, über das wir am Donnerstag noch einmal sprechen werden. Hessen schafft die Bedingungen, damit frühkindliche Bildung auch und gerade in Zeiten eines enormen Ausbaus des Angebots möglich wird. Hessen ist Familienland.
Zweitens. Echte Wahlfreiheit über Vereinbarkeit hinaus. Wahlfreiheit im Dienste von Freiheit und Vielfalt ist nach unserem Verständnis nicht damit erreicht, dass dank gut ausgebauter Infrastruktur Familie und Beruf in vollem Umfang vereinbar erscheinen oder jedem jedes denkbare Betreuungsangebot an jeder Stelle offensteht. Das ist zwar schön; Wahlfreiheit beschreibt aber ein gesellschaftliches Klima, in dem Menschen Lust und Mut zur Familie empfinden, sich zutrauen, als Paar dauerhaft verbunden zu bleiben und aus dieser Verbundenheit neues Leben zu stiften – mancher würde sagen: zu empfangen –, um es auf lange Frist zu hegen und zu pflegen. Das ist nämlich Familie. Die Ehe, von der hier in vielerlei Hinsicht schon die Rede war, ist übrigens die nachweislich vorteilhafteste Form dieser Verbundenheit; denn Verheiratete leben nachweislich länger, und Kindererziehung in der Ehe gelingt leichter.
Sie haben recht, das ist nicht ohne Risiko, und es gibt keine Garantie. Ich bin übrigens eine Anwältin des Scheidungsrechts, ich würde nie etwas anderes vertreten.
Die Ehe ist aber nicht die einzige und auch nicht die einzig wertvolle Form dauerhafter Verbundenheit, denn Familie ist da, wo Generationen auf Dauer füreinander Verantwortung übernehmen. Gestatten Sie mir diesen Verweis auf das CDU-Grundsatzprogramm. Anklänge daran habe ich sogar im Antrag der SPD-Fraktion gefunden.
Dazu, dass sie das in diesem Zeitalter von fast unbegrenzter persönlicher Autonomie und Optionalität freiwillig und gern machen – Familie zu sein –, gehört zweifellos mehr als das Vorhandensein einer bedarfsgerechten Infrastruktur.
Wahlfreiheit heißt auch nicht materielle Austauschbarkeit von Familien- und Erwerbsarbeit. Familie ist eine Verpflichtung, in der Regel anstrengend und manchmal sogar eine Last. Sie ist aber auch Reichtum und Glück, manchmal sogar, weil sie fordert und schwierig zu meistern ist, oft aber einfach nur so. Deshalb kann man Familienarbeit nicht völlig mit Erwerbsarbeit gleichsetzen; man täte beidem unrecht.
Wahlfreiheit als gesellschaftliches Klima, in dem Menschen Lust und Mut auf Familie haben, verlangt allerdings sehr wohl nach Ermöglichung und Anerkennung familiärer Sorgearbeit in allen Lebensphasen. Dies leitet uns auch in der Familienpolitik dieses Landes und beim Einwirken auf die Familienpolitik in Berlin.
Ich will deshalb im Namen meiner Fraktion ausdrücklich Dank dafür sagen, dass sich die Landesregierung stets für echte Wahlfreiheit eingesetzt hat: durch den beschriebenen Ausbau der Kinderbetreuung in Quantität und Qualität; durch die Förderung der Vielfalt in der Kinderbetreuung, zum einen über die Akzentsetzung zugunsten der familiennahen Tagespflege, zum anderen in dem Bekenntnis zur Trägervielfalt – wieder im Rahmen des neuen Kinderförderungsgesetzes, das die Trägervielfalt in Hessen würdigt und stärkt –; durch die Förderung des Netzwerks Wiedereinstieg; durch den Einsatz für familienfreundliche Arbeitsbedingungen, den man zwar nicht erzwingen, aber vorleben kann – das wird seitens der Landesregierung auch gemacht –; durch die Anerkennung familiärer Sorgearbeit in der Zustimmung zum Betreuungsgeld, auch wenn wir ihm gern eine hessische Gestalt in Form eines Elterngelds II gegeben hätten; und durch das Bekenntnis zum Ehegattensplitting, das beileibe keine Subvention des Hausfrauenmodells, sondern eine Regelung für echte Wahlfreiheit von Familien darstellt. Dazu komme ich nachher noch einmal. Diese Landesregierung ficht für die Freiheit und die Vielfalt in der Lebensgestaltung von Familien. Auch deshalb ist Hessen Familienland.