Zweite Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE für ein Hessisches Mindestlohngesetz (Landes- mindestlohngesetz) – Drucks. 18/7230 zu Drucks. 18/ 5582 –
Berichterstatterin ist Frau Abg. Lentz. Wir sind in der zweiten Lesung, es muss berichtet werden. Das Wort hat Frau Abg. Lentz.
Der Sozialpolitische Ausschuss empfiehlt dem Plenum mit den Stimmen der Fraktionen von CDU und FDP gegen die
Stimme der Fraktion DIE LINKE bei Enthaltung der Stimmen der Fraktionen von SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, den Gesetzentwurf in zweiter Lesung abzulehnen.
Vielen Dank, Frau Lentz. – Die erste Wortmeldung kommt von Herrn Abg. Decker für die SPD-Fraktion. Bei der zweiten Lesung gehe ich nicht mehr nach den Antragstellern vor, sondern nach Reihenfolge der abgegebenen Stimmen.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der LINKEN für ein Hessisches Mindestlohngesetz hat durchaus Ansätze, die in die richtige Richtung gehen. Aber leider hat er mehrere entscheidende Schwachstellen. Für uns greift der Gesetzentwurf schlicht zu kurz und würde überhaupt kaum jemanden erreichen, der in Hessen für Dumpinglöhne arbeiten muss; denn die Friseurin und der Paketfahrer z. B. hätten von diesem Gesetz rein gar nichts.
Was im Übrigen die Mindestlohngarantie bei öffentlicher Auftragsvergabe angeht, so kann man das besser machen, nämlich mit einem allgemein verbindlichen Vergabe- und Tariftreuegesetz. Ein solches Gesetz, das einen verbindlichen Mindestlohn von 8,50 € regelt, hat die SPD in diesem Hause schon längst eingebracht.
Wie nicht anders zu erwarten, haben CDU und FDP diesen fortschrittlichen Gesetzentwurf natürlich blockiert.
Der wesentlichste Mangel dieses Gesetzentwurfs liegt aber woanders: Er hinkt der aktuellen Entwicklung ganz einfach mächtig hinterher. Ich erlaube mir, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die SPD-geführten Länder bereits im März dieses Jahres im Bundesrat einen Gesetzentwurf zur Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 € eingebracht haben. Dank einer neuen Mehrheit der Vernunft hat dieser Entwurf im Bundesrat mit den rot-grünen Stimmen auch eine entsprechende parlamentarische Mehrheit gefunden. Dieser Gesetzentwurf ist wirklich solide, weil er nämlich umfassend und auf einen Schlag in ganz Deutschland die Dumpinglöhne beseitigen würde.
Meine Damen und Herren von der LINKEN, das ist der Unterschied zwischen der SPD-Initiative und Ihrem Gesetzentwurf, der mit Ihrem ständigen Wettbewerb „Wer bietet mehr?“ am Ende doch wieder nur zu einem populistischen Schaufensterantrag verkommen ist. Deswegen kann er so keine Zustimmung finden.
Mehr als nur Populismus ist allerdings die unverbesserliche Blockadehaltung von CDU und FDP gegen einen gesetzlichen Mindestlohn.
Das ist nichts anderes als soziale Verantwortungslosigkeit; das muss man an dieser Stelle ganz deutlich sagen. Die ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung zum Gesetzentwurf des Bundesrates ist der übliche neoliberale Beißreflex, man könnte auch sagen: Es ist die übliche alte von der Leyer, und mehr ist es auch nicht.
Heute vor einer Woche ist die SPD-Bundesratsinitiative im Bundestagsausschuss für Arbeit und Soziales beraten worden. CDU und FDP haben die Abstimmung mit einem Vertagungsantrag schlichtweg blockiert. Die Begründung, man habe noch Beratungsbedarf, ist absolut fadenscheinig: Sie hatten lange genug Zeit, um sich mit dem Gesetzentwurf zu befassen, meine Damen und Herren.
Ich sage Ihnen auch: Der wahre Grund ist, dass SchwarzGelb in Deutschland keinen gesetzlichen Mindestlohn haben will. Das ist der einzige Grund, warum Sie auf diese Art mit solchen Problemchen umgehen bzw. mit solchen Verfahrenstricks arbeiten. Sie wollen sich schlichtweg über den September und die Wahl hinwegretten; das ist der Hintergrund. Dabei nehmen Sie vorsätzlich in Kauf, dass Millionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Deutschland weiterhin zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen, meine Damen und Herren von CDU und FDP.
Dass auch die Bundesregierung offensichtlich keinerlei Interesse daran hat, die Situation der Betroffenen zu verbessern, wird daran deutlich, dass Frau von der Leyen in derselben Ausschusssitzung, von der ich gerade gesprochen habe, erklärt hat, in diesem Jahr auch das von ihr so vollmundig angepriesene – wenn auch absolut löchrige und völlig verkehrte – Lohnuntergrenzengesetz nicht mehr einbringen zu wollen.
Das spricht doch Bände. Das muss man an der Stelle gar nicht weiter erörtern. Das ist schlichtweg ein Skandal auf dem Rücken der betroffenen Menschen.
Dann will ich Ihnen noch etwas erzählen. Sie führen hier auf allen Ebenen einen unglaublichen Eiertanz auf, was diesen Mindestlohn angeht. Dabei verwickeln Sie sich selbst dauernd in heillose Widersprüche. Ich will sie Ihnen mit drei Sätzen erklären. Einerseits rühmen Sie sich selbst damit, dass unter Ihrer Regierung in zahlreichen Branchen Mindestlöhne eingeführt worden seien. Andererseits behaupten Sie, dass der gesetzliche Mindestlohn Arbeitsplätze vernichtet. Gleichzeitig wollen Sie selbst aber eine gesetzliche Lohnuntergrenze. – Meine Damen und Herren, was wollen Sie denn eigentlich?
By the way, im Friseurhandwerk wird es ab 2014 erfreulicherweise einen gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 € geben. Wir fragen uns schon ganz erschrocken, Herr Kollege Bellino, Herr Blechschmidt oder Herr Rock, ob Sie dann, wenn es so weit ist, zum Haareschneiden nach Polen oder Rumänien fahren. Wir werden sehen, was passiert.
Meine Damen und Herren von Union und Liberalen, wir fordern Sie auf, im Landtag und im Bundestag endlich eines klarzustellen: Stehen Sie auf der Seite der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die von Dumpinglöhnen betroffen sind, oder stehen Sie knallhart und betonhaft auf der Seite der Wirtschaft? Das ist die zentrale Frage.
Im Bundestag, aber auch in diesem Hause hat SchwarzGelb die Wahl, Millionen von Dumpinglöhnern endlich zu helfen oder sie erbarmungslos im Schacht hängen zu lassen. Die Entscheidung liegt ganz bei Ihnen. Wir wollen den Menschen helfen. Die Frage ist: Wollen Sie ihnen auch helfen?
Deswegen fordern wir Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP hier im Hause, aber auch meine Damen und Herren der Landesregierung, ganz deutlich auf: Beenden Sie Ihre Blockadehaltung gegen den gesetzlichen Mindestlohn, und machen Sie endlich den Weg für einen gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 € frei. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Decker, nur weil Sie lange erklärt haben, wie untauglich unser Gesetzentwurf sei, möchte ich Sie daran erinnern, dass der gesetzliche Mindestlohn in Deutschland lange Realität wäre, wenn die SPD im Bundestag nicht immer wieder gegen die Einführung gestimmt hätte.
DIE LINKE hat ab 2005 – da brauchen Sie nicht abzuwinken, das können Sie den Plenarprotokollen des Deutschen Bundestages entnehmen –
immer wieder den gesetzlichen Mindestlohn im Bundestag beantragt. Damals war Ihnen Ihr Koalitionspartner, die CDU, wichtiger als der gesetzliche Mindestlohn. Sie haben mehrfach dagegen gestimmt. Deshalb will ich hier noch einmal daran erinnern, dass DIE LINKE schon für den gesetzlichen Mindestlohn war, als die SPD noch dabei war, die Leiharbeit auszuweiten, Herr Decker.
Auch beim Vergabegesetz geht der Vorwurf etwas ins Leere, weil wir in dieser Legislaturperiode die erste Fraktion waren, Herr Decker, die einen Vergabegesetzentwurf in den Landtag eingebracht hat. Wir haben das 2009 eingebracht. Wir haben im letzten Jahr einen Entwurf eingebracht.
Das haben die Gewerkschaften anders gesehen. Der DGB hat unseren Tariftreue- und Vergabegesetzentwurf als sehr gut beurteilt. Ich weiß nicht, ob die Einschätzung der Gewerkschaften ein Maßstab für Sie ist, aber dort kam es zumindest ganz gut an. Sie wissen auch, dass beide Gesetzentwürfe abgelehnt wurden, genauso wie auch Ihr Vergabegesetzentwurf abgelehnt wurde.
Meine Damen und Herren, Hessen bräuchte dringend ein Vergabegesetz, und Hessen braucht auch einen gesetzlichen Mindestlohn. In Hessen arbeiten mittlerweile 300.000 Beschäftigte zu Niedriglöhnen, also zu Löhnen, die kaum oder gar nicht ausreichen, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren, geschweige denn, eine Familie zu ernähren. Diese Zahl wächst stetig. Bei Frauen arbeitet mittlerweile jede dritte im Niedriglohnsektor.
Es ist nicht hinnehmbar, dass eine wachsende Zahl von Menschen in einer Vollzeitstelle arbeitet, aber gezwungen ist, am Ende des Monats ihr Gehalt aufstocken zu lassen, weil sie von ihren geringen Einkommen nicht leben können.
Das geht zulasten der Allgemeinheit, weil es Steuergelder sind, aus denen dann aufgestockt werden muss, aber es ist auch entwürdigend für die Betroffenen. Ich denke, gerade in einem reichen Land wie Deutschland muss gelten: Von Arbeit muss man leben können.
Deshalb brauchen wir – Herr Decker, da gebe ich Ihnen recht – natürlich einen gesetzlichen Mindestlohn, der die Menschen vor diesen Dumpinglöhnen schützt. Denn sozial ist eben nicht automatisch, was Arbeit schafft. Es hilft nichts, Arbeit zu haben, wenn man von seinem Lohn nicht leben kann.
Mit der Ausweitung des Niedriglohnsektors steigt das Armutsrisiko für breite Schichten der Bevölkerung. Niedrige Einkommen bedeuten auch niedrige Renten. Die Ausweitung des Niedriglohnsektors und die zunehmenden prekären Arbeitsverhältnisse werden zu einer explodierenden Altersarmut führen.