Protokoll der Sitzung vom 25.06.2013

Wenn Sie für eine Aussprache zur aktuellen Hochschulpolitik Presseerklärungen der GRÜNEN von 1984, das Sitzenbleiben und eine Leistungskultur an unseren Schulen mit Bürokratieabbau zusammenrühren, dann zeigt das doch: Ihnen fällt wirklich nichts mehr in Sachen Hochschulpolitik ein.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Da sind Sie in Eintracht mit der Frau Ministerin, die heute den zweiten Anlauf innerhalb von eineinhalb Jahren gemacht hat, dieses Thema in einer Regierungserklärung zu skizzieren. Aber genauso wie beim ersten Anlauf vor eineinhalb Jahren ist es auch diesmal wieder gescheitert. Frau Ministerin, mir ist wirklich schleierhaft, was Sie sich dabei gedacht haben, diese Regierungserklärung heute abzuliefern.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Wir hatten in Hessen einmal ein Institut für vergleichende Irrelevanz. Dafür wäre diese Regierungserklärung ein Fall gewesen; denn es gibt wirklich wenig Vergleichbares, das so irrelevant ist wie diese Regierungserklärung.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Anstatt auf die großen Herausforderungen im Hochschulund Wissenschaftsbereich einzugehen, verstecken Sie sich hinter Projekten. Da wundert es wenig, dass der Ministerpräsident vorschlägt, ein Zukunftsministerium zu gründen, wenn das Ihre Vorstellungen zur zukünftigen Forschungsund Wissenschaftspolitik sind.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Dabei will ich sagen, dass jedes der einzelnen Projekte, das Sie vorgestellt haben, durchaus sinnvoll sein kann. Auch das seniorengerechte Brot und der rote Apfelsaft verdienen unsere Anerkennung. Wir GRÜNE sprechen den Forscherinnen und Forschern in diesem Land unseren Dank und unsere Anerkennung für die Arbeit aus, die sie für diese Gesellschaft Tag für Tag leisten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Aber diese Aufzählung von Projekten macht noch kein Regierungshandeln aus. Sie können damit nicht verdecken,

dass an der Spitze des Wissenschaftsministeriums eine Ministerin sitzt, die vollkommen erschöpft und verbraucht ist und auf die Abwahl wartet.

(Zurufe von der CDU)

Ich wusste doch, dass Sie darauf reagieren. – Es ist durchaus richtig, dass Politiker die Arbeit von Forscherinnen und Forschern in diesem Land wertschätzen. Ja, es war richtig, das 2008 gestartete LOEWE-Programm weiterzuführen. Aber damit ist die Wissenschaftspolitik doch noch nicht erschöpft. Das allein kann nicht Inhalt einer Regierungserklärung zur Wissenschafts- und Hochschulpolitik sein. Das allein ist unzureichend.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn man die Arbeit von Wissenschaftlern in diesem Land ernst nehmen möchte, dann tut man das nicht, indem man sich mit ihren Ergebnissen wie mit falschen Federn schmückt, sondern dann muss man ihre Arbeitsbedingungen verbessern, dann muss man ihre Ratschläge annehmen. Ich denke, grundsätzlich sollte die Regierung in einer Regierungserklärung ihr Handeln erklären und nicht erklären, wie andere Leute gehandelt haben. Aber da haben Sie heute versagt; denn Sie haben nichts mehr vor in der Wissenschaftspolitik.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich in Ihrer Erklärung auch mit der Arbeit des Fraunhofer-Instituts für Windenergie und Energiesystemtechnik in Kassel geschmückt. Ich greife das einmal heraus, weil das sehr deutlich macht, wie Sie mit Forschung umgehen, auch vor dem Hintergrund, welch salbungsvolle Worte Herr Büger eben verloren hat.

Sie haben jahrelang dieses Institut – da hieß es noch ISET – ausgebremst. Wir haben nicht vergessen und die Forscher in Kassel auch nicht, dass es die CDU in der Landesregierung war, die beim ISET damals die Mittel zusammengestrichen hat und stattdessen zugunsten eines Lobbyvereins der Kernenergie die Zuschüsse hochgefahren hat. Das zeigt, Sie sind vollkommen unglaubwürdig, was eine unabhängige Forschung angeht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich sage, Sie haben mit Ihrer Regierungserklärung meilenweit an den tatsächlichen Lebenszusammenhängen und an den Problemen der Fachhochschulen und Universitäten in diesem Land vorbeigeredet. All die guten Projekte können nicht verdecken, dass Sie für die bestehenden Probleme keine Lösungsangebote liefern können. Für uns ist klar: Forschung und Lehre gehören zusammen.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Das war im 19. Jahrhundert!)

Ja, Herr Dr. Müller, für Sie ist es vielleicht 19. Jahrhundert. Für uns ist es 21. Jahrhundert und unser Konzept für die Zukunft.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – La- chen bei der CDU – Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Das zeigt Ihr Weltbild!)

Für uns beginnt die akademische Ausbildung an den Hochschulen im ersten Semester und nicht erst bei der Promotion.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Von daher ist es unverantwortlich, in einer Regierungserklärung zur Forschung nicht über die Situation der Studierenden zu reden. Wir haben die Situation, dass wir ein Studierendenhochplateau vor uns haben, aber die Ministerin darauf in ihrer Regierungserklärung nur randweise eingeht. Wir haben die Situation, dass der Bund nur übergangsweise Geld für mehr Studienplätze zur Verfügung stellen kann, da ein sinnloses Kooperationsverbot – der ehemalige Außenminister hat es vor Kurzem als in die Verfassung gegossenen Unsinn bezeichnet – eine dauerhafte Mitfinanzierung verhindert. Die Hochschulen brauchen aber Planungssicherheit. Es ist doch Etikettenschwindel, dass der Vertrag „Hochschulpakt 2020“ heißt, aber nur für ein oder zwei Jahre Mittel bereitstellt.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das zeigt ein Problem. Sie glauben immer noch, dass das ein vorübergehendes Problem sei, das man untertunneln könne. Es wird aber eine dauerhafte Herausforderung für die Hochschulpolitik sein, mit einer steigenden Studierneigung umzugehen und dafür attraktive Angebote zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Bei der Finanzierung kommen Sie immer mit derselben Passage. Man konnte sie auch in der Regierungserklärung von vor eineinhalb Jahren nachlesen. Insofern sind wir gut darauf vorbereitet. Ja, in absoluten Zahlen gibt es so viel Geld wie noch nie. Das ist richtig. Aber wenn wir das in Relation setzen zu dem, was die Hochschulen zu machen haben, sieht die Welt schon anders aus. Denn wenn man die Anzahl der Studierenden in Relation nimmt und die Inflation einrechnet, dann sind die Ausgaben rückläufig.

Sie haben in Ihrer Regierungserklärung viele Forschungsergebnisse unserer hessischen Hochschulen angeführt. Ich möchte das an dieser Stelle auch machen und mit Genehmigung des Präsidenten eine Grafik zeigen, welche die Konferenz Hessischer Universitätspräsidien angefertigt hat.

(Der Redner hält eine Grafik hoch.)

Sie erkennen dort die durchschnittliche Zuweisung pro Studierenden an die Universitäten. Sie erkennen deutlich anhand der Grafik, dass das rückläufig ist. Die Zahlen sind für Sie natürlich nicht erkennbar, aber deshalb lese ich sie Ihnen der Vollständigkeit halber vor. 2009 – Frau KühneHörmann übernimmt das Amt – waren es 9.542 € Zuweisung pro Studierenden an die hessischen Universitäten. 2012 waren es 8.437 € pro Studierenden.

(Clemens Reif (CDU): Machen Sie für jeden eine Kopie, dann können wir es erkennen!)

Das heißt, dass wir etwa 1.100 € weniger haben. Was die Ausgaben pro Kopf angeht – Herr Dr. Büger hat damit angefangen; er hat gesagt, wir hätten Spitzenwerte –, sieht das Statistische Bundesamt dies etwas anders. Ich zitiere aus „Hochschulen auf einen Blick 2012“. Dort steht Hessen auf dem achten Platz. Ich würde sagen, das ist knapp an der Spitze vorbei. Von daher kann man auch an dieser Stelle nicht sagen, dass wir besonders herausragend seien.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Insofern nutzt das Blenden mit absoluten Zahlen überhaupt nichts.

Wir haben außerdem ein fehlgeleitetes Finanzierungssystem der Hochschulen, das wiederum dazu führt, dass die Betreuungsrelation zwischen Studienderen und Lehrenden immer schlechter wird. Auch dazu kein Wort von der Ministerin. Wir hatten 2008 noch eine Betreuungsrelation von 64,7 Studierenden pro Professur an Unis und 48 Studierenden pro Professur an Fachhochschulen. Ihr Verdienst ist es, dass es heute an den Unis statt 64,7 Studierende auf eine Professur 75 sind. Ihr Verdienst ist es, dass es an Fachhochschulen heute statt 48 Studierende pro Professur 57,7 sind.

Das zeigt, die Betreuungsrelation entwickelt sich rückläufig. Das betrifft auch die Qualität von Forschung und Lehre. Diese Verschlechterung der Relation von Lernenden zu Lehrenden geht vollumfänglich auf Ihr Konto, Frau Ministerin.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Frau Ministerin, Ihr Problem war, dass Sie den Ideologen von der FDP geglaubt haben, die da meinten, auch im Hochschulbereich wurde der Wettbewerb schon alles richten. Daher haben Sie keinen Plan entwickelt, wie man die Hochschullandschaft weiterentwickeln soll, um den großen Herausforderungen, was steigende Studierneigung, was Studierendenhochplateau angeht, entgegentreten zu können.

Stattdessen fabulierten Sie auf der Hochschulleitertagung darüber, dass man den Zugang zur Hochschule besser begrenzen solle, eine Höchstquote von 45 % sei Ihr Ziel. – Wir GRÜNE sagen: Das ist der vollkommen falsche Weg, Politik zu machen.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Verantwortliche Politiker nehmen gesellschaftliche Entwicklungen wahr, nehmen sie auf und gestalten anschließend die staatlichen Einrichtungen bedarfsgerecht. Stattdessen wollen Sie diese Entwicklung künstlich in Grenzen setzen. – Das ist der vollkommen falsche Weg.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Entsprechend schwach sind auch Ihre Ausführungen zur sozialen Infrastruktur an den Hochschulen. Die hat etwas mit Studierneigung zu tun. Wenn wir einen fairen Zugang zu Hochschulen gewährleisten wollen, dann bedeutet das auch, dass soziale Ungleichheiten mit einer sozialen Infrastruktur abgefedert werden müssen. Dazu sagen Sie wenig.

Entlarvend finde ich auch das Beispiel Ihrer fiktiven Familie. Das ist nämlich die Tochter, die in Hessen studiert, aber noch zu Hause wohnt und zum Hochschulstandort einpendelt. Ja, warum denn? – Weil sie sich vermutlich keine Wohnung in ihrer Hochschulstadt leisten kann, weil Schwarz-Gelb keinen bezahlbaren Wohnraum geschaffen hat.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Das, was Sie vor Kurzem wieder an neuen Wohnheimplätzen versprochen haben, reicht doch bei Weitem nicht aus, um Anschluss an die anderen Bundesländer zu halten. Hessen hat im Ländervergleich eine schlechte Relation von Studierenden zu Wohnheimplätzen.

In Zahlen heißt das: Wir hatten 2002 noch ein Angebot von Wohnheimplätzen zu Studierenden in Höhe von 9,5 %. 2011 war die Unterbringungsquote jedoch auf