Protokoll der Sitzung vom 25.06.2013

Auch die Privatisierung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg kann man mittlerweile nur noch als völliges Desaster bezeichnen. Die Vertragsbedingungen wurden von der Rhön-Klinikum AG nicht erfüllt, obwohl es das große Versprechen gab, dass es, wenn privatisiert wird, das Partikeltherapiezentrum geben würde. Das war ein großes Versprechen bei der Privatisierung. Mittlerweile ist klar, dass dieses Zentrum nie in Betrieb gehen wird.

(Clemens Reif (CDU): Jetzt ist ein GRÜNER Personalchef! Da wird alles besser!)

Nun hat Siemens den Mietvertrag gekündigt. Das heißt, es wird kein Partikeltherapiezentrum geben. Vonseiten der Landesregierung ist zu dieser neuen Entwicklung nichts, kein Wort zu hören. Frau Ministerin, ich finde es schon blamabel, dass Sie sich hierhin gestellt und 20 Minuten lang geredet haben, aber zu dieser entscheidenden Frage für Mittelhessen kein Wort gesagt haben.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN) )

Da frage ich: Was ist denn mit den 107 Millionen €? Fordern Sie die endlich zurück? Was passiert denn, wenn das Partikeltherapiezentrum nicht in Betrieb gehen wird?

Frau Ministerin, ich sage: Zu Ihrer heute abgegebenen Regierungserklärung hätte gepasst, dass Sie sich noch dafür gelobt hätten, dass das Partikeltherapiegebäude wenigstens einen Architekturpreis gewonnen hat. Es hätte noch dazu gepasst, dass Sie sich dafür gefeiert hätten.

(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit der Abg. Thorsten Schäfer-Gümbel und Andrea Ypsilanti (SPD))

Frau Ministerin, daraus ergibt sich keine gute Bilanz für Sie. Frau Ministerin, wenn man das Negative konsequent ausklammert, so wie Sie es getan haben, und fast die gesamte Bilanz negativ ist, dann kommt eben so eine Regierungserklärung dabei heraus. Sie haben 20 Minuten lang über Belanglosigkeiten und Banalitäten gesprochen.

Wir haben durch Ihre Regierungserklärung erfahren, dass Kaffeekonsum gar nicht so ungesund ist, wie weithin angenommen wird, und dass in Geisenheim roter Apfelsaft entwickelt wurde, der dazu dienen soll, den rückläufigen Apfelsaftkonsum wieder anzukurbeln, weil Rot attraktiver als Gelb sei. Dass Rot in vielen Bereichen Gelb vorzuziehen ist, wissen wir schon lange. Das erkennt man im Landtag immer wieder.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ob Apfelsaft dazugehört, halte ich für fraglich.

Frau Ministerin, angesichts Ihrer Regierungserklärung frage ich mich ernsthaft, in welchem Paralleluniversum Sie eigentlich leben. Wollen Sie sich wirklich für das beklatschen lassen, was Sie hier dargestellt haben? Wollen Sie wirklich sagen, dass von Ihrer Amtszeit unterfinanzierte Hochschulen, eingestürzte Leuchttürme und roter Apfelsaft in Erinnerung bleiben sollen? Was ist denn das für eine Bilanz für eine Wissenschaftsministerin? Statt sich mit den drängenden Problemen der Hochschulpolitik zu befassen, wollen Sie sich hier für einzelne, teilweise durchaus sinnvolle Forschungsprojekte feiern lassen, so, als hätten Sie selbst mit im Labor gestanden.

(Holger Bellino (CDU): Im Gegensatz zu Ihnen hat sie die Rahmenbedingungen geschaffen, das ist das Entscheidende!)

Das ist kein Dienst an der Wissenschaft. Vielmehr versuchen Sie einfach, sich mit deren Ergebnissen und deren Arbeit zu rühmen und das hier darzustellen.

Frau Ministerin, ich muss sagen: Ihre Regierungserklärung hat sich stellenweise wirklich so angehört, als würden Sie hier die „Apotheken Umschau“ verlesen.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)

Wir wissen jetzt, wie die typische christdemokratische Musterfamilie aussieht. Sie haben das hier illustriert. Die Großeltern essen seniorengerechtes Brot. Der Vater macht sich Sorgen um das Benzin und die Energiepreise. Die Mutter geht gerne ins Theater. Der Sohn – und nicht etwa die Tochter – interessiert sich für die MINT-Fächer und die technischen Berufe.

Er hat dann Ärger mit seinem Smartphone, als ob es das größte Problem der heutigen Jugendlichen ist, dass sie Probleme mit Ihrem Smartphone haben. Die Tochter ist ein

fach nur glücklich und dankbar, in Hessen studieren zu dürfen.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Das gibt es noch!)

Frau Ministerin, ich beschreibe Ihnen einmal eine andere Familie und deren Sorgen. Sagen wir einmal, dass diese imaginäre Familie in Büdingen im Wetteraukreis wohnt. Das ist etwas mehr als 40 km Luftlinie von Frankfurt entfernt. Es gibt in Hessen durchaus entlegenere Orte.

Die Tochter studiert im ersten Semester. Sie war froh, in Frankfurt überhaupt einen Studienplatz bekommen zu haben, weil ihr Abiturdurchschnitt nicht wirklich überragend war.

Sie wollte gerne nach Frankfurt ziehen. Aber dort sind die Mieten leider zu teuer. Einen Platz in einem Studentenwohnheim hat sie leider nicht bekommen. Denn in Frankfurt gibt es zwar 50.000 Studierende, es stehen aber leider nicht einmal 4.000 Wohnheimplätze zur Verfügung.

Sie hat kein Auto. Deshalb pendelt sie täglich mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Frankfurt. Wenn es gut läuft, braucht sie von Büdingen bis zum Campus etwa 1 Stunde und 20 Minuten. Sie muss dabei natürlich mindestens zweimal umsteigen. Verpasst sie den Zug, muss sie eine Stunde warten.

Unsere Studentin bekommt nur knapp 100 € BAföG. Sie jobbt deshalb nebenher in einem Callcenter. Von Programmen wie dem Deutschlandstipendium hat sie gar nichts. Denn sie gehört nicht zu den Jahrgangsbesten.

Sie hat das Pech, zum sogenannten Studierendenberg zu gehören. Deshalb sind ihre Seminare oft überfüllt. Wenn sie zu Professoren in die Sprechstunde will, muss sie ewig warten, weil die völlig überlaufen sind.

Frau Ministerin, für diese Studentin ist es wenig tröstlich, dass in Geisenheim roter Apfelsaft produziert wird.

(Heiterkeit der Abg. Hermann Schaus und Marjana Schott (DIE LINKE) – Präsident Norbert Kartmann übernimmt den Vorsitz.)

Sie hätte gerne einmal ein paar Worte dazu gehört, wie die Ministerin die Situation an den Hochschulen verbessern will, damit der jüngere Bruder, der nämlich zu dem ersten G-8-Jahrgang seiner Schule gehört, angesichts der Doppeljahrgänge überhaupt noch einen Studienplatz an einer hessischen Hochschule findet. Frau Ministerin, diese Studentin hätte gerne von Ihnen gehört, wie Sie den Stress in den Bachelorstudiengängen reduzieren wollen und was Sie tun, damit genügend Masterstudienplätze geschaffen werden. Sie macht sich Sorgen, ob sie nach ihrem Studium einen festen Arbeitsplatz haben wird und ob sie ihre BAföGSchulden zurückzahlen kann.

Frau Ministerin, ich frage mich: Was würde diese Studentin denken, wenn sie Ihre Regierungserklärung gehört hätte? – Ich glaube, die Studentin würde sagen: Alles, was Sie da erzählt haben, hat null Komma null mit meiner Lebensrealität zu tun. – Genau das ist das Problem. Sie haben hier an den tatsächlich bestehenden Sorgen der Studierenden und der Lehrenden sowie an den Sorgen der an der Hochschule Tätigen vollkommen vorbeigeredet.

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Andrea Ypsi- lanti (SPD))

Sie rühmen sich damit, dass der Hochschuletat der höchste ist, den es je in Hessen gab. Frau Ministerin, ja, das stimmt, aber es gibt auch so viele Studierende in Hessen wie noch nie. Fakt ist auch, dass die Mittel pro Student sinken.

Mit dem Hochschulpakt haben Sie den Hochschulen weitere Kürzungen verordnet. Gleichzeitig haben Sie sie verpflichtet, mehr Studierende auszubilden. Was dabei herauskommt, ist vollkommen klar. Die Ausbildungsqualität sinkt. Das Betreuungsverhältnis verschlechtert sich. Die Hochschulen sind gezwungen, Zulassungsbeschränkungen zu erlassen, weil sie einfach nicht mehr alle Studierenden aufnehmen können. Das sind die realen Probleme an den Hochschulen. Darüber verlieren Sie leider kein Wort.

Frau Ministerin, ich fand es sehr interessant, wie interdisziplinär Sie vorgegangen sind. Sie haben davon gesprochen, dass der Ausbau erneuerbarer Energien forciert werden müsse. Ich weiß nicht, ob Sie das vielleicht auch einmal dem Wirtschaftsminister mitteilen möchten. Dann freuen Sie sich darüber, dass innovative Windkraftanlagen in Hessen entwickelt würden. Da frage ich Sie: Warum steckt diese Landesregierung Geld in die Entwicklung neuartiger Windkraftanlagen, die Sie nach dem Landesentwicklungsplan Ihres Kollegen Rentsch fast nirgendwo aufstellen dürfen?

Hessen ist nach wie vor Schlusslicht bei erneuerbaren Energien und nicht Vorreiter, wie Sie das in Ihrer Regierungserklärung gesagt haben. Dann brüsten Sie sich hier mit dem IWES – das hat der Kollege May richtig angesprochen –, dem Roland Koch damals die Mittel gekürzt hat. Sie stellen sich jetzt hin und wollen sich für dessen Leistung beklatschen lassen. Frau Ministerin, das ist nicht fair, was Sie hier machen, das ist einfach nicht in Ordnung.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich will auch zur Forschung noch einige Anmerkungen machen. Frau Ministerin, Sie haben in Ihrer Rede von der Freiheit der Forschung und des wissenschaftlichen Arbeitens gesprochen. Sie loben „das kreative Arbeiten und Tüfteln, losgelöst von zeitlichen Zwängen und klaren Zielen“. Die Realität ist aber doch eine völlig andere.

Der Anteil der projektbezogenen Drittmittel steigt, und das führt dazu, dass Forschungsprojekte kurzfristig angelegt und finanziert sind. Das Aufkommen von Drittmitteln an Hochschulen hat sich von 1995 bis 2010 verdreifacht, die Grundmittel sind in diesem Zeitraum um nur 30 % gestiegen. Das heißt, das Verhältnis von Grundmitteln, die eine eigenmotivierte Forschung ermöglichen, zu wettbewerblichen Drittmitteln hat sich dramatisch verschoben.

Insbesondere in den Fächern der Natur-, der Technik- und der Lebenswissenschaften wird inzwischen vielerorts fast ausschließlich auf Drittmittelbasis geforscht. Ganze Hochschulen strukturieren sich nach den Bedarfen der Drittmitteleinwerbung, und Drittmittel sind ein entscheidendes Kriterium für die Personalauswahl geworden. Kritische wissenschaftliche Ansätze rücken in den Hintergrund. Statt ein wissenschaftliches Arbeiten in einem finanziell verlässlichen Rahmen und einem kooperativen Arbeitsumfeld zu ermöglichen, wurde der Wettbewerb um die Finanzierung zum Leitmotiv der Wissenschaftspolitik erhoben.

Ich will in dem Zusammenhang auch auf die Fachhochschulen hinweisen. Im Jahr 2011 wurden lediglich 0,27 % der gesamten DFG-Fördermittel an Fachhochschulen ver

geben. Bei der Exzellenzinitiative waren die Fachhochschulen erst gar nicht antragsberechtigt. Ich finde, darüber muss man auch reden, wenn man über die Rolle der Fachhochschulen und über die Frage des Promotionsrechts für Fachhochschulen spricht.

(Beifall bei der LINKEN)

Gerade Drittmittelgeber aus der Wirtschaft haben meist sehr klare Vorstellungen davon, was am Ende bei den Forschungen herauskommen soll, nämlich Ergebnisse, die für sie von Nutzen sind.

(Dr. Rolf Müller (Gelnhausen) (CDU): Das meiste sind DFG-Mittel!)

Das ist richtig, Herr Dr. Müller. Der größte Teil der Förderung sind öffentliche Mittel, die über die DFG und andere verteilt werden. Aber ein wachsender Teil der Drittmittel ist aus der Industrie; das wollen wir schon festhalten.

(Holger Bellino (CDU): Das ist doch nicht schlimm!)

Wenn die Industrie Forschungsprojekte fördert, verspricht sie sich natürlich einen Nutzen davon. Das halten wir für ein Problem, weil Forschung nicht allein nach ökonomischer Verwertbarkeit ausgerichtet werden darf.

Frau Ministerin, das Problem ist, dass Sie Wissenschaftspolitik als Teil der Wirtschaftsförderung verstehen, beispielsweise bei der Elektromobilität. Ich frage mich: Warum muss denn die öffentliche Hand die Forschung für Elektromobilität bezahlen? Die Unternehmen verwerten die Ergebnisse zu ihrem Nutzen. Warum kann die Automobilwirtschaft dann nicht selbst für die Forschung für ihre eigenen Produkte bezahlen?

(Beifall bei der LINKEN und der Abg. Karin Müller (Kassel) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Die Gesellschaft kann zu Recht erwarten, dass die immer noch größtenteils öffentlich finanzierten Hochschulen und Institute im Gemeininteresse forschen. Aus unserer Sicht kann nur eine ausreichende öffentliche Forschung wissenschaftliche Autonomie gewährleisten. Die Verdrittmittelung führt hingegen zu negativen Folgen, beispielsweise dazu, dass Forschung und Lehre immer weiter auseinanderdriften und nicht mehr als Einheit begriffen werden. Sie führt dazu, dass es eine wachsende Abhängigkeit der Hochschulen von Drittmitteln gibt. Wenn Hochschulen auf Drittmittel angewiesen sind, dann wird Wissenschaft käuflich.

Da möchte ich Ihnen ein Beispiel nennen, das sich vor einiger Zeit in Berlin ereignet hat. Dort ist ein Geheimvertrag zwischen der Humboldt-Uni, der TU Berlin und der Deutschen Bank veröffentlicht worden. Er brachte zum Vorschein, dass der Deutschen Bank als Stifterin das Recht eingeräumt wurde, bei der Berufung der Professoren mitzuentscheiden, und es wurden Mitspracherechte bei der Veröffentlichung von Forschungsergebnissen vereinbart. 3 Millionen € war das der Deutschen Bank damals wert.