Protokoll der Sitzung vom 27.06.2013

Man fördert die Ansiedlung von Discountern auf der grünen Wiese und schaut zu, wie dadurch in den Innenstädten der Einzelhandel und die Nahversorgung verdrängt werden, weil sie mit den Preisen und Öffnungszeiten von Discountern einfach nicht konkurrieren können. Dabei ist offensichtlich, dass auch dies zusätzlichen Verkehr verursacht.

Herr Caspar, bei der Verkehrsreduzierung geht es doch vor allem darum, dass erzwungener Verkehr vermieden werden soll. Natürlich sollen Menschen in den Urlaub fahren können und sich Städte anschauen können. Sie sollen auch zu Fußballspielen fahren können. Das ist doch selbstverständlich. Aber ein Großteil des heutigen Verkehrs ist erzwungener Verkehr. Auf ihn würden die Menschen sehr gerne verzichten.

Ich sage Ihnen: Viele Pendlerinnen und Pendler, die auf dem Weg nach Frankfurt täglich eine Stunde lang in Ihrem „staufreien Hessen“ feststecken, wären glücklich, wenn sie sich diese Pendelei sparen könnten. Das wäre ein Plus an Lebensqualität und keine Verringerung, Herr Caspar.

(Beifall bei der LINKEN – Manfred Pentz (CDU): Das entscheiden Sie, was erzwungener Verkehr ist, nach Ihrer Ideologie? – Weitere Zurufe von der CDU)

Es wäre der beste Beitrag zu einem wirklich staufreien Hessen. – Sie rufen „Blödsinn“ dazwischen. Dann fragen Sie einmal bei den Pendlerinnen und Pendlern nach. Viele können sich die hohen Mieten in Frankfurt einfach überhaupt nicht leisten. Deshalb sind sie gezwungen, zu pendeln.

(Zuruf von der CDU)

Sie können vor den wachsenden Problemen nicht die Augen verschließen. Unserer Meinung nach müssen wir regionale Wirtschaftskreisläufe stärken. Das kann auch den ländlichen Raum stärken, denn gerade die Verkehrsanbindung ist im ländlichen Raum doch eine brennende Frage.

(Unruhe)

Wenn die Entwicklung so weitergeht wie bisher, werden doch immer mehr Buslinien abbestellt, werden bestenfalls durch Ruftaxis ersetzt. Über die Probleme im ländlichen Raum darf sich doch niemand wundern, der ausdrücklich eine Politik der Stärkung der Starken betreibt.

(Zuruf der Abg. Judith Lannert (CDU))

Wer sind, wirtschaftlich gesehen, die Starken in Hessen? Das ist vor allem die Rhein-Main-Region. Wir wollen keine Stärkung der Starken, die den ländlichen Raum völlig abhängt, sondern wir wollen gleichwertige Lebensverhältnisse. Dazu gehört eben auch, dass es eine gut ausgebaute Infrastruktur, ein gutes ÖPNV-Angebot im ländlichen Raum gibt, damit nicht jeder, der im ländlichen Raum lebt, auf ein Auto angewiesen ist, um mobil zu sein.

Meine Damen und Herren, das ist das Absurde: Sie zwingen die Menschen zur Pkw-Nutzung und stellen sich dann als deren Retter dar, weil Sie Straßen bauen.

(Zuruf des Abg. Ulrich Caspar (CDU))

Aber nicht einmal darin sind Sie wirklich gut; auch dabei versagen Sie. Sie bejubeln sich gern für die angeblich gute

Straßeninfrastruktur. In Ihrem eigenen Bauherrenkostenbericht, Herr Minister, ist nachzulesen, dass die bereitgestellten Mittel den Bedarf zur Straßenerhaltung bei Weitem nicht decken. Dort ist nachzulesen, dass sogar von einer weiteren Verschlechterung des Straßennetzes auszugehen ist. In Ihren eigenen Publikationen kündigen Sie eine Verschlechterung der Straßeninfrastruktur an, und hier lassen Sie sich von Ihrer Fraktion dafür feiern, dass mit den hessischen Straßen angeblich alles so toll ist.

Frau Kollegin Wissler, es ist Zeit. Sie müssen zum Ende kommen.

Eigentlich wollte ich gar nicht so lange reden; ich habe Hunger. Ich komme zum Schluss. – DIE LINKE fordert eine Verkehrswende, d. h. eine Abkehr von der Privilegierung des Flugverkehrs und des motorisierten Individualverkehrs. Wir müssen den ÖPNV ausbauen und schauen, dass sich dies an den Mobilitätsbedürfnissen, die die Menschen heute haben, orientiert. – Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vielen Dank, Frau Kollegin Wissler. – Das Wort hat Herr Staatsminister Florian Rentsch.

Frau Kollegin Wissler, dann gehen Sie doch hinaus, um etwas zu essen. Herbert Wehner sagte als Bundestagsabgeordneter einmal: Gehen Sie raus, und ich sage „Prost“, weil ich weiß, wohin Sie gehen. – Aber das will ich jetzt nicht weiter vertiefen.

(Lachen bei der SPD)

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Herr Kollege Al-Wazir, lieber Tarek, ich sage das ganz persönlich, denn wir kennen uns jetzt schon über zehn Jahre lang und genießen es, in diesem Haus gemeinsam Politik zu machen. Diese parlamentarische Bühne ist ja auch eine Möglichkeit, Positionen darzustellen. Dazu gibt es auf vielen Seiten sozusagen auch eine Leidenschaft.

(Unruhe)

Lieber Tarek, als ich gehört habe, dass du in einem Feld aktiv werden willst, wo du – wir haben es recherchiert – in den letzten Jahren relativ wenig dazu beigetragen hast, dass man wusste, wofür du stehst, habe ich mich eigentlich gefreut, weil ich glaube, dass es eine spannende Debatte wird. Man kann Unterschiede herausstellen; das finde ich gut. Ich glaube, wir sind in diesen Fragen inhaltlich sehr unterschiedlich aufgestellt. Es ist wichtig, dass man das zeigen kann.

In den letzten zehn Jahren bist du grauer geworden, kann man sagen, und du hast eine neue Brille. Aber ansonsten, glaube ich, ist das für die Menschen eher interessant, weil man natürlich sehr gut verdeutlichen kann, dass grüne Politiker dort, wo sie Verantwortung tragen – und das zieht

sich wie ein roter oder, besser, grüner Faden durch das Land –, Landesstraßenbauhaushalte kürzen, Infrastrukturprojekte verhindern und es immer wieder schaffen, Verkehrsträger gegeneinander auszuspielen.

(Günter Rudolph (SPD): Das war unterstes Niveau!)

Sie missbrauchen den Staat dazu, Menschen erziehen zu wollen, anstatt die Verantwortung der mündigen Bürger zu stärken. Das ist eine sehr unterschiedliche Auffassung vom Staat im Verhältnis zu seinen Bürgern. Meine Damen und Herren, auf diese Debatte freue ich mich.

(Beifall bei der CDU)

Jetzt hat man vorhin gesehen – lieber Günter Rudolph, das war gerade nicht böse gemeint –, dass dieser Streit, wer nach der Wahl was wird, spannend wird. Ich glaube, wir können euch helfen, dass ihr nicht streiten müsst. Dafür werden wir alles tun, aber zum Schluss entscheiden die Wähler.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Ich erinnere aber einmal an einen Streit, den es 1991 bei Rot-Grün gegeben hat. Es gab auch ein großes Gerangel um das Ressort – –

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das ist doch schon alt!)

Ihr habt lange nicht regiert. Ich muss so weit zurückgehen. Dafür kann ich nichts. Es liegt nicht an mir.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Keine eigenen Inhalte; das ist doch euer Problem! Macht ruhig so weiter!)

1991 gab es einen relativ großen Streit über die Zuständigkeit für das Sozialministerium. Dann hat man sich geeinigt; für die SPD hat man dann Frau Heide Pfarr aus Berlin geholt. Für die hat man das Ressort „Frauen, Arbeit und Sozialordnung“ geschaffen. Sie ist nach einem Jahr wegen der Umzugskostenaffäre zurückgetreten. Dann hat man für die GRÜNEN Iris Blaul geholt und das in „Jugend, Familie, Gesundheit und Umwelt“ geteilt. Die ist danach wegen der Küchenkabinettsaffäre zurückgetreten.

Ganz ehrlich, mir sind diese Kollegen beide wichtig. Ich möchte nicht, dass sie zurücktreten müssen; ich möchte, dass sie sich nicht streiten müssen. Deshalb werden wir alles dafür tun, so gute Argumente zu finden,

(Zuruf von der SPD: Unverschämtheit!)

dass uns die Wählerinnen und Wähler am 22. September wieder das Vertrauen aussprechen. Das ist, glaube ich, nicht das Schlechteste.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Anhaltende Un- ruhe – Glockenzeichen des Präsidenten)

Aber ich will noch auf ein paar Punkte eingehen, die mir wirklich wichtig sind. Ich hätte mir gewünscht, dass auf diesen vielen Veranstaltungen, auf denen wir in der letzten Zeit waren und Projekte vorgestellt haben – als z. B. der sehr kompetente Kollege Caspar, der Kollege Müller, der Kollege Lenders und andere über die Straße des 21. Jahrhunderts, die Baustelle des 21. Jahrhunderts und die Leitzentrale von Hessen Mobil sowie über die Frage diskutiert haben, wie wir Verkehr steuern –, auch einmal GRÜNE und Sozialdemokraten gewesen wären, weil sich, Herr Kollege Rudolph, zum Schluss schon die Frage stellt, wie Hessen als Masterland im Bereich Verkehr, und das ist

eben so, in diesem Bereich aktiv werden kann und wie hierfür eigentlich die Konzepte aussehen können.

(Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Ja, wie denn?)

Als hessischer Verkehrsminister freue ich mich, dass uns der Bund immer wieder mit diesen Modellprojekten betraut, weil der Bund anscheinend die Auffassung vertritt, dass wir das in Hessen besonders gut und mit besonders hoher Kompetenz machen; denn ansonsten würden diese ganzen Modellprojekte nicht immer wieder nach Hessen laufen. Es mag einen Zusammenhang geben.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, immer weiter so! Sie haben keine Inhalte mehr!)

Diesen Zusammenhang, zu versuchen, Verkehr mit Hightech zu steuern, damit uns die hohe Frequenz der Nutzung der hessischen Infrastruktur nicht zum Ertrinken bringt, sondern Menschen weiterhin flüssig fahren können, löst man eben nicht mit Radschnellwegen, nach dem Motto: Du darfst nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit fahren, sondern nimmst den Radschnellweg, egal bei welchem Wetter. – Das entscheiden die Hessen selbst, nicht Tarek Al-Wazir, und das ist der Unterschied.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt muss man die Leute schon zum Fahrradfahren überreden!)

Zu dem Geheule an diesem Pult, nach dem Motto: Ihr gebt zu wenig aus. – Herr Kollege Al-Wazir, wir haben diesen Bericht mit Experten gemacht, und ich weiß, dass Sie mit diesen Experten in den letzten Wochen Gespräche geführt haben. Aber dann hören Sie doch auch zu, was Ihnen diese zu sagen haben. Wir haben ein großes Interesse daran, zu analysieren, wo wir besser werden können. Wir haben ein Interesse daran, zu fragen: Wie ist der Zustand? – Wir behaupten nicht einfach nur, sondern wollen sehr genau feststellen, wie wir durch neue Materialien, bessere Finanzierungsstrukturen, andere Arten der Finanzierung und neue Finanzierungsmodelle auch in Zukunft besser werden können.

Wenn Sie hier vorne rumheulen, mit Ihrer grünen Partei aber dafür verantwortlich sind, dass in jedem Land, wo Sie Verantwortung tragen, weniger Geld für die Infrastruktur ausgegeben und dieses in die Sozialpolitik oder wohin auch immer umgeleitet wird, dann sollten Sie hier sozusagen nicht den großen Infrastrukturfreund spielen, weil Sie überall dort, wo Sie Verantwortung tragen, ein Feind der Infrastruktur sind.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was?)

Wir kennen doch überall dort, wo Sie die Verantwortung tragen – in Baden-Württemberg, in Rheinland-Pfalz und in Niedersachsen –, die Beispiele: Tempolimits, den Abbau des Etats für Landesstraßen, die Verhinderung der Rheinbrücke in Rheinland-Pfalz, die Verhinderung des Ausbaus der Autobahn hinter der Schiersteiner Brücke. Dass es auf einer Seite dreispurig wird, haben Sie auch verhindert. Überall dort, wo Sie die Verantwortung tragen, zeigen Sie, dass Sie sich nicht auf die Seite der Infrastruktur und damit immer nicht auf die Seite der Menschen stellen.