Herr Rentsch, ich sage Ihnen noch einmal: Sie haben für ein „Weiter so!“ keine gesellschaftliche Mehrheit. Ich habe in Ihre Erkenntnis wenig Vertrauen; das sage ich ganz klar.
Das waren unter anderem die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest dimap.Aber ich gebe Ihnen gern die Daten.Vielleicht hilft es Ihnen, sich neu zu orientieren.
Der entscheidende Punkt ist, Sie haben keine gesellschaftliche Basis für das, was Sie heute hier inhaltlich vorgelegt haben. Ich sage Ihnen: Besonders charmant finde ich Ihr Bild mit dem Feuerwehrmann. Im Landtagswahlkampf habe ich mir abgewöhnt, bei Ihnen die Anlage zu einem Feuerwehrmann zu suchen; denn ich finde das Bild von denjenigen, die sozusagen etwas zündeln, ein wenig zu scharf.Aber es gibt eine schöne Kinderserie,
in der das anders aufgenommen wird: „Grisu, der kleine Drache“. Grisu, der kleine Feuerwehrmann, ist zwar immer bemüht, das Feuer zu löschen; aber in der Regel ist er aufgrund seiner Tollpatschigkeit derjenige, der das Feuer entfacht.
Nun unterstelle ich Ihnen keine Tollpatschigkeit.Aber Sie müssen schon zur Kenntnis nehmen, dass Sie sich hier zwar gern zum Feuermann erklären können, wir aber nicht vergessen haben, dass Sie in den letzten zehn Jahren – auch schon davor als Oppositionsführer – an vielen Stellen immer derjenige waren, der kräftig gezündelt hat, nicht nur im Hessischen Landtag, sondern auch auf der Bundesebene.
Ich sage ja, das ist eine grundsympathische Figur. – Ich habe gesagt, Roland Koch zeigt eine große Schwäche, wenn er in seiner Regierungserklärung die Politik für die nächsten fünf Jahre auf der Grundlage des Koalitionsvertrags beschreibt.
Diese große Schwäche ist,dass er mit einer Bilanz kommt. Er ist nämlich kein Anfänger,er sitzt hier nicht zum ersten Mal, sondern er hat jetzt zehn Jahre lang in diesem Land gewirkt.
(Ministerpräsident Roland Koch: Herr Al-Wazir will! – Peter Beuth (CDU): Von einem, der gerade die parlamentarische Schultüte abgegeben hat, sind das große Sprüche!)
Herr Koch, wir wollen einmal nicht ignorieren, dass das, was Sie heute abgeliefert haben, eher Ausdruck von Amtsmüdigkeit als von Aufbruchstimmung war.
Ich will ein paar Anmerkungen zu der Frage machen, wo wir stehen; denn Herr Koch hat eben noch einmal darauf hingewiesen, dass wir jetzt über das Konjunkturprogramm die Investitionsquote erhöhen und dass man sie am Ende des Tages wieder zurückführen wird.
Aber auch da hilft ein Blick auf den Punkt, an dem Sie in Hessen eigentlich anfangen. Darauf will ich verweisen. In Hessen beläuft sich die Quote der öffentlichen Investitionen auf 9,5 %. Bundesweit liegt sie bei 11,8 %. Damit erreicht Hessen Platz 14.
Zur Entwicklung der Arbeitslosenquote: Im Zeitraum von 2004 bis 2007 sank sie um nur 0,6 Prozentpunkte. Im Bundesdurchschnitt fiel dieser Wert um 1,5 Prozentpunkte: Platz 14.
Die Zahl der Patentanmeldungen ist in Hessen im Zeitraum von 2004 bis 2006 um neun Patente pro 100.000 Einwohner gesunken, während sie im Bundesdurchschnitt im gleichen Zeitraum nur um eine Patentanmeldung je 100.000 Einwohner zurückgegangen ist: Platz 15.
Beim ersten Bundesländerranking auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien ist Hessen das Schlusslicht unter den Bundesländern – darauf kommen wir später noch einmal zurück –: Platz 14.
Im ersten Halbjahr 2008 lag Hessen beim Wirtschaftswachstum auf dem 11. Platz und somit unter dem Bundesdurchschnitt.
(Günter Rudolph (SPD): Hört, hört! – Gegenruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP): Das ist alles unangenehm!)
Was die Schüler-Lehrer-Relation an den Grundschulen betrifft, so sind die Werte für Hessen unterdurchschnittlich:Rechnerisch kamen 2006 in den Grundschulen auf einen Lehrer rund 22,4 Schüler. Im Bundesdurchschnitt waren es dagegen im Jahr 2006 19,4 Schüler. Damit ist die Schüler-Lehrer-Relation an den Grundschulen die schlechteste aller Bundesländer: Platz 16.
Bei der IGLU-Grundschulstudie vom Dezember 2008 ist Hessen im Vergleich zu 2003 um zehn Plätze abgerutscht: Platz 13. Bei PISA-E, einer Studie vom November 2008, liegt Hessen in den naturwissenschaftlichen Fächern auf Platz 12. Herr Koch, dabei sind Sie einst mit dem Anspruch angetreten, dass Hessen zum Bildungsland Nummer eins wird. Davon haben Sie sich meilenweit entfernt. Hessen liegt auf Platz 12.
Die Mittel, die für die Wissenschaftsaufgaben zur Verfügung gestellt wurden, beliefen sich in Hessen im Jahr 2005 auf nur 20 c je Einwohner, während im Durchschnitt aller Flächenländer 33 c je Einwohner aufgebracht wurden: Platz 11.
Was die Wirtschaftsförderung betrifft, so gibt das Land Bayern für die Landesförderinstitute zehnmal mehr aus als das Land Hessen. Hessen gibt 138 c pro Kopf aus,
Rheinland-Pfalz 561 c, Baden-Württemberg 428 c, Bayern 249 c und Nordrhein-Westfalen 204 c. Im Bundesdurchschnitt werden 241 c pro Kopf ausgegeben.
Zur Inanspruchnahme von Mitteln der Europäischen Investitionsbank von 1997 bis 2007: Darlehenssumme pro Kopf der Bevölkerung in Hessen 434 c, im Bundesdurchschnitt 701 c. Spitzenreiter ist Bremen mit 1.819 c.
Wenn Sie hier anfangen wollen, uns zu erklären, dass Sie mit dem, was Sie im Koalitionsvertrag zu verantworten haben, einen Aufbruch generieren und die Krise nutzen wollen, muss ich Ihnen sagen, dass Ihre Ausgangslage mehr als bescheiden ist. Da Sie nicht einmal im Wahlkampf und auch heute wieder nicht bereit waren, eine Eingangsbilanz zu ziehen, ist all das, was Sie hier eben im Zusammenhang mit einem Neuanfang beschrieben haben, wenig glaubwürdig.
Dazu, dass Sie um jeden Arbeitsplatz gekämpft haben, sage ich Ihnen – Sie haben ein schönes Plakat dazu gemacht; darauf komme ich später im Detail zu sprechen –: Das ist eine ziemlich verwegene These.Wir hatten auch im Hessischen Rundfunk eine kleine Auseinandersetzung darüber.Wir sagen Ihnen nach wie vor, dass in den letzten fünf Jahren Ihrer Regierungszeit im Rahmen der „Operation düstere Zukunft“ ca. 10.000 Stellen abgebaut wurden. Sie sind der größte Arbeitsplatzvernichter in diesem Land.
(Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU) – Weitere Zurufe von der CDU)
Wir haben den Streit ausgefochten.Aber selbst der Hessische Rundfunk musste am Ende kapitulieren, weil Ihre Zahlen offensichtlich auch nicht nachvollziehbar waren. Im Haushalt können wir das aber immer gut nacharbeiten.
Herr Koch, Sie haben vorhin gesagt: Jede Krise ist auch eine Chance, nutzen wir sie. – Ich teile diese Auffassung ausdrücklich. Wir haben in diesem Land häufig zu viele Problemsucher und zu wenige Problemlöser. Aber der entscheidende Punkt ist,dass Sie zu den Problemlösungen heute hier wenig beigetragen haben. Sie haben, wie ich glaube, keine Kraft mehr.
„Und keine Lust mehr.“ Na ja, was die Lust betrifft: Der entscheidende Punkt ist, dass Sie keine Kraft mehr haben, die in der Tat schwierigen Aufgaben anzugehen.
Sie sind auch nicht bereit, ernsthaft über die Ursachen der Krise zu reden. Besonders verräterisch ist Ihr Koalitionsvertrag, in dem Sie versuchen, ein Bild zu zeichnen, wonach die Krise das Ergebnis des Fehlverhaltens Einzelner sei. Ich zitiere aus dem Koalitionsvertrag, Seite 3:
Nicht die Freiheit hat versagt, sondern die mangelnde Verantwortung Einzelner beim Gebrauch der Freiheit hat die Krise herbeigeführt.
Ich sage Ihnen: Wenn Sie wirklich auf diesem Niveau mit den Ursachen und den Auswirkungen der Krise umgehen wollen, haben wir noch extrem viel vor uns. Das hat mit Einzelnen nichts zu tun, auch wenn ganz sicher das Verhalten Einzelner die Probleme verstärkt hat.
Aber Sie sagen damit im Kern aus, dass weder die Regeln noch die Perspektive bzw. die Richtung von Wirtschafts-, Industrie- und Technologiepolitik, noch der Gemeinsinn und die Verpflichtung des Eigentums überhaupt eine Rolle spielen. Ich glaube, damit machen Sie es sich entschieden zu einfach. Die Legende von den Selbstheilungskräften ist nach dieser Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise endgültig am Ende. Das sollten Sie auch endlich akzeptieren.
Wenn Sie nämlich nicht einmal die Realität zur Kenntnis nehmen und nicht wissen wollen, wie die Frage wirklich heißt, werden Sie am Ende mit den falschen Rezepten operieren.
Dabei muss man, wenn man für ein Bundesland verantwortlich ist, auch wissen, in welchem Zuständigkeitskorridor, in welcher Aufgabenzuschreibung man sich bewegt. Die Kernkompetenz des Landes ist sicherlich die Bildungspolitik.