Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Zahlen,die ich genannt habe,können Sie auf Seite 4 nachlesen. Es geht darum, wie vielen Widersprüchen stattgegeben wurde. Das sind im Hinblick auf die Gesamtmenge eben 4 %. Sie müssen einmal genau zuhören.
Ich kann es Ihnen nachher einmal zeigen. – Ich habe mich die ganze Zeit gefragt, was Sie wollen. Es ist ganz klar,Sie wollen alles abschaffen.Aber was ich an Ihrer Argumentation nicht verstanden habe, ist Folgendes: Seit fünf Jahren haben wir das SGB II, seit fünf Jahren haben wir Optionskommunen, seit fünf Jahren haben wir Argen, und zwei Wochen vor der Bundestagswahl kommen Sie auf die Idee, man müsste die Sanktionen aussetzen.
(Zuruf von der LINKEN:Wir waren das! – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist einfach nur klug, so zu reagieren!)
Ich habe doch ein Mikrofon. Sie sind schon laut. – Ich glaube an der Stelle, dass Sie hier einen populistischen Antrag gestellt haben. Sie hebeln, wenn Sie die Sanktionen aufheben, Hartz IV aus. Sie geben das Fordern und Fördern auf.Wie das dazu führen soll, dass die Argen und die Optionskommunen besser werden sollen, wenn Sie die zentrale Aufgabe aushebeln, das kann ich nicht verstehen. Das können wir vielleicht nachher einmal besprechen. Aber ich kann es an dieser Stelle nicht verstehen. – Danke.
Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich werde versuchen, jetzt in diesem allgemeinen Getümmel ein bisschen ruhiger zu der Thematik zu sprechen.
(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Da bin ich aber einmal gespannt! – Clemens Reif (CDU): Hoffentlich gelingt das!)
Sie haben vollkommen recht – diejenigen, die es gesagt habe. Jedenfalls gehören beide Seiten dazu. Es gehören gute Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeiter dazu. Es gehören eingliederungswillige Menschen dazu, und zwar Menschen, die Termine wahrnehmen und nicht unentschuldigt fehlen. Dass wir dieses Thema öfter diskutieren, verwundert nicht, weil es ein Thema ist, das sehr viele Menschen sehr existenziell betrifft.
Aber ich sage Ihnen auch, und das insbesondere im Hinblick auf den Antrag der LINKEN: Nichts bleibt, wie es ist. Uhren zurückdrehen geht nicht. Deswegen ist die Forderung „Hartz IV muss weg“ genauso Unsinn wie die apodiktische Forderung des Kollegen Bocklet, der hier schon mehrfach vorgetragen hat, dass sämtliche Eingliederungsmittel auf Biegen und Brechen und auf der Stelle ausgegeben werden müssen.
Meine Damen und Herren, Willy Brandt hat gesagt: Jede Zeit braucht eigene Lösungen. – Das würde ich ganz gerne auch über diese Thematik schreiben.
Frau Kollegin, niemand wird ernsthaft bestreiten, dass mit der Zusammenführung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe die Grundlage für eine moderne Arbeitsmarktpolitik in Deutschland gelegt worden ist.
Arbeit statt Sozialhilfe ist in Hessen entstanden. Arbeit statt Sozialhilfe ist eine sozialdemokratische Erfindung,
Mit diesem sehr erfolgreichen Programm der hessischen – damals rot-grünen – Landesregierung haben wir für viele Menschen eine Chance geschaffen, auf dem Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen und Qualifikationen nachzuholen. Es war für alle Menschen gut, dass sie nicht auf Dauer abgeschrieben und ausgegrenzt worden sind. Genau das gilt heute auch noch.Wem nichts außer einer passenden Qualifikation fehlt, der muss, kann und soll diese Qualifikation erhalten und nicht abgeschrieben oder ausgegrenzt werden.
Meine Damen und Herren, es wird auch niemand ernsthaft bestreiten,dass viel zu viele Menschen vor diesen Reformen in der sogenannten verdeckten Armut gesteckt haben.Viele stecken darin auch heute noch, aber sehr viel weniger als damals.Insofern war diese Reform richtig und wichtig.
Niemand kann und wird ernsthaft hier bestreiten, auch Sie von den LINKEN nicht, dass diejenigen, die damals Sozialhilfe bezogen haben, durch die Reform ungefähr 15 % höhere Regelsätze erhalten und dass es für diese Menschen durch die Pauschalierung – ich sehe das durchaus ein – Probleme gibt. Das ist eine Wahrheit, die ich immer gesagt habe und wo ich auch Befürchtungen habe. Wenn jemand mit sehr, sehr wenig Geld auskommen muss, dann wird er Schwierigkeiten haben, das dafür vorgesehene Geld anzusparen, um z. B. eine Waschmaschine oder anderes zu kaufen.
Deswegen sagen wir: Da muss man über Fortentwicklungen, Weiterentwicklungen und Änderungen sprechen. Das halte ich für wichtig.
Ein weiteres Thema, das ich ausgesprochen wichtig finde, ist, dass wir endlich einen eigenen Kinderregelsatz bekommen.
Seit Jahren sprechen wir darüber. Es ist ein absolutes Armutszeugnis für diese Gesellschaft, wenn Kinder von Klassenfahrten, Geburtstagsfeiern und, und, und ausgeschlossen werden,weil ihre Eltern arm sind.Das kann und darf so nicht bleiben. Das ist ein Skandal.
Ein großes Problem – ich glaube, das ist eines der größten Probleme im Zusammenhang mit diesen Reformen um SGB II – sind die Menschen,die langjährig berufstätig waren. Das ist ganz einfach so. Diejenigen, die mit 50 Jahren arbeitslos werden, die langjährig gearbeitet haben und nach einem Jahr, wenn sie erfolglos nach einem Arbeitsplatz suchen, in ALG II landen, haben damit sehr wenig Geld. Herr Kollege Bocklet, es gibt auch gute Erfahrungen in einer rot-schwarzen Koalition in Berlin. Die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I fällt in diese Zeit. Ich finde, das war richtig.
(Beifall bei der SPD – Marcus Bocklet (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Deswegen wollen Sie Schwarz-Rot in Berlin fortsetzen!)
Meine Damen und Herren, es ist aber ungerecht, wenn wir Menschen, die langjährig versichert waren und dann
mit 50 oder 55 Jahren ihren Arbeitsplatz verlieren, so behandeln, als hätten sie nur zwei oder drei Jahre lang gearbeitet. Deswegen sage ich, hier sind Änderungen notwendig, und die werden auch auf die Schiene gebracht.
Ganz wichtig ist es mir aber, über die Leistungsbezieherinnen zu reden. Sehr oft werden die über einen Kamm geschoren. Die einen sagen, das ist ein Heer von Faulenzern.Gerade hat sich Herr Westerwelle da wieder sehr unrühmlich hervorgetan und in der „Saarbrücker Zeitung“ gesagt. Es gibt kein Recht auf staatlich bezahlte Faulheit.
(Demonstrativer Beifall bei Abgeordneten der FDP – Minister Jörg-Uwe Hahn: Er hat recht! Se- hen Sie das anders? – Zuruf des Abg. René Rock (FDP))
Herr Kollege Rock, das hat er gesagt, das ist ein direktes Zitat. Manche betrachten sie als ein Heer von Betrügern, die sich mit der Schwarzarbeit dumm und dämlich verdienen. Diffamierungen dieser Art sind übles Wahlkampfgetöse und gehen an der Realität vorbei.
Auch hier gibt es schwarze Schafe, das ist gar keine Frage – genauso, wie es Steuerhinterzieher oder schwarze Kassen gibt, das kennen wir ja in Hessen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Marcus Bock- let (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Schwarze Schafe, schwarze Löcher, schwarze Kassen!)
Man muss hier ganz klar differenzieren zwischen Menschen, die sich massiv um einen Arbeitsplatz bemühen, und solchen, die nur vorgeben, sich zu bemühen. Dazu stehe ich ausdrücklich. Deswegen kann man unseres Erachtens nicht durchgängig auf Sanktionen verzichten – auch wenn es in diesen Fällen Fehlentscheidungen gibt. Die gibt es immer, wenn sich Menschen gegenübersitzen.
Diese Debatte kann man aber nicht auf die Sanktionsfrage verkürzen.Wenn Differenzen zwischen den Sachbearbeiterinnen und Sachbearbeitern und den von ihnen betreuten Klientinnen entstehen, dann ist es normal, dass das nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen ist. Das gibt es nicht einmal im Kindergarten.
Deswegen halten wir Clearingstellen, Ombudsleute oder Schlichtungsstellen für unabdingbar. Die müssen dann niedrigschwellig solche Fälle bearbeiten und zu einem Ausgleich beitragen, ohne gleich vor Gericht zu ziehen.
Es gibt sie nicht überall. Beispielsweise wird das in der Optionskommune, aus der ich komme, schlichtweg abgelehnt.
Auf beiden Seiten können Fehler entstehen. Es gibt auch Betreuer und Betreuerinnen, die überfordert sind, die nicht gut genug geschult sind. Das ist alles unbestritten. Dann müssen wir genau das erreichen. Wir müssen auch die Relationen zwischen Betreuern und Betreuten so vorsehen, wie sie ursprünglich gedacht waren. Wir müssen ständig die Verfahren der Arbeitsvermittlung überprüfen. Darin sind wir uns einig. Denn das Ziel lautet:Wir müssen die Menschen qualifizieren, sie in Arbeit bringen, und zwar auf gutem Wege.
Tatsache ist – und ich muss sagen, auch darauf sind wir stolz –, dass der Bundesarbeitsminister und das Kabinett die Bezugsdauer des Kurzarbeitergelds verlängert haben.
In dieser Kurzarbeitsphase gibt es massive Angebote zur Weiterqualifikation. Damit wurde eine Brücke in der Erwerbstätigkeit geschaffen, und das mitten in dieser Wirtschafts- und Finanzkrise. Damit wurde Beschäftigung gesichert. Darauf können wir stolz sein: Das Abfedern in dieser Krise war und ist notwendig. Zum Glück wird das von vielen genutzt.
Allerdings muss man sagen: Es stimmt, bei 1,4 Millionen Menschen in Kurzarbeit wird damit zu rechnen sein – leider –, dass die Zahl der Entlassungen ansteigen wird. Mit dieser Folge müssen wir rechnen. Auch da muss flexibel reagiert werden, durch eine gute Arbeitsmarktpolitik und eventuell durch weitere Konjunkturprogramme.
Ein weiterer Punkt sind die Organisationsreformen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum sich die CDU weigert, unserem Antrag zuzustimmen. Das war sehr peinlich. Die gefundene Einigung wurde von der CDU/CSUFraktion gekippt. Frau Merkel ist in ihrer watteweichen Art mit eingeknickt. Ich sage Ihnen: Die Wahrheit ist den Menschen zuzumuten, auch im Wahlkampf. Das sollte man Frau Merkel einmal sagen.
Vielleicht sollte man auch einmal der Bundeskanzlerin ein altes Sprichwort sagen, das mir als Seglerin gut gefällt: Wer nicht weiß,in welchen Hafen er segeln will,für den ist kein Wind der richtige.– Das ist von Seneca,und ich finde, das ist in solchen Fällen äußerst passend.