Protokoll der Sitzung vom 16.09.2009

Vielleicht am Ende. Ich möchte erst ein bisschen in Fahrt kommen, und dann kann man die Frage noch stellen.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dann ist es keine Zwischenfrage, dann ist es eine Endfrage!)

Ich habe noch gar nicht angefangen, liebe Freunde.

Wenn ich Zahlen verwende, berufe ich mich auf die Drucks. 16/13577 aus dem Bundestag, die Antwort auf eine Kleine Anfrage der LINKEN, damit wir hier nicht mit verschiedenen Zahlen argumentieren. Denn es ist schon ganz schön verwirrend, wenn man einmal versucht zu recherchieren, wer welche Zahlen woher bekommt.

Wenn man jetzt einmal versucht, sich durch den Antrag der LINKEN zu arbeiten, kann man den zweiten Absatz nicht richtig verstehen. Warum wollen Sie jetzt eigentlich die Sanktionen aufheben? Wenn man einmal die Zahlen vergleicht, die in dieser Antwort auf die Kleine Anfrage klar zutage treten, dann sieht man aus meiner Sicht keinen Anlass. 2007 wurden 806.000 Sanktionen verhängt, 2008 789.000 Sanktionen.Von diesen Sanktionen sind ca. 4 % teilweise oder komplett aufgehoben worden, wobei es bei den Sanktionen immer um Ermessensentscheidungen geht. Bei den Klagen sind es 0,4 %.

(Florian Rentsch (FDP):Aha!)

Ist das wirklich ein Zeichen dafür, dass ein System völlig aus dem Ruder gelaufen ist?

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Dann muss man sich einmal vor Augen halten: Mehr als 55 % der Sanktionen sind wegen Terminversäumnissen ausgesprochen worden. Schauen Sie sich das einmal im Gesetz an: Der Hartz-IV-Empfänger muss schriftlich auf die Problematik hingewiesen werden, damit ihm bewusst ist, was passiert, wenn er den Termin nicht einhält. Es ist doch nicht so, dass die Sanktion vom Himmel fällt und dass der Fallmanager hinter seinem Schreibtisch sitzt und sich fragt: Wie vielen Hartz-IV-Empfängern kann ich heute wieder eine Sanktion verpassen? – Das ist doch das Bild, das Sie hier zeichnen und das völlig daneben ist. Diese Fallmanager versuchen in einem in der Regel schwierigen Umfeld, den Menschen zu helfen. Das ist jedenfalls das, was ich als Rückmeldung bekomme.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Natürlich ist das, was ein Fallmanager als Sanktionen ausspricht, immer eine Ermessensentscheidung. Diese Ermessensentscheidung kann überprüft werden, und die Überprüfung funktioniert.Das sieht man auch daran,dass genug Widersprüchen stattgegeben wird. Dort, wo ich kommunalpolitisch Verantwortung trage, gibt es z. B. einen Ombudsmann, der relativ bürokratiefrei einmal die Woche einen Zugang schafft und der direkte Verbindung in die Verwaltung hat, um Problemen sehr schnell auf den Grund zu gehen. Dieser Ombudsmann ist auf Antrag der FDP eingerichtet worden, und er hat sich bewährt, übrigens ein sehr guter SPD-Mann, der sich da für die Leute einsetzt. Das ist der richtige Weg, eine konstruktive Lö

sung, um den Menschen auf kurzem Dienstweg zu helfen. Denn darum geht es.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Ich kann aus Ihrem Antrag und aus der Begründung nicht ganz nachvollziehen, warum Sie die Sanktionen aufheben wollen. Wenn man sich das durchliest, könnte der einzige Hinweis sein, dass Sie die Sanktionen für nicht zumutbar halten. Es könnte daraus hervorgehen, dass Sie Sanktionen grundsätzlich für nicht zumutbar halten.Das hat mich bei den GRÜNEN verwundert; denn Sie haben nicht gesagt, Sanktionen seien grundsätzlich nicht zumutbar, sondern Sie haben einmal zugestimmt. Mittlerweile haben Sie die Erkenntnis erlangt, dass Sanktionen nicht mehr zumutbar seien. Herr Bocklet, das ist ein Schritt, den ich nicht nachvollziehen kann.

(Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN):Wenn Sie zugehört hätten!)

Sie sind mittlerweile aus irgendwelchen politischen Überlegungen heraus der Meinung – nicht weil die Bundestagswahl vor der Tür steht, sondern aus Erkenntnissen heraus, die Sie von Besuchen bei Argen haben –, Sanktionen seien nicht mehr zumutbar. Aber was bedeutet das? Wenn ich die Sanktionen aufhebe, ist das der Ausstieg aus dem Modell „Fördern und Fordern“. Wie kann ich denn fordern, wenn ich nicht zumindest einmal eine Sanktion androhen kann? Wenn man einmal nachschaut, wo die Sanktionen verhängt werden, stellt man fest, das ist gerade im niedrigschwelligen Bereich, wo man die Leute erst einmal motivieren muss: Kommt einmal her, macht erst einmal einen Besuch beim Fallmanager, oder geht doch überhaupt erst einmal in eure Maßnahme. – Davon ist über die Hälfte der Leute betroffen, und da geht es um 10 % Kürzung. Dass es bei dem Geld immer noch viel ist, will ich gern zugeben.Aber es geht an der Stelle um 10 % Kürzung. Da muss ich ehrlich sagen, irgendwo ist eine gewisse Mitarbeit angemessen.

(Florian Rentsch (FDP):Auch bei den LINKEN!)

Jetzt noch einmal zu der Legende, die Fallmanager seien so übel und würden versuchen, den Hartz-IV-Empfängern sozusagen Sanktionen überzuziehen. Ich hoffe – ich kann es an der Stelle nicht beweisen –,dass das,was Sie erwähnen, diese Behördenwillkür, Einzelfälle sind. Um diese Einzelfälle abzuarbeiten, haben wir Instrumente. Dass diese Instrumente wirken, auch dafür haben wir deutliche Hinweise in den Zahlen dieser Antwort auf die Kleine Anfrage gefunden.

Ich will Ihnen einmal eines sagen. Ich weiß nicht, ob Sie es mitbekommen haben, aber der Bundesrechnungshof hat sich mit der Thematik beschäftigt. Der Bundesrechnungshof hat die Argen und Optionskommunen aufgefordert, sie müssten viel intensiver Sanktionen verhängen, sie seien viel zu lasch, weil sie das Gesetz nicht angemessen anwenden würden. Das hat der Bundesrechnungshof festgestellt.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wenn Sie jetzt behaupten, das sei flächendeckend Willkür – anders kann man die Situation nicht erklären; es müsste flächendeckend Willkür in den Behörden sein, denn nur dann wäre eine Aussetzung der Sanktionen angemessen –, so möchte ich das auf jeden Fall ausschließen.

Ich möchte aber noch einen zweiten Punkt aufgreifen. Der zweite Punkt ist das Existenzminimum. Auch Herr Pfarrer Gern hat mit der Frage des Existenzminimums argumentiert. Er hat ausgeführt, Hilfegesetze sollten Menschen helfen und sie nicht bestrafen. Er ist Pfarrer, und er hat eine Sicht auf die Welt,die man respektieren muss.Die respektiere ich an der Stelle auch. Die Frage ist nur: Ist jemand,der erwerbsfähig ist,jemand,dem man an der Stelle helfen muss? Wenn er arbeitslos ist, ja.Aber wenn ein erwerbsfähiger Mensch die Möglichkeit hat, einer Beschäftigung nachzugehen, und dies verweigert, oder wenn er nicht bereit ist, dazu beizutragen, in Beschäftigung zu kommen, ist es dann jemand, den man nicht auch fordern darf? Wir als FDP glauben, auch so jemand muss gefordert werden, und dazu kann auch einmal eine Sanktion notwendig sein.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Wer Hartz IV zugestimmt hat, muss im Grundsatz diese These vertreten haben. Der muss im Grundsatz mit uns zumindest am Anfang einmal übereingestimmt haben; denn sonst ist das ganze Modell der Umsetzung der Hartz-IV-Gesetze nicht zu begründen. Es ist klar, wir sind der Meinung, jemanden, der arbeitsfähig ist, kann man auch sanktionieren, wenn er nicht bereit ist, einer Beschäftigung nachzugehen. Das ist ein Riesenunterschied zu Ihnen, auf den ich wirklich stolz bin.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ich auch! – Willi van Ooyen (DIE LINKE):Wir auch!)

Vielen Dank. – Warum haben Sie den Antrag überhaupt gestellt? Warum haben Sie ihn jetzt gestellt? Darauf gibt es doch nur eine Antwort, und die lautet: Es ist kurz vor der Bundestagswahl, und Sie wollen noch ein bisschen Stimmung machen. – Ich bin verwundert, dass Herr Bocklet an dieser Stelle auf das Thema aufgesprungen ist.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Vor fünf Jahren haben wir das schon gesagt!)

Sie sind wirklich jemand, der sich intensiv mit Hartz IV auseinandergesetzt hat, der da gewisse Kompetenzen hat. Warum Sie an der Stelle aus meiner Sicht aus populistischen Gründen so einem Antrag der LINKEN hinterherlaufen, kann ich einfach nicht verstehen, weil das Ihre Reputation bei den anderen Abgeordneten bestimmt nicht fördert, die mit Sicherheit da war. Für mich ist der einzige Grund, warum Sie den Antrag heute stellen, die anstehende Bundestagswahl, um hier noch ein bisschen Stimmung zu machen.

Das ganze Thema geht auf das Bündnis für ein Sanktionsmoratorium zurück. Wenn ich mir jetzt allerdings anschaue, wer da so alles aktiv ist, und vor allem, wo es gegründet worden ist, nämlich in Berlin, so kann ich feststellen: Vielleicht liegt es daran, dass Sie in Berlin regieren und deshalb der Verwaltungsvollzug in Berlin in dieser ganzen Angelegenheit besonders schlecht ist. Vielleicht sollten Sie sich darüber einmal Gedanken machen. Dort, wo Sie regieren, sind die größten sozialen Missstände. Diesen Zusammenhang müsste man doch einmal versuchen zu bearbeiten. Vielleicht können Sie einmal versuchen, in Berlin Ihre heile Welt einzurichten, die Sie den Leuten versprechen.

Herr Kollege Rock, Sie müssen zum Ende kommen.

Ich komme zum Schluss. Ich will nur noch zusammenfassen. – Ich finde, es gibt mittlerweile ein komisches Bündnis. Ich habe gesehen, in dem Bündnis sind Frau Kipping, Frau Claudia Roth, Herr Ströbele, Herr Ottmar Schreiner, Herr Scheer, Herr Geißler darf natürlich auch nicht fehlen,

(Janine Wissler (DIE LINKE): Dieter Hildebrandt!)

attac Deutschland – sie alle sind in dem Bündnis, das sich auf den Weg gemacht hat, Hartz IV zu unterminieren und dem Fördern und Fordern den Garaus zu machen.

Sie wollen nur Hartz IV abschaffen. Ihnen geht es gar nicht um die Sanktionen. Sagen Sie ehrlich: „Wir wollen das Gesetz abschaffen“, bringen Sie den Antrag ein, und kommen Sie nicht über Seitentüren. – Danke.

(Beifall bei der FDP und der CDU)

Danke schön, Herr Kollege Rock. – Für eine Kurzintervention hat sich Kollege Bocklet gemeldet.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege, Sie sprachen mich mehrfach direkt an. Ich kann Ihre Zahlen nicht nachvollziehen. Es gibt die Drucks. 16/13577 des Deutschen Bundestages. Wir sind uns einig, dass wir eigentlich diese Daten und Zahlen nicht anzweifeln sollten.Es sind drei Zahlen – ich gebe Ihnen sogar noch die Quelle mit – auf Seite 4, 5 und 6. Darin wird festgestellt, dass ein Drittel aller Bescheide falsch war, dass 65 % der Klagen im Jahre 2008 erfolgreich waren und dass 40 % der Widersprüche stattgegeben wurde. Das sind nicht Nullkommabereiche, Herr Kollege. Das ist eine riesengroße Zahl.

Wenn Sie das in Ihrer ideologischen Zangenbewegung sehen, dass man diesen Menschen in bestimmten Situationen Druck macht und andererseits falsche Bescheide ausstellt, die keine aufschiebende Wirkung haben, sodass sie kein Geld bekommen, und durch eine Fülle von Fehlern eine Fülle von Klagen bekommt, die der Staat verliert, eine Fülle von Widersprüchen, denen stattgegeben wird, dann muss man doch an einem Tag, Herr Kollege von der FDP, darüber nachdenken, ob man an der falschen Stellschraube dreht.

Wenn Sie meiner Rede aufmerksam zugehört hätten, hätten Sie mitbekommen, dass von 800.000 Sanktionen über die Hälfte wegen der Weigerung, zu erscheinen, ausgesprochen wird. Darüber kann überhaupt kein Dissens bestehen. Wahrscheinlich werden Ihnen auch die Kollegen von der LINKEN erklären, dass man wenigstens eine Postkarte schreiben muss, um sein Geld zu bekommen. Das wäre das Mindestes. Wir sagen: Es ist in Ordnung, wenn man vorstellig wird.

Herr Kollege, wir unterhalten uns aber immer noch über 360.000 Sanktionen, die ausgesprochen wurden, weil die Menschen mit Eingliederungsvereinbarungen nicht einverstanden waren,weil sie sie abgebrochen haben,weil sie die Trainingsmaßnahmen nicht wollten und vieles andere mehr. Dann reden wir über 360.000 Sanktionen, die wir so lange ausgesetzt haben wollen,solange die Qualität in den

Jobcentern so mangelhaft ist, wie sie ist. Damit muss Schluss sein, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall des Abg. Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Den Schluss können Sie offensichtlich nicht ziehen. Ich behaupte einmal, die FDP hat damals gegen Hartz IV gestimmt. Meine spontane Umfrage im Landtag hat ergeben, dass keiner genau Bescheid weiß. Nach meiner Erinnerung haben Sie sogar gegen Hartz IV gestimmt. Dass Sie sich jetzt zu dessen Verfechter machen, hat eine gewisse Ironie der Geschichte. Wir sind der Meinung, dass man Sanktionen nicht gleich Sanktionen setzen darf – selbstverständlich für verschuldetes Verhalten; aber für den Bereich der Eingliederungsvereinbarungen und für die Ablehnung von bestimmten Trainingsmaßnahmen muss es so lange ein Aussetzen geben, bis wir die Jobcenter-Personalschlüssel und die Eingliederungsmittel sinnvoll an die Personen bringen können. Erst dann macht es vollumfänglich Sinn, auch Sanktionen anzuwenden. So lange fordern wir das Moratorium, und das ist auch klug.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Günter Rudolph (SPD): Das waren jetzt vier Minuten, aber egal!)

Vielen Dank, Herr Kollege Bocklet. – Lasst doch mal die jungen Leute. – Herr Kollege Rock hat das Wort zur Antwort.

Ja, das ist wahrscheinlich die Sympathie.

(Günter Rudolph (SPD):Alles klar!)

Einen Moment,Herr Kollege Rock.– Ich glaube nicht,Sie wollten den Präsidenten kritisieren. Es gab gerade einen Wechsel am Präsidentenplatz. Kollege Rudolph, Sie haben sich bei mir entschuldigt. Damit ist das erledigt.

(Allgemeine Heiterkeit)

Der Kollege Rock hat das Wort zur Antwort.

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Die Zahlen,die ich genannt habe,können Sie auf Seite 4 nachlesen. Es geht darum, wie vielen Widersprüchen stattgegeben wurde. Das sind im Hinblick auf die Gesamtmenge eben 4 %. Sie müssen einmal genau zuhören.