Protokoll der Sitzung vom 09.12.2009

Zu den Regelausschlussgründen möchte ich Ihnen offen sagen: Was ein Härtefall ist, das regelt unseres Erachtens das Leben. Wir können Härtefälle nicht abstrakt vorausschauend formulieren; denn es geht immer um Einzelfallentscheidungen. Deshalb haben wir es als LINKE von Anfang an für falsch gehalten, Ausschlussgründe in das Gesetz aufzunehmen; denn das wird bereits durch das Bundesgesetz geregelt. Wir Hessen müssen keine zusätzliche Verschärfung hineinbringen.

Hinsichtlich des vorgeschlagenen § 8a möchte ich Ihnen Folgendes sagen: Die Sicherung des Lebensunterhalts sollte keinesfalls als Ausschlussgrund formuliert werden. Es spricht nichts dagegen, dass in den Fällen, in denen der Lebensunterhalt durch die Person selbst gesichert werden kann, im Einzelfall die Anordnung unter den Vorbehalt der Lebensunterhaltssicherung gestellt wird.Das sieht das

Bundesgesetz auch so vor. Ich sehe aber keine Notwendigkeit, daraus einen absoluten Ausschlussgrund zu machen. Das Gesetz umzukehren und diejenigen, die das nicht können, auszuschließen, das geht so nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie war das bei der amtierenden Härtefallkommission? Diese hat in der Regel eine Lebensunterhaltssicherung bei den Härtefällen eingefordert. Soweit mir bekannt ist, wurde dies in den meisten Fällen erreicht. Nur in seltenen Einzelfällen wurde ein Härtefallersuchen ohne die Verknüpfung mit der Sicherung des Lebensunterhalts an das Innenministerium gerichtet. Eine solche Option für besonders schutzwürdige Personen muss es unbedingt weiter geben.

Wenn das Bundesgesetz das entsprechende Gerüst vorgibt, dann ist dies in den Landesgesetzen und Landesverordnungen entsprechend umzusetzen.Sollte dies nicht geschehen, dann wird sich DIE LINKE dafür stark machen, dass hessisches Landesrecht nicht Bundesrecht bricht.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen schnellstens die Einrichtung eines Härtefallfonds beschließen, damit niemandem der Aufenthalt wegen der Bedingung der Lebensunterhaltssicherung verweigert werden kann. Wir dürfen Alten, Kranken und Traumatisierten nicht unseren Schutz verweigern. Deshalb müssen wir ein Modell schaffen, das dem rheinlandpfälzischen Modell ähnlich ist. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN)

Schönen Dank, Frau Cárdenas. – Für die SPD-Fraktion erteile ich Herrn Merz das Wort.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu machen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen. – Mit diesem Satz traktiert uns des Öfteren Herr Kollege Greilich, der bei diesen Gelegenheiten als Cato der Ältere mit seinem ehernen „Ceterum censeo“ und gleichzeitig als Montesquieu, von dem dieser Satz stammt, auftritt und sich gern als den fleischgewordenen Geist der Gesetze aufspielt.

(Dr. Frank Blechschmidt (FDP): Ein Klassiker!)

Es ist in der Tat ein Klassiker.

Ich möchte jetzt Cato den Älteren weglassen, weil dieser einer von der trostlosen Sorte aus dem alten Rom war.Ich wende mich direkt an den Montesquieu unter uns.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Zuruf des Abg. Pe- ter Beuth (CDU))

Herr Kollege Greilich, wann wäre der von Ihnen zitierte Satz zutreffender und zwingender anzuwenden gewesen als bei dem Gesetzgebungsverfahren, das heute vermutlich zu seinem schlechten Ende kommt?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Koalition, es ist Ihnen im gesamten Verlauf der Beratung dieses Gesetzentwurfs zu keinem Zeitpunkt gelungen, deutlich zu machen, wes

halb dieser Gesetzentwurf zu diesem Zeitpunkt in dieser Form eigentlich notwendig ist.Auch in der Anhörung haben selbst die wenigen gutwilligen Anzuhörenden nicht erkennen lassen, dass sie das Gesetz in Gänze oder einzelne seiner Bestimmungen im Vergleich zu den bestehenden Regelungen für wirklich notwendig und insofern für begründbar halten.

(Holger Bellino (CDU): Selektive Wahrnehmung!)

Das Äußerste, was man selbst von diesen wenigen, die überhaupt noch etwas Gutes an Ihrem Entwurf fanden,zu hören bekam,war:Das kann man so machen.Man kann es aber auch lassen. – Das ist als Begründung für eine Gesetzesvorschrift vor dem Hintergrund des montesquieuschen Satzes eigentlich ein bisschen wenig.

(Beifall bei der SPD)

Dieses „Kann man machen, kann man aber auch lassen“ betraf z. B. die Frage der Zusammensetzung der Kommission. Mein Eindruck ist, dass das einer der Hauptkampfpunkte war. Man könnte fast zu der Auffassung kommen, dass es der wahre Grund für dieses Gesetz zu diesem Zeitpunkt war, dass die Gesetzesnovelle vom vergangenen Jahr, nach der der Kommission keine Mitglieder des Landtags mehr angehören, für einige von Ihnen doch eine tiefe Kränkung gewesen sein muss, für die jetzt Revanche genommen werden musste.

Natürlich kann man über die Frage, ob mit oder ohne MdLs, unterschiedlicher Auffassung sein. Dies allein ist aber noch kein vernünftiger Grund für ein Gesetzgebungsverfahren.Entscheidend ist vielmehr,dass die Kommission in ihrer gegenwärtigen Zusammensetzung und auf der Basis ihrer gegenwärtigen Geschäftsgrundlage gute Arbeit geleistet hat, dass sie bei ihren Entscheidungen in der Regel eine hohe Übereinstimmung erzielt hat und dass der Innenminister diesen Entscheidungen deshalb in den allermeisten Fällen, nämlich in 23 von 26 Fällen, gefolgt ist. Das ergibt sich aus der Antwort auf den Dringlichen Berichtsantrag der SPD zur Arbeit der bestehenden Härtefallkommission. Das zeigt, dass es überhaupt keinen vernünftigen Grund dafür gibt, an der bestehenden Gesetzeslage etwas zu ändern.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Gegensatz zur Situation im vergangenen Jahr. Im vergangenen Jahr ist der unhaltbare und bundesweit einmalige Zustand beseitigt worden, dass der Petitionsausschuss gleichzeitig die Härtefallkommission darstellte. Daher war ein zwingender Grund für die Änderung der Zusammensetzung vorhanden. Dies gilt erst recht, weil durch die veränderte Zusammensetzung der Kommission nunmehr eine vollkommen außer Kontrolle geratene Größe gegeben ist. Sie ist nun fast doppelt so groß wie die nächstgrößere Kommission bundesweit.

In jedem anderen Zusammenhang würden Sie von der Koalition das als eine ebenso unnötige wie vollkommen überzogene Aufblähung bezeichnen. Damit hätten Sie in dem vorliegenden Fall auch vollkommen recht.

Eine ebenso unnötige wie sachwidrige Neuerung ist, dass dem Verfahren der Härtefallkommission zwingend ein abgeschlossenes Petitionsverfahren vorausgehen muss. Auch hierzu sind in der Anhörung zahlreiche Einwände vorgetragen worden, die leider unberücksichtigt geblieben sind.

Jetzt komme ich zur zentralen Frage des Warum und zum zentralen Ansatz unserer Kritik. Diese Änderungen sind

nicht Ausdruck einer gewissen Lust an einer Bürokratisierung von Verfahren. Es ist vielmehr der Geist dieses Gesetzentwurfs, der auch in diesen Regelungen atmet. Dieser Geist ist der Geist einer tief sitzenden Ablehnung eines großzügigen humanitären Aufenthaltsrechts und eines ebenso tiefen Misstrauens gegenüber all denen, die sich als Anwälte von Menschen verstehen,denen kein Anwalt mehr helfen kann.

(Beifall bei der SPD)

Das ist der Grund, weshalb Mitglieder des Landtags, vor allem aber auch zusätzliche Vertreter der Behörden in der Kommission sitzen sollen. Das ist der Grund, weshalb es für positive Entscheide zukünftig einer Zweidrittelmehrheit bedürfen soll. Das ist der Grund für die außerordentlich scharfen Vorprüfungsregelungen und vor allem für die harten und ausnahmslosen Ausschlussgründe, die Sie ursprünglich im Gesetzentwurf stehen hatten und die zum Teil immer noch darin enthalten sind.

(Zuruf des Abg.Wolfgang Greilich (FDP))

Meine Damen und Herren von der Koalition, man fragt sich, was Sie eigentlich geritten hat, als Sie diese ursprünglichen Formulierungen in den Gesetzentwurf geschrieben haben. Diese standen in Widerspruch zu dem, was der Bundesgesetzgeber wollte, als er die Möglichkeit des Härtefalls einführte und damit genau eine am einzelnen Schicksal orientierte und humanitäre Lösung für sonst nicht mehr regelbare Fälle einführte.

Genau das wurde durch die ursprünglich vorgesehenen Ausschlussgründe und das ursprüngliche Vorprüfungsverfahren ausschließlich durch die Geschäftsstelle konterkariert. Genau deshalb sind Ihnen im Laufe der Anhörung an diesem Punkt die Brocken derartig um die Ohren geflogen,dass Ihnen nichts anderes mehr übrig blieb,als dies zu korrigieren. Diese Korrekturen sind also keine humanitären oder liberalen Wohltaten, sondern das Minimum, was man von einer Härtefallregelung erwarten muss, die ihren Namen auch nur einigermaßen verdienen soll.

(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, Sie haben einige Änderungen vorgenommen. Dies betrifft die Frage der Ausschlussgründe bei Straffälligkeit, die jetzt zu einem Regelausschlussgrund gemacht worden sind, die aber weiterhin rechtlich problematisch sind, da mit einer Geldstrafe ab 180 Tagessätzen oder einer Freiheitsstrafe ein regelmäßiger Ausschlussgrund etabliert wird, der im Widerspruch zu den Ausweisungsgründen des Aufenthaltsgesetzes steht, sodass das eigentlich humanitäre Einzelverfahren engherziger als das eigentliche Gesetz ist.

Sie haben – das muss man anerkennen – das Zuwiderhandeln gegen Mitwirkungspflichten gestrichen. Aus dem Kreis der Flüchtlingshilfeorganisationen sind so viele Beispiele aus der Praxis vorgetragen worden, dass Ihnen nichts anderes übrig blieb.

Schließlich haben Sie die Vorprüfungskompetenz wieder auf den Vorprüfungsausschuss zurückübertragen.

Was Sie leider nicht geändert haben – auch das ist Ausdruck der Engherzigkeit des gesamten Gesetzentwurfs –, ist die Vorschrift, wonach ein Versagungsgrund vorliegt, wenn die betreffende Person ihren Lebensunterhalt nicht selbst sichern kann bzw. ein Einverständnis der zuständigen Behörden oder eine Verpflichtungserklärung Dritter nicht vorliegt.

Hier wird eine mögliche humanitäre Lösung von finanziellen Erwägungen abhängig gemacht, obwohl diese Situation in nur drei der 26 Fälle vorlag,in denen der Innenminister der Empfehlung nicht gefolgt ist. Es ist deswegen sehr bedauerlich, dass Sie den Antrag auf Einrichtung eines Härtefallfonds, den wir in den Haushaltsberatungen gestellt haben, abgelehnt haben.

(Beifall bei der SPD)

Ich komme zum Schluss. Der Geist dieses Gesetzes ist kleinlich,engherzig und bürokratisch.Deshalb möchte ich auf Montesquieu zurückkommen und sagen: Es ist nicht notwendig, dieses Gesetz zu machen, deshalb ist es notwendig, dieses Gesetz nicht zu machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LIN- KEN)

Schönen Dank, Herr Kollege Merz. – Für die CDU-Fraktion spricht nun Herr Bellino.

Herr Präsident, meine sehr geehrten Damen und Herren! Die aktuelle Diskussion über die Neuordnung der Härtefallkommission zeigt, dass wir mit unseren damaligen Änderungsvorschlägen den richtigen Weg eingeschlagen haben. Die Diskussion zeigt auch – da nehme ich Bezug auf den Vorredner von der FDP-Fraktion –, dass wir aus der Anhörung, aber auch aus vielen Hintergrundgesprächen, die wir ergebnisoffen geführt haben, Erkenntnisse gezogen und diese nicht nur zur Kenntnis genommen, sondern aufgenommen haben. Deshalb haben wir zwei wesentliche Änderungsvorschläge in den Gesetzentwurf eingearbeitet – Änderungsvorschläge, die begründete und unbegründete Sorgen nehmen oder abbauen sollen; denn wir nehmen jeden ernst, der sich mit Härtefällen auseinandersetzt, der sich um diese Menschen kümmert. Klar ist aber auch, dass wir mit dem neuen Härtfallkommissionsgesetz deutlich machen, dass straffällig gewordene Antragsteller und Menschen, die über Jahre und Jahrzehnte vorsätzlich getrickst und getäuscht haben, nicht belohnt werden dürfen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Dies gebietet der Respekt vor den hier lebenden Steuerzahlern und Bürgern genauso wie der Respekt vor den Asylbewerbern, die nach entsprechenden „Niederlagen“ vor Gerichten bzw. nach negativ ausgefallenen Bescheiden freiwillig ausgereist sind. Diese Auffassung habe ich in den allermeisten Redebeiträgen hier, in den Ausschüssen und anderswo nicht gehört.

(Zuruf der Abg. Mürvet Öztürk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Das darf man nicht vergessen;denn wir haben es nicht nur mit Menschen zu tun – das ist die andere Seite der Medaille –, bei denen ein konkreter Härtefall gesundheitlicher oder anderer Art vorliegt, sondern sehr häufig auch mit Menschen, die seit vielen Jahren illegal in Deutschland sind, die teilweise durch Trickserei und Täuscherei ihre Ausreise hinausgezögert haben.

(Beifall bei der CDU – Zuruf des Abg. Willi van Ooyen (DIE LINKE))