Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Die Islamisierung ist nicht nur eine reale Gefahr,sie ist sogar Programm. Es gibt in arabischen Staaten starke Kräfte, die eine Reconquista im Sinne haben und auch stark demografisch argumentieren. Noch haben wir viele Muslime, die zur Integration bereit sind. Aber mit jedem Jahr, das verstreicht, wird es schwieriger, weil die muslimischen Gemeinschaften rasant wachsen,während wir gleichzeitig immer nur älter, schwächer, ängstlicher, unsicherer werden, unfähig, zu sagen, wer wir sind.

Das sind die Worte Frank Schirrmachers, der im Jahr 2006 den Ludwig-Börne-Preis erhielt. Ich frage mich, ob das zusammenpasst: Da geht es erst um Hans Magnus Enzensberger, Rudolf Augstein und dann um Frank Schirrmacher, der diese Aussage getroffen hat.

Seit dem 11. September 2001 ist eine differenzierte Sichtweise kaum noch möglich. Bestehe ich darauf, Nuancen wahrzunehmen, oder weigere ich mich, einem Menschen mit einem bestimmten Glauben nicht zuzutrauen, sich von bestimmten Haltungen oder Traditionen seiner Glaubensbrüder distanzieren zu können, werde ich als naiver Gutmensch oder als Multikultianhängerin abgetan.

Wer übrigens angesichts des Minarett-Verbots erneut etwas tut, ist Ramazan Kuruyüz, der Vorsitzende der Islamischen Religionsgemeinschaft Hessen, dem ich für seine Weitsichtigkeit sehr dankbar bin. Er hat am 3. Dezember 2009 einen offenen Brief geschrieben. Ich bitte Sie alle, ihn zu lesen. Ich finde ihn sehr wertvoll.

Was ist zu tun? – Wir müssen den Inhalt der jährlich erscheinenden Heitmeyer-Studie zur Kenntnis nehmen. Demnach gibt es eine gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit in der deutschen Gesellschaft. Gemeint ist, dass ein Mensch, der etwas gegen Schwule hat, auch zu Fremdenfeindlichkeit oder zur Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen oder von Langzeitarbeitslosen neigt.

Eigentlich müssten die jährlichen Berichte des Heitmeyer-Teams auch die verantwortlichen Politiker interessieren. Heitmeyer sagt, bei der CDU habe es wenig Interesse gegeben. Das fängt bei Frau Merkel an, die sieben Wochen brauchte, um ihr Bedauern über den Tod von Marwa El-Sherbini auszudrücken. Das geht über Roland Koch, der ein völlig überflüssiges Burkaverbot an hessischen Schulen verlangt hat. Er hat die jugendlichen Straftäter mit Migrationshintergrund für seinen Wahlkampf auszunutzen versucht. Das geht bis hin zur Familienministerin Köhler, die in einer Sendung des Magazins „Panorama“ der ARD im Jahre 2008 sagte – ich zitiere mit Ihrer Erlaubnis –: Es sei ja nicht zufällig,

dass sich ein Täter mit Migrationshintergrund ein deutsches Opfer sucht, sondern dass er sich gezielt ein deutsches Opfer sucht, weil es eben ein Deutscher ist und weil er die Deutschen für „ScheißDeutsche“, für „Schweinefleischfresser“ oder für Ähnliches hält und eben deswegen diesem Opfer Gewalt antut.

Zumindest in den Reihen der CDU gibt es eine sehr ungute Tradition ausgeprägter Fremdenfeindlichkeit.Es gibt auch die eben genannte Bereitschaft zur Diskriminierung, speziell der muslimischen Minderheiten. Herr Irmer, den „Wetzlar Kurier“ werde ich nicht zitieren.

Frau Cárdenas, Sie müssen zum Schluss Ihrer Rede kommen.

Okay. – Was ist zu tun?

(Holger Bellino (CDU): Sie hätte zum Thema sprechen sollen!)

Die Politik darf die Ängste der Bevölkerung nicht instrumentalisieren. Sie muss sich nach außen hin für Gleichstellung und Gleichberechtigung, also auch für das Recht auf einen islamischen Religionsunterricht und für ein Leben in Würde in zwei Kulturen und damit gegen den Optionszwang und für die Aufhebung des Kopftuchverbots positionieren, das einem praktischen Berufsverbot für manche Frauen in den Schulen gleichkommt.

Ich wünsche mir, dass wir über all diese Fragen im Parlament ausführlicher in das Gespräch kommen.Das kann in der Enquetekommission oder hier im Parlament geschehen. Jeder sollte seine Verantwortung anerkennen. – Ich bedanke mich.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Daniel May (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Frau Cárdenas, vielen Dank. – Für die Landesregierung spricht jetzt Herr Staatsminister Hahn.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ich gebe zu:Ich war an dem Sonntagabend vor nicht ganz 14 Tagen über das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz überrascht. – Ich gebe zu: Ich habe ein Abstimmungsergebnis in dieser Höhe nicht erwartet. Ich habe das bedauert.

Ich glaube, wir alle wären klug beraten, wenn wir uns mit dem Ergebnis ernsthaft und ergebnisoffen auseinandersetzen würden, wenn wir erfahren und erkennen würden, dass die Schweizer Bevölkerung ganz offensichtlich damit entsprechende Ängste artikuliert hat. Ich glaube, wir wären klug beraten, wenn wir daraus sowohl für die Art der Auseinandersetzung als auch für die praktische politische Arbeit Konsequenzen ziehen würden.

(Beifall bei der FDP und der Abg. Karin Wolff (CDU))

Ich will mich jetzt nicht mit der Frage auseinandersetzen: Plebiszite, ja oder nein? – Namens der Landesregierung will ich nur darauf hinweisen, dass diejenigen, die sich am lautesten für eine Einführung oder Ausweitung plebiszitärer Elemente aussprechen, gerade diejenigen sind, die sich jetzt am intensivsten polemisch mit dem Ergebnis des Plebiszits in der Schweiz auseinandersetzen. Das wollte ich einmal zu Protokoll geben.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Wir müssen darüber hinaus keine Bedenken haben, dass ein entsprechendes Plebiszit,wenn es denn rechtlich überhaupt möglich wäre, in Deutschland überhaupt durchgeführt werden könnte. Ich glaube, es ist in diesem Hause eindeutig Konsens, dass die Religionsfreiheit nach dem Grundgesetz beinhaltet, dass es ein verfassungsrechtlich verbrieftes Recht gibt, dass man entsprechende Gotteshäuser auch mit den entsprechenden Symbolen bauen darf.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der SPD)

Das ist in unserem Land unstreitig. Darauf sind wir alle gemeinsam stolz.

Wir sollten aber, bitte schön, nicht den Fehler begehen, daraus die Schlussfolgerung zu ziehen, dass es beim Bau von Moscheen – das gilt im Übrigen auch beim Bau von Synagogen und beim Bau von Kirchen – keine Rechte minderer Art zu beachten gebe. Zum Beispiel haben wir das Abwägungsgebot aus dem Baurecht zu beachten. Das ist eines der Themen – ich sage das sehr bewusst –, das gerade in der Diskussion z. B. in München oder in der Nähe von Berlin eine wichtige Rolle beim Moscheebau gespielt hat.

Ich möchte das ein bisschen von der so hohen ethischen Ebene auf die ganz praktische Ebene herunterholen.Dort

diskutiert man gerade, ob eine Moschee gebaut werden kann, weil zu wenige Parkplätze zur Verfügung stehen.

Ich habe auf dieses Beispiel bewusst hingewiesen, weil es so scheinbar profan ist. Auf der anderen Seite macht es aber deutlich, dass es auch in unserem Land ein Abwägungsgebot gibt. Da geht es um das Baurecht und das Bauplanungsrecht. Das wird von unseren Behörden gemacht.

Ich bedanke mich bei all denjenigen, die sich in Hausen in den letzten drei Jahren damit auseinandergesetzt haben, einen Kompromiss zu finden, und zwar sowohl einen gesellschaftlichen wie auch einen baurechtlichen. Viele von uns und auch ich waren bei der Grundsteinlegung der Moschee in Hausen anwesend. Frau Kollegin Öztürk hat das angesprochen.

Neben all diesen rechtlichen Belangen sind wir, glaube ich, gut beraten, uns dem Ergebnis dieser Entscheidung etwas intensiver und vorurteilsfreier zu widmen. Ist es klug, von einem schändlichen Ergebnis zu sprechen? Ich glaube, das ist nicht klug.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Das zeigt nämlich, dass man nicht ergebnisoffen herangeht, sondern wieder einmal mit denselben Scheuklappen,die mit Ursache dafür sind,dass es in der Gesellschaft so viele Ängste gibt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir können doch die Angst nicht damit auflösen, dass wir deren Ursachen tabuisieren oder dass wir das als schändlich beschreiben.Wir müssen uns auf die Menschen zubewegen.Wir müssen uns mit ihnen unterhalten.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wir müssen Ängste abbauen. Wir müssen Vorurteile abbauen.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Sehr gut! – Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das tut man nur dadurch, indem man eine vorurteilsfreie Debatte führt und nicht eine derartige Bewertung abgibt, wie sie Ihr Kollege Merz, Herr Schäfer-Gümbel, eben von diesem Pult aus abgegeben hat.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Herr Minister, die Redezeit der Fraktionen ist erreicht.

Vielen Dank. Noch zwei Sätze.

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Frage ist, ob ergebnisoffen!)

Ich habe mich schon darüber gewundert, wie wir alle gemeinsam – nicht alle – die Debatte über die Äußerung von Herrn Sarazzin geführt haben. Meine sehr verehrten Damen und Herren, damit Sie mich richtig verstehen: Ich halte viele Äußerungen von Herrn Sarazzin für sehr polemisch, und zwar im doppelten Sinne des Wortes.Wie aber die geballte Macht darüber hergefallen ist, wohl wissend,

dass es entsprechende Fragen in der Gesellschaft gibt, das sollten wir nicht mehr tun, sondern wir sollten uns offen mit den Gründen der Ängste auseinandersetzen,

(Zurufe von der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

und das im Geiste der Toleranz, die unser Zusammenleben in Deutschland bestimmt. – Vielen herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Schönen Dank, Herr Staatsminister Hahn.

(Wortmeldung des Abg. Gerhard Merz (SPD))

Nein, die Redezeit ist um. Sie haben die auch ausgeschöpft. Die Geschäftsordnung sieht das nicht vor, tut mir leid, Herr Merz.

Wir sind am Ende der Aussprache in der Aktuellen Stunde auf Antrag der Fraktion der FDP betreffend Minarett-Verbot mit dem Grundgesetz unvereinbar usw. Es ist vorgesehen, dass wir jetzt abstimmen.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): In den Ausschuss!)