Protokoll der Sitzung vom 10.12.2009

Wenn man dieses Prinzip anerkennt, dann generell. Wir sollten uns aber gar nicht so lange bei formalen Aspekten aufhalten, sondern einmal die Frage erörtern, wie ein solches Votum, wie wir es in der Schweiz erlebt haben, in Deutschland ausgefallen wäre. Noch viel interessanter ist die Frage, wie und warum solche Voten zustande kommen.

Es ist ganz interessant – neben dem Ergebnis, über das ich noch sprechen will –, dass es in der Schweiz eine große Kluft zwischen dem Ergebnis der Befragungen vor der Entscheidung und dem Ergebnis der Abstimmung gegeben hat. Es gibt offensichtlich so etwas wie eine Schweigespirale, die zeigt, dass wir sehr weit davon entfernt sind, die Diskussion über unser Verhältnis zum Islam in allen Fällen sehr offen und ehrlich zu führen. Da reichen deklamatorische Bekenntnisse zur Religionsfreiheit, die jeder hier im Hause unterstreichen kann, nicht.

Die Frage ist vielmehr: Wie entstehen solche Vorbehalte, Ängste und großen Bedenken? Viele gehen davon aus, dass das generell dann der Fall ist,wenn verschiedene Kulturen und Religionen aufeinandertreffen. Ich glaube, wir sollten plebiszitäre Elemente nicht beschimpfen, wenn uns ihre Ergebnisse nicht passen, sondern wir sollten die Frage stellen, wie es zu diesem Ergebnis gekommen ist, und wir sollten die Gefühle der Betroffenen sehr, sehr ernst nehmen. Integration kann nämlich am Ende nicht gelingen, wenn wir die bei vielen Menschen offenbar bestehenden Ängste nicht auch in unsere Diskussion aufnehmen.

Ob man das gut oder nicht gut findet, Minarette sind offensichtlich für viele Menschen ein Symbol für eine Bedrohung. Jetzt kann man fragen:Woher kommt das? Es ist sehr interessant, dass eine Frau, die sich in den Niederlanden wegen Morddrohungen vor Islamisten verstecken muss,Ayaan Hirsi Ali,versucht hat,das zu analysieren.Ich finde diese Analyse ungeheuer klug, weil sie auf einen wichtigen Kernpunkt der Ablehnung des Baus von Minaretten in der Schweiz eingeht. Sie sagt, es geht eigentlich nicht um die religiöse Dimension, sondern es geht um die

politische Auseinandersetzung,um die politische Seite des Islams.

Meine Damen und Herren, wir sollten hier nicht drum herumreden: Natürlich gibt es konkrete Anlässe für Gefühle von Bedrohung. Es ist doch unbestritten, dass die Terroristen des 11. September 2001 aus einem islamistischen Umfeld gekommen sind. Wahr ist auch, dass islamistische Gewalttäter häufig aus dem Umfeld bestimmter Moscheen und Hassprediger kommen. Deswegen ist es wohl überflüssig, zu sagen, dass nicht jeder, der sich gegen diese Gefahren wehrt und sie beim Namen nennt, ein Rassist oder ein Gegner der Religionsfreiheit ist.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Es sagt sich leicht, aber es ist wahr: Integration ist keine Einbahnstraße, und sie setzt auf beiden Seiten die Bereitschaft zur Integration voraus.

Ich will ein positives Beispiel nennen.Wir sind in der Vorweihnachtszeit; daher finde ich es notwendig. Dafür brauchen wir nicht weit zu gehen. In Mainz-Kostheim, einem Stadtteil von Wiesbaden, hat der islamische Kulturverein auf den Bau eines Minaretts verzichtet.Unglaublich überzeugend, wie ich finde, ist die Begründung, die die Mehrheit der Mitglieder des islamischen Kulturvereins gegeben hat:Wir wollten der Stadt und den Nichtmuslimen ein Stück von dem Vertrauen zurückgeben, das sie uns beim Bau unserer Moschee entgegengebracht haben.

(Beifall bei der CDU)

Ich glaube, das ist ein wesentliches Element: gegenseitiges Vertrauen, der Versuch, den anderen zu verstehen. Deswegen ist auch die von uns allen beschlossene Enquetekommission „Migration und Integration in Hessen“ der richtige Weg. Deswegen ist auch die auf Bundesebene stattfindende Islamkonferenz der richtige Weg.

Herr Dr. Müller, Sie müssen zum Schluss kommen.

Das passt gut. Ich habe noch einen Satz. – Ich glaube, es gibt eine einzige Lösung: eine zukunftsweisende Integrationspolitik, wie sie in Hessen mindestens seit 1999 praktiziert wird, sowie die Fortsetzung des interkulturellen und interreligiösen Dialogs. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Lachen bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Janine Wiss- ler (DIE LINKE):Vor allem in Wahlkampfzeiten!)

Danke sehr, Herr Dr. Müller. – Ich darf Frau Öztürk für die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Wort erteilen.

Sehr verehrter Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Dr. Müller, genau dieses Thema eignet sich nicht dafür, dass man damit beginnt, Lobreden auf die eigene Integrationspolitik zu halten. Es ist ein viel

zu sensibles Thema. Instrumentalisieren Sie es nicht, und lassen Sie uns lieber sachlich darüber diskutieren.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Noch im Mai dieses Jahres haben wir gemeinsam 60 Jahre Grundgesetz gefeiert. Wir haben gefeiert, dass die Väter und Mütter des Grundgesetzes weitsichtig genug waren, das Grundgesetz genau so zu schaffen, wie sie eben geschaffen haben.An dieser Stelle darf ich – bestimmt in unser aller Namen – festhalten: Das Grundgesetz gilt ohne Wenn und Aber.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gemeinsam haben wir auch konstatiert, dass im Grundgesetz die Religionsfreiheit verankert ist – in Art. 4 verbrieft –, dass Religionsfreiheit mit der Religionsausübung verbunden ist und dass zu dieser Religionsausübung auch gehört, dass Gotteshäuser oder Gebetshäuser, also Moscheen, Kirchen, Synagogen und Tempel, gebaut werden, in denen die Religion praktiziert wird.

Ich glaube, hier haben wir einen Konsens. Wenn wir uns auf dieser Grundlage bewegen und dann versuchen, die Sorgen der Menschen wirklich ernst zu nehmen, müssen wir bestimmte Handlungsempfehlungen daraus ableiten. Welche wären das?

Für uns GRÜNE bedeutet das, dass man einerseits die Demokratie bewahrt und die Rechtsstaatlichkeit stärkt und dass man andererseits dort, wo Menschen verschiedener Religionen und Kulturen zusammenkommen und unter Umständen in Konflikte miteinander geraten, diese erst einmal versachtlicht und differenziert betrachtet. Es bedeutet, dass die Auseinandersetzungen auf der Basis eines ganz konkreten Wissens und ganz konkreter Kenntnisse geführt werden, aber nicht aus dem Bauch heraus. Dafür ist das immer viel zu wichtig. Davor möchten wir GRÜNE warnen. Lassen Sie uns in dieser Debatte sachlich bleiben.

Wir haben auch festgestellt, dass der Bau von Moscheen in Deutschland kein Streitpunkt ist.Die Entscheidung der Schweizer gibt mir höchstens das Gefühl, dass man darüber reden sollte, wie Moscheen in Deutschland gebaut werden. Auch da kann ich Sie beruhigen: In der muslimischen Gemeinde gibt es seit Jahren einen sehr intensiven fachlichen Diskurs darüber, wie man neue Bauformen entwickelt,wie man neuen architektonischen Ansprüchen gerecht wird und ob ein Minarett sein muss oder nicht. Über diese Fragen wird schon längst diskutiert. Tun Sie nicht so, als ob Sie erst einen Anstoß dazu geben müssten. Akzeptieren Sie vielmehr den Sachstand der Diskussion.

(Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Das war doch ein sehr sachlicher Beitrag von Herrn Dr. Müller!)

Friedlich gelöste Konflikte – das möchte ich noch einmal betonen – bereichern eine Gesellschaft. Das haben wir in Hausen festgestellt. Man hatte dort unterschiedliche Vorstellungen von Gotteshäusern.Man hat die Diskussion bis ins letzte Detail geführt. Manchmal war es auch eine sehr heftige Diskussion, ein sehr heftiger Streit. Aber im Endeffekt können wir sagen, man hat dort einen Konflikt friedlich bewältigt und einen gemeinsamen Weg gefunden, mit dem auch die Nachbarschaft zufrieden ist. Das ist schön, und das möchte ich heute hier festhalten.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD)

Wenn wir den Leuten wirklich helfen und die Ängste oder Sorgen zerstreuen wollen, müssen wir in den Kommunen eine stärkere Unterstützung leisten. Wir müssen dort, wo die Bauanträge gestellt werden, wo die Menschen leben, wo die Auseinandersetzungen stattfinden und wo es zu Begegnungen kommt, noch viel intensiver einen moderierenden, unterstützenden Dialog anbieten. Dort können wir initiativ sein.

Dafür möchte ich ein Beispiel nennen. Die Stadt Frankfurt hat nach diesem Konflikt beschlossen, einen Rat der Religionen zu schaffen. In diesem Rat der Religionen sitzen die Vertreter aller Religionsgemeinschaften und diskutieren über konkrete Fragen. Das sind Schritte, die dem Ganzen dienen und die das Ganze voranbringen.

Äußerungen wie die des Herrn Bosbach, der das Minarett-Verbot in der Schweiz zum Anlass nimmt, um wieder einmal auf die Sorgen der Leute in Deutschland hinzuweisen, sind nicht sehr hilfreich. Das Thema wird nicht tabuisiert. Sie versuchen nur immer, es zu instrumentalisieren.Aber das lassen wir nicht zu.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie den Kommunen Handlungsempfehlungen geben wollen: Es gibt Standardwerke, z. B. das Buch der Herbert Quandt-Stiftung, in denen man nachlesen kann, und dann wird man feststellen, dass es in Deutschland schon seit Jahrhunderten Moscheen gibt.Das ist also nicht die erste Moschee, die hier in Deutschland gebaut wird, und es wird auch nicht die letzte sein.

Für mich ist es wichtig, festzuhalten, was der Kern dieses Konflikts ist. Ich glaube, dass wir irgendwann eine Debatte über die Werte führen müssen. Wir müssen auch irgendwann eine Debatte darüber führen, wie viel Religion in einer säkularen Gesellschaft erlaubt ist und wie viel Religion säkulare Menschen in der Öffentlichkeit haben wollen. Diese Diskussion ist aber unabhängig vom Islam. Diese Diskussion betrifft das Spannungsfeld zwischen Religion und einem säkularen Staat. Darauf müssen wir alle eingestellt sein.Aber dann lassen Sie uns bitte zum Punkt kommen und genau über dieses Thema reden.

Ich komme zum Schluss: Das Grundgesetz bleibt für uns alle unantastbar. Ich möchte meine Ausführungen mit einer Weisheit des Imams Ali schließen, der sagt:

Es gibt keinen Reichtum wie Verstand und keine Armut wie Unwissenheit,keine Erbschaft wie gutes Benehmen und keinen Helfer wie Beratung.

In dem Sinne bedanke ich mich für Ihre Aufmerksamkeit. Ich denke, dass wir in Zukunft eher durch Beratung weiterkommen sollten statt durch das Schüren von irgendwelchen Ängsten. – Herzlichen Dank.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Danke, Frau Öztürk. – Ich darf Frau Cárdenas für die Fraktion DIE LINKE das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren! Selten ist es mir so schwer gefallen, eine Rede zu schreiben, bei der ich die Redezeit von fünf Minuten nicht überschreiten darf. Diesem Thema kann man nicht mit Schlagwörtern gerecht werden, wozu eine Aktuelle Stande aber verführt.

Heute muss unsere klare Botschaft sein: Grund- und Menschenrechte wie die Religionsfreiheit können durch einen Volksentscheid nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden. Sie dürfen noch nicht einmal zur Volksabstimmung gestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Jeder politisch interessiert Mensch wird aber auch wissen, dass das Thema Minarette schon seit Langem politisch instrumentalisiert wird. Das ist nicht nur in der Schweiz so. So hat die Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE zum Thema „Antimuslimischer Rassismus und Rechtsextremismus“ geantwortet – Herr Präsident, mit Ihrer Erlaubnis zitiere ich –:

Das Thema „Moscheenneubauten“ wird in der rechtsextremistischen Szene als Aufhänger genutzt, um Angst vor Islamisierung und damit generell vor Überfremdung zu schüren.

Wir erinnern uns an das Frankfurter Beispiel. Da ging es um den Bau einer Großmoschee in Frankfurt-Hausen. Wir erinnern uns auch daran, dass die NPD, die lange vergeblich hoffte, mit den Islamisten gemeinsam antisemitische Sache machen zu können, seit dem Jahr 2005 versucht, in den bundesdeutschen Städten Märsche durch islamische Wohngebiete zu organisieren.Wir von den LINKEN sind immer die Ersten,die das vor Ort zu verhindern versuchen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wichtig ist auch die Aussage des Herrn Jürgen Micksch, dem Vorsitzenden des Interkulturellen Rats in Deutschland, zu unserem Thema. Ich zitiere:

Diese Herabwürdigung von Muslimen und die Bereitschaft zu ihrer Diskriminierung wird als antimuslimischer Rassismus definiert.

Klingt da nicht das an, was wir von Bertolt Brecht kennen?

Es ist fruchtbar noch der Schoß, aus dem das kroch.

Zum Beleg möchte ich noch ein Zitat aus der Mitte der Gesellschaft anführen:

Die Islamisierung ist nicht nur eine reale Gefahr,sie ist sogar Programm. Es gibt in arabischen Staaten starke Kräfte, die eine Reconquista im Sinne haben und auch stark demografisch argumentieren. Noch haben wir viele Muslime, die zur Integration bereit sind. Aber mit jedem Jahr, das verstreicht, wird es schwieriger, weil die muslimischen Gemeinschaften rasant wachsen,während wir gleichzeitig immer nur älter, schwächer, ängstlicher, unsicherer werden, unfähig, zu sagen, wer wir sind.