Protokoll der Sitzung vom 28.01.2010

Sie lassen sich ihr tief sitzendes Ressentiment nicht durch die außerordentliche Vielfalt muslimischer Realität kaputt machen.

(Abg. Norbert Kartmann (CDU): Es waren auch viele andere!)

Es wäre aber kaum jemand geeigneter gewesen, dieses Ressentiment zu erschüttern, als diese bemerkenswerte Lehrerin aus Kenia,die sich unter Einsatz des eigenen Lebens für Frieden zwischen Menschen unterschiedlichen Glaubens und unterschiedlicher Volkszugehörigkeit einsetzt. Kaum eine Veranstaltung war geeigneter, die bizarren Widersprüche offenkundig zu machen, die sich bei der Behandlung des Themas Islam, Muslime und des Verhältnisses zwischen Nichtmuslimen und Muslimen in der hessischen CDU, in der CDU-Landtagsfraktion und damit auch in der Regierungskoalition dieses Landes auftun.

Zwei führende Repräsentanten der hessischen CDU, der Ministerpräsident und der Landtagspräsident, halten auf

dieser Feier Lobreden auf eine Lehrerin, die wegen ihres Kopftuches wahrscheinlich keine Minute in einer hessischen Schule unterrichten dürfte und die zu der Preisverleihung in eben jenem Gewand erscheint, das derselbe Ministerpräsident vor der Landtagswahl 2008 noch verbieten lassen wollte. Sie halten Lobreden auf eine Frau, die, wenn sie bei uns in Hessen lebte, dem Kollegen Irmer als die Inkarnation der islamischen Bedrohung durch Parallelgesellschaften erscheinen würde.

(Günter Rudolph (SPD): Unglaublich!)

Herr Irmer, in Ihrem schon zitierten Artikel zitieren Sie zustimmend Necla Kelek, die gesagt hat: „Architektur ist Zeichensprache wie das Kopftuch oder der Tschador.“ – Das mag so sein. Aber sagen Sie uns, sagen Sie mir, welches Zeichen Ihrer Meinung nach Frau Abdi mit ihrem Kopftuch und ihrem Tschador setzen will. Hier steckt ein Widerspruch, wie er grotesker gar nicht sein kann.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es hätte der neuerlichen Ausfälle im „Wetzlar Kurier“ nicht bedurft, um deutlich zu machen, dass die hessische CDU in ihrer Gesamtheit und natürlich insbesondere die CDU-Landtagsfraktion mit ihren Leitkulturwölfen Wagner und Irmer an der Spitze noch einen weiten Weg zurückzulegen haben, bis sie die Realität in diesem Lande anerkennen, das längst ein multikulturelles und multireligiöses Land ist, und bis sie anerkennen, dass der Islam nicht die Nacht ist, in der alle Katzen grau und alle Imame Hassprediger sind, so wenig wie das Christentum gleichzusetzen wäre mit dem Wüten der Heiligen Inquisition oder dem Toben konfessionellen Hasses in Nordirland.

Herr Kollege Irmer, dass Sie diesen Weg nicht mitgehen, geschweige denn, mitgestalten können, es wahrscheinlich gar nicht wollen, auch dazu hätte es eines weiteren Beleges nicht wirklich bedurft. Dass der Kollege Irmer zu den Hardcore-Rechtskonservativen gehört, die in ihren Bedrohungs- und Angstfantasien gefangen und in ihren Feindbildern und Phobien unerschütterlich sind, das wissen wir alle seit Langem.

Es gibt trotzdem drei Gründe, von den neuerlichen Äußerungen etwas Aufhebens zu machen. Der erste liegt in der Sache selbst, von der Herr Irmer diesmal spricht. Wir haben – darauf ist hier schon hingewiesen worden – in der vorletzten Plenarsitzung eine Debatte über das Schweizer Minarettverbot geführt.Wir waren uns im Grunde in dieser Debatte einig, dass das Ergebnis der Volksabstimmung in der Schweiz einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit darstellt.

Herr Irmer, wenn Sie nun unter der Überschrift „Danke, Schweiz“ dies infrage stellen, dann verlassen Sie den so erreichten Konsens.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Das heißt, ein führender Vertreter der hessischen Regierungspartei begrüßt die Einschränkung eines elementaren Grund- und Menschenrechts, der Religionsfreiheit.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Lesen bildet!)

Ein führender Vertreter des Verfassungsorgans Hessischer Landtag begrüßt Ausnahmegesetze gegen eine Religion. Das, meine Damen und Herren, ist ebenso schändlich wie das Ergebnis der Schweizer Volksabstimmung selbst.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Sie haben es nicht gelesen!)

Hier wird unter dem Deckmantel der Verteidigung der Freiheit zumindest gedanklich an der Demontage genau dieser Freiheit gearbeitet.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich komme aufgrund der Kürze der noch zur Verfügung stehenden Zeit zum Schluss. Navid Kermani schreibt in seinem Buch „Wer ist Wir? Deutschland und seine Muslime“ zu dieser Art der Diskussion, zu dieser Art von Kritikern Folgendes:

Selbst wo sie übertrieben oder einseitig ist, hat die islamkritische Populärliteratur der letzten Jahre auf Missstände aufmerksam gemacht, die von der Wissenschaft und der Politik oft ignoriert wurden. Das bleibt ihr Verdienst.Aber zugleich hat sie – manchmal ungewollt, oft genug in voller Absicht – das Beweismaterial geliefert für politische Forderungen, die unsere liberale Gesellschaftsordnung zugrunde richten würden. …

Dass sie sich durchaus glaubwürdig gegen die Vereinnahmung durch Rechtsradikale wehren, ändert nichts daran, dass ihre Thesen, Behauptungen und Diffamierungsmuster bis in die Wortwahl identisch sind.

Herr Kollege Merz, Ihre Redezeit ist abgelaufen. Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Ein letzter Satz, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Irmer, vor falschen Freunden kann man sich nicht immer schützen.Das ist wohl wahr.Vor solchen falschen Freunden wie der NPD muss man sich aber schützen. Man kann es auch, wenn man sich nur zu einer differenzierten Betrachtung der Realität, wie sie den tatsächlichen Verhältnissen und dem Verhältnis zwischen den Religionen in diesem Lande angemessen wäre, bequemen würde. – Herzlichen Dank.

(Lebhafter Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Für die Landesregierung erteile ich nun dem Herrn Minister für Recht und Integration, Herrn Kollegen Hahn, das Wort.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe das Gefühl, dass wir in der Debatte im Dezember schon weiter waren. Ich habe das Gefühl – das hat der Redebeitrag des von mir geschätzten Kollegen Merz eben gezeigt –, dass wir uns nicht in Rosinenpickerei ergehen sollten.

Kollege Merz, ich stehe voll und ganz hinter Ihnen und habe es hier auch deutlich für die Landesregierung geäußert, dass der Bau von Moscheen und Minaretten in

Deutschland grundgesetzlich, im Rahmen der bestehenden Gesetze gewährleistet ist und dass die Hessische Landesregierung alles in ihrer Macht Stehende tun wird, damit dieses Recht auch umgesetzt wird.Das haben Sie richtig zitiert. Das ist eine der Grundlagen.

(Beifall bei der FDP)

Es hat etwas damit zu tun, wie wir in einem liberalen Rechtsstaat mit der Freiheit von Religionen umgehen. Es hat auch etwas damit zu tun, wie wir mit den Symbolen der Religionen umgehen.

Aber allein an diesem Beispiel möchte ich deutlich machen – Frau Kollegin Öztürk hat das in der Debatte im Dezember hervorragend vorgetragen –, dass man sich auch überlegen muss, ob man die Symbole immer traditionell konservativ wählt. Frau Kollegin Öztürk hat deutlich gemacht, dass auch diese Frage von allen an diejenigen, die entsprechende Symbole errichten wollen, gestellt werden darf. Da sind Sie anscheinend schon wieder einen Schritt zurück. Ich möchte wieder auf diesen Schritt hin, meine sehr verehrten Damen und Herren.

Zum Zweiten – hier sollten wir aufpassen, dass uns die Diskussion im Hessischen Landtag zwischen den Fraktionen nicht entgleitet – dürfen wir nicht vergessen, dass wir eine zweite Feststellung getroffen haben, nämlich dass wir die Ängste, die in der Bevölkerung auch in Deutschland vorhanden sind, ernst nehmen,

(Beifall bei der CDU und der FDP)

dass wir uns mit ihnen beschäftigen, dass wir sie nicht diffamieren,

(Demonstrativer Beifall des Abg. Hermann Schaus (DIE LINKE))

sondern dass wir proaktiv auf diese Ängste eingehen. Meine sehr verehrten Damen und Herren, Ängste gibt es bei vielen der Betroffenen und nicht nur berechtigterweise bei den Muslimen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Aber nicht Ängste schüren!)

Darauf – darüber waren wir im Dezember einig – wollten wir eingehen. Heute machen wir das auf einmal nicht mehr.

Damit keinerlei Missverständnis besteht – –

(Zurufe der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE) und von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin, wer sich wie Sie hierhin stellt und einen Kollegen Hassprediger nennt, der sollte, mit Verlaub – das sage ich als Kollege – herausgehen.

(Lebhafter Beifall bei der CDU und der FDP – Ja- nine Wissler (DIE LINKE): Aber Herr Irmer darf andere Leute Hassprediger nennen?)

Ich bin überrascht,dass mein Parlament,dem ich seit 1987 angehöre,es duldet,dass jemand noch im Raum ist,der einen Kollegen Hassprediger nennt, Frau Kollegin Wissler.

(Minister Volker Bouffier: Und noch nicht einmal gerügt wird!)

Wie wagen Sie eigentlich, so in diese Debatte einzugreifen?

Herr Kollege Hahn, auch Sie darf ich bitten, sich hier zu mäßigen, was Unterstellungen im parlamentarischen Raum angeht.

(Lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP)

Meine Damen und Herren, wenn die Landesregierung meint, dem Parlament hier Ratschläge zu geben, wen sie aus dem Raume zitieren soll und wen nicht, darf ich als Präsidentin durchaus darauf hinweisen, dass das nicht in Ordnung ist. – Herr Kollege Hahn, Sie haben das Wort.

(Fortgesetzte lebhafte Zurufe von der CDU und der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Sie sprechen hier für die Regierung, Herr Hahn!)

Ich bin mir sehr sicher, dass alle diejenigen, die diese Debatte jetzt verfolgen, die richtigen Schlüsse ziehen werden.