Protokoll der Sitzung vom 03.03.2010

Nachdem bereits der Ankauf der Daten einer Liechtensteiner Bank im Jahr 2007 für reichlich Aufsehen sorgte, lösten die ähnlichen Bestrebungen zum Erhalten von Informationen über mutmaßliche Steuerstraftaten deutscher Staatsangehöriger in der Schweiz zwiespältige, aber nichtsdestotrotz umso heftigere Reaktionen und Debatten aus. In der deutschen Öffentlichkeit diskutieren Politiker, Juristen und Journalisten über die Rechtmäßigkeit von auf solchem Wege erlangten Daten und insbesondere über die Frage, ob die auf diesem Wege erlangten Daten überhaupt rechtmäßig verwertbar seien.

Hier kann man nach ersten Prüfungen durch das Landgericht Bochum wohl vermuten, dass man am Ende die Daten tatsächlich verwerten kann und die Steuerpflichtigen belangen kann und damit die Datensätze rechtskonform sind. Eine juristische Richtlinie liegt somit vor, das kann man sagen. Aber eine letztliche juristische Überprüfung der Vorgänge hat noch nicht, zumindest nicht höchstinstanzlich, vorgelegen. Insofern sollten wir vorsichtig sein, schon allein deswegen, weil wir aufpassen müssen, dass nicht ganz am Ende, weil einer gegen den Weg klagt, wie der Staat an die Daten herangekommen ist, alle nicht belangt werden können. Das wäre das Schlimmste, was passieren kann,dass man das am Ende noch nicht einmal verwerten darf.

Insofern hat auch das Landgericht in Bochum ganz deutlich gesagt: Man muss den Einzelfall abwägen. – Das ist mir auch in Ihren Wortbeiträgen zu kurz gekommen, wobei ich sagen muss: Sollten auf irgendwelchen Daten die alten SED-Vermögen von damals 1 Milliarde DM drauf

sein, dann wäre ich natürlich froh, wenn wir sie auf welchem Wege auch immer bekommen würden. Aber auch hier gilt die Einzelfallprüfung.

(Thorsten Schäfer-Gümbel (SPD): Da gibt es noch andere Geldbestände, die wir gerne einbringen würden! – Weitere Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Einzelfallabwägung will ich auch durchaus für uns in Anspruch nehmen. Aber ich will eindeutig sagen, auch in Bezug auf das, was Frau Kollegin Erfurth hier gesagt hat – darüber sollten wir uns hier auch parteiübergreifend einig sein; denn in diesem Zusammenhang besitzen wir als Entscheidungsträger die politische Verantwortung,

(Zuruf des Abg. Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN))

einen Moment, Herr Kollege Al-Wazir, diesen Satz sollte sich auch der Kollege Schäfer-Gümbel anhören –: Wir sollten nicht den Anschein entstehen lassen, der Staat würde sich als Hehler verdingen und Anreize für Straftaten schaffen.

Eine Prinzipienpolitik, die Einzelfallentscheidungen außen vor lässt, wäre fatal und würde dazu beitragen, dass ein Markt entsteht, der illegal beschaffte Bankdaten besorgt, deswegen schrittweise die Datensicherheit in diesem Bereich aufhebt und vor allem gesellschaftliche Moral und Werte untergräbt.Wenn man hört, was der Datenschutzbeauftragte sagt: „Grundrechte sind wichtiger als ein Steuersegen; es kann nicht Datenschutz nach Kassenlage betrieben werden“, dann ist das eine Seite der Medaille, die eingehend beleuchtet werden muss.

Wenn wir im Übrigen immer sagen würden, Hauptsache, wir bekommen am Ende immer mehr Geld herein, als wir in den Ankauf der Daten hineingesteckt haben, dann erinnert mich das an die Bierwerbung, die es vor drei oder vier Jahren einmal gab. Dort kommt einer in der Pause beim Fußball in die Umkleidekabine und sagt: „Jungs, ich habe mein Portemonnaie verloren, da waren 800 c drin. Wer es findet, kriegt 50 c.“ – Totenstille in der Umkleidekabine, und dann sagt einer: „Von mir kriegt er 100 c.“ Dann sagt der Nächste: „Von mir kriegt er 200 c.“ Der Übernächste sagt: „Von mir kriegt er 400 c.“

Genau so ist es doch.Wenn wir das jetzt hochziehen würden, wenn wir jeden Preis bezahlen würden, dann würden wir einen illegalen Markt schaffen. Das können wir doch gar nicht wollen.Wir müssen andere Wege versuchen,z.B. ein Doppelbesteuerungsabkommen mit der Schweiz, was bei anderen Ländern auch gelungen ist, wo es auch schwierig war. Das wird im Moment diskutiert, und wir haben große Hoffnung, dass es möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU)

Herr Milde, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Ich lasse sie zu, aber erst gleich. – Ich will hier eindeutig sagen: Ich möchte kein Land von Denunzianten. Das dürfen wir nicht wollen, und das müssen wir verhindern.

(Beifall bei der FDP)

Frau Kollegin Erfurth.

Herr Milde, würden Sie mir zustimmen, dass das Geschäftsmodell der Schweiz nur darauf beruht, dass Menschen aus Deutschland ihr Vermögen ins Ausland transferieren, und dass wir, solange es in der Schweiz kein Zugehen auf ein Doppelbesteuerungsabkommen gibt, alle Möglichkeiten nutzen müssen, um den deutschen Steueranspruch durchzusetzen?

Frau Kollegin Erfurth, ich würde Ihnen im letzten Punkt zustimmen, dass wir alles tun müssen, um die Interessen der deutschen Steuerbürger durchzusetzen. Aber ich will Ihnen in jedem Fall widersprechen, dass das Schweizer Geschäftsmodell ausschließlich darauf beruht, dass sie Steuerbetrüger ins eigene Land bringen. Das würde sicherlich auch dem Bankenstandort Schweiz nicht gerecht werden. Die erbringen viel mehr Leistungen, als nur Steuerbetrüger unterzubringen. Meine Damen und Herren, es wäre auch eine Unverschämtheit, das einem Staat zu unterstellen.

(Zuruf des Abg. Günter Rudolph (SPD))

Wir haben aber immer gesagt – das hat auch der Hinweis des Finanzministers ergeben –, dass auch in Hessen geprüft wird, ob wir Daten übernehmen können.Wir sind da sehr offen. Wir meinen, dass unter dem Strich das Vergehen von Steuersündern eine erhebliche Straftat ist,die wir verfolgen müssen. Es ist auch eine moralische Frage. Ich sage es ganz deutlich, auch ein bisschen ungeschützt in dieser Diskussion um Sozialhilfebetrug:Wer im Land eine solche Debatte über die Frage hat, ob jeder Sozialhilfeempfänger dafür eine Leistung erbringt und ob er Sozialhilfe zu Recht erhält – Sozialhilfebetrug ist auch ein Betrug am Staat –,

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Aber da gibt es kein Bankgeheimnis!)

der braucht die moralische Instanz, indem er auf der anderen Seite sagt:Wer seine Steuern bezahlen kann und sie nicht bezahlen will, der muss genauso verfolgt werden. – Das sind zwei Seiten der gleichen Medaille.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Thorsten Schä- fer-Gümbel (SPD): Das hätte ich gerne BadenWürttemberg erklärt und Herrn Mappus!)

Die prüfen ihren Fall selbst. – Meine Damen und Herren, wir haben einen Antrag eingebracht, den ich hier auch begründet habe,der in den ersten zwei Passagen sehr dem ähnelt, was auch die GRÜNEN beantragt haben. Im dritten Teil hebt er ausdrücklich das hervor, was das Land Hessen gemacht hat, um Steuerstraftätern habhaft zu werden. Denn Sie versuchen in Ihrem Antrag, mit Ihrer Begründung und auch mit dem Untersuchungsausschuss und Ähnlichem, den Eindruck zu erwecken, in Hessen sei die Verfolgung von Einkommensmillionären besonders lasch. Genau das Gegenteil ist der Fall.

Ich darf Ihnen aus der Pressemitteilung Folgendes zitieren.

(Norbert Schmitt (SPD): Das ist ein Hammer! Ausgerechnet die Pressemitteilung!)

Der Finanzamtsvorsteher – ich hoffe, wenigstens vor dem haben Sie noch Respekt, Herr Schmitt – sagt: Gegen den Bundestrend hat Finanzminister Weimar den Finanzämtern durch seine Einstellungspolitik jährlich rund 300 bes

tens ausgebildete Steuerbeamte zusätzlich zur Verfügung gestellt.Damit ist Hessen bundesweit Spitze.– Den Ertrag können wir jedes Jahr an der Höhe der Steuereinnahmen sehen. Wir sind das steuerstärkste Bundesland. Das hat auch etwas mit der gut aufgestellten Finanzverwaltung zu tun.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD)

Das Ganze ist übrigens seit 2000/20001 passiert, nicht etwa vor 1999, also zu der Zeit, als Sie Regierungsverantwortung hatten. Sagen wir es einmal so:Auch damals gab es Einkommensmillionäre. Damals hätten Sie schon all das einführen können,was der amtierende Finanzminister seit 2001 in Hessen erfolgreich eingeführt hat.

(Zurufe von der SPD)

In Hessen liegen rund 800 Selbstanzeigen vor – wahrscheinlich sind in den letzten zwei Tagen noch einige dazugekommen. Bundesweit sind es rund 6.000 Selbstanzeigen. Das zeigt, dass die Kampagne schon einen gewissen Erfolg hatte. Das muss man an der Stelle einmal deutlich sagen. Allerdings bedrücken mich die Beträge ein bisschen, die hier genannt werden. Der Bund schätzte, dass es sich bei den rund 6.000 Fällen um Kapital im Umfang von 500 bis 600 Millionen c handelt. Das wäre – im Durchschnitt – hinterzogenes Kapital von unter 100.000 c.

(Zuruf von dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:Er- trag!)

Nein, ich rede nicht vom Ertrag, sondern von hinterzogenem Kapital. – Wenn das mit 3 % verzinst wird, reden wir über Zinseinnahmen in Höhe von 3.000 c.

Herr Kollege, kommen Sie bitte zum Schluss.

Ich sage das deshalb,weil ich das Gefühl habe – zumindest wenn die Zahlen des Bundes stimmen –, dass sich vor allen Dingen Kleinkriminelle gemeldet haben und die großen Vermögen nicht zurückkommen. Insofern ist die Milliarde der SED immer noch weg.

Ich sage zum Schluss: Wir wägen beide Seiten sehr ordentlich gegeneinander ab. Wir lassen nicht zu, dass Deutschland ein Land von Denunzianten wird, und wir werden auch nicht zulassen, dass Deutschland ein Land wird, in dem es den Menschen leicht gemacht wird, Steuern zu hinterziehen.

(Beifall bei der CDU und bei Abgeordneten der FDP)

Vielen Dank, Herr Milde. Ich nutze das Wortspiel ein letztes Mal: Ich konnte nicht uneingeschränkt Milde walten lassen. Ich musste Sie auf die Redezeit hinweisen. Vielen Dank für Ihren Beitrag. – Herr Al-Wazir zu einer Kurzintervention; Redezeit: zwei Minuten.

(Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):Auch Milde ist endlich!)

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Kollege Milde, ich habe mich zu Wort gemeldet, weil Sie erneut das Wort „Hehlerware“ gebraucht haben. Ich will darauf hinweisen, dass die Schweiz ein Geschäftsmodell betreibt, das darauf angelegt ist – Stichwort: nachrichtenlose Konten, Stichwort: Nummernkonten –, Leute dazu zu ermutigen, die Gesetze zu brechen. Man kann sein Geld bei der UBS anlegen;die hat sogar in Offenbach eine Filiale. Aber warum macht man das nicht hier, sondern fährt dazu in die Schweiz? Weil man einen Grund hat, eine Möglichkeit sucht, seine Steuern zu verkürzen. Wenn die Schweiz die normalen Regeln internationaler Zusammenarbeit befolgen würde,dann wären solche CDs überhaupt nichts wert, denn dann gäbe es einen Austausch. Deshalb muss ich leider sehr deutlich sagen: Das, was die Schweiz bisher betreibt, ist ein asoziales Geschäftsmodell.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, solange dieses Geschäftsmodell so betrieben wird und die normalen Regeln internationaler Zusammenarbeit von der Schweiz nicht befolgt werden, so lange ist das keine „Hehlerware“, die man ankauft, sondern es ist „Notwehr“. Ich drücke es einmal so aus.

(Zurufe von der CDU)

Wenn diese CD dazu beiträgt, dass die Schweiz endlich mitteleuropäisches Recht bei sich einführt, dann wünsche ich mir noch viel mehr solcher CDs, weil das vielleicht dazu führt, dass sich die Schweiz endlich an das Recht hält, das in den EU-Ländern herrscht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Al-Wazir, bitte kommen Sie zum Schluss.

Wenn die oberen 5 % der Gesellschaft weiterhin subventionierte Theater nutzen, öffentliche Schulen und Hochschulen nutzen, unsere Infrastruktur nutzen, die weltweit immer noch mit am besten ist, sich aber ihrer Steuerpflichten entledigen wollen, dann ist das spätrömische Dekadenz. Dagegen muss der Staat mit aller Härte vorgehen. Ich hoffe, an diesem Punkt fängt niemand von der CDU und der FDP hier im Haus an zu wackeln.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Zurufe von der CDU)

Danke, Herr Al-Wazir. – Herr Milde, Sie haben Gelegenheit, zu antworten. Sie haben ebenfalls zwei Minuten Redezeit.

Herr Präsident, meine liebe Kolleginnen und Kollegen! Erstens.Die oberen 5 % der Gesellschaft zahlen fast 60 % der Steuern in Deutschland und tragen somit maßgeblich zum Steueraufkommen bei.