Die Frau Ministerin ist da. Darüber freuen wir uns ganz besonders. – Das Wort hat Frau Kollegin Wissler.
Herr Präsident, meine Damen und Herren! „Entfremdet und entwürdigt ist nicht nur der, der kein Brot hat, sondern auch der, der keinen Anteil an den großen Gütern der Menschheit hat.“ – Die Herren von der FDP haben in
den letzten zwei Tagen die sozialistischen Klassiker für sich entdeckt. Herr Hahn hat heute Morgen Trotzki zitiert. Herr Blechschmidt hat gestern an Rosa Luxemburg erinnert. Deshalb wollte ich an diese Tradition anknüpfen und auch noch einmal Rosa Luxemburg zitieren.
Kultur ist ein öffentliches Gut.Deshalb muss der freie Zugang zu Kultur und kultureller Bildung allen gewährt werden. Zahlreiche Studien unterstreichen den Wert und das Potenzial kultureller Bildung, insbesondere für Kinder und Jugendliche. In der Realität aber wird dieses Potenzial unzureichend ausgeschöpft. Eintrittsgelder sind einer der Gründe dafür. Wir wissen, dass mittlerweile jedes sechste Kind in Deutschland in Armut lebt. Ein Museumsbesuch samt Fahrtkosten ist für viele Familien eine echte Belastung.
Die Enquetekommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages hat in ihrem Bericht geschrieben, welche Voraussetzungen für kulturelle Bildung wichtig sind, nämlich gute Angebote, Breitenwirksamkeit und Kontinuität. Ich darf zitieren: „Die Enquetekommission empfiehlt den jeweiligen Trägern,... den Zugang für Kinder zu Kultur, unter anderem durch einen kostenfreien Eintritt zu öffentlich geförderten Kulturinstitutionen, zu erleichtern.“
Bereits im Bericht „Mittel- bis langfristige Entwicklung der Kulturlandschaft Hessen“ der unabhängigen hessischen Kulturkommission vom Jahr 2002 heißt es über die Situation der hessischen Landesmuseen – ich zitiere: „Alle Häuser haben seit der auch im Sinne des Bürgerrechts auf Kultur kontraproduktiven Anordnungen, Eintrittsgelder erheben zu müssen, ihre alten Besucherzahlen nicht mehr erreichen können.“
Es wird auch darauf verwiesen, dass der verkündete Wegfall der Eintrittsgelder für britische Museen bereits innerhalb von sieben Monaten zu einer Steigerung der Besucherzahlen um 62 % geführt hat. Deshalb wird empfohlen, den Eintritt in die ständigen Museumssammlungen wieder aufzuheben, und – ich darf zitieren –: „Die fehlenden Einnahmen müssten den Museen wenigstens übergangsweise... im Etat ausgeglichen werden, doch handelt es sich um vergleichsweise geringe Summen...“
Das halten wir für sinnvoll. Ein erster Schritt wäre der kostenfreie Eintritt für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahren. Im November hat der Sächsische Landtag auf Antrag der dortigen schwarz-gelben Regierung beschlossen, Kindern und Jugendlichen den freien Eintritt in die staatlichen Museen des Freistaates zu gewähren. Im Januar verkündete die zuständige Ministerin in einer Pressemitteilung, der kostenfreie Eintritt für Kinder und Jugendliche sei – Zitat – „ein toller Erfolg“.
Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden besuchten im Dezember 2.000 Kinder und Jugendliche mehr als im Jahr davor. Das rege Interesse zeige, dass die neue Eintrittsregelung ein richtiger und wichtiger Schritt gewesen ist.
Es geht hier nicht um viel Geld. Ich denke, wenn Sachsen sich das leisten kann, dann sollte das auch in Hessen möglich sein. In Kassel erhalten Jugendliche schon jetzt freien Eintritt. Im Landesmuseum Darmstadt ist der Eintritt ab 16 Uhr für alle Besucher kostenlos. Das gilt leider nicht für Sonderausstellungen. Auch bei den vom Land geförderten Museen in kommunaler Trägerschaft denke ich, dass die Regierung tätig werden kann, um eine regionale Ausgewogenheit von Kulturangeboten zu fördern. Even
tuelle Mindereinnahmen müssen aus dem Landeshaushalt kompensiert werden,damit nicht für andere Gruppen wie z. B. Rentner oder Erwerbslose die Eintrittspreise erhöht werden müssen oder es zu Kürzungen beim Personal kommt.
Auch die Theater sind bereits aktiv geworden. Es gibt zahlreiche Ermäßigungen. Am Staatstheater Darmstadt gibt es beispielsweise eine günstige Schülerflatrate für Vorstellungen in den Schulferien.Dann zahlt auch die Begleitperson nur die Hälfte des normalen Eintrittspreises. Studierende der Darmstädter Hochschulen zahlen im Rahmen ihres Semesterbeitrages einen geringen Betrag und erhalten kostenlose Tickets. Auch das hat Erfolg. Mehr junge Menschen gehen ins Theater. Die Zahl ist von 40.000 auf 60.000 gestiegen.Am Staatstheater Wiesbaden gibt es den Jugendtheaterscheck für Schüler, Studierende und Auszubildende bis 30 Jahre.
Hier können mit den Theatern gemeinsam weitere Vereinbarungen getroffen werden, dass beispielsweise festgelegte Kartenkontingente bereitgestellt oder nicht verkaufte Karten einfach einige Tage zuvor kostenlos abgegeben werden. Dazu brauchen wir eine öffentlichkeitswirksame Kampagne mit dem Ziel, mehr Kinder und Jugendliche für Museen und Theater zu begeistern. Der freie Eintritt in staatliche Museen und Theater wäre ein Schritt, um Kinder und Jugendliche am kulturellen Reichtum des Landes zu beteiligen, und es wäre eine Einladung an die Familien.
Ich komme zum Schluss. Der Landesregierung geben wir die Möglichkeit, ihrer vollmundigen Ankündigung im Koalitionsvertrag Taten folgen zu lassen. Die Ankündigung lautete: „Wir werden zur Förderung der kulturellen und musischen Bildung, insbesondere von Kindern und Jugendlichen, eine Vielzahl von Maßnahmen umsetzen.“ Niemand soll das Gefühl haben, dass Kinder in diesem Land keine Lobby haben. – Vielen Dank.
Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Antrag ist gut gemeint.Aber,Frau Kollegin Wissler, dass es keinen direkten Zusammenhang zwischen freiem Eintritt und gutem Besuch gibt, sehen Sie beispielsweise hier im Plenarsaal. Deswegen liegt das Problem vielleicht ein bisschen tiefer.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind uns alle einig,deswegen ist es so schön,zu diesem Antrag sprechen zu können,dass Museen natürlich – ich sage das ganz bewusst auch für Heimatmuseen, weil diese von besonde
ren Kulturtreibenden sehr überheblich und von oben herab betrachtet werden – in ihrer Gesamtheit Lernorte und Bildungseinrichtungen sind, die zum kulturellen und sozialen Bestandteil unserer Gesellschaft gehören. Deswegen ist natürlich jeder Gedanke – auch der Ihre – zu begrüßen, der vor allem Kinder und Jugendliche für den Besuch in Museen gewinnt.Aus diesem Grund ist der unentgeltliche Eintritt in Museen und Theater für diese Gruppe ein – aber eben nur ein – Aspekt, der diesem Ziel dienen kann.
Frau Kollegin Wissler, da Sie sich nicht so für Details interessieren und sich in Ihren Reden auch nicht immer bei Details aufhalten,
will ich mir trotzdem einmal die Praxis anschauen, die in Hessen schon heute existiert, damit man nicht den Eindruck hat, als würden Sie etwas beantragen, was in der kulturpolitischen Diskussion dieses Landes quasi Neuland wäre.
Bis auf einige Ausnahmen variieren in hessischen Museen die Eintrittspreise für Kinder und Jugendliche bereits bis zum heutigen Tag zwischen 50 Cent und 1,75 c,
und in den meisten Museen gibt es für Kinder und Jugendliche vom 4. bis zum 16. Lebensjahr bereits heute kostenlosen Eintritt. Dieses Modell des freien Eintritts wird beispielsweise auch in der Museumslandschaft Hessen Kassel schon lange erfolgreich praktiziert, und es ist nur ein einziger Schritt, aber sicher ein wichtiger, um etwaige Hemmschwellen abzubauen und Kinder und Jugendliche zu Dauerbesuchern und zu Museums- und Theaterfreunden zu machen.
Aber das Problem liegt – ich habe es angedeutet – aus meiner Sicht sehr viel tiefer.Sie haben mit dem Zwischenruf, im Landtag müsste das Programm besser sein, dann kämen mehr Leute, genau den Kern getroffen;
denn Museen als wichtige außerschulische Lernorte können im Prinzip nur dann noch wirklich gestärkt werden, wenn auch insgesamt ein museumsfreundliches Klima herrscht, wobei in diesem Zusammenhang mit Sicherheit neben dem Elternhaus in erster Linie die Schulen eine wichtige Rolle spielen. Entscheidend ist auch, dass wir vermitteln, dass Museen eben nicht mehr diese verstaubten Einrichtungen von früher sind, in denen der Besucher voller Ehrfurcht vor würdigen Exponaten steht, sondern dass Museen weitestgehend – das gilt leider nicht für alle – zu interaktiven, spannenden Lernorten geworden sind, in denen Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes lebt und wo auch Verbindungen zur Gegenwart offenbar werden. Denn mindestens so entscheidend wie der freie Eintritt in Museen und Theater ist die Attraktivität eines jeden einzelnen Museums und Theaters für die Besucher.
Es geht uns selbst so: Wenn mir die Darstellung von Geschichte nichts sagt, wenn sie mich im wahrsten Sinne des Wortes nicht anspricht, werde ich auch durch einen freien Eintritt in ein Museum nicht gelockt werden, weil es mir schlicht uninteressant und lebensfern erscheint. Deswegen werden schon heute in vielen Museen Kinder und Jugendliche ganz gezielt an Kunst und Geschichte herangeführt, natürlich auch – Frau Wissler, das zum Kapita
(Heiterkeit bei der SPD – Mathias Wagner (Tau- nus) und Jürgen Frömmrich (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das sollte man fördern!)
Herr Kollege Müller, könnten Sie sich vor dem Hintergrund Ihres Wunsches nach differenzierter Einlassung zu dem Thema mit dem Gedanken anfreunden, dem von der SPD seit vielen Jahren gestellten Haushaltsantrag zur Förderung der Museumspädagogik im Einzelplan 15 für den Hessischen Museumsverband, der da sehr segensreich arbeitet, beizutreten, um genau diese qualitative Ebene zu erlangen, die Sie in Ihrer wunderbaren Rede jetzt auch zum Ausdruck gebracht haben?
Also abstrakt gesehen, ohne jetzt Ziffern zu nennen, auf jeden Fall. Ich könnte mir vorstellen, dass wir beide als kulturpolitisches Tandem in diesem Lande es nur voranbringen könnten, Herr Siebel.
Ich möchte zum Schluss aber noch auf einen ganz anderen Aspekt eingehen, der, glaube ich, über das Angebot von Museen hinaus gesehen werden muss. Wer schon einmal allein, mit Kindern oder Enkeln im Museum war, weiß, dass es dort neben den Exponaten und diesem Duft der Kultur aus fremden Zeiten noch etwas anderes gibt. Dort gibt es nämlich die Cafeteria und den Kauf von Andenken. Dort kann man Sachbücher oder anderes kaufen; und man kann Speisen verzehren. Oft entsteht in dieser Art und Weise – wir sollten das nicht unterschätzen – ein Dominoeffekt, der die vom Museumsbesuch begeisterten Kinder wiederum dazu bringt, dass sie den zahlenden Eltern und Großeltern eben das zeigen wollen, was sie im Museum gesehen haben.
Unter diesem Gesichtspunkt sage ich: Es ist alles wichtig, was dazu führt, dass wir Kinder und Jugendliche verstärkt in Museen und Theater bringen. Das ist aber kein Selbstzweck. Das Klima muss museumsfreundlich sein, und die Angebote müssen vor allen Dingen – oft auch bei modernem Theater – so sein, dass es nicht abschreckend, sondern anziehend wirkt. – Vielen Dank.