Protokoll der Sitzung vom 04.03.2009

(Heiterkeit bei der FDP)

Damit man das Thema Armut statistisch niemals besiegen kann,hat man klugerweise – wahrscheinlich waren da Statistiker am Werk, denn die sind genauso klug wie Juristen, die sehen zu, dass sie unentbehrlich sind –

(Große Heiterkeit – Zurufe – Mathias Wagner (Taunus) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es spricht der einzige Nichtjurist der FDP-Fraktion! Stehen Sie unter Artenschutz? – Heiterkeit)

den Begriff „relative Armut“ erfunden. Denn nur dann, wenn alle das Gleiche verdienen, gibt es, relativ gesehen, keine Armut mehr. Das ist ein Zustand, den es noch nie gab. Vielleicht gab es in der einen oder anderen Region, historisch gesehen, die Ausnahme, dass alle gleich verdient haben, nämlich in der Regel gar nichts. Das ist aber eher ein Gesellschaftsentwurf der LINKEN. Den lehnen wir ab.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP – Hermann Schaus (DIE LINKE): Das ist nicht unser Entwurf! Völliges Missverständnis!)

Man hat sich für den Begriff „relative Armut“ entschieden, der sich am Medianeinkommen orientiert. Das Modell des Medianeinkommens, das man in der Statistik entwickelt hat und benutzt, halte ich für sehr gut. Es bildet die Realität bedeutend besser ab, als es früher das sogenannte Durchschnittseinkommen getan hat. Das ist eine sehr sinnvolle Überlegung, ein sehr sinnvoller Schritt. Es macht aber auch deutlich, dass wir es bei all den Zahlen in diesem Bericht mit Hilfsgrößen zu tun haben und nur sehr wenig über die persönlichen Schicksale aufgrund von Armut und Not erfahren.

(Beifall bei der FDP – Zuruf der Abg. Petra Fuhr- mann (SPD))

Deshalb drängt sich einem zwangsläufig die Frage auf: Kann ein solcher Bericht tatsächlich ein Bild der Lebenslagen in Deutschland und in Hessen zeichnen? Was nützt ein solcher Bericht den Menschen? Was hat z. B. der Dritte Armuts- und Reichtumsbericht den Menschen in Deutschland konkret Gutes gebracht? Ich meine jetzt nicht die Wissenschaftler, die ihn gemacht haben, die Politiker und politisch Interessierten,die ihn diskutiert haben, oder die Journalisten, die seitenweise darüber geschrieben haben. Ich frage mich: Hat dieser Bericht den Menschen, die arm oder von Armut bedroht sind, wirklich geholfen?

(Janine Wissler (DIE LINKE): Ein Bericht ändert nie etwas! – Dr.Thomas Spies (SPD): Die Diagnose Blinddarmentzündung allein hilft nicht, erst die Operation! Aber dafür muss man eben erst eine Diagnose stellen!)

Zum medizinischen Teil komme ich noch. – Der zuständige Minister Scholz hat erklärt – –

Herr Rock, es wird schwierig, das zu erklären, denn Ihre Redezeit ist zu Ende.

(Heiterkeit)

Dann beeile ich mich. Durch Ihre Zwischenrufe bin ich nicht zum wichtigsten Teil meiner Rede gekommen.

(Große Heiterkeit)

Ich stelle fest, dass der zuständige Minister Scholz zu dem zentralen Teil des Berichts erklärt hat: Der Sozialstaat wirkt. – Scholz sagt also, er habe alles richtig gemacht.

(Dr.Thomas Spies (SPD): Stimmt!)

Ich glaube, Herr Scholz ist Sozialdemokrat. Ich kann das in der Bundesregierung nicht so genau unterscheiden, denn es gibt dort so viele Sozialdemokraten.

(Heiterkeit und Beifall bei der FDP)

Ich komme zum Schluss. Ich muss jetzt ein bisschen springen, möchte aber den medizinischen Teil meiner Rede noch zu Ende bringen. Für uns ist der Grundsatz wichtig, den auch ein guter Arzt verfolgt. Wir wollen nicht die Symptome bekämpfen, sondern die Ursachen. Dabei ist aus unserer Sicht an herausragender Stelle die Bildungs

politik im weitesten Sinn zu nennen. Im Jahr 2004 hatten 20 bis 25 % der Menschen, die in Armut lebten, keine Berufsausbildung.

Herr Rock, Sie müssen jetzt wirklich zum Schluss kommen.

Ich bin beim letzten Satz. – Dies macht noch einmal den engen Zusammenhang von Bildung und Beschäftigung deutlich. Alle, die sich mit dem Thema Armut auseinandergesetzt haben, wissen: Der beste Schutz vor Armut ist immer noch ein Arbeitsplatz. Darum ist sozial, was Arbeit schafft.

(Beifall bei der FDP und bei Abgeordneten der CDU)

Danke schön, Herr Rock. – Herr Bauer, Sie haben für die CDU-Fraktion das Wort.

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Auch in einem relativ reichen Land wie Hessen existiert Armut. Die CDU ist der Auffassung, dass eine Berichterstattung über soziale Kennziffern durchaus sinnvoll sein kann. Daher stehen wir einem Armuts- und Reichtumsbericht prinzipiell nicht ablehnend gegenüber.

(Zurufe von der SPD und der LINKEN)

Nach unserer Auffassung waren bisher – ich habe das auch schon vor einem Jahr gesagt – drei wesentliche Aspekte strittig.

Erstens. Brauchen wir für das Vorhaben tatsächlich ein Gesetzgebungsverfahren? Wir waren schon vor einem Jahr der Auffassung, dass wir dazu – wie übrigens auch die anderen Bundesländer – kein Gesetz benötigen.

(Zurufe der Abg. Petra Fuhrmann (SPD) und Barbara Cárdenas (DIE LINKE))

Zweitens. Welcher Aufwand ist für eine solche Untersuchung angemessen und vertretbar?

Drittens.Wie beurteilen wir den zusätzlichen Erkenntnisgewinn einer solchen Berichterstattung für das politische Handeln?

Auch der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung kommt um die Relativität der Armut nicht herum. Wenn „arm“ ist, wer über weniger als 60 % des durchschnittlichen Haushaltseinkommens verfügt, dann sagt ein solcher Bericht mehr über die Einkommensverteilung im Land aus als über die Armut – eine Armut, die nach solchen Definitionen nicht zu besiegen ist.

Ein solcher Bericht kann trotzdem sinnvoll sein.Wir wollen allerdings – ich hoffe, darin sind wir uns einig – keine Datengräber, sondern eine Grundlage für eine zielgenaue, voraussehende Sozialpolitik schaffen. Dazu kann die Landesssozialberichterstattung fortlaufend und problemorientiert weiterentwickelt werden.

Wir beschäftigen uns nicht erst seit gestern mit der Armutsproblematik und können auch ohne Armutsbericht die Ursachen von Armut benennen. Wir wissen, dass kinderreiche Familien, Alleinerziehende, gering Qualifizierte, Rentner, Migranten und geringfügig Beschäftigte besonders betroffen sind.

Vielleicht ist es Ihnen zu banal: Aber um Armut zu bekämpfen, ist die Schaffung von Arbeitsplätzen – in den heutigen Zeiten vor allem ihre Sicherung – grundsätzlich der erste und wichtigste Schritt.

(Beifall bei der CDU)

Dieser Zusammenhang ist so evident, dass wir hier, auch ohne auf gelehrte Studien zurückzugreifen, massiv ansetzen. Sind Arbeitsplätze vorhanden, besteht der nächste Schritt darin, für eine vernünftige Besteuerung zu sorgen; denn die Steuerlast der Familien ist nach wie vor zu hoch, und der Freistellungsbetrag für Kinder ist zu niedrig.

(Willi van Ooyen (DIE LINKE): Die Hälfte der Deutschen zahlt gar keine Steuern mehr!)

Wenn wir den Menschen mehr von ihrem Einkommen lassen,ist,gerade bei jungen Familien,gegen Armut schon sehr viel getan.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Um es auf den Punkt zu bringen:Wir brauchen eigentlich keinen Armutsbericht, sondern wir brauchen eine Politik gegen Armut.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Petra Fuhr- mann (SPD):Wie bei Herrn Mißfelder!)

Ja.– Meine Damen und Herren,jetzt schaue ich mir Ihre Gesetzentwürfe näher an. Die LINKEN fordern einen Armuts- und Reichtumsbericht. Daher lohnt es sich, sich einmal genauer anzusehen, was die Fraktion DIE LINKE in ihrem Gesetzentwurf schreibt.Hier wird gefordert,dass die Berichterstattung auch die Einkommensverwendung umfasst.

Ich frage Sie ernsthaft: Wie wollen Sie denn diese Daten erheben? Wollen Sie sie etwa mittels einer subjektiven Selbsteinschätzung erheben? Wie verlässlich wären solche Angaben? Oder haben Sie andere Vorstellungen zum Erkunden solcher Informationen?

Der Bericht soll, so die Vorstellung der Linksfraktion, auch die „Verteilung der Spar- und Anlagevermögen“ umfassen.Auch hier stellt sich die Frage:Wie kommen Sie zu diesen Daten? Es ist schon erstaunlich, dass dieselben Menschen, die sich darüber ereifern, dass Hartz-IV-Empfänger ihre Vermögensverhältnisse gegenüber dem Staat offenlegen müssen, es für angemessen halten, wenn es der Erstellung eines Armuts- und Reichtumsberichts dient.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Das könnte Ihre Klientel doch machen!)

In Ihrem Gesetzentwurf wollen Sie auch die Überschuldung der Bürger erfassen lassen. Aussagekräftig wären diese Zahlen aber nur, wenn Sie auch die Ursachen der Überschuldung erfassen würden.Auch hier frage ich mich ernsthaft:Wie wollen Sie an die Daten kommen? Sie wollen, so heißt es in Ihrem Gesetzentwurf wörtlich, „eine möglichst objektive und vollständige Erfassung der realen Situation“. Sie meinen damit das Durchleuchten der Lebenssituation vieler Menschen. Ich traue mich nicht, Ihnen gegenüber das Wort „Datenschutz“ in den Mund zu nehmen. Sie scheinen es gar nicht zu kennen.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Was ist mit der Onlinedurchsuchung oder der Rasterfahndung?)

Meine Damen und Herren, entscheidend ist und bleibt, dass wir mit der hessischen Politik auch in Zukunft für eine bessere Bildung sorgen und dass wir auf Wachstum, Sicherung und die Schaffung von Arbeitsplätzen setzen. Wir werden uns diesem wichtigen Thema stellen und das umsetzen, was wir in der Koalitionsvereinbarung angekündigt haben.

(Janine Wissler (DIE LINKE): Also nichts! – Günter Rudolph (SPD): Das ist jetzt wieder eine Drohung!)