Protokoll der Sitzung vom 28.04.2010

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der LINKEN)

Es ist gut, dass Herr Müller in diese Vereine gehen und sagen kann, er hat sich eindeutig von einer Äußerung distanziert wie: „Wir brauchen nicht mehr Muslime, sondern weniger.“ Ich glaube, so können wir nicht mit diesem Thema umgehen. Das ist unangemessen.

Ich schaue auch den Kollegen Klee an und will ihn ausdrücklich wegen seiner hervorragenden Arbeit erwähnen, die er mit Jugendlichen aller Nationalitäten und aller Religionen in Biebrich macht.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der CDU, der SPD und der LINKEN)

Es ist gut, dass auch Herr Klee heute Abend und an den folgenden Tagen nach Biebrich zurückgehen und sagen kann: Ich habe mich von diesen Äußerungen distanziert, das ist nicht meine Meinung.

Das ist ein sehr wichtiges Signal, das wir heute hier entsenden: Religionsfreiheit hat Verfassungsrang. – Das betont dieser Hessische Landtag, und er sagt ganz klar: Wenn Abgeordnete diese Grenze überschreiten, dann schaut er nicht zu, sondern dann distanziert er sich eindeutig von diesen Abgeordneten. – Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN,der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Wagner. – Die nächste Wortmeldung kommt von Herrn Kollegen Merz für die SPDFraktion.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Es gibt ein paar Dinge in diesem Landtag, derer man herzlich überdrüssig ist. Dazu gehören die immer wiederkehrenden Debatten über die immer wiederkehrenden, nicht enden wollenden Fehltritte und Grenzüberschreitungen des Kollegen Irmer.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren, es hat keiner großen Fantasie bedurft, um sich auszumalen, dass sich der Kollege Irmer auf die Ernennung der ersten türkischstämmigen Ministerin in einem deutschen Bundesland und insbesondere auf deren Äußerungen über die Anwesenheit von Kruzifixen in deutschen Schulen zu Wort melden würde. Man konnte eigentlich die Uhr danach stellen, weil man sich auf seine Reflexe immer verlassen kann.Aber, Herr Kollege Irmer, einmal geht der Krug zu oft zum Brunnen. Einmal ist das Maß voll, und das Maß Ihrer Beanspruchung unserer Geduld und das Maß Ihrer wirklich rassistischen Übergriffe sind voll.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Und deswegen, meine Damen und Herren, wären persönliche Konsequenzen von Ihrer Seite, Herr Irmer, angezeigt. Das ist einmal die, die Kollege Wagner eben angesprochen hat, dass Sie nämlich endlich mit diesen volksverhetzenden Äußerungen gegen alles, was nicht Ihrem Bild von einem deutschen Staatsbürger und einem deutschen Politiker oder einer deutschen Staatsbürgerin und einer deutschen Politikerin entspricht, aufhören.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Hören Sie – ausgerechnet Sie – auf, sich zum Hüter der deutschen Interessen zu machen. Hören Sie auf, einer deutschen Ministerin eines deutschen Bundeslandes abzusprechen, dass sie geeignet sei, deutsche Interessen zu vertreten,nur weil sie in der Frage des Türkei-Beitritts zur EU eine andere Meinung vertritt als Sie. Das tun übrigens auch manche Leute in Ihrer Partei. Das tun viele Mitglieder der demokratischen Parteien. Sie sind nicht derjenige, der geeignet ist, hier zu definieren, was deutsche Interessen sind. – Das ist der eine Punkt.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Der andere Punkt richtet sich eigentlich nicht an Sie. Denn Sie haben gezeigt, dass Sie aus all der Kritik, die wir in den letzten Wochen, Monaten und Jahren auch in diesem Hause und an anderer Stelle an Ihren immer wiederkehrenden Äußerungen geübt haben, nichts gelernt haben. Sie sind nicht in der Lage, daraus Konsequenzen zu ziehen,und daran ändert auch Ihre Entschuldigung nichts. Denn diese Entschuldigung ist zu offenkundig unter dem Druck Ihrer eigenen Parteifreunde, Ihrer eigenen Fraktionskollegen zustande gekommen, sodass sie in der Sache nicht glaubwürdig ist; das möchte ich gleich dazusagen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie müssen sich jenseits dessen, was Sie heute hier beschließen und uns vorlegen wollen, schon fragen lassen, ob Sie wirklich glauben, dass dieser Mann geeignet ist, der bildungspolitische Sprecher und der stellvertretende Vorsitzende Ihrer Fraktion zu sein. Sie müssen sich fragen lassen, ob dieser Mann, von dessen Äußerungen Sie sich heute zum ersten Mal – das ist immerhin ein zivilisatorischer Fortschritt – zu distanzieren genötigt sehen,tatsächlich der geeignete Repräsentant Ihrer Fraktion in einem so sensiblen Bereich wie der Bildungspolitik ist, die viele Berührungspunkte mit der Integrationspolitik und dem, was diese Landesregierung zu tun beabsichtigt, hat. Soll das wirklich Ihre Linie in der Zukunft sein?

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Meine Damen und Herren von der Regierung – dies gilt sowohl für die Kolleginnen und Kollegen der CDU als auch für die Kolleginnen und Kollegen von der FDP –, Sie werden sich einmal entscheiden müssen, wo Sie integrationspolitisch tatsächlich hinwollen. Sie müssen sich entscheiden, ob die Linie, die zu meiner großen Freude die Kolleginnen und Kollegen der Enquetekommission vertreten, innerhalb Ihrer Fraktion die maßgebliche Linie sein soll oder ob es die Linie dieses Knüppelwerfers aus Wetzlar ist, der jeden, aber auch jeden Anlass und jedes denkbare Mittel nutzt, um einer fortschrittlichen Integrationspolitik Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Das ist es, meine Damen und Herren, was Sie entscheiden müssen werden. Sie werden politische Konsequenzen zu ziehen haben, und der Kollege Irmer wäre gut beraten, auch hier persönliche Konsequenzen zu ziehen, sein persönliches Verhalten glaubhaft zu ändern und darüber nachzudenken, ob er auch weiterhin die Funktionen, die ihm derzeit in diesem Hause obliegen, ausüben kann.

Meine Damen und Herren, wir werden jedenfalls nicht aufhören, zu skandalisieren und anzuprangern, was aus Wetzlar über den „Wetzlar Kurier“ oder welchen Kanal auch immer hierher dringt.Wir werden nicht hinnehmen, dass Menschen anderen Glaubens, anderer politischer Auffassung oder anderer Abstammung hier diffamiert werden.Wir werden nicht hinnehmen, dass Sie sich – ausgerechnet Sie – zum Hüter deutscher Interessen und zu demjenigen machen, der definiert, was deutsche Interessen sind.

Deswegen erkläre ich hier abschließend: Wir werden der Missbilligung zwar zustimmen,aber wir nehmen Ihre Entschuldigung nicht an. Denn sie ist nicht glaubwürdig und nur dem politischen Druck geschuldet. – Danke schön.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Vielen Dank, Herr Kollege Merz. – Das Wort hat Herr Kollege Dr.Wagner,Vorsitzender der CDU-Fraktion.

Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren! Die CDU-Landtagsfraktion hat die Sitzungsunterbrechung genutzt, um zusammenzutreten und mit großer Ernsthaftigkeit den Sachverhalt, der uns jetzt in dieser Debatte beschäftigt, zu erörtern.

Die CDU-Fraktion hat sehr klar,deutlich und geschlossen zum Ausdruck gebracht, dass es Ausdruck unseres Toleranzgebotes ist, für das wir als Christlich Demokratische Union einstehen, Respekt und Toleranz vor Andersgläubigen ausdrücklich zu üben, zu demonstrieren und zu leben. Hierin ist sich die CDU-Landtagsfraktion völlig einig.

Als Folge dieser Überzeugung hat die CDU-Landtagsfraktion außerdem einmütig festgestellt, dass die Äußerungen von Kollegen Irmer, um die es hier geht, nicht akzeptabel sind und dass die Fraktion sie ausdrücklich missbilligt. Aber – auch das gehört zur Debatte dazu – die CDU-Landtagsfraktion hat die glasklare Entschuldigung unseres Kollegen Irmer gewürdigt und auch begrüßt.

Meine Damen und Herren,lassen Sie mich einen Satz hinzufügen, den ich eigentlich nicht formulieren wollte: Ich glaube, dass bei allen unterschiedlichen Ansatzpunkten in diesem Landtag auch zur Kultur dieses Landtags gehört, dass nach einer missbilligungswerten Äußerung eines Kollegen und nach dessen unzweideutiger Entschuldigung eine solche auch akzeptiert wird. Auch das hat der Landtag zu würdigen. Auch das gehört, wie ich finde, zu dem Umgang innerhalb des Landtags dazu.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Gegenstand der sehr ernsthaften Diskussion innerhalb der CDU-Landtagsfraktion war auch, dass wir es ausdrücklich begrüßen, dass es in den Reihen dieses Landtags auch zwei Mitglieder gibt, die muslimischen Glaubens sind. Darüber freuen wir uns.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Wagner. – Das Wort hat nun Frau Kollegin Wissler,Fraktionsvorsitzende der Fraktion DIE LINKE.

Frau Präsidentin, meine Damen und Herren! Die Äußerungen von Herrn Irmer haben uns empört. Leider ist es nicht das erste Mal, dass die Äußerungen von Herrn Irmer Thema im Hessischen Landtag sind. Über seine unerträglichen Parolen im „Wetzlar Kurier“ gegen Migrantinnen und Migranten, gegen Muslime und auch gegen Homosexuelle, die in alle Haushalte im Lahn-Dill-Kreis verteilt werden, haben wir schon einige Male im Landtag gesprochen. Gerade heute hat er durch diese Zitate erneut seine rechte Gesinnung unter Beweis gestellt. Kämen Muslime nach Deutschland, sei das eine gefühlte Landnahme, sagen Sie, Herr Irmer. „Der Islam ist auf die Eroberung der Weltherrschaft fixiert.“ Meine Damen und Herren, „die Eroberung der Weltherrschaft“, da müssen doch wirklich alle Alarmsirenen schrillen. Liebe CDUFraktion, ich hätte mir gewünscht, dass bei Ihnen die Alarmsirenen etwas früher geschrillt hätten und dass Sie von Anfang gesagt hätten: Das können wir so nicht stehen lassen.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Herr Irmer, Sie sagen: „Wir brauchen nicht mehr Muslime, sondern weniger.“ Das ist wirklich Rassismus in Reinform. Die Frage ist, was Sie damit aussagen, wenn Sie sagen: „Wir brauchen nicht mehr Muslime, wir brauchen weniger Muslime“. Was heißt denn: „weniger Muslime“? Zu was rufen Sie da auf? Wie kann denn das verstanden werden, was Sie sagen? Sie müssen sich doch überlegen, wie Ihre Äußerungen verstanden werden. Ich halte es für unerträglich, wie Sie auf diese Art und Weise Musliminnen und Muslime beleidigen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜ- NEN)

Sie schüren Hass, Sie schüren Ängste. Das machen Sie ganz bewusst. Mein Kollege Herr Schaus hat es vorhin schon angedeutet:Wir halten das, was Sie gesagt haben, in der Tat für volksverhetzend.

Herr Irmer hat sich entschuldigt, wenn auch unter Druck seiner Fraktion. Er hat sich aber nicht ausdrücklich bei allen Musliminnen und Muslimen in diesem Land entschuldigt.Wir halten seine Entschuldigung in der Sache für unglaubwürdig, weil es eben kein Ausrutscher war. Es war keine Entgleisung, sondern das ist genau das Gleis, die Schiene, auf der Sie schon die ganze Zeit fahren. Das ist genau die Richtung, in die Sie schon die ganze Zeit argumentieren und publizieren.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Ich schaue mir den „Wetzlar Kurier“ sehr regelmäßig an. Da sind Überschriften enthalten gewesen wie:„Islamisten erheben Weltherrschaftsanspruch“,„Schleichende Islamisierung Deutschlands und Europas ist in vollem Gange“, „Für Europa – gegen Eurabien“. Wir erinnern uns alle daran: „Danke Schweiz – Minarette sind politische Symbole“. Das war Ihre Reaktion auf die Abstimmung über Minarette in der Schweiz.Das ist in dieser Weise sonst nur von der NPD kommentiert worden.

Herr Irmer, ich fand es wirklich beschämend, als es einen Mahngang in Ihrem Wahlkreis gab, nachdem nachts das Haus einer Familie von Rechtsextremisten in Brand gesteckt wurde, weil sie gegen den Antifaschisten vorgehen wollten, einen Mahngang, zu dem alle Fraktionen aufgerufen hatten, zu dem auch der Bürgermeister der FDP aufgerufen hatte, dass Sie, Herr Irmer, es nicht nötig hatten, sich als direkt gewählter Abgeordneter dieses Wahlkreises öffentlich zu erklären, öffentlich der Familie Ihre Solidarität auszusprechen oder zu diesem Mahngang zu kommen. Herr Irmer, das nehme ich Ihnen übel. Das hat ein ganz, ganz übles Zeichen in Wetzlar und darüber hinaus gesetzt.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Das Schlimme ist, dass die CDU jemanden wie Hans-Jürgen Irmer nicht nur in ihren Reihen duldet. Er ist ihr stellvertretender Fraktionsvorsitzender, er ist ihr bildungspolitischer Sprecher. Solche Äußerungen wie vom heutigen Tag sollten Sie zum Anlass nehmen, um endlich Konsequenzen daraus zu ziehen, damit Herr Irmer seine Positionen nicht mehr in seinen Funktionen als stellvertretender Fraktionsvorsitzender und als bildungspolitischer Sprecher vertreten kann.

(Beifall bei der LINKEN und bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben sich entschuldigt.Aber die Frage ist:Was ist die Konsequenz daraus? Ich sage Ihnen:Wenn Sie diese Entschuldigung ernst meinen und wenn die CDU ihre Distanzierung ernst meint, dann machen Sie eine Maßnahme als Allererstes – ich bitte Sie darum –: Stellen Sie das Hetzblatt „Wetzlar Kurier“ ein; denn es ist unerträglich, was Sie Monat für Monat in die Haushalte verteilen.

(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Landesregierung, lieber Herr Ministerpräsident, man braucht keine Integrationspreise zu verleihen, wenn man mit Musliminnen und Muslimen im eigenen Land so umgeht. Man braucht keine Partnerregion in der Türkei zu suchen, wenn man zulässt, dass Mitglieder dieses Hauses Türkinnen und Türken, Musliminnen und Muslime in dieser Art beleidigen.

Das ist ein vergiftetes Klima. Ich denke, wir müssen dafür eintreten, dass alle Kulturen, alle Religionen in diesem

Land gemeinsam friedlich leben können. Wir brauchen ein anderes Signal an die Musliminnen und Muslime, nämlich das Signal: Rassismus wird im Landtag nicht akzeptiert, heute nicht und vor allem auch in Zukunft nicht.