Protokoll der Sitzung vom 28.04.2010

eindringlich davor zu warnen, eine Differenzierung dieser beiden Opfergruppen vorzunehmen. Das ist nicht möglich. Die einen sind verfolgt worden, die anderen sind verfolgt worden.

Ja, diese zweite deutsche Diktatur war geprägt von Unrecht, von einer bestialischen Brutalität gegenüber Andersdenkenden, ja sie war geprägt davon, dass sie verhindern wollte, dass ihre eigenen Bürger das Land verlassen. Ich erinnere daran, dass es nicht nur einen Schießbefehl gab, sondern dass die Brutalität besonders dadurch zum Ausdruck kam, dass es nicht nur Tellerminen gab, an denen Menschen, wenn sie das Land verlassen wollten, zerfetzt wurden,sondern auch Todesautomaten,die nicht nur Kugeln, sondern bewusst auch Metallsplitter enthielten, die den Opfern großes Leid zufügen sollten, damit sie verbluten. Das ist Realität. Das dürfen wir nicht vergessen. Das müssen wir erwähnen.

Ich nenne hier einen weiteren Vertreter einer Opfergruppe, der in der Anhörung auftrat, nämlich der Hilfsorganisation für die Opfer politischer Gewalt in Europa, Herrn Kockrow. Er war selbst drei Jahre im Stasigefängnis. Er hat in der öffentlichen Anhörung gesagt,

dass jeder politische Häftling in der DDR vorher monatelang durch die Keller der Staatssicherheit gegangen ist. Können Sie sich vorstellen, sieben Monate lang ohne Tageslicht, ohne Brief, ohne Besuch, ohne Ansprache zu sein, nur den Fressnapf vor die Tür gestellt zu bekommen? Wochenlang ist das Licht aus. Sie sitzen im Finsteren. Sie sind ganz allein. Dann ist wochenlang das Licht an. Selbst der Arm vor den Augen hält das Licht nicht ab.

… Können Sie sich vorstellen, drei Jahre in der „Obhut“ der Staatssicherheit zu sein? Mein einziger Ansprechpartner war eine Fliege. Sie hatte sich zwei Stockwerke nach unten, in den Keller, verirrt. Ihr habe ich alles erzählt. Ich hatte sonst niemanden.Vielen ist das so gegangen.

Das ist erschütternd zu hören.Wenn man sich mit den Opfern beschäftigt, muss man natürlich auch feststellen, dass es zu den Opfern eben auch Täter gibt, und dann muss man auch über die Täter sprechen. Bei uns, in unserer Demokratie,haben wir Gott sei Dank die Regelung,wie es in Art.20 Abs.2 des Grundgesetzes steht:„Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus.“ Das ist auch gut so.

Anders in der DDR. In der Verfassung der DDR heißt es in Art. 1: „Die Deutsche Demokratische Republik ist... die politische Organisation der Werktätigen …, die gemeinsam unter Führung der Arbeiterklasse und ihrer marxistisch-leninistischen Partei den Sozialismus verwirklichen.“ Das heißt: Bereits in der Verfassung war enthalten, dass die politische Verantwortung für alles, was dort geschehen ist, die Partei hatte, die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands. Die SED ist also die Täterpartei.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Nun gibt es viele Dinge, die zwischen der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei und der SED unterschiedlich sind. Es gibt aber auch die Gemeinsamkeit, dass sie beide Träger eines diktatorischen Regimes in unserem Land waren. Es gibt Unterschiede, z. B. den Unterschied, dass die NSDAP aufgelöst worden ist, die SED aber fortbesteht.

(Hans-Jürgen Irmer (CDU): Richtig!)

Ich meine, wir müssen eines ganz klar sehen: Wie sich ein krimineller Täter der Gerechtigkeit und der Verantwortung entziehen will, indem er seinen Wohnsitz oder seinen Namen wechselt, so hat auch die SED ihren Namen gewechselt, um ihre Spuren zu verwischen. Wir werden das aber nicht hinnehmen.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Es wird Ihnen nichts nützen, immer wieder neue Masken aufzusetzen, sei es die Maske der PDS, die Maske der Linkspartei oder die Maske der LINKEN.Wenn die Masken heruntergerissen werden, kommt jedes Mal die schreckliche Fratze der SED zum Vorschein, an der das Blut der Opfer klebt.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Die SED hat die Taten dort als Täter

(Tarek Al-Wazir (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte an die Opfer denken! – Gegenruf des Abg.Dr. Christean Wagner (Lahntal) (CDU): Man muss auch an die Täter denken!)

Sie können sich auch noch zu Wort melden – zu verantworten, weil sie eben in diesem System die Einparteiendiktatur gestellt hat. Wir wissen alle, dass große Teile des SED-Vermögens verschwunden sind, wohin auch immer. Wir wissen nicht, ob es nach Kuba, Nordkorea, Libyen oder sonst wohin gegangen ist. Für mich ist es aber entsetzlich, festzustellen, dass von diesem Vermögen der Täterpartei nichts an die Opfer gegangen ist.

(Beifall bei der CDU und der FDP)

Wie müssen sich die Opfer Ihrer Partei verhöhnt vorkommen,wenn sie dann auf einem Plakat lesen:„Reichtum für alle“, für die Opfer aber kein Geld da ist? Ich fordere Sie von den LINKEN auf: Bekennen Sie sich zu Ihren Taten und Ihrer Verantwortung. Entschuldigen Sie sich bei den Opfern, und leisten Sie aus Ihrem Parteivermögen Entschädigungszahlungen an die Opfer Ihrer grauenvollen Taten.

(Beifall bei der CDU und der FDP – Zuruf der Abg. Janine Wissler (DIE LINKE))

Danke, Herr Caspar. – Ich darf Herrn Franz für die SPDFraktion das Wort erteilen.

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Caspar, bei allem persönlichen Respekt: Sie haben eine Rede gehalten, die man auf dem CDU-Parteitag hätte halten können. Ich glaube aber nicht, dass sie vollumfänglich dem Inhalt dessen angemessen wäre, worum es geht.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN – Dr. Christean Wag- ner (Lahntal) (CDU): Wo sind Sie anderer Auffassung? Sagen Sie das!)

Dass wir uns als Hessischer Landtag 20 Jahre nach der Wiedervereinigung mit dem Thema Beratung von SEDOpfern beschäftigen, hat mehrere Gründe.

Formal liegt es daran, dass es einen gemeinsamen Antrag von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der Partei DIE LINKE betreffend Entschädigung von Opfern des SED-Regimes in Hessen, Drucks. 18/778, gab, der diese Problematik im letzten Jahr aufgegriffen hat. Daraus resultierte die Anhörung vom 4. November 2009 des Unterausschusses für Heimatvertriebene, Aussiedler, Flüchtlinge und Wiedergutmachung. In der Anhörung erhielten wir von haupt- und ehrenamtlichen Fachleuten aus ihrer Tätigkeit in Opferverbänden, kirchlichen Einrichtungen, Stiftungen wie Point Alpha, Behörden und Ministerien anderer Bundesländer und von einem Anwalt wichtige Hinweise zur Praxis der Verfahren.

Dies hat zu den konkreten Vorschlägen geführt,die sich in dem vorliegenden Antrag Drucks. 18/2178 wiederfinden und jetzt Gegenstand der Debatte sind. Dieser Antrag wird jetzt gemeinsam von vier Fraktionen dieses Hauses getragen. DIE LINKE ist nicht mehr dabei. Demokratie hat jedoch das Kernelement des Dialogs über politische Fragen und nicht ideologisch motivierter Ausgrenzung. Das muss an dieser Stelle auch gesagt werden.

Im Mittelpunkt der Diskussion standen und stehen jedoch die SED-Opfer, die Opfer der DDR-Diktatur. Das persönliche Schicksal vieler SED-Opfer und damit verbundene Anträge auf Entschädigung unterliegen eben nicht einem klaren Schema mit zeitlichen Abfolgen. Viele Opfer sind traumatisiert und haben über Jahre oder gar Jahrzehnte hinweg eine Selbsterhaltungsstrategie des Verdrängens entwickelt. Wie weit und tief die Verletzungen der Persönlichkeit gehen, zeigen z. B. auch die Vorkommnisse um den sexuellen Missbrauch, den wir heute öffentlich diskutieren. Für viele hat erst die öffentliche Diskussion die Türen zum eigenen Ich aufgestoßen und dieses

ans Tageslicht befördert; denn Opfer vergessen nicht, sie verdrängen.

(Beifall bei der SPD)

Aber SED-Opfer stellen heute und hoffentlich auch in der Zukunft noch Anträge auf Entschädigung und Rehabilitierung.Dazu sollten wir sie auch ermuntern und ihnen Hilfestellung und Unterstützung bieten. Sie dürfen nicht in die Rolle lästiger Bittsteller gedrängt werden.

(Beifall des Abg. Horst Klee (CDU))

Diese Anhörung vom 4. November hat konkrete Hinweise auf Defizite bei den Verfahrensabläufen ergeben und berechtigterweise klare Qualifikationen und Sachkenntnis der am Verfahren Beteiligten gefordert. Diese Einstellung hat keinen anklagenden Charakter und eignet sich nicht für Schuldzuweisungen im politischen Alltagsgeschäft. Im Mittelpunkt müssen die Hilfestellungen für die Opfer der SED-Diktatur stehen.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Ebenso wichtig ist jedoch auch die gesamtgesellschaftliche Debatte um die Geschichte der DDR.

Wir Sozialdemokraten bewerten die 40-jährige kommunistische Herrschaft in der DDR als Diktatur. Ich sage dies sehr bewusst nicht nur deshalb, weil Sozialdemokraten zu den Opfern und Verfolgten gehörten und die SPD durch die Zwangsvereinigung aufgelöst und von den Machthabern kaltgestellt wurde. Die Wirklichkeit in der DDR war und ist mit den Wertvorstellungen von Demokratie nicht in Übereinstimmung zu bringen.

(Allgemeiner Beifall)

Ein Staat wie die ehemalige DDR, der in seiner Verfassungswirklichkeit seinen Bürgerinnen und Bürgern die elementarsten Grundrechte und Merkmale demokratischer Verfassungen wie freie Wahlen, Meinungsfreiheit und Pressefreiheit, freie Gewerkschaften, Religionsfreiheit,freie Berufswahl,Reisefreiheit und das Recht,anders zu sein, verweigert, ist nach unserem Verständnis eine Diktatur.

Erst recht trifft diese Bewertung zu, wenn die eigenen Bürger, die für diese Rechte und ein selbstbestimmtes Leben eintreten oder nur im Verdacht stehen,das tun zu wollen, mit den perfidesten Methoden der Staatsmacht psychisch und physisch verfolgt werden.

Wie in jeder Diktatur gibt es Mitläufer, aktive Unterstützer und willfährige Helfer. Dazu gehörten in der DDR auch die Blockparteien,die bei wichtigen Entscheidungen wie beim Bau der Mauer 1961 und dem Einmarsch in die damalige Tschechoslowakei stets auf Regierungskurs der Kommunisten waren.

(Beifall bei der SPD und bei Abgeordneten der LINKEN)

Auch dies muss klar ausgesprochen werden und gehört zur Geschichte der Diktatur in der DDR. Ein demokratischer Rechtsstaat bedingt ein ausbalanciertes Verhältnis von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit. Wesentliche Teile dieses Dreiklangs der eigenen Bevölkerung vorzuenthalten und Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger mit Füßen zu treten, ist Kennzeichen einer Diktatur.

In der öffentlichen Diskussion über Diktaturen verbietet sich auch eine bewusste oder unbewusste Relativierung, indem die Naziherrschaft als Diktatur gedanklich in einen

Bewertungsmaßstab einbezogen wird. 50 Millionen Tote des Zweiten Weltkriegs und 6 Millionen ermordete Juden stehen für immer als Mahnmal einer menschenverachtenden nationalsozialistischen Herrschafts- und Rassenideologie. Jeglicher gedankliche Vergleich verbietet sich.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)

Nur diese klare Positionierung ohne Verklärung der Wirklichkeit in der DDR kann den Opfern den verdienten Respekt zollen, ihnen damit ein Stück Genugtuung verschaffen und ihnen ihre Würde teilweise wiedergeben.

Dass wir als Landtag durch die Anhörung wichtige Hinweise auf Verbesserungen in institutionellen und organisatorischen Strukturen erhalten haben, ist kein Vorwurf an die Handelnden.Woher sollten sie auch die dazu erforderliche Sensibilität haben, wenn sie dafür weder eigene Erfahrungen einbringen konnten noch eine gebotene Vernetzung oder ein intensiver Austausch mit anderen Bundesländern erfolgte? Dass jetzt die Entschädigungsbehörden besser darauf vorbereitet werden, Mitarbeiter durch Gedenkstättenbesuche sensibilisiert und qualifiziert werden und ein niedrigschwelligeres Beratungsangebot vorgehalten wird, begrüßen wir sehr.

Den Gutachtern in diesen Verfahren kommt eine besonders große Bedeutung zu. Es ist von Frau Kollegin Schulz-Asche schon darauf hingewiesen worden: Es ist unheimlich wichtig, dass die Gutachter die Akzeptanz der Opfer haben, auch wenn sie nicht immer in ihrem Interesse zu einem Ergebnis kommen können. Das ist geboten, damit sie das Verständnis haben, dass ihnen Gerechtigkeit in diesen Verfahren entgegentritt.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN)

Erforderlich ist auch, dass die Befristung zur Antragstellung bis zum 31.12.2011 – so ist die gegenwärtige Rechtslage – aufgehoben wird. Erlittenes Unrecht in einer Diktatur darf nicht durch zeitliche Abläufe unter den Teppich der Geschichte gekehrt werden.

Die SPD-Fraktion stimmt diesem Antrag mit seinen Zielformulierungen zu. Wir wissen heute nicht, wie viele Anträge von Opfern noch gestellt werden.Aber durch unsere gemeinsam erarbeiteten Vorschläge können wir Verbesserungen in den Verfahren erreichen. Dies sind wir den Opfern der DDR-Diktatur schuldig, aber dies ist auch unsere Aufgabe und Verpflichtung, wenn Demokratie und Menschenwürde im Zentrum unserer Arbeit im Hessischen Landtag stehen. – Ich danke für die Aufmerksamkeit.

(Allgemeiner Beifall)